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Full text of "Die Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit"

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LINIVERSITY OF TORONTO LIBRARY 
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MEDIEVAL STU DIES 








Zeben Heinrichs VII. 


(Gefchichtfihreiber. Wierzehntes Zahrhundert, Erſter Band.) 





Die Geſchichtſchreiber 


der 


deutlichen Vorzeit 


in deutfher Bearbeitung 


unter dem Schuße 
Hr. Mai. des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 
herausgegeben von 


6. H. Perb, 3. Grimm, 8. Lachmann, 
2, Ranke, K. Ritter. 


Tortgefegt 


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au, Wattenbad;. 


Vierzehntes Jahrhundert. Band I. 
geben Heinrichs VII. 


— —— — — — 


Leipzig, 
Verlag von Franz Duncker. 
1882. 


Das Scben 


Kuiſer Heinrich des Siebenten, 





Berichte der Zeitgenofjen über ihn 


kbertegt 
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Dr. W. Sriedensburg. 


— — — — 


Erſte Hälfte. 





I 





Leipzig, 
Berlag von Franz Duncker. 
1882. 


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Nov 15 1967 
9 
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Snbaft. 


Seite 
Einleitung - - V 
I. Dez Albertinus Muffatus Raise * Seite 
Kaifer Heinrichs VI... . . A ; 87 
I. Aus des Gulielmus — en von den — 
niljen in Padua und der Lombardei . . 
IH. Aus der Gejhichte des Terreto von Vicenza . . . . . 85 


IV. Die Chronik des Johannes de Germenate von Mailand . 445 
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Kinleitung. 


Nehdem die Kaiſerkrone, welche der Anſchauung des Mittel: 
alters zufolge ihrem Inhaber als dem Nachfolger der römiſchen 
Imperatoren den Borrang vor allen weltlichen Fürften und Obrig⸗ 
keiten der abendländiſchen Chriſtenheit verlieh, durch Otto den 
Großen für das kräftigſte der aus der Karolingiſchen Erbſchaft 
hervorgegangenen Reiche, das oſtfränkiſche oder deutſche, in An— 
ſpruch genommen und erlangt worden war, blieb es das Beſtreben 
der Nachfolger Ottos auf dem deutſchen Throne den köſtlichen 
Beſitz ſich und ihrem Volke zu erhalten. Immer wieder zogen 
deutſche Ritterheere über die Alpen und immer mehr befeſtigte 
ſich die Vorſtellung, daß der deutſche Herrſcher, welcher ſich bereits 
geradezu römiſcher König nannte, der einzig rechtmäßige Erbe des 
Kaiſerthums ſei. Doch blieben auch Elemente des Widerſtandes 
nicht aus. Es war einmal das Papftthum, welches, von Kaiſer 
Heinrih II. aus tiefer Ohnmacht und weitgehender Corruption 
zu Macht und Anfehen emporgehoben, alsbald in natürlicher Riva- 
lität der weltlichen Obergewalt entgegentrat und derſelben im 
Bunde mit den centrifugalen Elementen in Deutfchland jelbft die 
ſchwerſten Kämpfe bereitete. Unter dem Schu und an der Hand 
des Papſtthums erhoben fid) dann in Stalien nationale Strö- 

Geſchichtſchreiber. Lfg. 67 Leben Heinrichs VIT. 1 


2 Einleitung. 


mungen, welche dem jenfeitö der Berge gebürtigen Herren, deſſen Rom- 
züge für das Land mit anſehnlichen, namentlichen pecuniären Opfern 
verfnüpft zu jein pflegten, widerftrebten. Dieſe beiden Momente, 
Curie und Bürgerthum (denn in den Städten concentrierte ſich das 
nationale Element in Italien), machten dem Kaiſerthum nicht wenig 
zu Ihaffen, und es mochte daher als ein großer Triumph des 
letzteren ericheinen, als der ftaufifhe Heinrih VI. das blühende 
unteritaliihe Normannenreich an fih brachte und fo feften Fuß in 
der ſchönen Halbinfel faßte. Aber gerade diefe Erwerbung ftürzte 
fein Gefchleht ind Verderben. Die Gegenmächte des Kaiferthums, 
welche fih nunmehr von Süden wie von Norden mit gewaltigen 
Armen umfaßt ſahen und zwiſchen denfelben erdrückt zu werden be— 
fürdten mußten, erhoben ſich mit Aufbietung aller Kräfte gegen 
die Staufer zu einem furchtbaren Ringen, in welchem ſchließlich 
der Kirche und ihrer Partei der Sieg zufiel. Ein unzeitiger Tod 
brach den Rieſengeiſt Kaiſer Friedrichs IL; bald folgte ihm fein 
waderer Sohn Konrad IV. ind Grab nad und ein halbes 
Menjchenalter fpäter waren auh Manfred und der jugendliche 
Konradin, die legten Sprofien des ftaufiihen Stammes, der Curie 
erlegen und aus der Reihe der Yebendigen getilgt. 

Das alte Impertum im Sinne ve8 früheren Mittelalters 
ihien damit für immer zu Grabe getragen. Deutihland war von 
der italiſchen Politik feiner Herrſcher nicht umbeeinflußt geblieben ; 
durch weitgehende Zugeſtändniſſe, Die der nur auf Italien gerichtete 
Sinn Friedrih8 II. den deutichen Fürften machte, vernichtete er 
die Reſte der Königsgewalt in Deutfchland und damit die ficherfte 
Grundlage für ein kräftiges Kaiſerthum und machte Deutichland 
zum Qummelplag der Territorial- und HausmachtSbeftrebungen 
feiner Fürften, die nach dem Fall der Staufer e8 nicht mehr er- 
trugen eın Fräftiged Oberhaupt über ſich zu fehen und ſtatt deſſen 
ein Baar Schattenkönige aufftellten,, die ihrem Treiben weder ent- 
gegentreten konnten noch auch wollten. Indeß begreift ſich Daß 
die italiſche Politik, ſo verderblich ſie auch den Staufern geworden, 
nicht für alle Zeiten abgethan, die Erinnerung an das Kaiſerthum, 





Einleitung. B} 


mit der fih doch auch die Erinnerung an die Größe und den 
Glanz des deutſchen Namens untrennbar verknüpfte, nicht mit 
Einem Schlage aus den Herzen der Deutfchen gettlgt war. Im 
Gegentheil. Sobald wieder leidliche Verhältniffe Plat - griffen 
und ein allgemein amerfannter König die Zügel ver Herr⸗ 
ſchaft in Deutſchland handhabte, trat Italien aufs neue in den 
Geſichtskreis der deutſchen Politik. Schon König Rudolf, deſſen 
Thronbeſteigung die entſetzlichen Zeiten des ſ. g. Zwiſchenreichs 
abſchloß, dachte an einen Romzug, an dem ihn im weſentlichen 
nur ſein hohes Alter und dann ſein Tod verhinderten. Auch lag es 
mehr an ungünſtigen Verhältniſſen als an dem Wunſch und Willen 
ſeiner beiden Nachfolger, wenn dieſelben den italiſchen Boden nicht 
betraten. Adolf fiel nach kurzer unruhiger Regierung auf blutigem 
Schlachtfeld und Albrechts Lebensfaden ward durch den Dolch des 
irregeleiteten Neffen jäh abgeſchnitten. Ihm folgte auf dem Throne 
ein Graf aus den weſtlichen Gegenden des Reichs, mehr Franzoſe 
als Deutſcher, Heinrich von Lützelburg. Als dieſer ſich plötzlich 
aus einem beſchränkten Wirkungskreis auf den erſten Thron der 
chriſtlichen Welt verſetzt fand, da erwachte in ſeinem ritterlichen 
phantaſievollen Gemüth alsbald der Gedanke, die alte Tradition 
zu erneuern. Der Zauberreiz des Südens, der Glanz, der immer 
noch das Kaiſerthum umſtrahlte, nahm ſeine hochſtrebende Seele 
gefangen, und mit der ganzen Gluth ſeiner Natur klammerte er 
ſich an den Vorſatz der Wiederaufrichtung des Kaiſerthums, einen 
Vorſatz, dem er alles Andere unterordnete. 

Kaum zwei Jahre verblieb Heinrich diesſeits der Alpen, 
lediglich bemüht ſeine königliche Stellung zu ſichern, indem er ſich 
mit dem mächtigen Geſchlecht ſeines Vorgängers auseinanderſetzte 
und ſeinem eigenen Hauſe durch die Zuwendung des böhmiſchen 
Königreichs einen Platz unter den großen Dynaftien Deutjchlande 
erwarb. Dann eilte er nad Süden und betrat, großer Erwar— 
tungen voll, den italifchen Boden. 

Aber nur fein war das Häuflein, welches mit ihm die Alpen 
überſchritt. Längft hatten ſich die großen Reichsfürſten der Ver— 

"2 


4 Einleitung. 


pflichtung ihren Herrn zum Empfang der Kaiſerkrone mit geſammter 
Macht nach Rom zu geleiten entzogen. So ging nur Herzog 
Leopold von Oeſterreich auf Grund eines beſonderen Abkommens 
mit dem König nach Italien, von wo er jedoch bald erkrankt heim— 
kehrte. Größer war die Zahl der geiſtlichen Fürſten, welche an 
der Romfahrt Theil nahmen. Allen voran iſt Balduin zu nennen, 
Erzbiſchof von Trier, die treueſte und zuverläſſigſte Stütze ſeines 
königlichen Bruders. Außerdem befanden ſich von mächtigeren 
Fürſten noch drei Grafen von Flandern, zwei Delfine von Vienne 
und Graf Amadeus V. der Große von Savoyen, ſämmtlich durch 
das Band der Verwandtſchaft mit Heinrich verknüpft, im Zuge. 
Begegnen wir endlich im Heere des Königs auch noch reichsſtädtiſchen 
Contingenten und einer beträchtlichen Anzahl von abenteuerluſtigen 
Rittern, unter denen Walram, Heinrichs Bruder, hervorragt, ſo 
ſoll doch die Schaar, welche ſich im Herbſte des Jahres 1310 im 
Piemonteſiſchen zuſammenfand, außer dem geringeren Fußvolk und 
den Armbruſtſchützen nur tauſend Ritterpferde gezählt haben. 
Augenſcheinlich genügte eine ſo geringfügige Streitmacht nicht um 
Italien zu überwältigen und dieſem Lande den Willen ſeines 
königlichen und kaiſerlichen Herrn aufzuzwingen; es kam daher 
für die Durchführung des Unternehmens Heinrichs weſentlich darauf 
an, wie ihn die Italiener aufnehmen, und ob und wie weit es 
ihm gelingen würde ſich in Italien zum Herrn der Verhältniſſe zu 
machen. 

Zunächſt hatte Heinrich einen Vorzug vor dem Staufer: nicht 
als ein Feind der Curie und von den Bannflüchen der Kirche 
verfolgt zog er einher, ſondern die Segenswünſche des Papſtes 
begleiteten ihn und Cardinäle bereiteten ihm den Weg. Das 
Papſtthum nämlich vermochte ſich in der Machtſtellung, welche ihm 
der Sieg über das Imperium gewährt hatte, nicht lange zu er— 
halten. Einſt hatte die Curie ſelbſt gegen den Staufer einen 
neuen Factor, die jung aufblühende franzöſiſche Macht, nach Italien 
gezogen. Als nun die Staufer fielen, blieb der Franzoſe zurück, 
ſetzte ſich in Unteritalien an die Stelle des geſtürzten Gegners und 


Einleitung. 5 


brachte bald das Papjtthum in weit höherem Grade unter feinen 
Einfluß als es die Staufer je erreiht oder auch nur erjtrebt 
hatten. Nachdem Papſt Bonifacius VIII. von der Krone Frank— 
reih auf das roheſte mißhandelt worden war, zogen feine Nach— 
folger e8 vor fid) geradezu in den Schuß Frankreichs zu ftellen 
und ihren Wohnfis aus Kom nad Südfrankreich zu verlegen, 
wo fie, wie befannt, ſchließlich in Avignon dauernd ihren Aufent- 
halt nahmen. Freilid) fühlten fie das Abhängige ihrer Stellung 
und Clemens V. fuchte jest in dem neu erftandenen römiſchen 
Königthum eine Stüge gegen den willensftarfen gemaltthätigen 
Gapetinger Philipp IV. den Schönen. So beförderte er wider 
Frankreich, welches einem feiner Prinzen die deutſche Krone und 
damit die Ausfiht auf das Kaifertfum zu verichaffen gedachte, 
die Wahl des LTürelburgers, und begrüßte e8 mit Freuden als 
diejer ſich unterfing auch in Italien den füniglihen und kaiſerlichen 
Namen wieder zur Geltung zu bringen. Indeß hatte für Hein- 
rich VII. das Verhalten Clemens’ V. nicht entfernt die gleiche 
Bedeutung wie einft für Friedrich II. die Stellung, melde Papſt 
Sunocenz IV. ihm gegenüber eingenommen. Insbeſondere war der 
Einfluß, den die Curie in Italien ſelbſt beſaß, ſeit der Zeit des 
großen Staufer wejentlih herabgegangen, wozu, ganz abgejehen 
von der erft furz vor der Zeit Heinrichs erfolgten Verlegung des 
päpftlihen Stuhles, namentlid die Verweltlihung, der die Kirche 
bald nad) ihrem Stege anheimfiel, beigetragen hatte. Dieſe Ber- 
weltlihung mußte aber gerade da, wo man gleichlam Augenzeuge 
des Treibens an der Curie war, d. h. in Italien, das geiftliche 
Anjehen, dem dieſelbe denn doch in erfter Linie ihre bedeutſame 
Stellung verdankte, vermindern und damit ihrem Einfluß den Boden 
entziehen. Nirgends treffen wir daher jo früh wie in Italien 
trogige Keger, die fi die Bannftrahlen der Kirche nichts anfechten 
laſſen und das Papftthum nicht anders betrachten wie jede beliebige 
weltlihe Macht, mit welcher ihre Politik zu rechnen hat. 
Uebrigend hatte die Gunft, welche Papft Clemens dem Nom: 
zuge des Lütelburgers zuwandte, denn doch ihre, nicht allzu weit 


6 Einleitung. 


gezogenen, Grenzen. Mit größter Eiferſucht überwachte die Curie, 
zumal jeitdem fie nach Frankreich gezogen war, das ihr unter- 
ftehende Gebiet in Italien, welches ſich feit den Zeiten der Staufer 
fefter zufammengejchloffen und ſchließlich noch durch einen fiegreichen 
Krieg gegen Benedig an Macht und Anjeyen gewonnen hatte. Im 
ganzen Umfang dieſes Gebiets war man nicht gewillt dem Kaiſer— 
thum Hoheitsrechte einzuräumen. Die Katferfrönung in der Peters— 
firhe zu Rom hatte zwar Clemens bereitwillig zugefagt, aber gerade 
in jeiner Hauptſtadt war die Macht des Papfted am menigften 
befeftigt, denn Rom wurde damals im mejentlichen durch die Adelg- 
factionen beherrſcht, an deren Spige ſich die guelfifhen Orſini und 
die Faiferlich gefinnten Colonna in erbittertem Hader gegenüber 
ftanden, ſodaß ſich unmöglich vorausjehen ließ ob und mie meit es 
dem Raifer, ob er fich gleich von der Curie unterftütt ſah, ges 
lingen werde hier jein Anſehen zur Geltung zu bringen. 

Ganz ausgeihloffen aber war von vorn herein ein Einfluß 
Heinrichs auf Das Lehnsreich des apoftoliichen Stuhles, das König- 
reich Neapel, von welchem allerdings in Folge der ſ. g. ſicilianiſchen 
Beiper des Jahres 1282 die Inſel Sicilien losgeriſſen worden 
war, die jeßt unter dem jüngeren Sohne König Peterd von Ara- 
gonien des Befreierd, dem waderen Friedrich, ein eigenes Königs 
veich bildete. Neapel dagegen, d. h. das feftländifche Unteritalien, 
behaupteten die Anjou. Kurz vor Heinvih Ankunft in Italien, 
im Jahre 1309, ftarb König Karl II. von Neapel, Sohn des 
berüchtigten erften Karl von Aniou, und hinterließ feine Krone, 
mit Uebergehung der Nachkommen feines Erftgeborenen, dem jüngeren 
Sohne Robert, einem gewandten, verfchlagenen Fürften, der fich 
alsbald bemühte die guten Beziehungen feines Haufes zur Curie 
zu erhalten und zu befefligen. Aus den Händen des Papftes, in 
defjen Umgebung er geraume Zeit verweilte, nahm er in Perfon 
die Belehnung entgegen und machte ſich erft unmittelbar vor dem 
Erſcheinen des Lützelburgers auf, um jein füdliches Reich einzuneh- 
men. Da die Anjou aud in Piemont feften Fuß gefaßt, To blieb 
dem deutſchen König als dasjenige Gebiet, auf welches er verſuchen 


Einleitung. 7 


durfte feinen faiferlichen Einfluß zu erſtrecken, nur die eigentliche 
Lombardei, mit der Mark Trevifo, und Toskana übrig. 

In diefen, den eigentlichen Neihslanden war nun die Idee 
des Kaiſerthums troß der langen Vakanz des kaiſerlichen Stuhles 
keineswegs erloſchen. Auch abgejehen von Dante, deſſen Kaiſer 
mehr eine abftrafte Potenzierung der Idee als ein conkretes Weſen 
des beginnenden vierzehnten Jahrhunderts ift, hatte doc) insbeſondere 
das Studium des römiſchen Rechts die alte Kaiſeridee inſoweit 
feſtgehalten, daß ſelbſt der nüchterne, entſchieden guelfiſch geſinnte 
Paduaner Albertino Muſſato mit Bezug auf die Stellung der 
Italiener zu Heinrich VII. ſagen konnte: von dem urſprünglichen 
Rechte des Kaiſerthums ſeien Alle ausnahmslos und ohne Rückſicht 
auf ihre Parteiſtellung durchdrungen; nur hätten, fügt er hinzu, 
Viele vermeint, Heinrich habe durch die Begünſtigung und Bevor— 
zugung, die er der einen Partei (den Ghibellinen) zu Theil werden 
laſſen, ſein Recht verwirkt. Die nur ſehr bedingungsweiſe Aner— 
kennung des Kaiſers, welche und aus dieſer Anſchauung entgegen— 
tritt, war nun freilich nicht mehr die urſprüngliche Kaiſeridee und 
entſprach auch der Auffaſſung Heinrichs VII. gar wenig. Ueber— 
haupt aber war es denn doch ſehr fraglich, ob die alte Kaiſer— 
tradition noch für die Gegenwart rechte Lebensfähigkeit beſaß 
oder ob ſie nur wie ein Schleier, den der erſte rauhe Windſtoß 
abheben und davontragen mußte, über den Gemüthern lag. Denn 
wenn von den beiden Momenten, welche wir oben als Gegner der 
Staufer bezeichneten, das eine, das kirchliche, welches in der rö— 
miſchen Curie ſeinen Mittelpunkt beſaß, auf Heinrichs Seite ſtand 
und ſein Unternehmen begünſtigte, ſo hatte dagegen das zweite 
eine Entwicklung genommen, die den Tendenzen des Kaiſerthums, 
mochte dieſes nun durch Friedrich II. oder durch Heinrich VII. 
vertreten ſein, unmöglich hold ſein konnte. Ich meine hier das 
Moment der Nationalität, welches ſich in dem Bürgerthum verkör— 
perte. Bei dem Worte Nationalität iſt nun freilich nicht etwa an 
ein Verlangen nach politiſcher Einigung der Halbinſel zu denken; 
dieſes ſpielt in dem mittelalterlichen Italien, zumal in dieſer Epoche, 


8 Einleitung. 


kaum eine Rolle. Aber man war ſich doch nach und nach einer 
nationalen Zuſammengehörigkeit bewußt geworden, wie denn eben 
in dieſer Zeit eine nationale Schriftſprache erſtand, die mit dem 
Beginn des neuen Jahrhunderts in Dante's göttlicher Komödie die 
herrlichſte Frucht zeitigte und damit ein für allemal in der 
Weltlitteratur einen Platz gewann. Das Nationalbewußtſein äußerte 
ſich dann namentlich durch die Abneigung gegen die Fremden, ins— 
beſondere auch gegen die Deutſchen, eine Abneigung, der wir faſt 
bei ſämmtlichen Geſchichtſchreibern der Epoche Heinrichs VII., Ghi— 
bellinen wie Guelfen, Lombarden wie Toskaneſen, begegnen. „Was 
habe ich mit dieſem Grafen von Lützelburg zu” fhaffen, den mein 
Auge nie erblidt hat? mit welchem Recht maßt ſich diefer Fremd- 
ling an meine Verhältniffe zu wirren, meine Pläne zu durchfreuzen, 
Das Werk meines Lebens umzuftürzen?” In folhen Worten foll 
Guido della Torre, der Gebieter Mailands, feinem Unmuth Aus- 
druck gegeben haben, als er die Nachricht von Heinrichs bevor— 
ftehender Romfahrt erhielt, und ficherlic fanden derartige Reden 
einen Widerhall in den Gemüthern von taufend und abertaufend 
jeiner YandSleute, welche es, mochten fie auch von dem theoretiichen 
Rechte des Kaiſers durchdrungen fein, nicht mehr recht faſſen 
fonnten, daß nad) jo langer Pauſe jetzt plöglich mit den weiteft- 
gehenden Forderungen auf ihrem Gebiete ein Ausländer erichien, 
welcher durch irgendwelche ihnen unbefannte Combinationen, unter 
der Einwirfung von Momenten, die ganz außerhalb ihres Ein- 
fluſſes und Geſichtskreiſes lagen, in einem fremden Lande zum 
König erhoben worden war. Ueberhaupt aber mußte mit dem 
völligen Obſiegen des Bürgerthums, wie es in Ober- und Mittel- 
italien jeit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts der 
Fall war, eine nüchternere Auffaffung Plag greifen, als da noch der 
Clerus und der ritterliche Adel fih zu Trägern der hochfliegenden 
Ideen der Weltherrichaft gemacht hatten. Handel und Gewerbe 
nahmen jet die Aufmerffamkeit des Bürgers in erfter Linie in 
Anſpruch; wie hätte er da für Theorien und Abftractionen, die von 
feiner Intereffenfphäre weit ablagen, noch Sinn haben fünnen? 


Einleitung. 9 


Trotz alledem zählte das Kaiſerthum in den italiſchen Städten 
eine ſtarke Anhängerſchaft, welche freilich weniger dem Inſtitut an 
ſich ergeben war als vielmehr mit Hilfe des Kaiſers ihr eigenes 
Beſte zu fördern und den Sieg über ihre Nebenbuhler davonzu— 
tragen hoffte. Wurde doch damals ganz Italien durch Partei— 
kämpfe aufs äußerſte zerriſſen. Es ſchien als ob die faſt wunder— 
bare Fülle von Lebenskraft, welche dieſes Land aufzuweiſen hatte, 
es zwänge ſich jelbftmörderifch zu zerfleiihen. Aus dem großen 
Ringen der Unwerjalmächte erwachlen, hatte diefer Parteifampf 
mit dem Unterliegen des Kaiſerthums begreiflicher Weiſe feinen 
Abſchluß nicht gefunden. inftweilen zwar ſchien er den univer- 
ſaliſtiſchen Charakter abgeftreift und fih in eine unabjebbare Reihe 
von zufammenhangslojen Einzelfehden aufgelöft zu haben, und 
wenn die alten Parteinamen der Guelfen und Ghibellinen immer 
noch gehört wurden, fo konnte e8 das Anjehen haben als ſeien 
died nur noch leere Namen und Aushängeſchilder für die verichte- 
denartigften Interefjen. Aber es lag trogdem in diefen Namen 
ein Zauber, der fid) bewährte, jobald das richtige Wort ausge— 
ſprochen wurde. Je länger der Kampf dauerte, deſto weiter ent= 
fernte er fi) von feiner urfprünglichen Bafis, defto weniger waren 
bei Guelfen und Ghibellinen Beziehungen zur Kirche oder zum 
Kaifertfum wahrnehmbar: hatte vielmehr irgendwo eine Partet 
den Namen dev Guelfen überfommen, jo nahm eine etwaige Gegen- 
partei, einerlei worauf der Gegenſatz zu jener beruhte, Davon 
Anlaf ſich mit dem ghibelliniihen Namen zu fhmüden, ohne daß 
fie darum fid eines Gegenjates zur Curie oder einer bejonderen 
Hinneigung zu den kaiſerlichen Tendenzen bewußt gemorden wäre, 
und umgefehrt. Sobald e8 aber jenfeit8 der Alpen Tebendig 
wurde, jobald dort die Erinnerung an das Kaiſerthum erwachte 
und Stalien in den Geſichtskreis der deutſchen Politik trat, fo 
ſchienen die alten Parteinamen ihre alte Bedeutung plötzlich wieder: 
gewonnen zu haben, indem nun diejenigen, welche fich ©hibellinen 
nannten, auch Ghibellinen fein wollten und ſich als Verbündete 
und Freunde des Kaiſerthums betrachteten, während die Guelfen, 


10 Einleitung. 


die freilich jest nicht den befonderen Gegenfa der Curie zum Raifer- 
thum, fondern im Allgemeinen die Feindfchaft wider letzteres ver- 
traten, mistrauifh nach Norden blickten und fich rüfteten mit den 
Waffen in der Hand die kaiſerlichen Tendenzen abzumehren. 
Betrachten wir jedoch die Wirren in Italien losgelöſt von 
den Beziehungen zu den Univerfalmäcdhten, jo ericheinen fie ung 
wejentlih unter dem Bilde eines Ständefampfes, in welchem das 
demofratiiche Princip mehr und mehr zum Siege gelangt. In 
der Lombardei, mo die Demokratie ſich befanntlich zuerft im elften 
Jahrhundert regte, war man zur Zeit Heinrichs ſchon einen Schritt 
meiter gefommen; die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts 
ift die Epoche, in der hier der Grund zur Tyrannis gelegt wurde. 
Charafteriftiich Fir dieſe Erfcheinung ift die Geſchichte Mailands, 
wo der Kampf der Parteien fich eben damals mehr und mehr in 
die Nebenbuhlerichaft zweier mächtigen Geſchlechter umfegt. Mit 
den Vorgängen in Mailand aber fteht faft die ganze Lombardei 
in Wechjelwirfung. Beide mailändische Parteien haben ihre Stügen 
an verjchiedenen einander feindlichen Städten oder an den verfchie- 
denen Parteien eines und deſſelben Gemeinmejens, und umgekehrt 
wirken die Siege und Berlufte, melde bier erfochten und erlitten 
merden, und überhaupt die Barteiverhältniffe im übrigen Yombarbien 
oftmals auf die Hauptftabt entſcheidend zurüd. Indem diefe Ver— 
änderungen nicht jelten durch die geringfügigften Anläffe, dur 
Familienzwiſt, Eiferfucht, zumeilen durch ein bloßes Ungefähr her- 
beigeführt werden, tritt ein haltloſes Schwanfen, eine geradezu 
wunderbare Verſchiebbarkeit aller Lebenswerhältniffe ein, zu ber 
allerdings auch die beftändigen Wiühlereten der unterliegenden Fae— 
tionen nicht am wenigften beitrugen, die, in der Regel aus der 
tadt vertrieben, unabläffig bemüht waren ſowohl im Innern 
derjelben neue Beziehungen zu fnüpfen als auch in dem Gebiete 
feften Fuß zu faffen und namentlich recht viele befeftigte Plätze 
zu behaupten, von denen aus fie der fiegreichen Gegenpartei 
in der Stadt jelbft das Yeben fauer machten, bis etma ein Um— 
Ihmung in den Berhältniffen fie heimfehren Yieß, morauf dann 


Einleitung. 11 


gemeiniglich die bisher fiegreichen Bürger in die Verbannung zogen 
und dort daſſelbe Spiel begannen. Ein gewifjes Gegengewicht 
gegen -die allgemeine Auflöfung bildete nicht felten das damals 
auffommende Inftitut der Signorie, mittel8 deren oft jelbft meh: 
rere Gemeinweſen unter Einem hervorragenden Manne (meift aus 
der Zahl der mailändifchen Parteihäupter) gleihjam in Perjonal- 
union verbunden waren. Die Signorie bildet eine gewifje Ergänzung 
zum Amte des Podeſtä, welches in diefer Epoche zwar den Blut- 
bann und die höchſte Polizei im Inneren handhabte, aber von 
geringer politifcher Bedeutung war, während die Signorie faum 
weniger als die wirkliche Herrſchaft über die betreffende Stadt 
beveutete. Auch wurde fie in den meiften Fällen auf längere Zeit 
als das halbjährlich wechjelnde Podeftariat, in der Kegel auf einige 
Jahre, verliehen, ohne daß man übrigens bei Aenderungen der 
politiichen Verhältnifje Bedenken getragen hätte ſich des Signore 
auch vor Ablauf jener Amtszeit zu entledigen. 

An der Spise der demokratiſchen Partei tritt, unter dem 
Namen eines Volkscapitäns, zuerſt Martino della Torre als der 
eigentliche Leiter der mailändiſchen Politik in den Bordergrund. 
Borfihtig verkhmäht er die Signorie der Stadt, und jo gelingt 
es ihm feine herrſchende Stellung bis auf feinen zweiten Nach— 
folger, Napoleone della Torre, zu vererben, welcher 1274 von 
Rudolf von Habsburg zum Reichsvikar ernannt und durch deutiche 
Keifige unterftügt wurde. Den della Torre gegenüber jucht Die 
Ariftofratie zuerft an Ezzelino da Nomano, dem mächtigen Tyran— 
nen von Verona und Padua, einen Anhalt; nach veilen Sturz 
ericheint an der Spitze des Adels der Erzbiſchof von Mailand, 
Ditone de’ Viscontti, der, anfänglich im offenen Gegenſatz zu 
Napoleone, dann mit demfelben verföhnt, ihn jchlieglih an ber 
Spite einer großen lombardiſchen Coalition zu Falle bringt (1277) 
und fiegreid die Signorie über die ambroſianiſche Stadt in die 
Hand nimmt. Auch er jucht und erlangt von König Rudolf einen 
Rechtstitel für feine Herrſchaft. Sein Neffe Maffeo Visconti, ſeit 
1287 Volkscapitän, wird ſpäter Ottone's Nachfolger in der Herr— 


12 Einleitung. 

Ihaft über Mailand und nimmt das Reichsvikariat von König 
Adolf und ſodann auch von Albrecht I. entgegen. Er erlangt eine 
bedeutende Machtfülle, hat aber fortwährend mit den Torrianen 
zu kämpfen, die ihn endlidy im Jahre 1302 mit Hilfe des Signore 
von Piacenza Alberto Scotto und des Markgrafen Johann von 
Montferrat zu Falle bringen. An feine Stelle tritt Guido della 
Torre, den die Mailänder im Jahre 1308 zum Volkscapitän auf 
Lebenszeit ernannten. Durch Anfnüpfung freundfhaftliher Bezie— 
bungen und Verſchwägerung mit den mächtigften Stadthäuptern, 
3. B. dem Grafen Filippone da Yangosco, der nad) Heberwältigung 
des Manfredo da Beccaria in Pavia herrſchte, Antonio da Fiſiraga 
Signore von Lodi, dem einflußreichen Gremonejen Gulielmo 
Savalcabo und Simone degli Avvocati da Corobiano (Colubiano) 
aus Vercelli, ſuchte Gutdo feine Stellung zu fihern. Dem Bündnis 
diefer Tyrannen, melde ſich als Guelfen bezeichneten, ftanden die 
ghibelliniichen Gemeinmwelen, zu denen Parma Mantua Reggio 
Modena und Brescia gehörten, gegenüber, ohne jedoch unter einander 
einen engeren Zuſammenhang aufrechtzuerhalten. Auch PBiacenza, 
wo Alberto Scotto, 1305 geftürzt, vier Jahre fpäter die Herrichaft 
im Gegenſatz zu den della Torre wiedergewann, trat auf die Seite 
der Ghibellinen. 

Im wejentlichen unberührt von den Verhältniffen der Lom— 
bardei blieb außer Genua, wo die rivalifierenden Familien der 
Doria und Spinola fih erft kurz vor Heinrichs VII Erfcheinen 
in der Stadt vorübergehend vertrugen, und Venedig, welches ſich 
längft jeder thatſächlichen Abhängigkeit vom Reiche entzogen hatte, 
auh die Mark Trevifo, wo Padua nah dem Sturze Ezzelino’s 
einen mächtigen Aufihwung nahm und das benachbarte Vicenza 
unterwarf, während zu Verona in den della Scala (Scaligert) 
ein fraftoolles Herrengeichlecht auffam; weniger feft war, wie ſich 
bald zeigen jollte, die Herrihaft begründet, melde die Familie 
Camino gleichzeitig in Treviſo aufrichtete. — 

In Toskana vollzieht fih in diefer Epoche, unter faum minder 
großer Verwirrung aller Yebensformen als in der Lombardei, ein 


Einleitung. 13 


bedeutfamer Umſchwung im demofratifchen Sinne. In den meiften 
Gemeinweſen löft das Volk den Adel in der Yenfung des Staates 
ab, ein Umstand, der zugleich zwifchen den einzelnen Städten ein 
engeres Einverftändnis herbeiführte. Das größte Intereffe nimmt 
naturgemäß Florenz in Anſpruch, welches, durch den Tod der 
großen Gräfin Mathilde von Tuscien im Jahre 1115 zur freien 
Stadt geworden, jeit 1125, wo es das benachbarte Fiejole zer- 
ftörte und deſſen Einwohner in feine eigenen Mauern auf: 
nahm, fid) jo bedeutend hob, daß es, als im Anfang des drei— 
zehnten Jahrhunderts Piſa's Macht in Folge unglüdflicher Kämpfe 
mit den Genueſen zurüdging, an Die Spite der ganzen Landichaft 
trat. In Florenz tummelte fih eine zahlreihe, Handel- und 
Gewerbtreibende Bevölkerung, welche, guelfiſch-demokratiſch gefinnt, 
allmählich zu dem herrſchenden Adel in Gegenſatz trat, bis es im 
Todesjahre Kaiſer Friedrichs II. 1250 ihr gelang durch eine un- 
blutige Revolution das Adeldregiment zu ftürzen und eine demo— 
fratiiche Obrigkeit an die Spite zu ftellen. Noch mehrfach zwar 
erlangte in der Folge der Adel, und mit ihm das Chibellinenthum, 
die herrichende Gewalt in Florenz, doch fühlte er fich ſelbſt in ver 
Zeit feines Sieges jo wenig ficher in Florenz, daß einft auf einem 
Parteiparlament zu Empoli alles Ernſtes der Vorſchlag gemacht 
wurde Florenz von Grund aus zu zerjtören, weil auf feinem an— 
deren Wege das Uebergewicht der Ghibellinen in Tosfana zu be— 
haupten jein werde. Der verzweifelte Antrag ging nun freilich 
nicht Durch, aber gar ſchnell bemwahrheitete fih die Borausficht 
aus der er erwachſen war, denn die Tage der Adelsherrſchaft 
waren gezählt. Im Jahre 1282 fam das Regiment an die 
Vorſteher der Zünfte (Priori dee Arti), die das Collegium der 
Signorie bildeten. Von nun an ward die Stellung des Adels 
eine jo ungünftige, daß viele ärmere Mitglieder dieſes Standes 
zu den Zünften übertraten. Namentlid) unter Giano della Bella 
ging die Tendenz der Gefeggebung dahın den Adel in den meiften 
Sinfichten dem Volke nachzuſetzen. Damals eniftand in dem Ban— 
nerträger der Gerechtigkeit (Öonfaloniere della Giuſtizia) ein mäch— 


14 Einleitung. 


tiger demofratiicher Magiftrat, der die Aufgabe hatte, den Adel 
im Zaum zu halten und zu Demüthigen. — Kaum aber jchten 
der Kampf zwiſchen Adel und Volk durch Das völlige Obfiegen deö 
Iegteren beendet zu fein, als eine neue gefährliche Spaltung unter 
den herrſchenden Klaſſen Toskana's ausbrach. In Piftoja nämlich, 
nahm gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts eine Familienfehde 
zwiſchen dem ſ. g. ſchwarzen und dem weißen Zweige der Cancellieri ſo 
große Dimenſionen an, daß ſie die ganze Stadt ſpaltete und endlich 
die Florentiner zum Einſchreiten veranlaßte. Indem nun aber die 
letzteren ſich theills der Weißen, theils der Schwarzen annahmen, 
verpflanzte ſich die Zwietracht nach Florenz ſelbſt und zeigte hier 
bald einen weſentlich politiſchen Charakter, indem die Schwarzen 
(Neri) das ultraguelfiſche Moment in ſich darſtellten, während die 
Weißen (Bianchi) eine vermittelnde, gemäßigte Richtung vertraten. 
Zunächſt lag das Uebergewicht auf Seite der Bianchi; im 
Jahre 1302 aber benutzte Corſo Donati, das Haupt der Neri, 
die Anweſenheit des franzöſiſchen Prinzen Karl Grafen von Pro— 
vence, der im päpſtlichen Auftrag die Parteiung ſchlichten ſollte, 
dazu um mit deſſen Hilfe die Gegner zu überwältigen. Nach 
einigem Widerſtreben verließen die namhafteſten Bianchi 1302 die 
Stadt und wurden nachträglich von Karl mit der Berbannungs- 
jentenz belegt. Noch einmal fam es jest im Schoße der Neri zu 
Zweiungen und unruhigen Bewegungen, denen Corſo Donati zum 
Dpfer fiel (1308). In der Folge finden wir feinen einzelnen Bür— 
ger an der Spitze. Doch verharrte die Stadt einmüthig auf der 
guelfiſchen Seite. ALS bereits Heinrich) von Lützelburg den deutſchen 
Thron beftiegen hatte und die Romfahrt plante, zogen die Floren= 
tiner wider Arezzo aus und liefen fih durch die Abmahnungen 
des fernen Königs nicht irre machen, bis deſſen Ankunft fie zwang 
auf ihrer Hut zu fein. In Arezzo nämlich) war neuerdings Die 
ghibelliniihe Partei unter den Beiftand eines päpftlichen Yegaten, 
Napoleone degli Drfint, wieder zu Bedeutung gekommen. Aud) 
das altkaiſerliche Piſa war nad) einigem Schwanken zum Ohibellinen- 
thum zurücgetreten, während andererjeitS Lucca jeit der Vertreibung 





Einleitung. 15 


der Interminelli wieder ganz auf guelfiiher Seite ftand; fchon 
eher war Siena, weldes in den erften Zeiten nad Kaiſer Frie- 
drichs Tode das ghibelliniihe Banner hochgehalten hatte, in Das 
quelfiiche Lager übergegangen. Alle Eleineren Gemeinwejen Tos— 
kana's aber folgten der Politif des mächtigen florentiniſchen Staates, 
der das Nachbargebiet weithin ſich einverleibt hatte. — 

Den im Vorftehenden fkizzierten Verhältniffen gegenüber hatte 
Heinrich VO. die Wahl zwiſchen zwei verfchtedenen Wegen: er 
fonnte entweder ald Haupt der Ghibellinen auftreten, diefe um fich 
fammeln und ſich mit ihnen auf die guelfiich Gefinnten ftürzen; 
oder aber er mochte verfuchen eine Stellung über den Parteien zu 
behaupten, und fich bemühen allen Hader beizulegen und unter der 
höheren Einheit des Kaiſerthums alle Befonderheiten und Partei- 
unterſchiede verfchwinden zu laſſen. Heinrich war feinen Augenblid 
darüber unfchlüffig welchen Weg er wählen ſollte. Nichts Tag 
ihm urfprünglich ferner als der Gedanke fid) zum Partethaupt zu 
erniedrigen. Er fahte das Kaiſerthum nod ganz ım Sinne der 
Ditonen, der Salier und Staufer auf, nahm die weitgehendften 
Befugnifje für fih in Anſpruch, und war nicht gefonnen ſich von 
der altkaiſerlichen Allmacht auch nur ein Tüttelchen abringen zu 
laſſen. Daber hatte er aber hochherzig das Beſte Italiens im 
Auge: er hielt fih für berufen Dort als ein Friedendengel zu er— 
ſcheinen, allem Elend, aller Zerrüttung ein Ende zu machen und 
eine Aera beglücdender Ruhe und fruchtbaren Friedens über Die 
Ihöne Halbinjel heraufzuführen. 

Einem ſolchen Beftreben jauchzten namentlih die zahlloſen 
Berbannten zu, deren faft jedes Gemeinweſen im größerer oder 
geringerer Anzahl aufzumeilen hatte. Der theuren Heimath ftet8 
eingedenk festen diefe Unglüclihen jest ihre ganze Hoffnung auf 
den nordiſchen Herricher, der zu ihrem Heile die Alpen überfchritt. 
Unter den Berbannten aber war feiner, deſſen Namen jich mit 
dem erlauchten floventinifchen Dichterheros Dante Alighiert meffen 
fonnte. Der Partei der Bianchi angehörend hatte der Dichter 
der göttlichen Komödie 1302 die Vaterſtadt verlafien müfjen, bie 


16 Einleitung. 


ihn undankbar mit ihrem Aechtungsdekret verfolgte. Als Dante, der 
jeit jeinem Scheiden aus Florenz ein unftätes Wanderleben aeführt 
hatte, von dem Plane der Erneuerung der kaiſerlichen Tendenzen durch 
König Heinrich erfuhr, da richtete er freudig bewegt ein von Bes 
geifterung überftrömendes Schreiben an jeine Landsleute, in welchem 
er denjelben anempfahl ihren Retter und Heiland gebührend aufzu- 
nehmen: „Siehe da die willfommene Zeit”, ruft er aus, „in mel- 
cher die Zeichen des Trofted und des Friedens fich erheben. Denn 
der neue Tag erglänzt, feinen Schimmer zeigend, der ſchon die 
Finſternis des langwierigen Elends zerftreut. Bereits mehen fanfte 
Morgenlüfte, der Himmel vöthet fid) an jeinen Rändern und be— 
zeugt mit ſüßer Klarheit die Wahrzeichen der Völfer. Und mir 
werden die erjehnte Freude erbliden, die wir lange Zeit in der 
Müfte übernachtet haben. Sintemal der friedfertige Titan wieder 
erftehen und die Gerechtigfeit, die ohne ihre Sonne gleich Pflanzen 
um die Zeit der Sonnenmende erftorben war, ſobald er feine Locken 
gejchüttelt Hat, wieder grünen wird. Sättigen werben ſich alle, 
welche Hungern und dürften, in dem Lichte feiner Strahlen; jene 
aber, die da Ungerechtigkeit lieben, werden durch fein funfelndes 
Angeficht verwirrt werden. Denn fiehe da, e8 erhob die mitleidigen 
Ohren der Löwe vom Stamme Juda und, Erbarmen fühlend bei 
dem Geheul der allgemeinen Gefangenſchaft, erwedte er einen zwei= 
ten Moſes, der fein Volk von den Plagen der Aegypter befreien 
und fie in das Yand führen wird, wo Mil und Honig fließt. 
Freue did nun, Italia, du auch den Saracenen mitleivswirdige, 
die du Sofort neidenswerth erjcheinen wirft dem Erdkreiſe. Denn 
dein Bräutigam, der Troft der Welt und der Stolz deines Volkes, 
der gnadenreihe Heinrich der göttliche und Auguftus und Cäfar, 
eilt zur Hochzeit. Trockne die Thränen und tilge die Spuren des 
Rummers, du Schönſte; denn nahe ift er, welcher dich befreien 
wird aus dem Kerker der Gottloſen, er, der die Boshaften ſchla— 
gend, fie mit der Schärfe des Schwerts verderben und jeinen 
Weinberg anderen Arbeitern verdingen wird, die Die Frucht der 
Gerechtigfeit darbringen zur Zeit der Emdte...... Wohlauf, 





Einleitung. {7 


eilt, ihr Sprößlinge Scandinaviens (d. i. Yombarden, mit Rück— 
ſicht auf die angeblich früheſten Wohnſitze derſelben in Scandi- 
navten), damit ihr euch feiner Gegenwart erfreut, vor deſſen An- 
funft ihr mit Recht zittert. ...... Kommt durch das Geftänd- 
nis eurer Unterwerfung feinem Zorne zuvor und jubelt auf dem 
Pjalter dev Reue, ermägend, daft, wer ver Obrigkeit widerftrebt, 
der Ordnung Gottes widerftrebt, und, mer gegen Gottes Ordnung 
ankämpft, gegen den gleichbleibenden Willen der Allmacht löckt; 
und hart iſt es ja gegen den Stachel zu löcken. — Aber ihr, die 
ihr als Unterdrückte trauert, erhebet den Geiſt, denn nahe iſt euer 
Heil. Nehmet den Karſt edler Demuth und ebnet, nachdem ihr die 
Schollen dürrer Feindſchaft zerſchlagen habt, das kleine Feld eures 
Geiſtes, damit der himmliſche Regen, eurer Ausſaat zuvorkommend, 
nicht vergeblich von der erhabenſten Höhe falle. Nicht weiſet die Gnade 


Gottes von euch, wie den täglichen Thau der Stein, zurück, ſondern 


nehmt ihn auf wie ein fruchtbares Thal, und grüne Sproſſen mögt 
ihr treiben, grüne, ſage ich, welche des wahren Friedens Früchte 
bringen. ..... Erwachet denn alle, umd erhebet euch eurem 
Herrn entgegen, o Bewohner Italiens, die ihr ihm aufbehalten ſeid 
nit bloß daß er euch beherrſche, fondern euch als Kinder 
tenleve, u}. ? 

Durch ſolche Worte angefündigt betrat der Lützelburger die 
italijchen Gefilve. Eifrig bemüht die Gedanfen, welche ihn be— 
jeelten, zur Ausführung zu bringen, mußte er nur allzu bald er— 
fennen wie groß die Schwierigfeiten feien, die jeinem Beginnen ent- 
gegen ftanden. Waren die Berbannten beglüct wenn fie durch ihn 
die Rüdfehr in die Baterftadt erlangten, jo pflegte die herrſchende 
Partei der Rückführung jener zu widerftreben, und faft nirgends 
führte diefe Rückführung zu dauernder Verföhnung und Eintradit ; 
weit öfter gab eben fie das Signal zu neuen Irrungen. Daß 
ferner Heinrich die Hoheitsrechte im meiteften Umfang, jelbft über 
das Abkommen von Conftanz, in welchem ſich einft Friedrich Roth— 
bart mit den lombardiſchen Städten verglichen, hinaus in Anſpruch 
nahm, erregte um ſo größeren Unwillen als die geringen thatſäch⸗ 

Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 2 


18 Einleitung. 


lichen Machtmittel, über welche der König verfügte, in keinem Ver— 
hältnis zu feinen weitgehenden Forderungen zu ftehen jchtenen. Auch 
Heinrichs Armuth gereichte ihm bei den Stalienern zum Vorwurf, 
und mit jedem Gulden, den fie dem Herrſcher ſpenden mußten, 
verminderte fich ihre Ergebenheit gegen denſelben. Die Hauptjache 
indeß lag in den allgemeinen Verhältniffen und Zuftänden Italiens. 
Da nämlich der Hader, welcher dieſes Land zerriß, viel zu feft 
wurzelte als daß er mit Einem Schlage hätte beigelegt und aus— 
gerottet werden fünnen, der König aber bei weiten nicht die Macht 
bejaß den Zwieſpalt gewaltſam niederzuhalten, ſo ſcheiterte nicht 
nur fein Beftreben den Frieden herzuftellen, jondern die fortdauernde 
Zwietracht zog den Herricher jelbft von feinem erhabenen Stand- 
punkt herab und zwang ihn, fo jehr er auch wiberftrebte, Partei 
zu ergreifen. Im Anfange zwar hatte Heinrich es ſich angelegen 
fein laſſen aud die Guelfen zu fördern, auch ihren Häuptern 
manche Gunftbezeigungen zuzumenden, auch ihren Berbannten den 
Rückweg in die Heimath zu ebnen, ſodaß ſchon die Ghibellinen 
fi) enttäufcht zu fühlen begannen. Ber der Beſetzung wichtiger 
Poſten freilich, namentlich bet der Aufitellung der Reichsvikare, jehen 
wir Heinrich von Anfang an die Ghibellinen, auf deren Ergeben- 
heit er rechnen fonnte, vor den Guelfen, Die denn doch nur ge- 
zwingen und widerwillig den Nacken beugten, bevorzugen. Erregte 
dies wiederum auf guelfiiher Seite Unwillen, jo ward Doch erſt dev 
mailändiſche Aufftand entſcheidend für Heinrichs Stellung zu den 
Parteien. 

Anfangs lächelte das Glüd dem Unternehmen des Lützelburgers. 
Die Häupter der lombardiſchen Guelfen wagten nicht, dem römiſchen 
König von vorn herein ſich zu widerfegen, und jelbft Guido della 
Torre, der zuerft entfhloffen war den Fremdling, von defien An- 
funft er für fih und feine Herrihaft Arges befürchtete, nicht auf- 
zunehmen, verlor den Muth als Heinrich gegen Matland hevan- 
eilte, und beugte das Knie vor feinem Herrn. Wenige Wochen 
jpäter indeß erhoben die Torrianen das Banner der Empörung, 
und es fam in den Straßen Mailands zu einem erbitterten 





Einleitung. 19 


Kampfe, welcher mit dem Sturze des Haufes della Torre und ver 
Vertreibung aller Mitglieder desjelben endete. Fortan aber hatte 
Heinrich das Vertrauen der Guelfen unwiederbringlich verloren; 
ſeines Charafters ald Friedensbringer entEleidet, erſchien er jetzt 
lediglich als Parteihaupt, und bald loderte der Kampf der Factionen 
in der Lombardei auf neue in hellen Flammen empor. In Gre- 
mong wagte man zuerjt Heinrich offen entgegenzutreten; die un- 
zeitige Strenge, welche der fonjt milde König gegen die wehrlofen 
Cremonefen, die, von den Anftiftern Des Aufftandes im Stich ge 
laſſen, im Augenblid der Entſcheidung es vorgezogen hatten fich zu 
demüthigen, in Anwendung bradıte, führte zunächft den unbeilvollen 
Aufftand von Brescia unter dem foeben zurüdgeführten ränkevollen 
ZTebaldo Brusciati herbei. Vier lange Monate verbrachte der 
König unter unfäglihen Leiden vor der Bergfefte, und diefe Ber- 
zögerung ſeines Vormarſches gab den im erften Augenblid über— 
raſchten und erihütterten toskaniſchen Städten ihre Befinnung und 
Haltung zurüd. Ihren Rüdhalt an König Robert ven Neapel 
nehmend, der die Wiederberitellung des Kaiſerthums begreiflicher 
Weiſe nicht mit günftigen Augen anfehen Eonnte, ſchloſſen ſich diefe 
Gemeinden, mit Ausnahme von Arezzo und Pifa, um Florenz zu 
einem fejten Bunde zujammen, der den Widerftand gegen ven 
römischen König auf fein Banner ſchrieb. Diefer aber richtete zu- 
nacht feine Blicke nah Kom, ließ die fampfdurchtobte Yombarbei, 
nachdem er derſelben in ver Perfon des Grafen Werner von Hom- 
burg emen umfihtigen, immer fampfbereiten Statthalter gefekt, 
Hinter fih und ging in Genua, welches ihm freiwillig die Signorie 
entgegenbrachte, zur See. An der pilaniihen Küfte landete er und 
zog dann von Pila aus nah Nom. Doch aud hier traf er auf 
Widerftand: Robert von Neapel, mit den Orſini eng verbündet, 
ließ die Peterskirche, wo dem Ritus gemäß die Kaiſerkrönung ftatt- 
finden mußte, und die angrenzenden Theile von Rom bejegt halten, 
und vergebens bemühte ſich der Lützelburger die fefte Stellung der 
Feinde zu erihüttern. Endlich empfing er an ungewohnter Stätte, 


in der Johanniskirche des Lateran, die Kaiſerkrone und eröffnete 
2* 


30 Einleitung. 


nun den Kampf gegen die toskaniſche Liga. Große Heldenthaten 
führte das kleine Häufchen der’ Kaiferlihen aus, und die feindlichen 
Bürger wagten troß ihrer Ueberzahl nicht dafjelbe im Felde zu 
beſtehen; ebenfowenig aber vermochte der Kaifer, nachdem ev ein= 
mal eine Gelegenheit, die ihm vielleicht Florenz in die Hände ge 
ipielt hätte, unbenußt vorüber gelaſſen, den feften Städten etwas 
anzuhaben, ſodaß er endlich ohne ſich wejentliher Erfolge rühmen 
zu fünnen nad) dem getreuen Piſa zurüdfehren mußte. Doch hatte 
er eine wichtige Erkenntnis gewonnen: e8 war ihm klar geworben, 
daß er feine Gegner nicht in Toskana bekämpfen müffe, Jondern daß 
e8 fin ihn gelte ven Stier bet den Hörnern zu paden d. h. König 
Kobert von Neapel, der ſich immermehr als die Seele des Wider: 
ftandes gegen das Kaiſerthum herausstellte, zu vernichten. Ent— 
ihlofjen ging Heinrich ans Werk. Unbefümmert darum, daß er ſich 
mit Frankreich verfeindete, daß er aud) das Wohlwollen des hei= 
ligen Stuhles aufs Spiel fette, rüftete er eifrig gegen Neapel, 
ſchloß mit Roberts natürlichem Nebenbuhler König Friedrich von 
Sicilien, ein Offenfivbündnig ab, entbot aus Deutjchland ein neues 
anfehnliches NeichScontingent und brach dann, nod) ehe Diejes ſich 
bei ihm eingeftellt hatte, von Pila auf. Doch gelangte der Katfer 
nicht nach Neapel, denn feine Tage waren gezählt. Nicht wäljches 
Gift, wohl aber die Laſten und Sorgen, die ihm die Angelegen- 
heiten diefes Landes immer aufs neue ſchufen, und das mörderiſche 
Klima des italienischen Himmels hatten Heinrichs Kräfte verzehrt. 
Nach mehreren glücklich überftandenen Krankheiten befiel ihn im 
Sommer des Jahres 1313 ein Fieber, welches zwar an fi kaum 
tödtlich war, in Folge der Ungeduld des Kranken aber und ber 
ungenügenden Heilmittel, die auf dem Marſche zu bejehaffen waren, 
den jchlimmften Ausgang nahm. Am 24. Auguft 1313 jchied 
Raifer Heinrich VII. zu Buonconvento im Gebiete von Siena 
aus dem Leben, und fein Tod machte mit Einem Schlage dem 
Unternehmen ein Ende. 

Zugleich befreite des Kaiſers Hintritt den Anjou aus der 
größten Gefahr, die er oder fein Haus je hatten über fich herauf: 


I 


Einleitung. 21 


ziehen ſehen. Selbſt guelfiih gefinnte Schriftiteller räumen em, 
daß Robert nit im Stande geweſen ſei, dem Einfall des Kaiſers 
und des ſiciliſchen Rivalen namhaften Widerftand entgegenzujeten und 
daher die Flucht nad) Frankreich bereit8 ın Erwägung gezogen habe. 
Bielleiht hätte dann der madere Aragonier das Königreich beider 
Sicilien unter feinem Scepter vereint. Doch die Geſchichte hat 
es nur mit dem zu thun was wirklich geſchehen ıft, und es ıft 
müßtg, Betrachtungen über das was hätte gejchehen fünnen, wenn 
Heinrid VII. damald am Leben geblieben wäre, länger nachzu— 
hängen. Faſſen wir aber das ind Auge was durch Heinrichs 
Komzug, wie derjelbe in That und Wahrheit verlaufen, bewirkt 
worden ift, ſo kann nicht geleugnet werden daß etwas Dauerndes 
durch das Unternehmen, an welches der hochitrebende Lützelburger 
Gut und Blut geſetzt hat, nicht erreicht morben ift. Bei feinem 
Tode bot Italien im Großen und Ganzen denjelben Anblik, melden 
e8 drei Jahre zuvor, da ter Cäſar die Alpen überjchritt, ges 
währt hatte. Höchſtens wurde die Entwidlung, welcher Italien ent= 
gegenreifte, durch das Eingreifen von Norden her bejchleunigt. In 
der Lombardei hatten die Tyrannen, meift, wie die beiden glän— 
zendften Dynaftenfamilien der Zeit, die Visconti in Mailand und die 
della Scala in Verona, durch Anſchluß an das, Kaiſerthum, ihre 
Stellung neu befeftigt,; Cane della Scala gewann unter Heinrichs 
Mitwirkung Bicenza, wodurch er jeine mächtigften Gegner, die 
Padıraner,. lahm legte; die Biscontt aber waren überhaupt erjt 
durch Heinrich aus armfeligen Berbannten zu ftolzen Gewaltherren 
geworden, und behaupteten von nun an ununterbrochen die Herr— 
haft über Mailand. In Toskana andererjeitS hatte das Er- 
ſcheinen des Königs nur dazu gedient die Verbindung zwilchen ven 
einzelnen guelfiſchen Gemeinweſen zu befetigen und dauerhafter zu 
machen. Hatte jich Florenz aud) im Kampfe gegen Katfer- Heinrich 
nicht eben mit Ruhm bevedt, jo hatte e8 doch die Angriffe des 
Gegners, welche ihm in erfter Linie galten, ausgehalten und ftand 
nun bei Heinrichs Tode nur um jo einflußreiher da. Die Hoff: 
nungen der Ghibellinen und Bianchi Toskana's aber waren ver- 


323 Einfeitung. 


eitelt worden und die Guelfen hatten ſich im Beſitz der Herrſchaft 
behauptet. Erſt geraume Zeit nad) Heinrichs Tode und ohne Zu— 
jammenhang mit feiner Unternehmung (abgejehen davon daß einige 
Ritter, die in feiner Begleitung die Alpen überſchritten und nad 
jeinem Tode ihre Dienfte ven Ghibellinen anboten, dabei mit 
wirften) trat in diefen Gegenden ein Umſchwung ein, indem in der 
blutigen Schlaht von Meontecatino am 29. Auguft 1315 die 
neapolitanifch = guelfifche Streitmacht eine ſchwere Niederlage erlitt, 
welche den ©hibellinen, die dad mächtige Yucca gewannen, wider 
aufzuathmen geftattete. — Bon den Nachfolgern Heinrichs VII. 
auf dem deutſchen Throne nahm feiner die weltumfafienden Ten— 
denzen des Kaiſerthums wieder auf, ſodaß fich die ſpäteren Rom— 
züge mit dem Unternehmen des Lützelburgers nicht wohl vergleichen 
Yafjen. Mit Heinrih VII. ſank das Kaiſerthum ind Grab; zu= 
gleich aber befiegelte jein Tod das Schickſal Italiens, melches, ſich 
jelbft zerfleiichend, ipäter eine Beute und der Zankapfel fremder 
Nationen wurde und erft in unferem Jahrhundert, nicht ohne Ein- 
wirkung der Verhältniſſe in Deutjchland, feine politiiche Einigung 
erlangt hat. — 


Die Romfahrt Kaifer Heinrichs erregte ſchon bei der Mit- 
welt von Anfang an die allgemeinfte Aufmerffamfeit. Die Augen 
von ganz Europa richteten fi) voll Spannung auf die Vorgänge, 
welche fih in Italien abipielten. Hiermit hängt es denn auch zu: 
jammen, daß die Geſchichtſchreibung noch bei Heinrichs Lebzeiten 
daran ging feine Thaten zum ewigen Gedächtnis für die Tpäteren 
Geſchlechter aufzuzeichnen. Wir haben nicht weniger als drei zeit- 
genöffiihe ausführlibe Geſchichtswerke (wenn anders man der 
Kelation des Nifolaus von Butrinto einen Pla unter den Ge— 
ſchichtswerken gönnen will), die Heinrichs Romzug zum ausjchließ- 
lichen Gegenftand ihrer Darftellung nehmen. Auch in faft allen 
anderen, namentlich italiichen Quellen dieſes Zeitraums wird dem 
Lügelburger beſondere Aufmerkſamkeit gejchenkt: Der Plorentiner 
Villani giebt feine ſynchroniſtiſche Darſtellungsweiſe auf, um zunächſt 


Einleitung. 23 


die Gejchichte Heinrichs bis zu Ende zu verfolgen; auch in ver 
Chronik von Piftoja tritt die Erzählung von den Thaten dieſes 
Kaiſers epiſodiſch aus dem Rahmen der Daritellung heraus u. ſ. w. 

In unferer Sammlung der „Geſchichtſchreiber der deutſchen 
Vorzeit“ werden die Duellenichriftfteller der Epoche Heinrih8 VII. 
zwei Bände einnehmen; während tem zweiten außer der Relation 
des Nikolaus von Butrinto insbejondere Die toskaniſchen Dar— 
ftelungen aufgelpart bleiben, enthält der vorliegende erſte Band 
die wichtigften oberitaliſchen Geſchichtswerke, welche ſich ausichlief- 
lich oder vorwiegend mit Heinrich VII. beſchäftigen. 





Das ausführlichſte Werk, welches uns von den Thaten Kaiſer 
Heinrichs berichtet, iſt die „Raifergejhichte” des Paduaners 
Albertino Muſſato, eines Mannes, der in der proſaiſchen wie 
poetiſchen Literatur Italiens im vierzehnten Jahrhundert einen her— 
vorragenden Platz einnimmt. Albertino !) war ein Emporkömmling 
im beften Sinne des Wortes, d. h. ein Mann, der fich dur) 
eigened DVerdienft und eigene Kraft aus niederer Sphäre zu einer 
angefehenen Stellung und ausgebreiteter Wirkſamkeit emporſchwang. 
Geboren im Jahre 1261 als das ältefte von mahrfcheinlich zehn 
Kindern des unvermögenden Ausrufers Cavallerio, den er verlor 
noch ehe er das Mannesalter erreichte, mußte Albertino frühzeitig 
bei den Gejchwiftern Baterftelle vertreten und denfelben den Lebens— 
unterhalt beichaffen. Zunächſt war er als Schreiber thätig, doc 
ruhte er nicht bis er das Notariat erlangte, welches ihm beſſere 
Ausfichten eröffnete. Auch als Sachwalter jehen wir ihn in feiner 


1) Sein Leben ift neuerdings ausführlich dargeftellt worden in der Göttinger Differ- 
tation von J. Wychgram, Albertino Muffato. Ein Beitrag zur italienifhen Gefchichte 
des 14. Jahrhunderts. Leipzig 1880. — Die Frage nad) feiner Abftammung und feinen 
Bamilienverhältniffen hat eine anſehnliche Literatur herdorgerufen; zulett, und mohl 
abſchließend, iſt das Thema behandelt von D. König, Ueber die Herkunft des Albertino 
Mufjato (Neues Archiv der Geſellſchaft f. ält. Deutihe Geihidhtst. VII, 121—133). — 
Vergl. auch Dönniges, Geſchichte des deutfchen Kaiſerthums im 14. Jahrh. I, 1: Kritik 
der Quellen für die Geſchichte Heinrich VIL. des Luremburgers (Berlin 1841), ©. 37 ff. 


24 Einleitung. 


Baterftadt auftreten und diefer Beruf führte ihn bald auf das 
Gebiet der Politif hinüber. Die Gewandtheit, mit der Albertino 
das gejprochene wie Das gejchriebene Wort handhabte, kam ihm 
als Advokat wie als Staatsmann zu ftatten; er wurde wohl— 
habend und erlangte ein jo großes Anjehen daß feine Mitbürger ihn 
1296 unter Verleihung der Xitterwürde in den großen Kath 
zogen. Wahricheinlich legte er fich erft damals den Namen Mufjato 
d. b. Eſelchen bei. Die Gattin entnahm er der adeligen Familie 
der Lermict oder Lermizzoni. Wie beveutend Mufjato’s Einfluß 
in feiner Vaterſtadt bereit8 vor der Epoche Heinrihs VII, war, 
zeigt Die Erhebung ſeines Bruderd Gualpertino zum Abt des 
paduaniichen Klofterd der heiligen Yuftina. Auch über die engere 
Heimath Hinaus unterhielt Abertino Beziehungen; u. a. verwaltete 
er einjt in Florenz das Amt eined Eſecutore degli ordinamenti 
della giuftizia. 

Frübzeitig trat Muffato mit Heinrih VII. in Verbindung. 
Schon an der Gejandtichaft, welche der Krönung des neuen Herr= 
ihers in Mailand, am 6. Januar 1311, beimohnte, nahm unfer 
Autor Theil. Im der Folge fuchte derjelbe dann noch zu drei 
verſchiedenen Malen, wie er in feinem Gejchichtswerf ausführlich 
berichtet, im Auftrage feiner Mitbürger das königliche Hoflager 
auf, bis nad der Rückkehr von jeiner vierten Legation Padua, 
welches bis dahin eine jehwanfende Haltung eingenommen hatte, 
fih endgültig von dem deutſchen König losſagte. Geſchah Das 
gleihh gegen den Wunſch und Rath des Mufjato, jo begründete 
diefer Schritt doc, feine tiefergehende Differenz zwilchen ihm und 
feinen Mitbürgern, vielmehr fehen wir unferen Autor auch fürder 
feine Dienfte zu Haufe und im Felde der Vaterftadt weihen, welche 
in Folge ihres Abfalls in einen blutigen und gefährlichen Krieg 
mit ihrem alten Aivalen, dem Statthalter von Verona und Vicenza, 
Francesco della Scala oder — wie er gewöhnlich genannt wird — 
Cane grande („der große Hund von der Leiter“ überjegt ein 
deutſcher Chronift des vierzehnten Jahrhunderts) verwidelt murbe. 
Der Tod Kaifer Heinrichs beeinflußte dieſe Verhältnifie nur in 


Einleitung. 25 


geringem Maße, weil Cane auch ohne den Rückhalt ſeines kaiſer— 
lihen Gönners ſtark genug war, um die von inneren Wirren zer- 
rifjene Stadt in Schach zu halten. Ms im Jahre 1314 vie 
Bürgerſchaft unter Anführung der emporitrebenden Familie Carrara 
der Tyrannei der Altehint und Agolantt über Padua ein Ende 
machte, vergriff fich der Pöbel aud an dem Haufe des Albertino, 
ver jih als Anziane durch die Einbringung eined Antrags zu 
Gunften einer indireften Steuer misltebig gemacht hatte. Das 
Haus ſank in Trümmern und der erichredte Befiger mußte fein 
Heil in der Flucht fuchen. Bald indeß wurde er von den fieg- 
reichen Carrareſen, auf deren Seite er gejtanden hatte, heimgeholt, 
doch nur um furze Zeit darauf in einer unglüdlihen Schlacht nad) 
hartnädiger Gegenwehr in Cane's Hände zu fallen, aus denen ihn 
erft der im October des Jahres 1314 geſchloſſene Waffenftillitand 
befreite. — Die Zeit von der Befreiung aus dieſer Haft bis zum 
Sahre 1317 ift wohl als Höhepunkt im Yeben des Muſſato zu 
bezeichnen. Damals Yeitete ev in Gemeinfchaft mit den trefflichiten 
und bemwährteften Bürgern die Vaterſtadt, melde fi im Innern 
wie von Außen leidlicher Ruhe erfreute. Wohl noch in Das 
Jahr 1314 fällt auch die Dichterfrönung des Muffato, eine Aus- 
zeichnung welche ihm mit Rückſicht auf die joeben vollendete „Katjer- 
geichichte und feine Tragödie „Eccerinis“ von Ceiten der padua— 
nifchen Univerfität zu Theil wurde. Zugleich wurde bejchlojjen, daß feine 
Werke alljährlid) am Weihnachtstage öffentlich werlefen werden ſollten; 
auch jeheint man ihm damals den Beinamen „Poeta“ (der Dichter) 
zuerkannt zu haben. Der glüdliche Autor und Staatsmann glaubte 
am Ziel feiner Wünſche zu ftehen, als ein ‚großes Unheil über die 
Vaterſtadt hereinbrach: die Einnahme der paduaniſchen Hauptfeftung 
Monfelice durch Kane grande am 21. December 1317 erniedrigte 
Padua mit Einem Schlage aus einer mächtigen unabhängigen Re— 
publi zur Sclavin des gefürchteten Scaliger. Allerdingd wehrte 
fi die Stadt noch einige Jahre lang gegen den iibermächtigen 
Zwingherrn. Mufjato ſelbſt, der anfangs aus Furt vor den 
in Folge des unglüdlichen Friedens von 1318 zurückgeführten 


36 Einleitung. 


Berbannten die Heimath verlafien hatte, doch abermals von den 
Carrareſen zurüdgerufen worden war, welche, durch Cane's Ein— 
fluß an die Spige der Stadt erhoben, mit dem Beronejen bald zer= 
fielen und in dem bewährten und beliebten Muffato eine willkommene 
Stüge erblidten, ging zweimal hilfeflehend nad) Toscana und über- 
Ihritt fogar die Alpen, um der Baterftadt den Beiftand des 
deutjchen Königs, des ſchönen Friedrich, zu gewinnen, der dann. 
dem bedrohten Gemeinweſen noch einen gewiſſen Rückhalt bot. 
Auch als über den Habsburger bei Mühldorf (1322) die Würfel des 
Geſchicks Hinweggerollt waren, verzagte Muffato nit. Er war es 
der noch einmal, zu Roveredo, ein freilich für Padua nichts 
weniger als günftiges Abkommen mit Cane traf. Während er 
aber in diefer Angelegenheit abwejend war, bereitete fi) im Herzen 
der Stadt, für die er unabläffig thätig gemejen war, ein ver- 
nichtender Schlag gegen ihn vor. Ein Familienzwift führte zu 
blutigen Auftritten im Innern der Stadt, in deren Verlauf 
Marfiglio, das Haupt der Carrara, dem der Sieg zufiel, die - 
Gegenpartei aus der Stadt warf (1325). Zu den Berbannten gehörten 
niht nur die dem Alberting verichmwägerten Yermizzont ſowie der 
Abt Gualpertino, fondern auch unfer Autor ward von jeinem. 
ehemaligen Freunde Marfiglio nad) Chioggia ins Eril gewiefen. 
Dem ehrgeizigen Carrarefen, welcher entichloffen war feine Herr= 
Ihaft auf Cane grande zu ftügen, mußte jegt die Anweſenheit 
eines Mannes, der unentwegt für die Behauptung der paduantjchen 
Selbftändigfeit und den Kampf gegen Verona eingetreten war, 
unbequem fein. Wohinaus Marfigliv’8 Streben ging, wurde 
fund al3 diefer im Auguft des Jahres 1328 die Stadt Padua 
dem Scaliger übergab und aus deſſen Händen die Signorie ent- 
gegennahm. Die allgemeine Eintracht, welche bei diefer Gelegen- 
heit proflamiert wurde, veranlaßte unſern Albertino, der, Durch 
Alter und Kummer gebeugt, jest nur noch den Wunſch hegte feine 
Tage in der geliebten Vaterftadt zu beichließen, dorthin zurüdzu- 
fehren. Aber Marfiglio und Cane duldeten feine Anmejenheit auch 
jest nicht; er mußte wieder nach Chioggia gehen; um fein Unglüd 


Einleitung. 27 


vol zu machen, nahm ihm Marfiglio eine Mühle weg, die ihm 
den mejentlichften Theil feines Unterhalts gewährte; außerdem vers 
bitterte der Kummer über feinen ungerathenen Sohn Vitaliano 
ihm das Leben, bi8 im Jahre 1330 ven faft Siebenzigjährigen 
der Tod erlöjte. 

Neben feiner Rechtlichfeit und Vaterlandsliebe war e8, wie 
ſchon angedeutet, ficherlih auch die dichterifche und vhetorifche Be— 
gabung unferes Albertino, die ihm den Weg zu Anſehen und Ehren 
erſchloß. Meitten in den Etaatögeichäften hat er immer wieder 
zur Feder gegriffen und auf diefe Weile ſowohl umfangreiche hiſto— 
riſche als auch verjchtevenartige poetiihe Werfe — ſämmtlich jedoch, 
im lateinifchen Idiom abgefaßt — hinterlaffen. Nachdem er faum 
die „Kaiſergeſchichte“ wollendet, begann er die Abfafjung der „Ge— 
ſchichte Italiens nad) dem Tode Kaiſer Heinrih3 VII.“, welche, 
in zwölf Bücher getheilt, die Zeit von 1313 bis 1329 behandelt. 
Sie ift nicht aus einem Guß, ſondern in größeren Abichnitten den 
erzählten Begebenheiten nahezu gleichzeitig nievergefchrieben worden. 
Die Yetten Bücher, vom achten an, find der Darftellung ausſchließ— 
ih paduaniſcher Begebenheiten und BVerhältniffe gewidmet, der 
Kampf gegen Cane bildet das Thema. Bemerkenswerth iſt daß 
Buch I—11 in gebundener Rede und zwar in Herametern abge= 
faßt find. — Endlich gab das Erfcheinen König Ludwigs des 
Batern in Italien dem greifen Verbannten Anlaß, in einem dritten 
Geſchichtswerke diefe Nomfahrt, Die zweite welche er N in 
furzen aber Tebensvollen Zügen zu jehilvern. 

Bon Muſſato's poetifchen Werfen nimmt die ſchon — 
Tragödie „Eccerinis“ das größte litterarhiſtoriſche Intereſſe in An— 
ſpruch, weil ſie zum erſten Mal ihren Stoff aus der modernen 
vaterländiſchen Geſchichte entnimmt — fie behandelt die Thaten 
und den Untergang des grauſen Ezzelino da Romano. Die Epiſteln 
und Elegien, zuſammen ein und zwanzig, im elegiſchen Versmaß 
abgefaßt gewähren manche Beiträge zur Lebensgeſchichte des Autors 
und zur Kenntnis der Kreiſe, in welchen ſich derſelbe bewegte. Eine der 


28 Einleitung. 


Epiſteln, welche dem Kaiſer Heinrich gewidmet iſt, bildet eine Art 
poetiſchen Prologs zur „Kaiſergeſchichte“. — 

Eingehend beſchäftigt uns hier natürlich nur die „Kaiſerge— 
ſchichte“ oder „Geſchichte Kaiſer Heinrichs VII.” 1). Auch dieſes 
Werk iſt faſt gleichzeitig mit den Begebenheiten, welche es ſchildert, 
niedergeſchrieben worden. Schon ſpäteſtens aus dem Anfang des 
Jahres 1314 haben wir deutliche Anzeichen, daß der Autor mit 
ſeinem zweiten Werke, den Geſchichten nach Heinrichs Tode, be— 
ſchäftigt iſt, alſo ohne Zweifel die „Kaiſergeſchichte“ vollendet hat, 
worauf übrigens auch andere Merfmale hindeuten ?). 

Es iſt ein buntes farbenprächtiges Gemälde welches fi) und 
entrollt wenn wir an die „Kaiſergeſchichte“ herantreten. In jech- 
zehn Büchern ftellt dieſes Werk die Begebenheiten dar, welche in 
Italien von dem Erſcheinen des ritterlihen Lützelburgers, deſſen 
Borgefhichte und Königswahl in ein paar Kapiteln vorangeftellt 
werden, bis zu dejjen Tote ihren Verlauf nahmen. Schon das 
erfte Buch führt die Erzählung bi8 zum Empfang der eijernen 
Krone in Mailand dur Heinrich fort; die drei nächften ſchildern 
deſſen ferneres Walten in der Lombardei; die Beftrafung Cremona's, 
die Belagerung und jhließlihe Einnahme von Brescia nehmen 
das hauptfählichite Intereſſe in Anſpruch. Im fünften Buche 
jehen wir, wie gleich nach Heinrichs Abzug nad) Genua die Guelfen 
in der Lombardei ſich überall regen und mit der Liga der Tuscier 
in Verbindung treten. Nur mühſam wahrt Werner von Homburg 
das königliche Anfehen. In den beiden nächften Büchern wird 
hauptfächlih die Losſagung Paduas von der Sache des Königs 
und der Anfang des Kampfes diefer Stadt mit Verona und Vicenza 
zur Darftellung gebracht. Im achten Buche ſehen wir fodann 


1) Zuerft in einer Gejammtausgabe der Werfe Muffato’3 1636 zu Venedig ediert. 
Wir legen indeh die mit einem Kommentar verjehene und durch VBergleihung mit meh- 
teren Handihriften verbefierte Ausgabe Muratori’3 im 10. Bande feiner großen Samm— 
fung der italiſchen Geſchichtsquellen (1727), Fol. 1 sqg-, zu Grunde. — 2) Bol. Dön— 
nige3 a. a. D. ©. 57. Wenn in der „Kaifergefhichte” (XT, 11) König Philipp IV. der 
Schöne, der am 29. Nov. 1314 ftarb, noch als gegenwärtiger Herrſcher von Franfreich 
erjcheint, jo würde das an ſich allein nur beweifer, daf das elfte Buch vor diefem Termin 
gejchrieben ift, nicht aber daß das Werk damals bereit3 abgeſchloſſen war. 


Einleitung. 29 


Heinrich über Piſa nah Rom ziehen, wo er nad) blutigen, nicht 
immer glüdlichen Kämpfen die Kaiferfrone an ungemohnter Stelle 
empfängt, um fodann den Feldzug gegen Florenz zu eröffnen 
(Bud) 9). Die Schilderung diefer Kämpfe wird im elften Buche 
wieder aufgenommen, während das zehnte bei den Begebenheiten 
der Mark Trevifo verweilt. Auch das. zwölfte gedenft des padua— 
nischen Krieges und jchildert ferner die zunehmenden Wirren der 
Lombardei. Das dreizehnte zeigt den Kaifer in Pifa, mit den 
Vorbereitungen zu einem Heerzuge wider König Aobert von Neapel, 
den ein fatjerlicher Kichteriprudy zum Tode verurtheilt, beſchäftigt. 
Das vierzehnte und fünfzehnte Bud haben es wieder mit Den 
Parteikämpfen in Oberitalien zu thun, während endlich das ſech— 
zehnte zum Kaiſer zurückkehrt, feine weiteren Rüftungen verfolgt, 
den entftehenden Conflift mit der Curie jchildert und den Herricher 
dann auf feiner legten Reife von Piſa bis Buonconvento begleitet, 
um mit der Erzählung von der Be und dem Tode Heinrichs 
zu jchliegen. 

Am werthvollſten find die fieben erften Bücher der „Kaiſer— 
geſchichte“, welche die Erzählung bis etwa zum Frühling 1312 
führen. Hier nämlich ſchöpft Muffato durchgehends aus unmittel- 
barfter Kenntnis: ex felbft war, wie ſchon angedeutet, wiederholt 
am Hoflager des Herrſchers anmwejend, den er zweimal in Mailand, 
einmal im Lager vor Brescia und endlidh in Genua aufjuchte. 
Namentlich feste unfern Autor fein mehrmonatliher Aufenthalt 
zu Genua in den Stand Alles was ihm wifjenswerth erſchien 
gründlich zu erforſchen. Aud führte ihn die Keife dorthin umd 
die Rückreiſe in die Vaterftadt quer durch die Lombardei, ſodaß 
er Gelegenheit hatte die Berhältniffe in den einzelnen Städten und 
Staaten aus eigener Anjhauung fennen zu lernen. Dem ent- 
ſprechend ift die „Kaiſergeſchichte“ in dieſem erften Haupttheil eine 
Duelle erften Ranges, zumal da Wahrheitsliebe, ftrenge Schei- 
dung zwiſchen dem als ficher Berichteten- und dem nur durch 
Gerüchte Verbürgten und das Bemühen unparteiifch zu bleiben in 
der Darftellung nirgends vermißt merben. 


30 Einleitung. 


Als dann aber der König fich weiter ſüdlich wandte, über 
Piſa nah Rom eilte und in der Folge in Toskana Krieg führte, 
während Muffato, wie wir nicht anders wiſſen, im fernen Padua 
verblieb, mußte an die Stelle der unmittelbaren Anſchauung oder 
der Erfundigung an unterrichtetfter Stelle der Bericht Dritter 
treten. Dieſen Unterfchted betont Mufjato jelbft am Anfang feines 
acıten Buches, wo er die volle Verantwortlichkeit für die Richtigkeit 
des Folgenden gleihjam von fid) abmeift. Die Frage nad der 
Zuverläffigfeit jeiner Nachrichten wird alſo mit der Trage nad; 
feinen Quellen zufammenfallen. Halten wir und an den Inhalt 
der jpäteren Bücher des Werkes, jo werden wir nicht lange im 
Zweifel darüber bleiben fünnen daß der Urfprung der uns hier 
gebotenen Berichte im guelfifchen Heerlager zu Juchen fei. In der 
That müßten wir und wundern wenn e3 ficy hiermit ander ver- 
hielte. Biel dod) im Anfang des Jahres 1312 Padua von Hein: 
rich ab und trat mit voller Entjchiedenheit auf die Seite der 
Guelfen; der Kampf gegen den Scaliger, die Stüte der füniglichen 
Macht im Nordoften, jchärfte naturgemäß den Gegenſatz, welcher 
jo große Dimenfionen annahın daß ſich der Kaifer bewogen fand 
neben „andern rebelliihen Städten (namentlich Toskana's) aud) 
Padua durch eine Aechtungs- und Verdammungsjentenz zu brand- 
marken. Daß aber diefe PBarteiftellung Padua's auf das in dieſer 
Stadt inmitten der Wirren und Kämpfe abgefaßte Geſchichtswerk 
Albertino's nicht ohne Einfluß bleiben konnte, Liegt auf der Hand; 
natürlidh waren es überwiegend, wenn nicht ausſchließlich, Nach— 
richten von guelfiihen Siegen und Triumphen, welde in der Stadt 
verbreitet wurden und willigen Glauben fanden, während man 
das, was etwa über Berona oder Mailand von Erfolgen des 
ghibelliniſch-kaiſerlichen Anhangs verlautete, ficherlich mit dem größten 
Mistrauen entgegennahm oder von vorn herein als unglaubhaft 
verwarf. Es läßt ſich nun freilich nicht Ieugnen, daß Muſſato, 
mindefteng in den erften Zeiten der Wirffamfeit Heinrichs in 
Italien eine gewiſſe Hinneigung zu dem König verräth. Doc 
geht dieſe Gefinnung nur die Perfon Heinrichs an und hat mit der 





Einleitung. 31 


Sache, welche diefer vertritt, nichts zu Schaffen. Man wird an- 
nehmen dürfen daß der von Natur leutjelige Herriher dem Muflato, 
als dem einflußreichen Vertreter eines blühenden mächtigen Gemein— 
wejens, freundlic, begegnet ift und ihn mit Auszeihnung behandelt 
bat. Daß dies bei dem von Eitelfeit nicht ganz freien Empor— 
tömmling, dem Sohne des armen Ausrufers, feines Eindruds nicht 
verfehlt hat, verräth ung Mufjato an mehr als einer Stelle: er 
liebt es, fich in einem möglichſt engen, vertrauten Verhältniß zu 
König Heinrich darzuftellen oder in ein ſolches Hineinzuträumen ; auch 
hätteer e8 ohne Zweifel gern gejehen wenn feine Vaterftadt fich dem 
Lügelburger angeſchloſſen hätte. Der größte Theil ſeiner Mitbürger 
indeß war anderer Anſicht. Indem fie die Anfunft des deutſchen 
Königs in Italien ficherlich von vorn herein ungern fahen, glaubten fie 
Doch fich vermöge der Lage ihrer Stadt feinem Einfluß entziehen 
zu fönnen, nahmen eine zumartende Haltung ein und jchoben jogar 
die Bedingungen, welche ihnen Mufjato und Antonio da Bigodarzere, 
die um zu fondieren das königliche Hoflager aufgefuht hatten, für 
den Anſchluß an Heinrich überbrachten, gelafien bei Seite. Erft 
Die Losreißung Bicenza’3, welche unter Mitwirkung des Königs 
erfolgte, belehrte fie daß die Bewegung, die Das Erjcheinen des 
Lüselburgers auf italiſchem Boden hervorgerufen, aud fie in ihre 
Kreife ziehe. Aufs neue ging jest eine Gelandtihaft zum König: 
als Wortführer derſelben entſchuldigte Muſſato die. Zögerung feiner 
Mitbürger und erlangte ein nicht weſentlich ungünftigeres Abkommen 
al3 zuvor. Diesmal beeilten ſich die Paduaner die ihnen gewährten 
Bedingungen anzunehmen, wenngleich jchweren Herzens; ſchon ein 
jo äußerlicher Umftand wie die Namensänderung des Podeſtà, der 
fünftig königlicher Vikar heißen jollte, berührte fie ſchmerzlich. Aber 
die Beziehungen zu Vicenza Liegen einen dauernden Frieden nicht 
zu. Während der Vereinigung Padua's und PVicenza’8 hatte jich 
die herrſchende Gemeinde der beiten Pläge im Gebiet der Unter- 
thanen verfichert, doch hatten umgekehrt auch Vicentiner im Pa— 
duaniſchen Grundbefig erworben. Die Ausgleihung dieſer Rechte 
und Anſprüche wäre überaus jchwierig gewelen, auch wenn man 


32 Einleitung. 


von beiden Seiten mit dem redlichſten Willen und der friedfertigiten 
Gefinnung and Werk gegangen wäre. Dies war aber keineswegs 
der Fall. Natürlich hatte Padua die friih geichlagene Wunde 
noch bei weitem nicht verſchmerzt; andrerſeits aber gingen die Bicen- 
tiner darauf aus den alten Zwingherren nad Kräften Abbruch zu 
thun und ihr Müthchen an ihnen zu fühlen. Unter anderm Ienkten 
fie oberhalb Padua's den Fluß Bachiglione ab, um die Nach— 
barſtadt des Waſſers zu berauben und dal. m. Die in Genua 
weilenden paduaniſchen Gejandten (unter denen ſich wieder Muſſato 
defand) betrieben freilich beim König die Abftellung der Belchwer- 
den ihres Gemeinweſens ſowie die Anbahnung eines erträglichen 
Verhältniſſes mit Vicenza; aber die allgemein gehaltenen Verord- 
nungen und Zuſagen, melde fie erlangten, genügten nicht um den 
Uebelftänden abzubelfen. So mußte den Paduanern nacdıgerade 
klar werden, daß eine friedliche Löäſung nicht zu Hoffen ftehe. Auch 
der König traf feine Mafregeln und ſuchte namentlich Bicenza 
dadurd zu fihern, Daß er Canegrande von Verona der Stadt zum 
Reichsvikar feste. Die war allerdings ein Schlag ind Geſicht 
der. Paduaner, doch Härte ev im Grunde nur die Situation. 
Vicenza mußte, wenn es fich behaupten wollte, gegen das ihm 
weit überlegene Padua feinen Rückhalt an Kane juchen, mochte 
dieſer nun einen Rechtstitel haben oder nicht; die Paduaner aber 
durften Cane nicht dergeftalt in ihrer nächſten Nähe Fuß fallen 
falfen: kurz, mit dem Abfall Vicenza's war der Krieg Padua's 
gegen Cane und damit indireft auch gegen König Heinrich bereits 
thatfächlich gegeben, und die Einjegung des Beronefen in Bicenza 
war höchftens das Signal zum Zufchlagen. Wenigftens faßten es 
die Paduaner als jolches auf und fagten fid) ohne Säumen offen 
von der Sache des Königs los. Muffato widerftrebte allerdings, 
aber die Rede, welche er bei dieſer Gelegenheit im großen Nathe 
zu Padua hielt, zeigt daß auch er die Nothwendigkeit des Kriegs 
begriff; er wid) nur darin von der Mehrzahl feiner Mitbürger 
ab, daß er die Gegner zur formellen Eröffnung des Kampfes ge— 
trieben zu jehen wünſchte. Als aber gegen jeinen Antrag der 





Einleitung. 33 


Rathsbeſchluß die jofortige Yosfagung vom König und deſſen 
Reichsvikar ausſprach, fügte fi) auch Muffato. Seine Sympathie 
für den König tritt fortan nicht mehr zu Tage. Wir fehen alfo, 
dag von Anhänglichkeit an die Sache, die der König und Kaifer 
vertrat und verfocht, bei Muffato nicht die Rede fein kann. Diefer 
mar nichts weniger als ein Schmwärmer für Kaiferhohett uud 
Univerſalität; jein ganzes Leben zeigt ihn als Paduaner. Ueber 
die Intereſſenſphäre Padua's ging jein politifcher Horizont im 
Weſentlichen nicht hinaus. Der Stadt, die ihn aus Armuth und 
niederem Stande zu Reichthum, zu Ehren und Winden erhoben, 
gehörte allein jein ganzes Dichten und Trachten. 

Es ift hiernach Elar daß Albertino ſich nicht veranlaft fühlen 
Eonnte den in Padua einlaufenden guelfiſch gefärbten officiellen wie 
Privatnachrichten gegenüber feptifcher zu jein als jene Mitbürger. 
Daß er, wie | hon erwähnt wurde, einft eine hervorragende Magiftratur 
in Florenz verwaltete, läßt ſogar auf engere Beziehungen unjeres 
Autord zu der Hauptftadt Tosfana’8 und der guelfilchen Liga 
ſchließen; doch braucht man darum nicht anzunehmen daß er jeine 
Nachrichten über die Kämpfe Kaiſer Heinrich8 gegen Florenz direkt 
aus diefer Stadt bezogen habe, denn verſchiedene Anzeichen weiſen 
darauf Hin daß die Berichte, welche Muffato über dieſe Begeben- 
heiten beibringt, nicht unmittelbar nad) Padua gelangt feien, und. 
zwar ift da wohl am eheften an eine Vermittlung Bologna’, 
des natürlichen Austaufchplages zwiſchen Tosfana und der 
Lombardei zu denken. Mit ver Politik dieſes ultraguelfiſchen— 
Gemeinweſens ftimmt die Tendenz der Nachrichten Muffato’3 
durchaus überen. Werben nämlich hier Die Stege der Guelfen 
herausgeftrichen, die geringfügigften Erfolge zu großen entſcheidenden 
Aktionen aufgebaufht und überhaupt mit fichtbarer Vorliebe Alles 
was für fie günftig iſt in den Vordergrund geftellt, jo kann anderer- 
ſeits die Lage des Kaiſers gar nicht troftlos und ſchwarz genug 
gemalt werben, derart daß fich unter den zahlreichen gleichzeitigen 
Darftellern des Romzuges Kaiſer Heinrichs feiner findet, der jo 
viel von Siegen der Guelfen, und Niederlagen ee Unglüds- 
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VIT. 


34 Einleitung. 


fällen auf kaiſerlich-ghibelliniſcher Seite zu berichten weiß wie 
Albertino Mufjato ). Ber der Benugung des zweiten Abjchnittes 
der „Kaiſergeſchichte“ tft Daher nie außer Auge zu laſſen, daß Diefe 
Berichte fein objectives Bild von den Ereignifien, welche fie jchilvern, 
gewähren, ſondern nur die Auffafiung einer, der guelfiichen Partet, 
widerfpiegeln. — Daß hierdurch die perfünlihe Glaubwürdigkeit 
des Autors nicht berührt wird, Liegt auf der Hand. Gerne aus: 
führlichen Berichte über die Kämpfe Padua's, welche er aus eigener 
unmittelbarer Kenntnis befchreibt, zeigen ihn durchaus zuverläffig 
und bemüht aud dem Gegner Gerechtigkeit zu erweifen. Cbenfo 
erzählt er ziemlich unverhüllt Die Niederlagen feiner Landsleute 
und dedt die Fehler auf, welde diefe begehen. Daß Albertino 
trogdem Paduaner bleibt, verfteht fi für einen Mann, der un- 
mittelbar und zwar in hervorragender Weiſe an dem Kampfe jelbjt 
betbeiligt war, wohl von jelbft. Unbedingte Objectivität wird 
niemand bier erwarten können. 

Die Aktenſtücke, welche unfer Autor in fein Werk aufgenommen 
hat, konnte er zum größten Theil den Archiven feiner Vaterſtadt 
entlehnen, jo drei Verfügungen Kaifer Heinrichs in paduantichen 
Angelegenheiten (III, 6 und V, 10), ein Schreiben König Roberts 
von Neapel an die Gemeinde Padua und deren Antwort (XI, 4), 
endlich das Aechtungsdekret des Kaiſers (XIV, 7). Außerdem 
finden wir in der „Kaifergefchichte‘‘ die gegen Robert von Neapel 
ergangene Sentenz Heinrih8 (XII, 5), ein Schreiben König 
Philipps IV. von Franfreih an den Papſt Clemens und eine 
daraufhin erfolgende Bulle des Iegteren aufgenommen, welche den 
Streit zwiſchen Kaiſer Heinrih und König Robert vor das Forum 
des heiligen Stuhles zu ziehen ſucht (XVI, 3). Wie dieſe Ur- 
funden unferem Autor zugänglich geworden find, läßt ſich mit Bes 
ftimmtheit nicht jagen, doch werben fie ficherlich weit verbreitet ges 
wejen fein, ſodaß wir nicht genöthigt find deswegen auf fpectelle 
Beziehungen oder eigenartige Quellen Muſſato's zu ſchließen. 


1) Das Nähere ftehe in meinem Aufjag „Zur Kritif der Historia Augusta des 
Albertino Muſſato.“ Forihungen zur deutihen Gedichte, Bd. XXL. 


Einleitung. 35 


Nah der Weiſe der Alten läßt Muffato feine Helven, ing- 
bejondere auh König Heinrich, zu wiederholten Malen Anſprachen 
halten, die er in die Form der direkten Rede zu kleiden liebt. 
Was hiervon zu halten jet, wird ſich Der verftändige Lefer felbit 
jagen fünnen. Auf wörtliche Treue machen diefe Reden natürlich 
feinen Anſpruch; auch auf die Authenticität des Gebanfenganges 
wird meift fein großes Gewicht zu Yegen fein. Die direfte Rede 
it vielmehr unter Umftänden diejenige Form, in welcher der Autor 
den Erwägungen, welche eine beftimmte Situation an die Hand 
giebt, am bequemften und anſchaulichſten Ausdruck verleiht. 

Der Stil des Mufjato iſt an den Alten gebildet. Salluft, 
Horaz, Bergil find unferem Autor vertraut, doch wird es letzterem 
durchaus nicht Leicht ſich in ihrer Sprade fließend auszudrüden. 
Sein Stil ift holpricht und oft bis zur Unverftändlichfeit ungefchtet. 
Die Darftellung im Großen und Ganzen hat den Mangel daß 
der Autor fernen Stoff allzu jehr verhadt hat. Manchmal, wie 
namentlich im vierzehnten und fünfzehnten Buch, ſcheint die Er- 
zählung fih in zufammenhangslofe Einzelheiten aufzulöfen. Amt 
beften gelungen find mande Schilderungen aus der Gefchichte der 
paduaniſchen Wirren und Kämpfe; hier, aber auch nur hier, treffen 
wir auf eme ebenmäßige zujammenhängende und wohl disponirte, 
zum Theil ſelbſt feſſelnde Darftellung. 


Ein Menfchenalter nah dem Tode des Mufjato entitand 
- im Padua ein zweites Geſchichtswerk, die |. g. Cortuſiſche 
- Ehronit,!) welde die Ueberlieferung zwei Männern aus dem 
edlen paduaniſchen Geſchlechte der Cortufier, Gultelmo und Alber- 
ghetti (Albigretus) zuweiſt. Ein Gulielmo de’ Cortofi wird in 
der Chronik jelbft einmal als Richter (judex) bezeichnet und unter 
den fünf Männern genannt melde ım Juni des Jahres 1335 
furze Zeit an der Spige Padua's ftanden ?); doch ift derfelbe mit 


1) Herausgegeben von Muratori, SS. rer. Ital. XII, 759 sq. Bergleihe auch Dönniges 
©. 60 ff. — 2) 1. e. VI, 1 Sp. 870. 


x 
e> 


36 Sinleitung. 


dem Autor der Chronik ſchwerlich identiſch ). Ein Alberghetti de’ 
Sortofi wird in dem Aechtungsdekret Kaifer Heinrih8 VII. gegen 
Padua vom 16. Mai 1313 mit aufgeführt). Derſelbe iſt noch 
fünf. und dreißig Jahre jpäter am Leben, da er auch in einer 
Urkunde König Karls IV. vom 4. Yunt 1348 namhaft gemacht 
wird‘). Wohl derſelbe Alberghetti, Sohn des Matten de’ Cortofi 
efferdete einft unter Öuecillone da Camino das Ant eines Podeſtà 
in Feltre 9). 

Die ausführlichſten Angaben über unſere Chronik finden ſich 
bei dem gelehrten Canoniker Bernardinus Scardeonius, der in 
ſeinem Werke über paduaniſche Alterthümer ſich folgendermaßen 
äußert): „Kurz nad der Zeit des Albertinus Muſſatus ſtand in 
Padua Gulielmus Cortuſius als Gelehrter in großem Anfehen. 
Diefer Mann begann ein Werk über die zeitgenöffiihe Geſchichte 
Padua's zu jchreiben; nach feinem Tode jeßte einer feiner Ge— 
ſchlechtsgenoſſen, Albrigetus, die unvollendete Chronif nad) dem 
Vorgang des Gulielmus, aber mit größerem ©lüde, fort. Der- 
felbe holte meiter aus umd jchrieb ſowohl über die Gefchichte feiner 
Heimath als aud über die Thaten anderer Völker alles mas 
ihm des Ueberlieferns werth erichten, nieder, freilich in einein weder 
gewählten noch eleganten Stil... .... Er verfaßte weitläufige 
Jahrzeitbücher über die Gemaltherrichaft des Acciolinus (Ezzelino), 
die nod vorhanden find und von Pielen mit großem Vergnügen 
gelefen werden. Ueberdies hat er fich über Die Kriege des Ge— 
waltherren von Verona, Canid Ecaliger, gegen die Pabuaner 
ausgelaffen und noch vieles Andere aus der Geichichte ſeines Vater— 
Landes, jo gut wie er vermodte, und damit fich felbft auf die 
Nachwelt gebracht.“ 

Es darf gleich bemerkt werden daß die Annahme von der 


1) ſ. u. ©.43,4 — 2) Alberghectus et Bonginellus condam Mathei de Cortosis (Dön= 
niges, Acta H. VII., pars II, 208). — 3) Albrighettus quondam Matthaei de Curtosiis 
(Muratori l. e. 762). — 4) Notiz in einem handſchriftl. Werfe de familiis Fatavinae urkis, 
angeführt Muratori 760. — 5) De antiquitatibus Paduae ed. Graevius et Burmannus, 
Thesaurus antiquitatum et historiarum Italiae, VI, 111. Die Stelle citiert bei Mura= 
tori 759. 


| Einleitung. 37 


Mitautorichaft Des Albergbetti fih allein auf dieſe Worte ftükt. 
Die Handſchriften, ſoweit fie nicht ohne Namen des Verfaflers auf 
und gekommen find, nennen lediglich Gultelmo ald Autor. Dazu 
fommt nın daß P. P. Vergerius, welcher Lebensbeſchreibungen 
der erjten Fürſten aus dem Haufe Garrara verfaßt hat, fih in 
dieſem Werke über unfere Chronik folgendermaßen äußert: „Sodann 
machte ſich Gulielmus de Cortoſiis, der Zeitgenoffe und Mitbürger 
des Mufjato, daran auch ſelbſt ein Geſchichtswerk zu fehreiben, 
und ftoppelte, da er den Mufjato überlebte, Vielerlei über Ein- 
beimiches und Auswärtiges zufammen, wobei es ihm nur auf 
ten Inhalt -anfam, ſodaß er auf eimen gefälligen Stil, den er 
freilich zu ſchreiben nicht im Stande war, ohne Bedenken ver- 
zichtete .“ 

Während alſo Scardeonius dem Gulielmo höchſtens die lokal— 
geſchichtlichen Partien der „Cortuſiſchen Chronik“ vindicieren will 
und alles Andere dem Alberghetti zuſchreibt, der nach dem Tode 
des Vetters deſſen Werk aufgenommen, überarbeitet, vermehrt und 
fortgeſetzt habe, weiß Vergerius von irgendwelchem Antheil des 
Alberghetti an der Abfaſſung der Chronik nichts zu melden und 
giebt vielmehr ausdrücklich an, daß Gulielmo ſowohl die Geſchichte 
Padua's als auch außerpaduaniſche Begebenheiten zum Gegenſtand 
ſeiner Darſtellung gemacht habe. Welchem von dieſen beiden 
Männern an ſich die größere Glaubwürdigkeit zuſtehe, kann nicht 
zweifelhaft ſein. Vergerius, der im Jahre 1428 hochbetagt ſtarb 
und ſchon 1388 litterariſch thätig geweſen ſein ſoll, darf noch als 
jüngerer Zeitgenoſſe des Gulielmo de' Cortoſi gelten, während 
Scardeonius (J 1574) einer weit ſpäteren Epoche angehört. 

Es kommt hinzu, daß die Chronik, wie ſie uns vorliegt, 
ſichere Spuren von Ueberarbeitung oder von Aufnahme der Arbeit 
durch einen Zweiten nirgends aufweiſt. Die gleichen Wendungen 
kehren von Anfang bis zu Ende wieder; es iſt dieſelbe nüchterne 
Auffaſſung der Dinge, dieſelbe an einander reihende, nur zuweilen 
durch allgemeine Betrachtungen und Rückblicke unterbrochene Dar— 

1) Muratori XVI, 114. 


38 Einleitung. 


ftellung, der wir im ganzen Verlauf der Chronif begegnen. Daß 
manches zmeimal erzählt wird, wird man auch nicht auf zwei ver= 
ſchiedene Berfaffer deuten wollen, da vielmehr eine Weberarbeitung 
eine concijere Faſſung zur Folge gehabt Haben würde. Die Wieder: 
Holungen erklären ſich lediglich daraus, daß unfer Autor in feiner 
etwas unbeholfenen Manier, die des bunten, mannigfaltigen Stoffes 
nicht recht Herr zu werden vermag, oft einen Gegenjtand ziemlich 
unvermittelt fallen läßt, um jpäter nochmals auf denſelben zurüd- 
zufommen, ihn fortzuführen und zu ergänzen, wobei dann Wieder: 
holungen, zum Theil jelbft mit Anwendung derjelben Worte, nicht 
aushleiben fünnen ’). 

Aber wir haben auch eine ausdrüdlihe Hindeutung auf die 
Einheit der Abfaffung, nämlich die Stelle im erften Kapitel des 
elften Buches, mo es heißt: „Der geftrenge Kaiſer Graf Heinrich 
von Luxemburg zeugte König Johann von Böhmen, Johann 
zeugte Karl. Weil ih aber von dem erften und zweiten 
oben bereits erzählt habe, jo bleiben mir noch die Thaten 
Karla zu erzählen übtig2).“ Da nun der bier angezogene 
Bericht über Kaiſer Heinrih VII. die erften Kapitel des Merfes 
einnimmt, von Johann von Böhmen inmitten der Chronif (Buch 5) 
berichtet wird, und endlich von Karl IV. die legten Blätter derſelben 
veden, jo geht aus diejen Worten hervor, daß die Chronik, wie 
fie ung vorliegt, in ihren ganzen Beftande auf einen und denjelben 
Berfaffer zurüdgeht. Diefer aber kann doch wohl fein anderer 
jein als Gulielmo ; denn wollte man jene Aeußerung dem Alberghetti 
in den Mund legen, fo bleibt für Gulielmo faum etwas übrig; 
mindeftend wäre anzunehmen, daß Alberghetti die Arbeit des 
Betters völlig umgeftaltet und gleihjam ein ganz neues Werf 
daraus geichaffen hätte, welcher Annahme denn doch die Ausjage 


1) Man ſehe 3. B. die Gefhichte von der Mutter des Tiſo Novellus 991 A und 
855B. Bol. aud) 843 A und 841 D. — Daß dabei gelegentlich auch kleine Abweichungen 
mit unterlaufen, ift bei einer folchen mofaitartigen, mangelhaft disponierten Arbeit nicht 
eben zu verwundern. Am auffälligften find die verjchiedenen Angaben über den Tod 
des Galeazzo Pisconte, der nad) 852 D im Kerfer, nad) 840 D nad) feiner Befreiung 
ftarb. 2) 943 A. 


Sinleitung. 39 


des Vergerius und die Nennung des Gulielmo in den Handſchriften 
allzu ſchroff entgegenftehen. 

Am eheften möchte man num vielleicht noch die fieben Anfangs- 
fapitel der Chronik für Alberghetti in Anfpruc nehmen. Die 
älteren Handſchriften beginnen nämlich) mit Kap. 8 in der Zählung 
Muratori’d. Auch aus der Chronif jelbft geht: hervor daß die 
erften fieben Kapitel zu ihrem urfprünglichen Beftande nicht gehört 
haben. Im neunten Kapitel des fiebenten Buches nämlich bemerkt 
der Autor, nachdem er einen Rückblick auf die Geichichte Padua's 
nad) der Beleitigung des Ezzelino geworfen: „Alles Borftehende 
findet fih der Reihe nady in diefem Werke vom Anfang deſſelben 
an beſchrieben.“ Hieraus wird Elar daß die Chronif damals mit 
der Zeit nad Ezzelino begonnen bat, d. h. mit dem achten Kapitel, 
da Kap. 1—7 die Zeiten des Ezzelino und jenes Geſchlechts be- 
handeln. Daß jedoch auch dieſe Anfangsfapitel denſelben Autor 
haben wie die übrige Chronik, laſſen die Worte vermuthen mit 
denen wir am Ende von Kap. 7 zum eigentlichen Text übergeleitet 
werden. „Obwohl“, jo leſen wir hier, „in der Chronif des 
Rolandinus (eined paduaniſchen Gejchichtsichreibers des dreizehnten 
Jahrhunderts) über die Gefhichte derer von Romano ausführlicher 
berichtet wird, jo hat es mir dennoch beliebt derſelben Erwähnung 
zu thun, zu einem Beihpiel daß man nichtswürdige Herrichaften 
meiden müfje und zur Erläuterung der nachſtehenden Neuigkeiten, 
die nach Ankunft Kaiſer Heinrichs zu meiner Zeit Plas griffen.‘ 

Sp fonnte nur der Autor des Hauptmerfes Iprechen. Es 
fommt hinzu daß derjelbe im elften Kapitel, wo er num wirklich 
an die Zeit Heinrichs VII. hevantritt, einige- Notizen über die 
Macht und Größe Padua's voranftellt, wie er fih ausprüdt: 
„zur Erläuterung der Neuigkeiten der Mark Trevifo, welche ich 
erlebt habe. Der Ausdruck ift der im fiebenten Kapitel gebrauchten 
Wendung jo ähnlich, daß man dadurd nur in der VBermuthung 
beftärft wird, hier wie dort den nämlichen Verfaſſer vor ſich zu haben 9). 


1) Ganz unglüdlih ift Dönniges Einfall (a. a. O. ©. 62) von einer Familien= 
Hronif, die mehrere Generationen hindurch fortgeführt worden fei. Wunderbarer Weife 


40 Einleitung. 


Det alledem müfjen wir ſuchen, und mit der Angabe des 
Scardeontus abzufinden. Da die Chronik, von der er berichtet, 
jeinem Zeugnis zufolge noch zu feiner Zeit viel gelefen wurde, fo 
kann man nicht annehmen daß er feine Weittheilungen ganz aus 
der Luft gegriffen haben follte. Cine Hindentung auf den wahren 
Sachverhalt giebt und, wie mir jcheint, die Inhaltsangabe ver 
Chronik, wie fie Scardeonius anführt, wenn er fagt, Albergbetti 
habe über die Gewaltherrſchaft des Ezzelino !) ausführliche Jahr— 
zeitbücher abgefaßt. Sehen wir daraufhin unjere Chronif an, jo 
zeigt ſich daß für fie diefe Angabe keineswegs zutrifft. Die Er— 
zählung von der Tyrannis des Czzelino iſt in ein einziges Kapitel 
(Kap. 2) zufammengebrängt. Kapitel 3 beipricht bereit8 den Sturz 
des Gewaltherrn; 4 feine vergeblichen Anftrengungen Padua wieder 
zu gewinnen, 6 und 7 dann feinen und feines Geſchlechtes Unter- 
gang, während Kap. 5 etwas Ferneliegendes berichte. Was hier 
geboten wird, kann Scardeonius weder als „meitläufig‘ (longus) 
nod als „Jahrzeitbücher“ (annales), d. h. eine nad) der Folge 
der Jahre geordnete Erzählung bezeichnen. Hieraus ergiebt fich 
mit großer Wahrjcheinlickeit daß Scardeonius ein andered Werf 
vor ſich hatte als die |. g. „Cortuſiſche Chronik", aljo wohl eine 
jpätere Ueberarbeitung, die auf Grund diefer Yegteren, auf Gulielmo 
de’ Cortoſi allen zurücgehenden, Chronif immerhin von einem 


nämlich verjteht D. das in Kap. 1, in der Erzählung von Begebenheiten des Jahres 1237, 
gebrauchte Präjens fo, al3 ob das Kapitel im Jahre 1237 niedergejchrieben fein müßte, 
während jchon die Ueberſchrift de3 Kapitel3 zeigt, daß wir es mit einer von dem fpäteren 
Berfaffer dem paduanifhen Bolt in den Mund gelegten Anrufung der Schußheiligen 
der Stadt zu thun haben. — Richtig fieht dagegen Dünniges, daß das von Muratori 
als Kap. 2—25 in das zweite Buch der Chronif willkürlich eingefchaltete Stück Fein 
Beftandtheil derjelben it. Ich füge zu feinen Argumenten noch hinzu, daß Kap.26 ganz 
unmittelbar die Erzählung des Kap. 1 aufnimmt und fortführt; außerdem werden die 
in dem Einjchiebjel behandelten Begebenheiten auch fonft, wenngleich fürzer, in der „Cor— 
tufiijhen Chronik” beriihrt. — 1) „de Acciolini tyrannide*. Daß hier daS de nicht etwa 
gleichbedeutend mit ab (= von — an, jeit) fein kann, wird (ganz abgejehen davon daß 
ein italieniſcher Gelehrter des 16. Jahrhunderts ſich eines derartigen DVerftoßes gegen 
den claffiihen Sprachgebrauch gewiß nicht fhuldig machen Konnte) ſachlich durch die 
nachfolgenden Worte des Sc. erwiefen: insuper (scripsit) de bello Canis... . adversus 
Patavinos. Mlberghetti hat daher, den Worten des Sc. zufolge, geichrieben: 1) iiber 
Ezzelin, 2) über die Epoche der Kämpfe mit CaniS. 





| 


Einleitung. 41 


Geſchlechtsgenoſſen defjelben Namens Alberghetti angefertigt worden 
fein mag‘). Die Annahme daß zur Zeit des Scardeonius ein 
derartiges Werf exiftiert Habe wird auch durch die beiden Bruch— 
ftügfe nahegelegt, welche Muratori feiner Ausgabe der Chronif des 
Gulielmo anfügt ?). Sie find, wie er angiebt, aus einer Eſten— 
fiihen Handſchrift entnommen und beide in italienischer Sprache, 
und zwar paduaniſcher Mundart, abgefaft. Die eine diefer beiden 
Chroniken erſtreckte jih von 1350 bi8 etwa 1365, die andere von 
1267 bi8 1391, Doc theilt Muratori fie nur vom Jahre 1358 
an mit, weil foweit die Chronik des Gulielmo veicht, mit der fie 
feiner Angabe nad) die größte Achnlichkeit haben follen. Der 
Herausgeber ſelbſt fieht daher in ihnen feine Originalwerke, ſondern 
nimmt Abhängigkeit von der „Cortuſiſchen Chronik” an. Wir 
ſtoßen alſo möglicherweife hier auf Spuren von einem Werfe des 
Alberghetti. — Ohne eine eingehende Unterfuhung der Hand» 
ſchriften und der paduanischen Geſchichtsſchreibung im vierzehnten 
Jahrhundert werden wir in diefen Fragen zu ficheren Ergebnifjen 
zu gelangen nicht hoffen dürfen; trotzdem fonnte an dieſer Stelle 
der Frage nad) der Entftehung der „Cortuſiſchen Chronik“ nicht 
ganz aus dem Wege gegangen werden. — — 

Daß die und vorliegende Chronik des Gulielmo nicht mit 
den Ereignifjen unmittelbar gleichzeitig niedergeſchrieben fei, hat ſchon 
Dönniged bemerkt, der aus dem erften Buche des Werkes ein Paar 
Stellen anführt in denen der ſpäteren Schickſale einiger Perſonen 
bereitö gedacht wird. Insbeſondere wird zum Jahre 1313 ange: 
führt daß Paganus della Torre, damald Biſchof von Padua, 
ſpäter Patriarch) von Aquileja geworden fei, was im Jahre 1319 
erfolgte ?). Auch die übrigen Bücher der Chronik laſſen ed an 
folhen VBorausverweifungen nicht fehlen. Im zweiten Buch, welches 
die Erzählung bis zum Jahre 1321 fortführt, wird ein Presbyter 


1) Freilich wohl nicht von dem 1313 und 1343 lebenden Alberghetti (j. o.), jondern 
von einem fpäteren des gleichen Namens. Einen Alberghetti, der um 1435 lebte, erwähnt 
Muratori a. a. DO. 749. — 2) a. u. D. Sp. 97 ff. — 3) Sp. 787 C. Dönniges 63. 


42 Einleitung. 


Gorza in Feltre als Fünftiger Biſchof bezeichnet 1), während feine 
Erhebung auf den Biſchofſtuhl von Feltre und Belluno eıft 1327 
erfolgte. Weiter gedenkt der Verfaſſer im vierten Buch bei Ge- 
legenheit der Verheirathung einer Nichte des Gherardo da Camino 
mit einem Sohne des Alberto della Scala des Umftandes, daß 
diejelbe jpäter die Gattin des Markgrafen Berthold (von Efte) 
geworden jei?), womit auf eine Begebenheit des Jahres 1339 an= 
gejpielt wird. Endlich ift zu beachten daß unfer Autor bereits 
zum Jahre 1332 (Bud) 5) weiß, daß Karl von Luxemburg, der 
Sohn König Johanns von Böhmen, fpäter imperator (d. h. wohl 
römiſcher König) geworden je. Aus diefen Verweiſungen (derem 
Zahl fih noch um ein Erhebliches vermehren Tiege) ergiebt ſich 
alſo daß 
Buch 1 (Begebenheiten v. 1310 — 1317) früheſtens 1319 


Buch 2 ( x EIN A. 
Bud 4 ( F 133228888 es 
Buch 5 ( P 1330-135) aa 


abgefaßt worden ift. Dieſe Daten geben die Bermuthung an die 
Hand daß Das Werk nicht nach und nad, jondern auf einmal ent= 
ftanden ſei. - Hierauf deutet audy der Umftand daß die Buch- und 
Rapiteleintheilung jogleid) vom Verfaſſer felbft gemacht worden ift, 
der fie mehrfah im Texte erwähnt; zu Anfang des fieben und 
zwanzigften (befjer: dritten) Kapitel8 im zweiten Bud, leſen wir 
3. B. die Worte: „nachdem diejenigen die im vorigen Kapitel 
nambaft gemacht find, vertrieben waren;“ vdesgleichen heißt es 
Bub 3 Kap. 4: „wie im vorhergehenden zweiten Kapitel berührt 
wurde.“ In Kapitel 12 des nämlichen Buches verweift der Ver— 
faſſer auf das jechfte Kapitel zurüd u. dgl. m. Wer die Ereig- 
niffe gleichzeitig nad) und nach niederjchrieb, würde ſeinem Werfe 
ſchwerlich gleich eine jo fpecificterte Eintheilung gegeben haben. 
Die Chronif reicht bi8 zum Jahre 1358). Ueber dieſes 


1) Sp. 828 A. — 2) ©p. 852 D. — 3) Die Angabe des Handſchriftenkatalogs der 
Münchener Bibliothek, daß der dort befindliche Coder der „Cortufiihen Chronik“ die Er— 
zählung bis 1364 führte ift, wie mir auf Befragen gütigft mitgetheilt wurde, irrig. Die 





Einleitung. 43 


Jahr weift, ſoweit ich fehe, nichts Hinaus!). Auch läßt fich einer 
Aeußerung des Autors entnehmen daß an eine erheblich ſpätere 
Abfaffung nicht zu denken if. Nachdem nämlich der Heimkehr 
Raifer Karls IV. von jeinem erften Romzug (1355) gedacht ift, 
fügt der Verfaſſer Hinzu: „mas Gott in Zufunft durch ihn (Karl) 
ausrichten wird, weiß nur er.” In diefen Worten treten wir 
offenbar an die Schwelle der Gegenwart heran; mindeftens müfjen 
fie vor dem zmeiten Erſcheinen Karls in Italien, 1368, ges 
ſchrieben jein. 

Hiernadh würde man aljo die Entfiehung des vorliegenden 
Werkes um das Jahr 1360 annehmen müffen. Der Terfaffer 
begann mit 1260 und führte die Chronik bis auf die Gegenwart 
herab. Schon bald muß es ihm dann wünfchenswerth erfchienen 
fein eine furze Echilverung der für Padua unvergeßlichen Zeit 
des Ezzelino voranzuftellen, worauf vielleicht die „Eccerinis“ des 
Aldertino Muffato nicht ohne Einfluß geblieben ift, mwenigftens 
wird Diefelbe von unferem Autor in den einleitenden Kapiteln 
citiert. — Daß der Eortufier von dem eigentlichen Anfang feiner 
Erzählung (1310) an Zeitgenoffe ift, betont er, wie ſchon ange— 
deutet wurde, ausprüdlih. Auch war er in Staatsgeſchäften thätig ; 
er erwähnt zwei Geſandtſchaften, die er für feine Vaterſtadt unter: 
nommen, eine im Jahre 1329 2), die andere un Jahre 1335 ?), 
beivemal nach Verona an den Hof der Scaliger?). Ebenjo muß 
er den einheimifchen Herrſchern, ven Garrarefen, nicht fern ges 
ftanden haben, da er 3. B. einen Brief, den Ubertino da Carrara 
aus Parma erhielt, im Wortlaut mitzutheilen vermag); des— 


Handſchrift Ichliekt da wo aud die von Muratori benutzten Handihriften fchließen. — 
1) Mit Ausnahme des in den älteren Handidhriften fehlenden neunten Kapitels des elften 
Buchs (Tod des Jakobus post multos annos). Dieſes Kapitel aber, welches nur wieder— 
holt was ſchon im fiebenten dargelegt wurde, ift zweifellos fpätere Zuthat. — 2) 842 E. 
— 3) 869 A. — 4) Er Sprit an diefen Stellen von ſich, ohne feinen Namen zu nennen, 
in der erften PBerfon. Darum kann der von ihm in der dritten Perſon als Richter und 
Mitglied einer proviforiihen Regierung von Padua erwähnte Gulielmus Cortufius nicht 
wohl der Berfaffer der Chronik fein. Doch wird man diefen Umftand faum als ein 
Argument zu Gunften der Autorfchaft des Alberghetti vermerthen fünnen, da nichts gegen 
die Annahme ſpricht daß gleichzeitig zwei Männer de3 Namens Gulielmus Cortufius 
in Padua gelebt haben fünnten. — 5) 95 E. 


44 Einleitung. 


gleichen ſchon früher ein Billet des Cane grande an Marjiglio da 
Garrara!). Aud ein wichtiger Staatsvertrag zwiſchen Berona 
und Venedig ift ihm genau befannt ?). 

Uebrigend zeigen die zahlreihen Einzelheiten und namentlid 
die — oft bis auf ten Tag — genauen hronologiihen Angaben 
die fi) von Anfang an in der Chronik des Gulielmo finden, daß 
diefer wenigftend für die erften Partien des Werkes — um die ed 
ſich für und bier allein handelt — ſchriftliche Aufzeichnungen, 
wohl eigene Golleftaneen, vor fi gehabt habe. Geine chrono— 
logifhen Angaben find für uns um fo wichtiger als Albertino 
Muffato nur ausnahmsweiſe genaue Daten anführt. Ueberhaupt 
bieten die Nachrichten des Gulielmo für die Zeit Heinrihs VII. 
willfommene Ergänzungen zu Mufjato. Freilich ift jener über 
die auferpaduaniichen Begebenheiten der Epoche nur mangelhaft 
unterrichtet; fälſchlich erzählt er 3. B. daß Guido della Toore 
dem König bis Aftt entgegengeeilt ſei; ebenfo wenig richtig ift 
jeine Annahme von der Krönung Heinrichs in Monza (ftatt in 
Mailand). Dod hat Gulielmo im weſentlichen nur die Ereigniffe 
welche feine Baterftadt betreffen, berüdfichtigt und bier bietet er 
namentlich deshalb eine erwünſchte Ergänzung zu Mufjato, weil 
feine Darftellung und mande interefjante Streiflichter auf die 
innere Lage Padua’s, die Parteiungen, Stimmungen und Anfichten 
daſelbſt werfen läßt, während Muffato, mindeftend von dem Zeit- 
punkt des Abfalls der Paduaner von Heinrich an, lediglich die 
äußeren Kämpfe feiner Landsleute Ichilvert ?). Auch giebt es dem 
Eortufier ein gewiſſes Webergewicht über den mitten in den That— 
ſachen, die er berichtet, felbft ftehenden Muffato, daß er eine Reihe 
von „Jahren jpäter ſchreibt und ſchon die weitere Entwidlung ber 
Dinge kennt. Dur feine Darftellung zieht fid) ein entfchtedener 
Tadel gegen die damals in Padua herrichende Partei. Herb 
tadelt er ferner die Nachläffigkeit der paduaniſchen Beſatzung in 
Bicenza, welche ſich hat überrumpeln und den Beſitz der wichtigen 


1) 850. — 2) 896 ff. — 3) Einiges iiber die inneren Zuftände holt M. allerdings im 
Anfang feiner „Geihichte Staliens nad) dem Tode Kaifer Heinrih3 VII.“ nad. 





Einleitung. 45 


Stadt fih aus den Händen winden laffen. Sodann aber ericheint 
es ihm als ein großer politifcher Fehler dag man ſeitens Padua's 
die abtrünnige Nachbarftadt jogleih aufs ſchärfſte überzogen und 
fie jo genöthigt habe, fich dem lauernden Gegner in Verona in 
die Arme zu werfen, eine gewiß richtige Bemerkung die fich Freilich 
hinterher leichter machen ließ, als zu einer Zeit, da der Ausgang 
der Sade fid) noch jeglicher Vorausberehnung entzog. 

Die „Raifergefchichte” des Muffato ſcheint dem Cortufier bei 
feiner Ausarbeitung nicht vorgelegen zu haben. Hätte er dies 
Werk gefannt und herangezogen, jo würde er jchwerlich einen jo 
iparfamen Gebrauch von vemjelben gemacht haben. Es findet fich 
nämlich daß Kap. 18 Abſ. 2 des Kortufierd der Darftellung bei 
Muſſato VI, 10—12 ziemlich ähnlich if. Auch Kap. 19 Abf. 3 
und 4 correfpondiven im weſentlichen mit Mufjfato XIV, 9; 
Rap. 20 mit XV, 1. Dod) geht die Uebereinftimmung nirgends 
jo weit daß man nothwendig Abhängigkeit des einen von dem 
anteren ftatuteren müßte. Der Cortufier giebt nur die allgemeinen 
Umriſſe und hat überall Zufäge, die nicht aus Muffato entlehnt 
jein fünnen. Auch Abweihungen von diefem fehlen nicht; jo giebt 
Gulielmo in Kap. 18 Abf. 4, der im Ganzen Mufj. VII, 10 
gegen Ende entipricht, den Auguft 1312 an, während Muffato 
den Juli nennt. Ebenſo find fachlihe Abweichungen vorhanden 
(3. B. im Betreff der Namen der Gefallenen) Cort. Kap. 20 und 
Muſſ. XV, 1 x. Wo fi demnad; zwifchen beiden Werfen Ueber- 
einftimmungen vorfinden, da find diefelben ſchwerlich durch Benugung 
des Muffato beim Cortufier herbeigeführt worten, jondern fie er— 
klären ſich aus der Erzählung der nämlichen Begebenheiten, ſodaß 
fie ung um fo werthooller find und die Zuverläffigfeit beider 
Schriftfteller in der Schilderung der paduanijchen ee 
in um fo hellerem Lichte erſcheinen laſſen. 


Für unfere Kunde über das Leben des Ferreto von 
Vicenza, des jüngeren Zeitgenoffen des Muffato, find wir 
ausſchließlich anf die Nachrichten angewieſen, welche feine Werke 


46 Einleitung. 


und gewähren‘)... Am Anfang des vierten Buches feiner Chronif, 
da mo er zur Geſchichte Heinrichs VII. übergeht, bemerkt unfer 
Autor, er verlaffe jest Die Zeiten die wor feiner Geburt lägen 
oder die er als Kind durchlebt habe, um zu der Schilderung von 
Ereignifjen zu gelangen welche der Zeit feines reiferen Alters an- 
gehörten ?). 

Weiter äußert er fich bet Gelegenheit der Befigergreifung von 
Vicenza durch Cane grande (c. Merz 1312) dahın daß er über 
den Verlauf diefer Begebenheit im Einzelnen nicht genügend unter- 
richtet jet weil er damals kaum feine mannbaren Jahre erreicht 
und noch im fnabenhaften Spiele den Ball geſchlagen habe 3). Noch 
näher laßt uns fein Alter eine dritte Angabe beftimmen, der zu- 
folge er zur Zeit der großen Seeſchlacht des Jahres 1298, in 
welcher ſich Genua und Venedig maßen, fo jung geweſen fein will 
daß er entweder überhaupt noch nicht habe ſprechen können oder 
joeben der Ammenmilch entwöhnt zu Yallen begonnen habe *). 
Danach wird alſo die Geburt unfered Autors etwa in das Jahr 
1297 zu jegen jein. Ueber Ferreto's Herkunft und Erziehung 
iſt nicht8 befannt, doch zeigen feine Schriften daß er eine gute 
Bildung genofjen haben und frühzeitig mit den Alten bekannt ges 
worden ſein muß. Zunächſt warf er ſich auf die Poefie: eins 
jeiner Gedichte, welches den Tod des vicentinijchen Dichters Benve— 
nuto Campefano beflagt, ift für und namentlich deshalb intereffant 
weil es fih an Albertino Mufjato wendet und auf eine nähere, 
wohl auch perjünliche Bekanntichaft des Autors mit dem Paduaner 
ſchließen Laßt’). Später wandte fich Ferreto zur Geſchichtſchreibung, 
die er, wie er in der von und mitgetheilten Vorrede zu feiner 
Chronif bemerkt, für leichter als die Dichtfunft hält, wohl wegen 
des Wegfalls der Profodie. Diefe Vorrede nimmt bereitS auf den 
Tod des Mufjato Bezug, und zwar fcheint ed daß Ferreto nicht 
zum wenigſten eben dur das Abjcheiden des Freundes, deſſen 


1) Seine Chronik fowie die erhaltenen poetiihen Werfe bei Muratori SS. rer. 
Ital. IX, 935 sqq. Vgl. Dönniges ©. 73. — 21. c. 1051 A. — Bol. unten. — 
3) Mur. 1123 D. — 4) ib. 990 D. — 5) Mur. IX, 1187 sag. 





Einleitung. 47 


„Kaiſergeſchichte“ und ſonſtige Werke ihm theilmeife befannt waren, 
veranlaßt worden ſei ſich nach jenes Muſter der Hiſtoriographie 
in die Arme zu werfen. Er begann ſeine Chronik mit dem Jahre 
1250; die erſten drei Bücher ſchildern die Zeit bis 1308, worauf 
dad vierte und fünfte die Geſchichte Heinrichs VII. behandeln; 
das jechfte Buch holt die gleichzeitigen Kämpfe in der Mark Treviſo 
nad) und führt, vom fiebenten aufgenommen, dann die Gejchichte 
Staliens bis zum Jahre 1318 fort. Hier bricht die von Mura— 
tori benutste, einzige Handjchrift mitten im Sate ab. Wie viel noch 
hier weggefallen ift, läßt ſich nicht erfennen !). Leider ift auch der 
erhaltene Text dur Lücken vielfach entftellt. 

Eine Hauptquelle unjere® Autors für die Darftellung der 
Geſchichte Kaifer Heinrichs VII. bildet, wie von Dönniges zur 
Genüge nachgewiejen worden ift, die „Kaiſergeſchichte“ des Mufjato, 
welche dem Ferreto vom dritten bis zum achten Buche worgelegen 
zu haben jceint. Die Erwählung Heinrichs, fein Walten in 
Deutichland, feine Ankunft in Italien, die Mailänder Krönung 
u. ſ. mw. erzählt der PVicentiner dagegen durchaus unabhängig von 
der „Kaiſergeſchichte“, da er, wie er ausdrüdlid) bemerkt, ven Anfang 
dieſes Werkes nur aus Erzählung Anderer kannte Wir Dürfen 
ihm dies um fo eher glauben als er, wenn er gleich Mufjato nie 
mit ausdrüdlichen Worten als feine Duelle bezeichnet, doch mehr- 
fach feine Befanntihaft mit defjen Werke hervorhebt. Wäre e8 
ihm aber darauf angefommen, wie Dönniges meint, die Abhängig- 
feit jeiner Darftellung von der des Mufjato zu verhehlen uud zu 
vertufchen, jo würde er fi) wohl gehütet haben geradezu auf 
Yetteren zu verweilen und jeine Lejer gewiſſermaßen zur Heran— 
ziehung des Geſchichtswerkes des Paduaners aufzufordern ?). 

Bei der Erzählung von dem Abfall Bicenza’8 von Papua 
nennt Ferreto ſich ſelbſt als Augenzeugen, Dann aber lenkt er in 


1) Einige römische Handichriften des Ferreto, auf welche im „Archiv der Gejellihaft 
f. ält. d. Geſchichtskunde“ V, 177 f. aufmerffam gemacht wird, find noch nicht näher 
unterfucht worden. — 2) Das Nähere fiehe in meinem oben angezogenen Auflage „Zur 
Kritif der Hist. aug. des A. Muſſato.“ 


2 


48 Einleitung. 


das Fahrwaſſer des Muſſato ein, deſſen viertes und fünftes Buch 
er faſt vollſtändig in ſeine Darſtellung aufnimmt. Daneben finden 
ſich eigene Zuſätze des Ferreto, und auch ſonſt bietet ſein Werk 
eine Fülle von Nachrichten die ſich auf keine uns bekannte Quelle 
zurückführen laſſen. Beſonders mache ich auf die Darſtellung der 
Ereigniſſe in Rom während Heinrichs Anweſenheit daſelbſt auf- 
merkſam, wofür der Vicentiner unſere ausführlichſte Quelle iſt. 

Die Darſtellung Ferreto's zeugt von nicht geringer Fertigkeit. 
Seine Sprache iſt verhältnißmäßig rein und gewählt; der Perioden= 
bau, namentlich im Vergleich mit dem ungelenfen Mufjato, gewandt 
und ſachgemäß; auch iſt Ferreto Tetterem in der Anordnung des 
reihen Stoffe® bei weitem überlegen. Dagegen tadeln bereit8 
ſowohl Muratori als Dünniged mit Recht eine wenig glücliche 
Geziertheit des Ausdruckes, mie die Bezeichnung der Florentiner 
als Fäfulaner, Vicenza's als Cimbria u. |. wm. Mit nicht ge 
ringerer Berechtigung wird von gleicher Seite dem Ferreto fein 
herbes einfeitige8 Urtheil und der von der Sache felbft Losgelöfte, 
gar zu allgemeine Maßſtab, den er an die Ereigniffe legt, zum 
Vorwurf gemacht. „Nicht ein taciteifcher Schmerz ſcheint ihn zu 
herben, ja ungerechten Ausiprüchen zu verleiten, jondern ein manch— 
mal Eleinlicher unzufrievener Sinn, deſſen Befangenheit man auf 
den erften Blick erkennt.“ 

Ueber das fernere Leben und den Ausgang des Ferreto liegen 
ung feinerlei Nachric;ten vor; Muratori läßt jener Ausgabe eine 
Rede folgen, in der ein Ungenannter die Hochzeit eined Daniel de 
Ferreto feiert; diefer Daniel wird ein Sohn des Jacobus genannt, 
welcher wieder ein Sohn oder Enkel des Geſchichtſchreibers Ferreto 
fein 109). 

Schon wegen der Entlehmung eined nicht geringen Theiles 
feiner Nachrichten aus Mufjato war es geboten, die Erzählungen 
Ferreto's über Die Zeit und die Thaten des Lützelburgers hier 
nicht vollftändig wiederzugeben. Ich habe Folgende Auswahl ges 


1) IX, 1189 sq.; ef. 939. 


Einleitung. 49 


troffen: Nach Voranftellung des wichtigeren Theild der allgemeinen 
Borrede wurde die Geſchichte der Wahl Heinrih8 und feines 
Wirkens im Reich bis zum Romzug (mit Auslaffung ver jehr 
verworrenen Erzählung von der Erwerbung Böhmens), ſodann 
die Vorbereitung der Romfahrt, die interefjante Schilderung von 
dem Zujtand Italiens in diefer Epoche, Heinrichs Erfcheinen jen> 
jeit8 der Alpen und erfte Erfolge bis zur Krönung in Mailand 
wiedergegeben !). Der Bericht vom Mailänder Aufftand £onnte, 
obwohl er nit auf Mufjato beruht, fortgelaffen werden, da er 
ziemlich ungenau und offenbar ohne eingehende Kenntnis der Ver- 
hältnifje gejchrieben ift. Dagegen findet die Erzählung vom Ab- 
fall Vicenza's hier Plag ?), ebenjo, nach Weglaffung der weſentlich 
aus der „Kaiſergeſchichte“ entlehnten Partien, die Epifode des 
Johannes PBarrieida, der fih in Genua dem König zu Füßen 
warf;?) jodann die von Muffato mit einem furzen Wort abges 
machten Begebenheiten in Pija *), die unmittelbar zur Schilverung 
des Mariches des Königs nad) Rom, feiner Ankunft dafelbft und 
‚der Geftaltung der Dinge in der ewigen Stadt hinüberleiten >). 
Die Kämpfe in Toskana, welche namentlich von den einheimiichen 
Geſchichtſchreibern eingehend geſchildert find, fonnten fortbleiben, 
jodaß dann nur noch erforderlih war den Ausgang des Kaiſers 
mitzutheilen 6), wobei Terreto die ausführlichfte und detailliertefte 
Krankheitsgeſchichte Heinrichs bietet. Die Kämpfe in der Mark 
Trevifo, welche uns im ſechſten Buche, von der Belizergreifung 
Cane's in Vicenza an, gejchildert werden, find unberüdfichtigt ge- 
blieben; wennſchon die Vergleihung mit den Berichten Muſſato's 
nicht ohne Intereſſe gewejen wäre, jo haben dieſe Begebenheiten, 
Die doch nur mittelbar mit der Geſchichte Kaiſer Heinrichs zu= 
jammenhängen, beveit3 durd) den Paduaner eine jo ausführliche 
Darlegung erfahren, daß anderweitige eingehende Schilderungen 
derjelben Ereigniffe von dem Leer ficherlich nicht vermißt werden. — 


1) Mur. 1051—1060, — 2) ib. 1065—66. 1068— 70. — 3) ib. 1093. — 4) 1094—1098. 
— 5) 1098—1109. — 6) 1114—1118. 


Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VII. 4 


50 Einleitung. 


An vierter und letzter Stelle ericheint hier Johannes de 
Cermenate, nad Leo's Urtheil einer der naivſten und vortreff- 
lichften Geſchichtſchreiber Italiens !). Einem matländifchen Gejchlechte 
entſproſſen, verſah Johannes in jeiner Vaterſtadt das Amt eines 
Notare, doch war er aud in Staatsgeſchäften thätig, wie er denn 
im Jahre 1312 das Eyndifat, einen der höchften Vertrauenspoften, 
zu Mailand bandhabte. Gelehrte Bildung zeichnete ihn aus; nad) 
jeinen eigenen Berichten hat er fich mit der altelaffiihen Literatur 
eingehend befaßt. Als aber einem leuchtenden Meteore gleich König 
Heinrich der Lügelburger in Italien erſchien, jih in Mailand die 
eiferne Krone aufs Haupt fette, den mächtigen Gebieter der Lom— 
bardiihen Hauptftadt Guido della Torre ftürzte und zum heimath- 
loſen Flüchtling machte, ganz Italien von den Alpen bis zum 
Pharus in fieberhafte Aufregung verfette, die Idee des Kaiſerthums 
nad) langem Schlummer wieder ermedte und in ſich verförperte: 
da genügten unferem Mailänder jeine gelehrten Studien nicht 
mehr; ed ſchien ihm unwürdig in einer ſolchen Zeit jih auf die 
Durchforſchung fremder Geiftegerzeugnifie zu beichränfen und er 
fühlte den. Trieb etwas Eigenes zu Ihaffen und ven fpäteren 
Generationen ein Denkmal der großartigen Ereignifje, deren Zeit- 
genofje und Augenzeuge er war, zu hinterlafien. In dieſem Ge— 
danken griff er zur Feder: ein paar einleitende Kapitel ſkizzieren 
furz die großentheil® fabelhafte Vorgeſchichte Mailands auf Grund 
der damals üblichen Weltchroniken: doch ſucht der Autor ſchnell zu 
feinem eigentlichen ©egenftande zu fommen, da er mit jolden 
Schilderungen entlegener Zeiten und Ereigniffe die Leſer zu lang— 
weilen fürchtet. 

Dom jehften Kapitel an beginnt unfere Uebertragung, welche 
den Autor bis zur Erzählung vom Tode des Kaiſers (Kap. 64) 
wiedergiebt. Die Schlußkapitel 65—68, welche hier mwegbleiben, 
ſchildern lediglih die Unternehmungen der durch Heinrichs Hin- 
ſcheiden ermuthigten Guelfen wider Mailand. Ta der Autor 


1) Bl. Dönniges ©. 89 ff. 


Einleitung. 51 


im Anfang des 67ſten Kapitels von den Jahren 1313 und 1314 
als bereits hinter ihm liegenden ſpricht, ſo kann ſein Werk nicht 
vor 1315 abgefaßt worden fein; doch entſtand es auch nicht weſentlich 
ſpäter, denn im Kap. 25 wird Caſtone della Torre, welcher bereits 
1316 den Patriarchenſtuhl von Aquileja beſtieg, noch als gegen— 
wärtiger Erzbiſchof von Mailand bezeichnet, Daß Cermenate in 
Einem Zuge geſchrieben habe, wird durch die ganze Anlage des 
Werkes von Anfang an erwieſen. Auch weiſt er z. B. am Ende 
von Rap. 13 auf ſpätere Ereigniſſe voraus. — Unſer Autor 
ſchreibt alſo als Zeitgenoſſe und für die Ereigniſſe in Mailand, 
wie er in ſeiner Vorrede zu betonen nicht verſäumt, als Augen- 
zeuge. Wo er aber von den Thatſachen und Ereigniſſen, die er 
ſchildert, nicht genau und authentiſch unterrichtet iſt, da ſchiebt er 
gewiſſenhaft ein „ſoll“, „wie ich vernehme“ und ähnliche Aus— 
drücke ein; zuweilen geſteht er auch unverhüllt daß er etwas nicht 
ſicher wiſſe, nicht habe in Erfahrung bringen können. 
Cermenate zeigt ſich von dem göttlichen Rechte des Kaiſers 
und der Nothwendigkeit des Weltkaiſerthums durchdrungen; mehrfach 
tadelt er die Vorgänger Heinrichs, welche es verſäumt haben den 
Pflichten ihres Berufs ſich zu unterziehen und der Kaiſerkrone ent— 
gegenzueilen. Die Deutſchen ſelbſt freilich liebt unſer Autor keines— 
wegs, waren gleich ſeine Landsleute zu jener Zeit zweifellos weit 
blutdürſtiger und rachgieriger als die Deutſchen, ſo wirkten die 
plumpen Manieren der Ritter und Landsknechte, ihre Wolluſt und 
Plünderungsgier doch auf die Italiener ſehr abſtoßend, wie 
neben vielen anderen auch unſer ehrlicher Mailänder beweiſt. 
Derſelbe iſt außerdem ſehr empfindlich über den Umſtand, daß die 
Deutſchen auf die Italiener verachtend herabſchauen; dieſe Ueber— 
hebung, ſo deduciert er etwas wunderlich, ſei die eigentliche Urſache 
der langen Verwaiſung des kaiſerlichen Thrones, indem nämlich 
des Deutſchen ungeſtümes, unzuverläſſiges Gebahren den Italiener, 
den alten treuen Wirth des kaiſerlichen Hoflagers, jenem entfremdet 
habe. Man ſieht, Cermenate fühlt ſich als Italiener; ganz be— 
ſonders aber iſt er für die Herrlichkeit und Macht ſeiner Vaterſtadt 
4* 


52 Einleitung. 


begeiftert. Sein lebhaftes Gefühl für die glänzenden Zeiten des 
republikaniſchen Mailands macht ihn zum erbitterten Feinde Guido's 
della Torre, deſſen herriſches Auftreten den Tyrannen nur allzu 
deutlich durchblicken ließ. Halb humoriſtiſch, Halb ingrimmig 
ſchildert Cermenate den Guido im Lichte eines aufgeblafenen, nahezu 
wahnmitigen Deöpoten, wie er im Vorgefühl des Zuſammenbruchs 
feiner ufurpierten Herrihaft ruhelos angftgequält von der unter= 
würfigen zitternden Höflingsſchaar umgeben die weiten Hallen feines 
Palaftes durchirrt, wie er weder mannhaft zu widerftehen noch fich 
aufricgtigen Herzens zu unterwerfen meiß, ſodaß ihn fein herbes 
Geſchick nicht unverdient trifft. Auch das Leben des föniglichen 
Vikars von Mailand, des Niccolo de? Buonfignori, wird voll 
Unmuth geſchildert; denn wie darf ſich ein Tuscier, ein vertrie— 
bener Sanefe und banferotter Kaufmann, herausnehmen der 
ambrofianifchen Stadt feinen Willen zum Geſetz machen zu 
wollen? — Auch über die Grenzen der Lombardei hinaus begleitet 
die Erzählung Cermenate's den König; namentlic werben Die 
Kämpfe vor Florenz mit einiger Ausführlichfeit gefchilvert, wenn— 
gleich das Hauptgewicht auf der Darlegung der lombardiſchen Ber: 
hältniffe vuht. Die wichtigften Vorgänge hier, jelbft nach dem 
Abzuge des Könige, z. B. die Einfegung Werner von Homburg 
als Statthalter, der Tod des Gulielmo Cavalcabö, die vereitelte 
Unternehmung der Guelfen wider Piacenza und die Gefangennahme 
des Grafen Filippone da Langosco, werden anſchaulich und ein- 
gehend berichtet. Auf einige thatſächliche Irrthümer unferes Autors 
macht Dünniges Seite 90—93 aufmerkfjam 9. Aud er aber ver— 
fennt nicht wie trefflih und unſchätzbar die Aufzeichnungen unſeres 
Mailänders im Großen und Ganzen find. Schon die prächtige, 
an den Alten gebilvete Sprache erfreut um jo mehr, je jeltener 
wir fie noch in diefer Epoche finden; auch die Kunft der Darftellung 
ift nicht gering anzuſchlagen. Mit dramatiicher Anſchaulichkeit 
werden und manche Scenen vorgeführt; die Geftalten des Guido 


1) Uebrigens folgt Dönniges in feiner Auffaffung von dem Mailänder Aufftande der 
Darftellung des Nicolaus von Butrinto viel zu meit. 


Einleitung. 53 


und Maffeo treten ung fürmlich plaſtiſch entgegen; die eingeftreuten Reden 
zeichnen, ohne den Anſpruch auf Authenticität erheben zu fünnen, 
doch die Situation aufs Trefflichjte. Cermenate's politiicher Stand» 
punft wird, wie ſchon angedeutet, dadurch charakterifiert, Daß er von 
dem Kaifer das Heil für alle Melt und im Spectellen die Hetlung 
der Schäden, an denen Italten krankt, erwartet. Er ıft durchaus 
Ghibelline, ohne daß er fich freilich deshalb zu Berunglimpfuns 
gen der Guelfen, zu Verkleinerung oder Bemäntelung ihrer 
Unternehmungen und Erfolge verleiten läßt. Andererfeits iſt auch 
feine Zeichnung des Maffeo Bisconte nicht ausſchließlich mit lichten 
Farben ausgeführt; gerade Germenate weift deutlicher als irgend 
ein. anderer gleichzeitiger Autor auf die Mitſchuld des Bisconte 
an der Erhebung der Torrianen wider den König hin. Im 
Sahre 1315, als unfer Autor fchrieb, konnte ihm ſchwerlich ver- 
borgen fein, daß Mailand bei Gelegenheit des Sturzes Guido's 
und der Erhebung Maffeo's nur feinen Herrn gemechjelt habe; 
darum geht denn auch durch feine Darftellung die Klage darüber 
daß feine Landsleute, entartet und ihrer großen Voreltern unmürdig, 
das Gefühl für die Freiheit eingebüßt haben. 

ALS Syndikus der Stadt erjchten Cermenate 1312 vor dem 
Oberſtatthalter Grafen Werner von Homburg. Ob er fpäter noch 
eine einflußreiche Role in Mailand gefpielt, wifjen wir nit; nur 
icheinen namentlich) die letzten Kapitel auf ein nahes Berhältnis 
des Autors zu Francesco da Garbagnate, dem Vertrauten Des 
Maffeo, fchließen zu laffen. Die einzige pofitive Notiz aber, die 
wir aus fpäterer Zeit über ihn Haben, findet ſich bei dem Mailänder 
Chroniften Galvaneus della Flamma, der unter den Chroniken, 
aus welchen er feinen Manipulus Florum zuſammengeſetzt, einige, 
Darunter den Livius, von Johannes de Cermenate entlieh, wie er 
im Anfang feines mohl erft nah 1336 gefchriebenen Werfes 
notiert 2). Hiernach wiirde Cermenate die Zeiten Heinrichs VII. noch 
mindeſtens um ein Bierteljahrhundert überlebt haben. 


1) Muratori XI, 539. 


54 Einleitung. 


Der Ueberjegung des Germenate ift der Drud Muratori's) 
zu runde gelegt. Leider ift der Text erheblich verftümmelt. Die 
Schilderung des Einrückens Heinrih8 in Italien bis zu 
jeinem Erjcheinen vor Mailand jowie der Ereignifje in Rom 
während der Anmejenheit des Königs dafelbft ſammt der Kaiſer— 
frönung etc. iſt ausgefallen. Die erftere Lüde vermögen wir 
freilich mit einiger Zuverfiht aus der Chronit von Monza, welche 
Bonincontro Morigia um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderte 
abfaßte, aufzufüllen, weil diefer Chronift (ſoweit nicht feine Vater— 
ftadt Monza im Mittelpunkt ver Darftellung fteht) in dieſen 
Partien ſeines Werkes den Cermenate nahezu wörtlich auszuſchreiben 
liebt ?2). Ueber die Ereigniffe in Rom dagegen giebt Morigia leider 
nur ganz dürftige Nachrichten, fer e8 daß ihn dieſe fernliegenden 
Dinge wenig intereffierten oder daß fein Mailänder Gemährs- 
mann ihm nichts Ausführliches darbot. — Audy der jchon er— 
wähnte Galvaneus della Slamma, ein mailändiſcher Predigermönd, 
ichreibt den Germenate aus 8), doch verfährt er jo ſummariſch, daR 
er zur Ausfüllung der Lücken dieſes Autors nicht zu verwenden ift. 


Ueber die äußere Einrichtung der nachſtehenden Bearbeitungen 
ift furz folgendes zu bemerken: Die Ueberjegung ſucht dem Original- 
text jo nahe zu kommen wie dies ohne Vergewaltigung des deutſchen 
Sprachgebrauchs zu erreichen fteht; auch ſprachliche und ſtiliſtiſche 
Eigenthümlichfeiten des betreffenden Autoren werden möglichſt be- 
rüdfichtigt. Die unter den Text gefegten erflärenden Anmerkungen 
find anf das geringfte Maß bejchränft worden; es kann nicht die 
Aufgabe des Ueberfegers fein zu tem Texte, den er bietet, einen 
fortlaufenden Commentar zu liefern, jondern er hat fein Augenmerf 
nur auf folgende Punkte zu richten: erſtens ift der Leſer durch an 
geeigneten Stellen anzufügende Notizen furz in die allgemeine Sach— 
lage, um die e8 ſich handelt, einzuführen und mit den wichtigften 
Perfonen gleichjam befannt zu machen; zweitens find alle Aus- 


1) Seriptt. rer. Itai. IX 1225 sqgq. — 2) Gedrudt bei Muratori 1X 1061 sqq. — 
8) Mur. IX 720-728. | 











Einleitung. 55 


drüde,. ‚Namen etc, die nicht ohne Weiteres verſtändlich find, zu 
erläutern, und endlich drittens ıft da, wo der Autor, der zu der 
Zeit da er jchrieb vieles als allgemein bekannt betrachten Konnte, 
was heutzutage nur durch ein mehr oder minder eingehendes 
Studium der betreffenden Epoche zu lernen ift, allzufchnell über 
einzelne Ereigniffe etc. hinwegzugehen ſcheint, ergänzend nachzuhelfen. 
Insbeſondere bin ich bemüht geweſen mit Herbeiziehung der mir 
zugänglichen Karten und Lexica die italienischen Ortsnamen, 
welche bei unjeren Autoren in reicher Fülle ericheinen, feflzuftellen. — 
Die Eigennamen, geographiſche wie Perfonennamen, find in ver 
Form gegeben morden wie fie der Originaltert bot; nur jchien es 
gerechtfertigt ſowohl die deutjchen Perfonennamen ald aud) die und 
in einer deutſchen Form geläufigen italienischen Städtenamen etc. 
in dieſer darzubieten (4. B. Mailand, nicht Mediolanum); bei 
allen übrigen wurde da, wo die lateinische Namensform nicht all 
gemein befannt und verſtändlich ift, die bei uns übliche in einer 
Note Hinzugefügt. 





I. 


Des Albertinns Muſſatus Kaiſergeſchichte 


oder 


Geſchichte Kaiſer heinrichs VII. 





Vorrede. 


Nachdem ich reiflich bei mir erwogen, ob ich es unternehmen 
ſollte, Deine hehren Thaten zu beſchreiben, Cäſar Heinrich VII., 
allezeit Mehrer des Reichs, habe ich endlich nach langem Streit 
zwiſchen Vernunft und Verlangen meiner Begierde nachgegeben. 
Die Vernunft nämlich hielt mir Deine Erhabenheit und die Größe 
Deiner Thaten vor, denen der Schmuck meiner Worte und Wen— 
dungen entſprechen mußte, da es unziemlich erſcheint eine Geſtalt 
von ausgezeichneter Schönheit in ein verblichenes, beflecktes Gewand 
zu hüllen, und weil unſinnig iſt, wer aus ſandigem Flußbett klares 
Waſſer durch kothige Rinnſale in eine trübe und ſchmutzige Lache 
hinüberleitet. Aber die dreiſte Anmaßung, welche in unſerer Zeit 
an der Tagesordnung iſt und — eine ergebene Sklavin der Be— 
gierde — dem Einzelnen wie der Geſammtheit nichts, was von 
ihr verlangt wird, verſagt, leiſtet meiner Verwegenheit, ein ſo 
großes Werk zu planen und zu ſchreiben, Vorſchub. Ja, die 
Vernunft, dem Wunſche gehorſam, läßt mich ſogar hoffen, daß, 
gleichwie Du überhaupt die Sitten der Italier erhoben, Du ſo 
auch meiner rauhen und plumpen Schreibart abhelfen und dann 
als einen Gegenſtand des Neides, nicht aber der Geringſchätzung für 
die würdigen Aufzeichner Deiner Thaten !) mein Werk in die Welt 


1) So wenig Muffato ernfthaft an eine VBerbefferung der Chronik durch den Kaiſer 
dachte, der, als dieſe Vorrede entjtand, fchon tot war, ebenfo wenig hat der Autor hier 
beftinnmte Hiftoriographen HeinrihS im Auge; von folhen, auf die diefe Benennung 
Anwendung finden würde, wiſſen wir nichts. Im Lateinifchen ift hier ein Wortfpiel 
verfucht: rerum tuarum magnis non invisa, sed potius invidiosa scriptoribus. 


60 Vorrede. 


gehen Lafjen wirft. Gewiß, Du wirt dad thun und es fogar für 
wünfchenswerth erachten; denn tft mein Buch gleich ungefchlacht 
und weit entfernt von der holden Anmuth des Pataviniſchen Alt 
meifter8 1), fo befchreibt es doch, jo gut e8 num eben vermag, unter 
welchen Verhältniſſen und durch welche Eigenjchaften Du das Reich 
erlangt und in Krieg und Frieden gemehrt haſt. — Wenn aber 
bet. der Schilderung fo vieler und mannichfaltiger Kriege und 
fonftiger Ereignifje Dein und der Deinen Ruf nicht immer unan— 
getaftet und frei von Tadel bleibt, jo möge das Deine geheiligten 
Ohren nicht verlegen, denn, wie es Frevel wäre zu behaupten, daß 
Du die Abficht gehabt hätteft zu täufchen, jo folgt, wenn Du nur 
zugiebft daß Du ein Menſch bift, daraus, daß Du Dich jelbft 
täuſchen konnteſt. — Auch ganz befannte Thatfachen, die durch 
Viele bezeugt find, hielt ich nicht für überflülfig aufzuzeichnen, da= 
mit ihre Webergehung nicht die unmandelbare Wahrheit beein- 
trächtige. Wie fi) dies aber verhalten möge, hohe Freude wird 
mich erfüllen, wenn Du gegen mein geringes Talent Nachjicht üben 
und meiner Arbeit das Lob ſpenden wirft, welches fie beanipruchen 
darf, da fie Did, wie Du e8 mit göttlicher Hilfe verdient haft, 
den hehren Namen der Weltherricher zurechnen und an die Seite 
ftellen will. 


1) 3. Living, der zu Padua geboren it. 








Erftes Bud. 


1. Heimath. Yüselburg ift eine Stadt an der Grenze 
zwiichen den Franken und Germanen. Sie hat ihren Namen von 
der Unfruchtbarkeit des Bodens; denn „lützel“ in der deutſchen 
Sprache bedeutet „ärmlich“ oder „Klein“, und „Burg“ iſt jo viel 
als „Caſtell“. 

2. Geſchlecht. Das Geſchlecht der Grafen von Lützel— 
burg ) ift edel und führt feinen Ursprung weit zurüd auf Männer, 
Die ſich durch kriegeriſche Tüchtigfeit Ruhm erwarben. Bon ſolchen 
Borfahren ftammte Heinrih ab, der, als fein Vater und zwei 
Brüder defjelben im Kriege gegen die Grafen von Brabant um: 
gefommen waren (die Oheime fowie zwei Halbbräder derjelben 
fielen im Kampfe, der Vater gerieth Iebend in Gefangenfchaft, 
wurde aber, obwohl er, in der Hoffnung fi Losfaufen zu können, 
ein hohes Löſegeld bot, niedergeftogen und die Leiche in den nächften 
Fluß geworfen) ?2) — mit feinen drei Brüdern 3) übrig blieb und 
als Exftgeborener nach galliſchem Recht das Haupt der Familie 
wurde. 

1) Siehe die Stammtafel des Haufes Lügelburg in der Beilage. — 2) In der blutigen 
Schlacht von Worringen 5. Juni 1288 fielen die Brüder Heinrich IV. und Walram von 
Lützelburg. Es handelte fih in dem Kampfe um Limburg, welches nad) dem Tode 
Ermefindens 1282 Graf Adolf VI. von Berg ihrem Gemahl Grafen Rainald I. von 
Geldern ftreitig machte (j. die Stammtafel in der Beilage). Adolf verfaufte jein Recht 
an Herz. Johann I. von Brabant, Rainald verzichtete zu Gunften der Grafen von Lützel— 


burg. In Folge der Schladht fiel Limburg an Brabant. — 3) ES waren im Ganzen 
nur drei Brüder, wenigitens ift fein vierter nachzumeifen. 


1288 


62 Erſtes Bud). 


— 3. Heinrichs Weſen und Walten. Weithin erſcholl 
der Ruf des Jünglings, der von Tag zu Tage durch rühmliche 
Thaten ſeinen Ruhm mehrte und Alles, was ihm oblag, ebenſo 
beſonnen als wacker ausführte. Sp groß war ſeine Gereditigfeitö- 
liebe, daß der Kaufmann ſowie jeder Reiſende was für Güter er 
auch mit ſich führen mochte, im Lützelburgiſchen Gebiet ſich der 
größten Sicherheit erfreute und, ſelbſt wenn er ſein Nachtlager im 
Walde oder in einſamer Gegend aufſchlug, keiner Bewachung für 
ſeine Laſtthiere und Güter bedurfte. Im Gericht fand man ihn 
unerbittlich gegen Räuber und ſonſtiges ſchädliche Geſindel; er 
gab von ſeinem eigenen Gelde her, wenn Jemand durch Diebſtahl 
oder Raub offenkundigen Schaden erlitten hatte. — Noch als 

ER Süngling führte er die jugendliche Magaretha, eine Tochter des 

. Herzogs von Brabant, als Gattin heim und zeugte mit ihr als 

1296 erftgebornen Johann. — Als die Einwohner von Trier ihm ges 

Aug. 10. wiſſe Abgaben und die üblichen Ehrengefchente an das Haus Lütel- 
burg vorenthielten überzog er fie mit Krieg, umjchloß mit Unter: 
ftügung der ummohnenden Fürften und feiner Freunde Trier, welches 
unter den deutſchen Städten dieſſeits des Aheines!) einen hoben 
Rang einnimmt, und zwang die Bürger zur Erneuerung des alten 
Vertrages über die Ehrengefchenfe. ALS der erzbiſchöfliche Sit von 
Trier, an welchen eine Stimme bet der Erwählung des römtjchen 
Königs haftet, erledigt ward ?), bemühte fich Heinrich die Würde 

1302 für feinen jüngeren Bruder zu erlangen und mußte gewandt jeinen 

1307 Zweck zu erreichen). Durch folhe und andere bemerfenswerthe 
TIhaten gewann er großes Anfehen und hohen Ruhm unter den 
Fürften; aud nahm er zu an Macht und Allem was bei Fürften 
und VBornehmen von den Sterblicyen gepriefen wird. 

4. Königswahl Als nun der Thron des Herren der 
Welt erledigt ward?) und es fih um die Wahl eined neuen 


1) Diesjeit, nämlih vom Standpunkte des Lützelburgers aus. — 2) Durch den Tod 
Dietrich III. von Naſſau + 1397 Nov. — 3) Balduin Erzbifhof von Trier, gewählt 
7. Dec. 1307, 7 21. Januar 1354. — 4) In Folge der Ermordung König Albrehts T. 
am 1. Mai 1308 durch feinen Neffen Herzog Johann (Parricida) von Schwaben und „ 
Defterreic. 





Königswahl. 63 


Herrſchers handelte, da traten die Fürſten, welchen nad den Ge— 
jegen des Reiches das Wahlrecht verliehen war!), zufammen. 
Unter ihnen faßte der Biſchof von Mainz, der zu dem Haufe 
Lügelburg in einem Treuverhältnis ftand 2), im Einverftändnts mit 
dem Trierer die Wahl Heinrichs ind Auge, Doch hielt er jo lange 
an fih, bis die übrigen Wähler, welche, wie er vorher wußte, 
unter jih uneind waren, ihre Pläne und Entwürfe an den Tag 
legen würden. Endlih, nahdem man faſt drei Tage lang ver: 
handelt hatte, viele Namen in Vorſchlag gebracht waren und die 
Gemüther ſich erhisten, ſodaß es zu Zwiſtigkeiten zu kommen drohte, 
ſchritt man zur Abſtimmung. Als man dann das Ergebnis der 
Wahl, welche der Gewohnheit gemäß eine geheime geweſen war, 
betrachtete, da zeigte es ſich daß Heinrich vier Stimmen auf ſich 
vereinigt hatte; nämlich außer den beiden Erzbiſchöfen von Trier 
und Mainz, die von vorne herein darauf ausgegangen waren, 
ſtimmten zwei andere für Heinrich aus Gehäſſigkeit gegen die 
übrigen Wähler, und nicht ſowohl deshalb weil ſie Heinrichs 
Wahl wünſchten, als weil fie den anderen Bewerbern abhold waren. 
"Mag e8 fih aber jo verhalten haben oder mögen wir bier ftatt 
menſchlicher Pläne das Walten der Gottheit erkennen wollen: genug, 
Heinrich wurde zum „Kaiſer der Römer und allezeit Mehrer des 
Reichs“ ausgerufen, indem nun auch die übrigen Wähler hinzu: 
traten ?). — Als ſich die Nachricht von feiner Wahl durch Deutfch- 


1) Dauernd geregelt wurde das Wahlrecht erft durch die f. g. Goldene Bulle Kaifer 
Karls IV. im Jahre 1356, — 2) Peter von Afpelt 1306—1320, vorher feit 1296 Biſchof 
bon Bafel. Welcher Art das Verhältnis zwifhen ihm und dem Litelburger, auf das 
Muffato bier anjpielt, war, wird don anderen zeitgenöſſiſchen Schriftitellern nicht be— 
‚richtet. Spätere erzählen, Peter ſei der Leibarzt Heinrichs geweſen, doch ift das ſchwer— 
lich richtig; völlig fagenhaft aber ift die Erzählung, Peter fei im Jahre 1306 von 
Heinrih nah Avignon gefandt worden, um fir Balduin das Erzbistum Mainz zu er- 
bitten, und habe damals den kranken Papſt geheilt, der ihm deshalb das Erzitift ſelbſt 
ertheilt Habe. Vgl. 5. Heidemann, Peter von Afpelt als Kirchenfürft und Staatsmann 
(Berlin 1875). — 3) Diefer Beriht Muffato’s iiber die Königswahl Heinrichs von 
Lützelburg ift nichtS weniger als zutreffend. Der Verlauf war in den Sauptziigen fol- 
gender: Zuerjt ſuchten Seinrih und Balduin nicht ohne Erfolg Kurköln zu gewinnen, 
welches allerdings im Anfang der Candidatur eines franzöfifchen Prinzen zuneigte; weiter 
wurde Kurmainz herangezogen, welches den Pfalzgrafen zu gewinnen fuchte, während 
Brandenburg und Sachſen ihre Stimmen von Kurföln abhängig gemncht hatten. Die 


1303 


— 


64 Erſtes Buch. 


Yen land verbreitete, erregte fie an manchen Orten große Berwunderung, 


und fand erft Glauben, als offene Schreiben und Erlaſſe aus— 
gingen, welche allen Provinzen das Gefchehene fündeten. Die Ver— 
wunderung aber war nicht unbegründet, denn jene höchfte Würde 
pflegte nur den heroorragendften der deutichen Fürften zu Theil zu 
werden !). Und munderbar ift e8 in der That, daß, je bejcheivener 
Heinrichs Anfänge waren, er um jo ſchneller feinen Flug zum 
Erhabenen nahm, wober ihm, menjchlih zu reden, Natur und 
Glück beiftanden, während wir Doch nicht leugnen wollen daß nad 
Gottes Winf und Willen in der Höhe Alles vor fic geht. 

5. Drdnung der deutſchen Angelegenheiten. Mit 
dem föniglichen Titel geſchmückt, ward Heinrich unter bereitwilliger 
Beipflihtung aller Fürften, unter dem Jubelgeſchrei des Volkes 
und dem freudigen Beifall der Prälaten zum kaiſerlichen Site 2) 
geführt. Gern beugten fich feiner Herrihaft die Völker diefjeit 
und jenjeit des Rheines, und alle deutjchen Männer eilten herbei 
zu ihm als dem fichtbaren Träger der kaiſerlichen Hoheit. 

6. Anläſſe des Zuges nad Italien. Sobald Heinrich 
die Angelegenheiten Deutjchlands und des fernen Nordens bis zum 
Weltmeer hin?) geordnet hatte, wandte er fein Augenmerk auf 
größere Dinge, Da gewichtige Gründe ihm jagten daß er im Stande 
ſei das Kaiſerthum, deſſen feit langen Zeiten die Welt entwöhnt 
war®), zu neuem Leben zu bringen. Da er aber erwog, daß er, 


Kurftinnme von Böhmen war beftritten und fam niet in Betradt. Unter diefen Um— 
ftänden hatten "einige anderweitige Abmachungen weltlicher Fürften feine Bedeutung, und 
zwar um fo weniger, da fie im Grunde felbit es den geiftlihen Wählern überließen den 
Ausſchlag zu geben, und jo wurde Heinrih von Ligelburg am 27. Nov. 1308 zu Frank— 


furt nad) Furzer Berathung einftimmig zum römischen König erwählt. Val. insbeſondere 


B. Thomas, Zur Königswahl des Grafen Heinrih von Luremburg im Fahre 1308 
(Straßburg 1875). — 1) Dies trifft für jene Zeit faum mehr zu, denn ſchon 1273 war 
Graf Rudolf von Habsburg, 1291 Graf Adolf von Naffau zum König erwählt worden. — 
2) Nach Nahen, dem alten Site Karls des Großen, wo am 6. Januar 1309 Heinrichs 
Krönung erfolgte. — 3) Dies ift lediglich Phrafe. Heinrich, deffen Blick fi) bald gen 
Süden wandte, hat in die Verhältniſſe Norddeutjchlands, gefchtweige denn der nod) nörd— 
Yiheren Länder, nirgends tiefer eingegriffen. — 4) Die letzte Kaiferfrönung vor Hein— 
rich VII, diejenige Friedrich II. des Staufers, erfolgte am 22. November 1220. Frieds 
rich II, jtarb am 13. Dec. 1250, nachdem ihn im Jahre 1245 Papft Innocenz IV. und 
das Eoncil zu Lyon für abgefegt erflärt hatten. - 


Anläffe des Zuges nad) Stalien. 65 


um dies auszuführen, in erfter Linie die beiden Kronen!) er= 1308 


langen müſſe, jo faßte er den Plan Italien aufzufuchen 2). Die 
meiften Gemeinden von Italien hatten, wie Heinrich wußte, viele 
Bürger in die Verbannung getrieben in Folge der Streitigkeiten 
unter den Angejeheneren und der Trennung in zwei Parteien, deren 
eine, die fi) auf die Kirche ftügte, ſich als die der Guelfen, die 
andere, welche ihren Halt beim Reiche juchte, als die der Ghibellinen 
bezeichnete ?). 

Einige — namentlih unter den lombardifchen Städten — 
hatten überdies Gewaltherricher bei ſich auffommen laſſen und lagen 
in Folge von Berbannungen oder ſchweren Bedrüdungen ſeit langer 
Zeit darnieder. Es ſchien Heinrich unter diefen Umftänden von 
vorne herein wahrſcheinlich, daß die Erbitterung hierüber die Ver— 
bannten ihm zuführen, und daß er die Bevölkerung insgefammt 
durch unabläffige Mahnung zum Frieden für die ihr lange ent= 
fremdete fatferliche Pracht und Hoheit gewinnen würde. Auch die 
umfihtigfte Erwägung aber ließ das, was des Könige mannhafter 
Sinn dergeftalt gleihfam vorausfühlte, als nicht unbegründet erfcheinen. 
Denn es famen nit nur aus Tuscien Optimaten von der ur- 
Iprünglichen ghibelliniſchen Partei, fondern auch aus der gefpaltenen 
Schaar der Guelfen mande, die, weil fie ven Namen Ghibellinen 
nicht annehmen mochten, fi) als Weiße *) bezeichneten, zu gleichen 
Zwecke über die Alpen, um nämlich den König durch Gefchenfe 
und Hilfsverfprechen zur Heerfahrt nach Italien zu bemegen 5). 
Man glaubt jogar, daR auch Albuinus und Canis ®), die Herricher 
von Verona, fi hierzu herbeigelaffen haben, wodurch fpäter ihre 
Unterthanen in Folge der ſchweren DVerlufte des Staates und der 
Erprefiung großer Geldſummen zu leiden hatten. Durch die Be- 


1) Die ſ. g. eiferne Krone der Lombarden und die Kaiferfrone zu Rom. — 2) f. u. 
Ceite 68 Anm. 1. — 3) Das nähere hieriiber f. in der Einleitung. — 4) Biandji, im 
Gegenjag zu den Neri oder Schwarzen; vgl. die Einleitung. — 5) Außer Tebaldo de’ 
Brusciati von Brescia, der perfünlich erſchien, werden namentlih Boten der Mailän- 
diihen Parteihäupter della Torre und Visconte erwähnt, die den König in Speier ge= 
troffen haben follen. — 6) aus dem Haufe della Scala; des letzteren eigentliher Name 
war Francesco, ſ. die Einleitung. 

Geihichtichreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 5 


—1310 


1308 
—1310 


1309 
26. Juli 


66 Erſtes Bud). 


richte dieſer Männer in feinem Vorſatz beſtärkt, beichloß Heinrich 
hochſinnig, Papſt Clemens!) und die Carbinäle, welche, wie ihm 
nicht unbekannt war, mit König Philipp ?) von Frankreich, der auf 
Verbrennung der Gebeine des verftorbenen, der Ketzerei ange: 
ihuldigten Papſtes Bonifacius ?) drang, im Streit lagen, zur 
Meberfievelung nad Italien aufzufordern, damit er den Schmud 
der Kaiſerkrone und die Gunft der triumphivenden Kirche für alle 
jeine Unternehmungen erlange. In der That erlangten feine 
Gefandten offene Briefe, in welchen die Erwählung Heinrichs von 
der Kirche gebilligt und er durch den heiligen Segensſpruch der— 
jelben beglüdt, zugleich audy ein beſtimmter Tag *) für die Kaiſer— 
frönung feierlich feftgefegt wurde, zu deren Vornahme der Papit 
felbft zu Nom in der päpftlichen Aefidenz zu erjcheinen verſprach 9). 

7. Anfündigung der Heerfahrt. AS dieſe Ans 
gelegenheiten geordnet waren und des Königs Erftgeborener mit 
Böhmen, welches damals an das Reich zurüdgefallen war 6), unter 
Dermerfung Herzog Heinrih8 von Kärnthen, der den Thron in 
Anfprud nahm, belehnt und dort gefrönt, die Ordnung in Böhmen 
aber durch das energiiche Auftreten des Königs hergeftellt worden 


1) Clemens V. 1305—1314, welcher 1309 feinen bleibenden Sit in Aoignon nahm 
und fomit die f. g. Babyloniſche Gefangenfhaft der Kirche herbeiführte, die jhließlich 
in ein mehr als dreifigjähriges Schisma auslief. — 2) Philipp IV. der Schöne 
1280—1314. — 3) Bonifacius VII. 1294—1303. Es handelte fi) in dem von Muffato 
erwähnten Streit der Curie mit Frankreich nicht ſowohl um Verbrennung der Gebeine 
des Bonifaz, als um die Kaffierung feiner Frankreich feindlichen Verfügungen und 
Erlaſſe. — 4) 2. Februar 1312. — 5) Am 2. Juni 1309 orönete der König eine Ge: 
ſandtſchaft an die Curie ab, welche um die Beftätigung der Wahl und die Verleihung 
der Kaiſerkrone nachſuchen follte; die Antwort des Papftes erfolgte am 26. Juli. Ueber 
die Beziehungen des Königs zur Curie vgl. insbefondere R. Pöhlmann, der Römerzug 
Kaiſer Heinrichs VII. und die Politif der Curie, des Haufes Anjou und der Welfenliga 
(Nürnberg 1875). — 6) Als mit dem Tode König WenzelS III. von Böhmen am 4. Aug. 
1306 der Mannsftamm der Praemisliden erlofh, gelang es König Albrecht I. wider 
Herzog Heinrih von Kärnthen, den Gemahl der Anna, älteren Tochter Wenzelö IL, 
Böhmen für feinen Sohn Rudolf zu gewinnen, der aber jhon am 4. Juli 1307 ftarb, 
worauf des Kärnthners Einfluß überwog, bis ſich eine diefem feindliche Partei an den 
neuen König, unferen Heinrich wandte, der zuerſt feinem Bruder Walram die Krone zu= 
zumenden gedachte, auf Wunfch der Böhmen aber ihnen feinen Sohn Johann zum König 
gab (25. Juli 1310) und denfelben mit EClifabeth, der jüngeren Schweiter des letten 
Przemisliden vermählte. Seitdem blieb Böhmen der Mittelpunkt der Lütelburgifchen 
Hausmacht bis zum Erlöſchen des Haujes 1437. 





Ankündigung der Heerfahrt. 67 


war, ließ Heinrich, um ſich die Liebe der Bevölkerung zu gewinnen 1310 
Boten mit Majeftätsbriefen ausgehen, welche feine fegensreihe An- Mai 10. 
funft vorausverfündigten, verſprachen daß er der Welt Frieden 
bringen, Recht und Freiheit überall wo fie abhanden gefommen wieder 
berftellen, wo aber Friede herrfche, feine Gunft ſpenden werde, und 
die Getreuen durch Föniglihe Verſprechungen ermuthigten und er- 
freuten. Er jelbft ſuchte inzwiſchen Bündniffe mit den deutjchen 
Fürſten abzujchliegen und fi) auch ſonſt durch Verſprechungen und 
durch Alles, was die Menſchen anzulocken vermag, Freunde zu er— 
werben. Auch auf Ameus, den Grafen von Savoyen !), welcher 
die andere Tochter des Herzogs von Brabant zur Gattin hatte 2), 
jegte er feine Hoffnung; Ameus feinerfeitS aber mar mit dem 
Bruder des Delphin von Vienne, feinem Schmwiegerjohn, eng ver- 
bündet ?). Auch mit Guido, dem Bruder des Grafen von Flandern, 
traf der König ein freundichaftliches Abkommen *). Diefe alle ſahen 
die Ankunft des römiſchen Königs gern, da ihnen König Philipp 
von Frankreich verhaßt war). AS den Ort, von welchem aus 
die Ueberfchreitung der Alpen zur feftgefetsten Zeit vor fich gehen 
jollte, beftimmte Heinrich Yaufanna ©), welches nahe an dem Abfall 
des Gebirged zur großen Lombardifchen Ebene liegt, und verfündete 
daß er von Dort die Heerfahrt antreten werde. Aufs neue fandte 
er dann von jeiner Seite wadere Männer, Geiftlihe und Weltliche, 
an alle und jeve Getreuen des Reichs in Italien und ließ ihnen 
den Tag, an welchem er von den Bergen herabfteigen werde, finden, 
1) Amadeus V. Graf dv. Savoyen 1279—1323. — 2) Maria, Tochter Herz. Johanns I. 
von Brabant. — 3) Hugo, Bruder des Delphin Johanns II. von Vienne, hatte Maria 
Tochter Amadeus’ V. zur Gemahlin. Eben diefer Hugo jomwie fein Bruder der Delphin 
Guido Herr von Montauban begleiteten den König auf dem Romzuge. — 4) Guido Robert 
und Heinrich von Flandern nahmen an der Heerfahrt nad) Stalien Theil; ihre Vermandtichaft 
mit dem Haufe Lütelburg erläutert die Stammtafel, 1 Beilage. — 5) Der um ſich greifen 
den Macht König Philipps ‚gegenüber fonnten dieje Herren, meift jüngere Söhne ihrer 
Häufer, nit darauf rechnen in der Heimath zu Einfluß und Macht zu kommen; um jo 
willfommener war ihnen die Heerfahrt des Lügelburgers, die ihrem Ehrgeiz neue Bahnen 
öffnete. König Heinrich hatte übrigens ſich vor Philipp durch ein mit ihm zu Paris ab— 
geichloffenes Freundſchaftsbündnis (26. Juni 1309) zu fihern geſucht. — 6) Der Ueber= 
gang im Weiten (über den Mont Cenis) wurde vermuthlich des Rückhaltes wegen, den 
Graf Amadeus bieten konnte, den bequemeren öftlichen Päffen, die in Folge der Feind— 


ihaft mit Herzog Heinrich von Kärnthen geringere Sicherheit boten, vorgezogen. 
5* 


1310 


68 Erftes Bud). 


damit fie herbeieilten um die Macht des Herrichers zu verjtärfen 
und feinen heilfamen Geboten zu gehorchen, wie es die königliche 
Majeftät verlangte. 

3. Verhandlung mit den deutjhen Fürften. Nach— 
dem Heinrich aljo Alles, jo weit e8 möglich war, geordnet und vor- 
bereitet hatte, berief er, wie erzählt wird, die Fürften des Reiches 
zu fid) und ſprach auf Rath feiner Gemahlın Margaretha folgender: 
maßen !); Hätte Gott, von dem alle menſchlichen Handlungen 
ausgehen, gewollt daß ihm das gemeine Geſchick, fein Leben ale 
Privatmann zu verbringen, zugefallen jet, jo würde er das Privat- 
{eben haben auf fi) nehmen müſſen. Da Gott jedody verfügt 
habe daß er der Oberherr Aller werde, jo fünne man über die 
Ziele, melde die Vorfehung mit ihm verfolge, nicht im Unklaren 
fein. Ex aber werde ſich dein von Gott Verhängten nicht, dem ge— 
fnechteten Viehe ?) gleich, welches ſich Durch feine eigene Trägheit aufs 
veibt, entziehen jondern was ihm der Höcfte aufgetragen erfüllen. 
Er ermahne daher die Gefährten, dem Unternehmen, welches ihnen 
den Beſitz der weiten Welt verheiße und ſchon jest in feinen An— 
fängen glücklich und der beften Ausfichten voll erſcheine, ſich nicht 
zu entziehen, ſondern unter Gottes Schug mit ihm zu gehen und 
die ihnen entgegengebrachte Herrihaft der Welt in Empfang zu 
nehmen. Sie möchten die verwaiften curuliſchen Sefjel einnehmen 
und die Statthalterfchaften und höchſten Machtpoften des römiſchen 
Senates und Volkes, die ihnen winkten, nicht abweiſen, jondern ihm 


1) Diefer Bericht unferes Autors ift zum mindeften ungenau. Nach jeiner Krönung 
in Aachen (6. Jan. 1309) durchzog Heinrich die Aheingegenden, Schwaben und Franken; 
feinen erften Reichs- oder Hoftag hielt er im Auguft und September in Speier, wo er 
fi) mit den Habsburgern auseinanderjegte, Eberhard von Würtemberg in die Acht that, 
vor Alfem aber die Romfahrt fir den nächften Herbft verfiindete, nahdem er furz zuvor 
das feinen Wünfchen entgegenfommende Schreiben des Papftes vom 26. Juli 1309 
(. 0. ©. 67, 5) erhalten hatte. Einen zweiten Reichstag hielt Heinrich im Auguft 1310 
zu Frankfurt, wo ein Landfriedensgejet erlaffen und der zum König von Böhmen deſig⸗ 
nierte Prinz Johann zum Reichsvikar erhoben wurde. Im September begab fi der 
König in das Elſaß, wo fih die Reichshülfe allerdings jehr unvollſtändig verfammelte, 
und nahm dann feinen Weg füdlih; am 11. Oftober war er in Laufanne, am 12. in 
Genf, am 3. fand der Alpenübergang ftatt und am 24. ftieg das Heer nad) Sufa hin 
ab. — 2) „servam pecus“ nad) Horaz, Epifteln I 19 3. 19. 





Alpenübergang und Einmarſch in Stalien. 69 


folgen, der als ihr Nitter und Führer, jeglichen Geſchickes gewärtig, 
ihnen vorangehe! — Als der König geendet, durchtönte murmelndes 
Stimmengewirr die Halle. Zwieſpältig ftanden die Edlen, das 
gemeine Volt lärmte und jchalt durch einander. Endlich traten 
aus der Neihe der Fürften einige vor, die im Einverftändnis mit 
ver Mehrzahl dem König vorftellten: Allzu fchnell Kaffe er fi 
auf jo weit ausjehende Unternehmungen ein, nad) denen der Sinn 
der Deutichen nicht ftehe; überdies ſei man nicht gerüftet, auf 
eine Angelegenheit von jo großer Tragweite fofort einzugehen ; der 
König möge daher erft den Winter vorüber lafjen; wenn um ven 
März der Schnee jehmelze, wenn das Vieh ſich auf den weiten 
Feldern tummele und das junge Korn dem Heere Nahrung gewähre, 
dann möge man aufbrechen; dann erft werde der König furchtbar 
und mächtig erfcheinen. — Hierdurch wenig erfreut umarmte Heinrich 
die Königin und ſprach: fie wenigſtens werde ihn nicht verlafien, 
jondern feine Begleiterin im Glück und Unglüd fein. „Hebet die 
Adler empor!” befahl er, „auf nad) Italien! Möge das Glück mit 
ung fein und Gott und die Natur für uns ftreiten!” Zugleich ließ 
er Waffen, Pferde, Gepäd, Geſchütz, Fuhrwerk und Alles, mas 
für Die Heerfahrt erforberlich war, herbeiſchaffen. 

9. Alpenübergang und Einmarſch in Italien. 
Ohne Säumen feste ſich der König in Bewegung und gelangte 
mit etwa dreihundert Nittern und einer entſprechenden Zahl von 
Fußvolf über die Alpen, wo man ſich durch den Schnee einen Weg 
bahnen mußte, nah Taurinum, deſſen Bürger die Thore 
öffneten und den König freudig aufnahmen. Diejer Jette einen 
Statthalter ein und gab den Bürgern eine neue Verfafjung. Aus 
verjchiedenen Theilen Tusciens und der Lombardei eilten Boten 
herbei, jobald der Auf erſcholl der Römiſche König nahe. Der 
Cardinal Pellagrun !), Legat des heiligen Stuhles in der Provinz 
Bologna, der ſoeben die Venetianer befiegt und Ferrara der Kirche 
unterworfen, hatte den Auftrag dem König entgegenzugehen und 


1) Arnald von Pellagrua, ein Nepote des Papftes Clemens V., Cardinaldiacon von 
©. Maria in Porticı. 


1310 


1319 


70 Erites Bud). 


das Heer überall mit Proviant zu verjorgen. Während nun der 
König erwartete dag jener den offenen Briefen des Papftes gemäß 
diefem Auftrag nachkommen werde, ſchlug der Kardinal einen 
anderen Weg ein und begab ſich nad Aoignon!). Der Papft 
feste an feine Stelle mit gleihem Auftrag einen anderen, der ſich 
zwar aufmachte, unterwegs aber ftarb2). Inzwiſchen begab ſich 
der König, nachdem er die Angelegenheiten von Taurinum ge— 
ordnet hatte, nad) der benachbarten Stadt Aftı, welche ihn friedlich 
und unterwürfig empfing. Er fühnte die VBornehmen der Stadt 
mit einander aus, fegte ihnen einen neuen Rath und ordnete Alles 
nad feinem Ermeſſen, [hlieplih ernannte er Nicolaus de Bonfig- 
noribus zu feinem Statthalter und rüſtete denſelben mit voller 
föniglicher Gewalt aus a; 


1) Jedoch erfhien Arnald, ehe er an die Curie zurücdffehrte, bei König Heinrich in 
Afti (Nov. 1310). — 2) Thomas Cardinalpresbyter vom Titel der h. Sabina. Sein 
Nachfolger ward der fpäter au von Muffato erwähnte Cardiual Lucas de’ Fieschi, 
ſ. unten Buch 4 Kap. 1. — 3) Die Ereigniffe in Afti werden in der gleichzeitigen 
Aftenfer Chronif des Gulielmus Ventura (Muratori Scriptt. rer. Ital. XI, 139 sqgq.) 
ausführlich befchrieben. Wir fiigen den Bericht der Chronik hier an (l. c. 229—231): 
„König Heinrich ſchickte feine Boten dur das ganze Reih aus, damit man überall 
freudig feiner Ankunft harre und feinem Anderen gehorche. Dies gefhah namentlich im 
Hinblick darauf, daß Robert der Sohn meiland König Karls Cuneum Alba und andere 
Orte von Piemont eingenommen hatte und auch nad) Ati gefommen war um die Aſte— 
fanen fi zu unterwetfen, was ihm jedoch fehlſchlug. Das war im Auguft 1310 geſchehen, 
zu der Zeit da König Robert in Mlerandria vermweilte und diefe Stadt unterwarf. 
Gulielmus de Jnvitiatis aber, welcher damals Kapitän von Alerandria war, fowie die 
Sippe der Lanzavetuli, welche ſich dem König nicht fügen wollten, verließen Mlerandria, 
eroberten eine Reihe von Landftädten und eröffneten einen ununterbrodhenen Kampf gegen 
die Hauptitadt. — Endlih, im September (vielmehr: October) des Jahres 1310 ftieg 
König Heinrid mit einer Schaar von dreitaufend Reifigen, begleitet von dem Bifchof 
von Lüttich, dem Erzbifhof von Trier, Graf Amadeus von Savoyen, deſſen Neffen 
Philipp, dem Herzog von Brabant (?), dem Delfin Guido und Veraldus feinem (Hein- 
richs) Bruder nad) Secufia (Sufa) hinab. Hier warteten feiner Gefandte der Römer, 
Graf Philippus de Langusco, Maffeus Biscontus, welcher damals aus Mailand verbannt 
war, die Pifaner mit bewaffneten Reifigen und zwölf Gefandte aus den erften Männern 
bon Aft. Alle waren der frohen Hoffnung vol, daß die Lombardei durch den erwähnten 
Heinrich den Frieden erhalten würde. Diefer eilte dann nah Taurinum, wo die von 
Spporegia (Ivrea) als erfte von Allen ihm den Treueid leiſteten; fodann beriihrte er 
Cherium (Chieri), deffen Einwohner dem Beispiel derer von Ipporegia folgten. Hierauf 
erihhien der König am 11. November 1310 in Aft. Mit ihm zogen zum großen Mis- 
fallen der Solarii und der übrigen Guelfen diefer Stadt die Eaftelli und andere Ghi- 
bellinen ein, welche viele Fahre Yang die Stadt hatten meiden müffen. Heinrich berief 
dann den Rath der Stadt in die Halle des Domes und erfchien felbft in der Verſamm— 





Lombardiſche Parteihäupter erfcheinen am Hoflager des Könige. 71 


10. Lombardiſche Barteihäupter erjheinen am 1310 


Hoflager des Königs. MS nun immer lauter der Ruf er- 
{hol und fi vom oberen!) und unteren?) Meer bis zu den 
Bergen des Nordens verbreitete, deutſche Fürften und Bölfer ſeien 
im Gefolge des Königs über die Alpen gezogen, traten überall 
verjchiedenartige Beftrebungen hervor, und verjchteden war die Auf- 
nahme welche die neue Zeitung fand. Denn furchtbar erſchien fie 
denen, welche die Herrichaft inne hatten, ſowie denjenigen welche 
ſich geordneter Zuftände erfreuten, namentlid) auch ſolchen die ihre 
Gegner in die Verbannung getrieben hatten, hoch willkommen da= 


Yung, um die Verfügung zu thun daß man ihm die Huldigung leifte, zu der die Aitenfer 
von je her den römischen Kaifern verpflichtet waren, worauf die Symdici Philippus de 
Bialo und Benediftus de Pelleta den Eid ablegten, während Andreas Garrettus, welcher 
mit dem König auf dem Söller ftand, in deifen Namen den Schwur entgegennahm, Hein— 
rich ſelbſt aber eine Anfpradhe hielt, den Aitefanen ihre Privilegien beftätigte und, zugleich 
Erweiterung derfelben verhieß, wenn es nothmwendig fein follte und falls fie felbft ein rühm= 
liches Benehmen beobachten würden. Dies geihah auf dem Domplage in Anmwefenheit 
der ganzen Bevölferung und der bewaffneten Ritter des Königs. Am nächſten Tage 
jedoch war diefer hiermit nicht zufrieden; er ließ das ganze Volk zur Verfammlung auf 
den Heiligenmarft berufen, wo zugleich feine ganze Ritterfchaar zu Roß und in voller 
Rüftung erfhien. Der König ftand auf dem Söller des Haufes der Comentina. In 
feinem Namen erflärte nun Nicolaus de Silebanis aus Siena (Niccolo de’ Salimbeni 
de’ Buonfignori), die einfache oberherrliche Gewalt (baylia), wie fie dem König übertragen 
worden fei, genüge demfelben nicht. ALS dies der Käfehändler Gulielmus de Bayro ver— 
nahm, ftieg er auf einen Tiſch, ſchwang feine Mütze und rief mit erhobenen Händen und 
lauter Stimme: „Ich beantrage, o Herr, daß dir die unbeſchränkte Gewalt (generalis 
baylia) det Stadt und des Gebietes von Aſt übertragen werde.” Sofort rief Nicolaus 
vom Sölfer herab: „„Wer den Worten des Gulielmus beiftiinmt, bleibe ftehen; mer 
dagegen ift, ſetze fih auf die Erde nieder!" Ein entjeglicher Lärm entftand; einige 
ſchrieen: ja, ja! der größere Theil aber rief: nein, nein! Heinrich jedoch Yieß den Antrag 
des Gulielmus de Vayro zu Protofoll nehmen und in aller Form niederjesen, ernannte 
Nicolaus de Bonfignorio zu feinem Bifar, änderte die Verfaffung der Stadt und Tief 
die Burg von Afti, in die er fremdes Kriegsvolk legte, auf Koften der Bürger befeftigen; 
überdies legte er den Guelfen ſchwere Laften und unerſchwinglich hohe Lieferungen auf, 
und zwar dies Alles zur Strafe, weil fie König Robert den Treueid geleiftet hätten. ALS 
die Aftefanen hierüber murrten, erließ er ferner die Verordnung, es folten ſich nicht 
mehr al3 drei Männer zufammenrotten dürfen. Das allgemeine Geriiht aber ging, daß 
dies auf Rath des Philipp von Savoyen gefchehen jei, um das Geſchlecht der Solarii 
und deffen Anhang, die König Robert in Aft eingelaffen hatten, zu demüthigen. Sch 
füge Hinzu, daß gerade Graf Amadeus von Savoyen und Fürft Philipp jenen Heinrich 
veranlaßten nad) Lombardien zu fommen, worüber König Philipp von Franfreich jehr 
zornig wurde. Später ſah ic), Gulielmus Ventura, wie aus diefer Beranlaffung das 
Schloß Savoyen von dem franzöfifchen König in Trümmer gelegt wurde.“. (Ueber diefe 
Ehronif vgl. D. König Krit. Erdrterungen zu einigen ital. Ouellen f. d. &. des Römer— 
zuges K. Heinrichs VII. ©. 38 ff.). 
1) d. i. das Adriatiſche Meer. — 2) d. i. das Tyrrheniſche Meer. 


1310 


72 Erſtes Bud. 


gegen den Berbannten und denjenigen, welche Yange ſchon unter 
ſchwerer Gewaltherrihaft Schmachteten und auf Ummälzungen hofften, 
die leicht ihren Leiden ein Ende bereiten konnten. So machten fich 
überall unruhige Bewegungen, Tumulte und Unregelmäßigfeiten 
bemerkbar: bier wagten diejenigen welche die Furcht feit Yange 
fumm gemacht hatte, die Stimme wieder zu erheben, dort waren 
die augenblidlihen Machthaber geſchäftig fich den König auf jede 
Weile zum Freunde zu machen, um ſich fo in der Macht zu er- 
halten. Bon diefen Yegteren nun erjchtenen aus der Zahl der 
Lombardiſchen Edlen Graf PBhilipponus von PBavia!), Simon de 
Colubiano ?) Herr von Vercellä und Antonius de Fifiraga Herr 
von Lodi in gleichen Wünfchen und Abfichten nebft einem Gefolge 
auserlefener Bürger am föniglichen Hoflager, wo man fie Leutjelig 
aufnahm und zum Kath des Königs Hinzuzog. Nachdem fie dort 
längere Zeit verweilt hatten um ihre verſchiedenen Angelegenheiten 
zu betreiben, wandten fie ſich fchließlih nochmals an den König, 
verfuchten ihm den gegenwärtigen Zuftand ihrer Städte als für 
die Einwohner erſprießlich dDarzuftellen und veriprachen, darauf be- 
dacht den Sinn des Königs ihren Intereffen geneigt zu machen, 
ihn mit ihren eigenen Mannfchaften zu geleiten und ihm zur Ge— 
winnung der ganzen übrigen Lombardei mit ihrer gefammten Macht 
behilflich zu fein. Heinrich antwortete ihnen königlichen Sinnes: 
Sie möchten gutes Muthes fein, er bringe der Bevölkerung und 
ihnen jelbft den Frieden und werde die VBerbannten der Nachbar- 
ihaft mit ihnen ausföhnen, er wolle ihnen Gnaden und Wohl: 
thaten ermweilen und ihnen als den erften, die fi) ihm mohlgefinnt 
und ergeben bewiejen, zu Gefallen fein; doch müßten fie ihre Herr- 
Ihaften ihm, als dem Könige, unterftellen und dem Manfred de 
Deccarıa ?) und den übrigen, welche um Frieden nachſuchten, den— 
jelben nicht weigern. Jene, fei e8 in der Hoffnung den König 
für fi) zu gewinnen, ſei e8 aus Furcht vor ihren Mitbürgern in 


1) Aus dem Gejchleht Langusco. — 2) Aus dem Gefchleht der Apvocati. — 3) Ein 
vertriebener Paveſe, Haupt der Ghibellinen und Gegner des guelfiihen Langusco. Man 
fred hatte fich ebenfall$ bei dem König eingefunden. 








Lombardiiche Parteihäupter ericheinen am Hoflager des Königs. 73 


der Heimath, die fie in heftiger Erregung und großer Begeifterung 
für die Katferherrlichfeit zurüdgelafien hatten, ftimmten ihm zu und 
fügten fich, lieferten ihre Schlüffel aus und legten ihre Beſitzungen 
in Wort und That dem König zu Füßen, der fie, um fie aufzu- 
richten, bejchenfte; dem Philipponus gab er die Feſte Salvazium !), 
welche an das Reich zurüdgefallen war, mit allen Hoheitsrechten 
zu Lehen und erneuerte ihm gleichzeitig Die alte Grafichaft feines 
Geſchlechtes ?); den übrigen aber beftätigte er die Privilegien feiner 
Vorgänger und Alles was fie jonft rechtmäßig erworben hatten, 
bejchenfte fie in gütigfter und freigiebigfter Weile und ftellte ihnen, 
falls ihr Verhalten fie deſſen würdig erweife, Größeres in Aus- 
ſicht, ſobald ſich die Gelegenheit bieten werde. — Auch erſchienen 
feierliche Geſandtſchaften der Herrſcher von Verona, Albuinus und 
Canis della Scala, welche, wie die Geſandten behaupteten, Adler 
und Schild des Kaiſerthums getragen und demfelben offenkundig 
mit Einfegung ihres Lebens gedient hätten, ja deren Vorfahren 
jogar dafür in den Tod gegangen jeien, ohne daß deshalb die 
Meberlebenden läffiger geworden wären; ihre Macht und Herrihaft 
aber, welche ja nicht ihnen fondern dem Reich, deſſen Verwalter 
fie jeien, gehörten, feten nicht im Abnehmen, ſondern wüchſen immer 
mächtiger an. Zugleich bieten fie die Stadt Verona dem König 
zum Wohnfig dar. Mit freundlicher Miene belobte fie der König 
anverhohlen, nahm Alles und Jedes, was fie vorbraditen, beifällig 
auf nnd erklärte fie alle des Danfes würdig, melden der 
königlichen Freigtebigfeit zu jpenden gezieme; er werde, verhieß er, 
feinen Marſch fortfegen und in nächſter Zeit in Verona erfcheinen, 
mer Gerechtes erbitte, thue bet ihm feine Fehlbitte. Auch Geſandte 
der Piſaner langten an, beritten in Feſtgewänder gekleidet, mit glänzen= 
dem reichbewaffnetem Gefolge, wie e8 fich für die geziemt die vor 
das Auge des Königs treten. Ihnen wurde ald Beweis befonveren 
Zutraueng die beftändige Bewachung der Perſon des Königs über- 


1) Unten vollftändiger Caſale Salvazium genannt; heute Caſale di S. Evaſio. — 
2) D, i. die Graffhaft Lomello. 


1310 


1310 


24 Erftes Bud). 


laſſen und der erfte Rang?) unter den italijchen Contingenten zu— 
gemiejen. Sie braditen dem König aus dem Staatsihag von Piſa 
jechzig tauſend Dufaten dar und gelobten bei feinem glüdverheißen- 
den Einzug in ihre Stadt die gleiche Summe zu fchenfen. Aus 
dem Adel Tusciend famen namentlich ſolche deren Eifer für die 
Sache des Reichs ihnen von alterd her einen Namen gemacht 
hatte, nämlich aus dem florentiniichen Geſchlecht der UÜberti ?) eine 
große Anzahl und aus andern der tapferften und Friegsfundigften 
Familien Etruriend. Während die königliche Hofhaltung durch 
franzöfifche, deutſche und italiſche Schaaren anſchwoll und jchon 
unter ihrer Größe zu leiden hatte, hielt Guido della Turre, das 
Haupt der Mailänder, ein Mann von hervorragenden Eigenjchaften, 
jeine Bürger im Gebiete von Mailand beifammen, bewaffnete fie 
und ließ fie die Schugmehren der Stadt und der abhängigen Orte 
behüten. Ein hochſtrebender Mann, aber hart und unbeugfam, 
io lange er die Macht hatte fi) zu wehren oder Rache zu üben! 
Seinen Abfichten arbeitete Maphäus Bicecomed an der Spige der 
einflußreihen Männer der Gegenpartei, welche den König einzu= 
laſſen wünfchten, emfig entgegen, ebenjo jein eigener Neffe der Erz— 
biihof von Mailand ?), deſſen Brüder‘) Guido, da er fie als 
Nebenbuhler fürchtete, in den Kerfer geworfen hatte. Auch ftand 
ihm der Haß vieler Einheimiſchen, welche es indgeheim mit 
Maphäus hielten, entgegen, und nicht minder die Unbeftändigfeit 
des Bolfes, welches Hin und her Ichwanft: und Veränderungen 
immer gerne fieht. Im diefer unentjchiedenen Lage verharrte man. 
faſt dreißig Tage): beide Theile Hatten ein Heer aufgebradt ;. 
der König hoffte, daß in Mailand felbft Unruhen entftehen und 
io Guido's Herrihaft ohne offenen Kampf in fich jelbft zuſammen— 
ftürgen würde; Guido dagegen erwartete muthig die Hilfötruppen 


1) Wörtlih: confularifher Rang. Muffato Yiebt Ausdrüde zu wählen, welche an 
die Einrichtungen des alten Römerthums erinnern, vgl. oben ©. 68 curulifche Seffel ꝛc. — 
2) Die alten Häupter der toSfanifhen Ghibellinen. — 3) Caſſone della Torre — 
4) Pagano Advardo nnd Moschino. — 5) Am 10. Nov. erſchien der König in Afti und 
faßte dort die Mailändifchen Verhältniffe näher ins Auge; am 12. December brad) er 
dann gegen Mailand auf.) 


Uebergabe von Mailand. 75 


Lombardiſcher und Tusciſcher Städte, ja er verftieg ſich zu 1810 
der Hoffnung daß das Heer des Königs auf die Dauer nicht zus 
jammenbleiben werde. Keines von beiden Berechnung war ohne 
Grund; die Sade ftand ſonder Zweifel auf der Spite und e8 war 
noch durchaus unentſchieden wen fi) das Glück zumenden würde. 
Endlich, als der König den günſtigen Augenblick gekommen glaubte, 
marſchierte er, von dem erwähnten Erzbiſchof, von Maphäus 
und den übrigen, welche zu der Gegenpartei im Innern 
der Stadt Beziehungen unterhielten, gedrängt, mit Zurücklaſſung 
einer Beſatzung in Aſti und in Begleitung von ſiebenzig Männern 
aus den Vornehmen dieſer Stadt nach Caſale Salvazium, wo er 
einige Tage Raſt machte, um durch Boten Guido auffordern zu laſſen, 
den königlichen Befehlen nachzukommen. Als dieſer aus Bejorgnis 
vor dem leicht erregbaren Volke zwar ſchwankte, ſchließlich aber doch 
nicht gehorchte, jondern Ausflüchte ſuchte um die Sache in die 
Länge zu ziehen, ging der König aufgebracht nach DVercellä, in der 
Erwartung daß feine Annäherung Guido in Schreden jegen, 
deſſen Feinden im Innern aber Muth machen werde. Während 
dann die Hoffnung Mailand zu gewinnen jeine Schritte bejchleu- 
nigte, ließ er Novara Hinter fich, machte, während er ſich das An- 
jehen gab auf Pavia marfchiren zu wollen, eine Schwenfung und 
eilte wider Guido's Bermuthungen gegen Mailand heran. Da 
endlich ſandte Guido, durch die unerwartete Bewegung im höchften 
Grade erfchredt, Boten zum König um feinen Gehorfam zu melden, 
fam jelbft, nachdem er das Heer und die Wachen entlafien, dem 
König unbemwaffnet entgegen und überlieferte ſich und das ganze 
Machtgebiet ver Stadt in Heinrich Hände. 23. Dec. 
11. Uebergabe von Mailand Die Uebergabe von 
Mailand vergrößerte Heinrich des römischen Königs Auf in ganz 
Stalten umfjomehr, als man die Stadt als das zweite Rom be— 
trachtete und er mit ihr halb Italien zu beherrichen ſchien. Neuer, 
erhöhter Schreden ergriff diejenigen welche dem Kaiſerthum feind- 
lich waren; die Hoffnungen der Willfährigen und Ergebenen aber 
hoben ſich. Auf der einen Seite herrichte verſteckt lautloſe Trauer, 





1310 


76 Erſtes Bud). 


auf der anderen trat die Freude offen und ungefährdet an den Tag, 
und — wunderbar zu jagen — faft alle Gemeinden der Lombardei 
von den Alpen an, hier bi8 Verona, dort bi8 Mutina bin, leifteten 
dem König metteifernd den Eid der Treue. Heinrich ordnete die 
Verfaſſungen und feste Statthalter mit Macht über Leben und 
Tod. Nur Meffandria!) machte eine Ausnahme. Hier nämlich 
Yag eine Beſatzung König Roberts von Apulien 2). Ihr wid) 
Heinrich Freiwillig, vielleicht weil fie nicht ohne fein Wifjen dorthin 
gelegt war; denn nicht alle Pläne der Könige werden den Völkern 
fund 3). Die Paduaner und PVicentiner, melde durch die Grau- 
ſamkeit Kaiſer Friedrichs und unter dem Schredensregiment des 
Ecerinus de Romano ſeines Statthalters *) beinahe ausgerottet, 
dann aber, durch andauernde friedliche Zuftände begünftigt, wieder 
emporgefommen waren, zeigten zwar feine Anmaßung oder Gering- 
Ihätung, aber auch feine Unterwürfigkeit gegen den König; doch 
war zu hoffen, daß das Beiſpiel der Anhänger deſſelben und feine 
großen Erfolge fie veranlafien würden heilſame Entſchlüſſe zu 
falfen. Anders die Bolognejen d). Diefe umgaben ihre Stadt 
mit neuen Mauern und gingen mit Erlafjen und Gefeten gegen 
den König und deſſen Anhänger vor, indem fie für jeden, der ſich 
als kaiſerlich gefinnt bezeichne, Die Todesftrafe feftjetten. 

12. Krönung in Mailand. Durch jeine Erfolge ge 
hoben, bejchlog König Heinrich ſich in Mailand nach heiligem altem 


1) Diefe Stadt wurde von dem Lombardenbund 1168 al3 Schutzwehr gegen Kaiſer 
Triedrich I. gegriindet; fie erhielt ihren Namen von Papft Merander III., dem Haupt— 
gegner Friedrihs. — 2) Robert König von Neapel 1309—1343 aus dem Haufe Anjou, 
Enfel des berüchtigten Karls I. von Anjou. — 3) Die Befegung von Aleffandria (jowie 
einiger anderen Drte der Lombardei) durch Robert war durchaus nit im Einverftändnis 
mit Heinrich geichehen, dem ſchon zu Afti der Kardinal Pellagrua verfprehen mußte, 
daß er Robert zur Herausgabe jener Orte auffordern werde; als dies nicht geſchah, 
brachte Heinrich die Angelegenheit an den Papſt. — 4) Ezzelino IV. aus dem Haufe 
Romano, Parteigänger Friedrichs IL, unterwarf feiner Herrihaft Padua, Vicenza, Verona 
und andere benachbarte Städte; 1256 fiel Padua ab, Ezzelino aber ftarb 1259 in mai= 
Yändifher Gefangenfhaft. Sein Schiefal bildet den Gegenftand der Eccerinis einer der 
beiden Tragödien des Albertino Muffato, ſ. die Einleitung. — 5) Diefe hatten fich be= 
reit3 als erbitterte Feinde der Staufer einen Namen gemadt; befanntlich Tiefen fie 
König Enzio, Friedrihs II. Sohn, der ihnen 1249 in die Hände fiel, bis zu feinem Tode 
(1272) in ihrem Kerker ſchmachten. 


Krönung in Mailand. 17 


hin Edikte ausgehen zu lafien, welche die Völker auf einen be— 
ftimmten Tag nah Mailand zur Kirche des heiligen Ambrofius 
zufammenberufen jolten. Man hatte zwar erwogen und Darüber 
geftritten ob die Feierlichkeit nicht in Monza ftattfinden müſſe, 
wohin das Beispiel der meiften Vorgänger des Königs zu weiſen 
ſchien ), doch entſchied man ſich ſchließlich dahin, daß es nichts 
austrage, wenn die Krönung in Mailand ſelbſt vor ſich gehe. Die— 
jelbe fand denn auch hier unter großer und eifriger Betheiligung 
von Fürften, Edlen und gemeinem Volk ftatt. Aus der Zahl 
derer, welche noch nicht gehuldigt, waren, der Ladung gehorfam, 
u. a. Geſandte der Paduaner und Bicentiner erichtenen, welche 
Die Krönung durch ihre Gegenwart ehrten und die Erklärung ab- 
gaben, fie jeien unter des Königs Getreuen nicht die geringften an 
löblihem Eifer, und fie würden ihren Eifer auch durd die That 
beweiſen, jobald fich Gelegenheit darbiete. Der König entgegnete 
leutjelig, ex werde ihnen gnädig fein, jobald fie fih ihm und dem 
Reihe, wie es ſich gebühre, unterworfen haben würden. — So 
wurden der Caeſar?) Heinrih und die Augufta Margaretha nad) 
Chriſti Geburt im dreizehnhundert und elften Jahre am 6. Januar mit Ian. 6. 
- der eifernen Krone, welche man die Xorbeerfrone nannte ?), gefvönt, 
und zeigten ſich dem Volke auf köſtlich aufgezäumten, mit Scharlad- 
deden und purpurfarbigen Tüchern behangenen Roßen, der König 
mit dem Scepter, einem goldenen Stab, welcher oben in eine Lilie 
auslief, in der Rechten. Hier wird e8 am Plate fein Die äußere 
Erſcheinung des königlichen Paares zu bejchreiben. 

13. Schilderung des Königs und der Königin. 

Der König ift Schlank, von Mittelgröße; Gefihtöfarbe und Haupt: 
haar find vöthlich, die Augenbrauen ftehen hervor; die Kurzfichtig- 
feit auf dem linfen Auge wird durch die ungewöhnliche Beweglich— 


| 
| 
Kaiſergeſetz die eiferne Krone auf das Haupt, zu fegen und überall= ısıı 
| 


1) Mailand, Bavia und Monza fahen in ihren Mauern die Krönungen deutjcher 
Könige; am häufigften aber Mailand, nicht Monza. — 2) Bon hier an nennt unfer Autor 
den König meift „Caeſar“, was wir bis zur Raiferfrönung mit „König“ mwidergeben. — 
3) Sie hatte die Geftalt eines Lorbeerzweiges. 


1311 


78 Erftes Bud. Schilderung des Königs und der Königin. 


feit defjelben verborgen; er hat eine gerade ſpitz zulaufende Nafe; 
das Antlig ift würdig, mit wohlgeformtem Kinn; das Haar, 
welches er nad gallifcher Sitte trägt‘, laßt in Daumensbreite das 
Hinterhaupt hindurchblicken ). In beftem Ebenmaaß trennt ber 
Naden vie Schultern vom Haupte. Der Rüden ift fräftig gebaut. 
Der Unterleib bildet mit dem Oberkörper eine Fläche. Füße und 
Oberſchenkel find proportioniert. Der König ſpricht langſam und 
liebt nicht viele Worte; er bedient ſich der franzöfiichen Sprache, 
weiß ſich aber auch lateiniſch verftändlih zu machen. Cein hoch— 


ftrebender Sinn ift mit Milde und eifriger Hingebung an den 


Gottesdienft gepaart. Verträge irgend welcher Art mit feinen 
Unterthanen zu Ichliegen, duldet er nicht; er haft die Erwähnung 
der Parteinamen der Guelfen und Ghibellinen und umfaßt Alles 
mit unbejchränfter Herrfchergewalt. Die römiſche Königin, melche 
im ſechsunddreißigſten Lebensjahre fteht, hat ein faft noch mädchen— 
haftes Ausfehen; ihre Gefichtsfarbe iſt bleich; fie hat hellblonde 
Haare, mohlgeftaltete Wangen, die Naſenſpitze ift röthlich, der 
Mund Klein; Antlis und Augen jcheinen beftändig zu lächeln. Die 
Unterlippe, das Kinn und den Hals bedeft nad) germaniſchem 
Braud ein ringdumliegender Schleier; die Gemänder find, gallifcher 
Sitte entiprechend, ziemlich weit. Sie iſt etwas unter Mittelgröße. 
Guten Rath weiß die Fürftin ſtets zu geben, ohne deshalb im 
mindeften hochmüthig zu fein. Im Gegentheil! Ihre Herablaſſung 
gegen Niedere Fol, wie Einige berichten, weiter gehen als e8 einer 
Königin anfteht, doch rechnen ihr die Meiften dies als Milde und 
Güte an. In Beobachtung religiöfer Bräuche und im Gottesdienſt 
befigt fie einen jo großen Eifer daß fie, wie man behauptet, die 
Nächte vor den Hauptfeften wachend zu verbringen pflegt. Sie ift 
mitleidig gegen Gefallene, ihrem Manne in innigfter Liebe zuge= 
than; fie weiß gut zu fprechen, redet aber ohne Anmaßung. 


1) Die Franzofen pflegten das Hinterhaupt Fahl zu ſcheeren, wie man es vorzüglich 
auf der Tapisserie de Bayeur deutlich dargeftellt fieht. 





| 





Zweites Bud). 


—. 


1. Ausbrud von Empörungen gegen den Kömig ısı 


in Mailand; Aufftände in Crema und Cremona; 
Bertreibung Guido's della Turre. Während vergeftalt 
die Fürften der Welt zum Gipfel erhabenen Ruhmes vorwärts 
eilten, mifchte das Geſchick, welches bis dahın fie holdſelig Ichmeichelnd 
umgaufelt hatte, in das Glück auch Widerwärtiges. Als nämlich, 
unter dem Drud der Nothwendigfeit die untergebenen Völker der 
dringenden Bedürfniſſe des Reichs und Staates halber und zu 
Gunſten der begonnenen Unternehmung und ihres erfolgreichen 
Vortganges zu Beiſteuern heranzuziehen, dem mailändiſchen Volke 
das Anfinnen geftellt wurde, es möchte ſich zu einem den mwohl- 
befannten Mitteln der Gemeinde und des Volkes entſprechenden 
Geſchenk herbeilafien, da überboten ſich bet ver aus diefem Anlaf 
gehaltenen Berathung der Obrigfeiten die Parteihäupter, welche 


ſeit lange mit einander haderten, hier auf Guido's, dort auf 


Maphäus’ Antrieb, indem jeder von ihnen, um zu zeigen daß feine 
Liebe und Ergebenheit gegen den König die größere ſei, wetteifernd 
immer größere Summen in Vorſchlag brachte, bi8 man auf hundert 
taujend Gulden fam. AS dies fund wurde, erſchien e8 dem 
Volke, welches ſchon durch frühere Laften beſchwert war, überaus 
hart eine jo große Summe zu erlegen; ſchon hörte man laute 
Flüche gegen den König auf dem Markte, in den Kirchen, auf den 
Gaſſen; ſchon erſchien die Gewaltthätigkeit der Deutfchen unerträg- 
ch, jhon empfand man die Veränderung, auf melde man vorher 


80 Zweites Buch. Ausbruch von Empörungen gegen den König in Mailand; 


jo große Hoffnungen geſetzt Hatte, voll Unmuth als eine Laft. 
Solche Klagen wurden von Tag zu Tage lauter; aud hörten fie 
nicht auf, jondern wurden höchſtens für den Augenblid beſchwichtigt, 
als der König mildherzig befahl, man jolle nur die Hälfte zahlen 


und die Erlegung des Reſtes einftmeilen verjchteben. In der That 


erhob man, bis der König aud über das übrige Geld verfügen 
würde, nur die Hälfte. Aber wenn dies den Ausbruch der Er— 
bitterung hinhielt, jo wurden doc die haßgeſchwellten Pläne nicht 
aufgegeben. Dazu famen nun noch andere Anläffe, welche die 
Empörung vorbereiteten. In denjelben Tagen nämlid) ordnete der 
König, im Begriff den Mari auf Pavia anzutreten, an daß 
Auserwählte aus den Angefeheneren, fünfzig an der Zahl, ihn be> 
gleiten jollten, und zwar mußten diejelben auf Koften der Stadt 
unterhalten werden. Died gab zu zwiefacher Unzufriedenheit An— 
laß. Das fchwerbelaftete Volk murrte wegen der neuen Geld— 
zahlung; die Eolen beider Parteien aber betrachteten als Grund 
der Entfernung jener Auserlefenen nicht eigentlich die Heerfahrt und 
das Geleit des Königs, ſondern fürchteten, man wolle jene von der 
Stadt fernhalten. Schon ward das Murren des gegen den König 
in heller Wuth entbrennenden Volkes immer lauter; nur der Auf- 
reizung bedurfte e8 noch um einen gewaltſamen Ausbruch herbei- 
zuführen. Dies blieb weder dem Guido und den Häuptern der 
Turrianen nod dem Maphäus Vicecomes und den Seinen ver- 
borgen. Sie wußten überdie8 daß fie dem König megen des be— 
jorgnigerregenden Umfanges ihrer Macht bereits verhaßt und vers 
dächtig waren. Doch gehen hier die Anfichten auseinander. Die 
meiften behaupten, Maphäus ſei der Gunft des Königs ficher und 
in deffen vollem Vertrauen geweſen, und habe lediglich in der 
Abfiht den Francischinus, Guido's Sohn, liftig auszuforichen, 
denfelben zur Unterredung mit feinem Sohne Galaaz außerhalb 
der Stabt in der Nähe der St. Dionyſiuskirche verleitet, wobei 
aber, da alle Zeugen ferngehalten worden, niemand gejehen daß 
Francischinus und Galaaz ſich die Hand zum Bunde gereicht. 
Andere dagegen |ftellen die Sache jo dar, als fei die Unterredung 





Aufftäande in Crema ımd Cremona; Vertreibung Guido's della Turre, Si 


ohne jede Heimlichkeit vor fich gegangen, der König aber habe noth— 
gedrungen über die Schuld des Maphäus Hinweggefehen. Wir 
Yaffen unentichteden, welche Auffaffung der Wahrheit näher kommt. 
Während nun die Erbitterung des Volkes und der Edlen gegen den 
König immer mehr zunahm, geihah ed, dar, als Nicolaus de 
Bonfignoribus, den Heinrich, nahdem er in Aſti einen Andern an 
ſeine Stelle gejetst, zu feinem Statthalter in Mailand erhoben 
hatte, darauf drang daß die Erhebung des Unterhalts für Die 
außserlefenen Edlen und des dem König veriprochenen Geldes ftatt- 
finde, und man fich widerftrebend dazu herbeiließ, neben dem Forum 
Prätorii, da mo es Broletum) heißt, eine Stimme laut „Zu 
den Waffen!“ vief. Sofort ftimmten Mehrere in ven Auf ein 
und bald war die ganze Stadt in Erregung. Die in den fünig- 
lichen Rath berufenen Edlen zerftreuten ſich und eilten ihren Häufern 
zu. Auch das Bolt und der Pöbel flürzten durch die Straßen 
nad) ihren Duartieren. Einige aber ergriffen die Waffen und 
ftellten fich auf, ohne zu wilfen, was der Tumult bedeute. Auf 
Seite des Königs waffneten ſich die Fürjten, Graf Ameus von 
Savoyen, der Marichall des Heeres Heinrich, Bruder des Grafen 
von Flandern, der Herzog von Defterreicd) 2), Goleran ?) des Königs 
Bruder und die übrigen, und durchzogen planlos mit jchnell zu= 
lammengerafften ungeordneten Schaaren die Stadt. Mehrere von 
ihnen eilten zum Quartier der ihnen verdächtigen della Turre, 
welches Bafta heit, und ftiegen in der Nähe von Guido's Wohnung 
auf etwa dreißig ſchwerbewaffnete Nitter, welche dort hielten, ſei es 
meil fie etwas beftimmtes im Schilde führten oder noch unſchlüſſig 
waren umd nicht wußten was vorging; unter ihnen befand fich, 
wie man jpäter erfuhr, auch Franceschinus, Guido's ältefter Sohn. 
Auf dieſe Reiter machten die Deutjchen einen Angriff, wurden aber 
mit erheblichem Berluft an Todten und Verwundeten zurückgewieſen. 
Voller Wuth über diefen hartnädigen Widerftand ſammelten fich 


° 1) An die Piazza dell’Arengo (daS alte Forum Asamblatorium) ſchloß fich ſüdlich der 
Broletto vecchio an. — 2) Leovold, Sohn König Albrehts, Bruder Friedrihs des 
Schönen. — 3) Walram. 

Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VIT. 6 


1311 


1311 


82 Zweites Bud). 


biev bald größere Schaaren von Deutſchen und Franzoſen an, und 
e3 Fam zu einem neuen evbitterten Kampf, in welchem die Mai— 
länder durch die Ueberzahl der Gegner in die Flucht geichlagen 
oder getödtet wurden. Saum aber war der Kampf entjchteven, fo 
wurde, noch ehe Guido von diefen Vorgängen unterrichtet worden 
war, fein Haus zerftört, der Hausrath aber, ehernes und filbernes 
Geſchirr, Waffen von wuchtigem Erz, Pferde und Alles was ein 
üppiges Zeitalter in das Haus eines Bornehmen zufammengebracht 
hatte, gevaubt, die Gebäude fchließlid) bis auf den Grund nieber- 
gebrannt. Erſchreckt durch das Toben des Aufftandes blieben 
jedoch die Königlichen nicht an diefer Stelle, ſondern fchmeiften 
durch die Stadt und hieben, faum der Wehrlojen ſchonend, nieder, 
was fie mit den Waffen in der Hand fanden. Galaaz, der älteite 
Sohn des Maphäus, ftellte fih mit feinen Begleitern bei dem 
Marſchall als Helfer in der Bedrängnis ein. Endlich ging Die 
Sonne unter und die Nacht machte dem Kämpfen und Morden 
ein Ende. Die königlichen Schaaren übernachteten auf den öffent- 
lichen Pläten und an den Sreuzungspunften der Hauptftraßen, 
bewaffnet, bet Fackelſchein, abwechjelnd die Wache haltend. Als 


der Tag anbrach, erging der Befehl ſich ruhig zu verhalten. 


Herolde kündeten den Frieden, Doch wird erzählt, daß die Plünde— 
rungen und Gewaltthätigfeiten in den Duariieren der Stadt noch 


5* 
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nicht aufgehört hätten. Ja, eine große Zahl von Deutjchen, verz 


bündet mit Parteigängern des Maphäus Vicecomes, wüthete gegen 
die Tuxrianen und deren Anhänger und ftieß auf die bloßen Partei— 
namen? hin jeden, der ſich als Guelfen bezeichnet, nieder, während 


man die Ghibellinen unbeſchädigt ziehen Tief. Auch in den ab=- 
hängigen Orten machten die Parteigänger der VBicecomites zahl 


reiche Getreue des Hauſes della Turre nieder und zündeten ihre 
Häufer an, wie fich denn erbitterte Sieger leiht arge Frevel zu 
Schulden fommen laſſen. Nach Verlauf von drei oder vier Tagen 
ließ der König Befehl ertheilen, fich ſolcher Uebergriffe zu enthalten 
und das Geraubte zurüdzuerftatten. Guido aber und feine Söhne 
follten innerhalb acht Tagen bei Strafe an Leib und Gut vor 





Empörung von Brescia. 83 


ihm erſcheinen um ſich zu rechtfertigen. Die Bürger, von Schreden 1311 
befangen, hielten fich in ihren Häufern und Quartieren. Auch 
Maphäus und die Seinen, hieß es, jeien nicht ficher, denn Der 
König wiſſe ſehr wohl, daß beide Parteien ſich gegen ihn vers 
ſchworen, und ihre Häupter an abgelegenen Drten fi unterredet 
und Ehebündnifje zwiſchen ihren Familien einzugehen gelobt hätten, 
Berabredungen, die ausdrücklich gegen den König gerichtet gemefen 
feien; ihn hätten fie einmüthig überrafchen und aus der Stadt ver- 
jagen und dann ihre gemeinfame Herrichaft erneuern wollen. 
Aus den rauchenden Trümmern Malilands ſchlug bald eine 
gewaltige Flamme empor. Italien nämlich, ſchon ohnehin durch 
die jüngften Vorgänge erregt, gerietb in Gluth, und überall er= 
ſcholl der — wenn nicht ganz zutreffende, Jo doch auch nicht aus 
der Luft gegriffene — Ruf: der König habe fich in einen Tyrannen 
verwandelt, er zernichte Die Macht und den Wohlftand des Volkes, 
er zeige fich parteiiſch; die Yateiner feten der Wuth der Deutjchen 
und der Anmaßung der Franzofen preiögegeben. Bon anderer 
Seite verlautete zwar: der König fer nicht fchlechter geworden, 
jondern nur die Seinen hätten gefrevelt. Für die Getödteten, Ver— 
triebenen aber trug Died nichts aus. Die benachbarten Städte, 
bejonder8 diejenigen, welche fi) von Alters her zur kirchlichen 
Partei bekannten, Liegen, über die blutigen Auftritte in Mailand 
entſetzt, alle Hoffnung auf Erlangung des Friedens fallen und 
empörten fi. Die in nächfter Nähe gelegenen Städte Crema und 
Cremona verjagten die königlichen Statthalter und Belagungen und 
machten fich frei. Die Einwohner von Regium vertrieben die An- 
hänger des Kaiſerthums, welche in unbilliger Weife frohlodten und 
ſich wegen der jüngft errungenen Erfolge der königlichen Streit- 
macht überhoben; der Statthalter aber ergriff die Flucht. 

2. Empörung von Brescia. Dur ſolche Nachrichten 
aus Mailand ermuthigt, erregten die Mazier !), welche furz zuvor 
no die Herren von Bredcia gemejen waren, einen Aufftand gegen 


1) Häupter der Ghibellinen in Brescia. 
5 6 * 


1311 


84 Zweites Bud). 


Thebaldus de Bruxadid und die übrigen, welche neuerdings auf 
Befehl des Königs nah Brescia zurüdgeführt worden waren; aber 
das Glück war wider ihre vermefjenen Entwürfe und führte das 
Gegentheil von dem, mas fie erftrebt hatten, herbei. Da namlich 
der Adel und das gemeine Volt ihrer alten Herrſcher ſchon über 
drüſſig geweſen waren und die Neugeftaltung ihres Staates gern 
gejehen Hatten, jo wurden von den Aufftändifchen viele aetödtet 
oder gefangen genommen; Maphäus de Maziis aber, ſowie der 
Biſchof von Brescta ?), fein Neffe, entfamen nur mit Mühe durch die 
Flucht und vetteten ſich nach Caſtrum Urceorum ?). So behauptete 
fi) Thebaldus, welcher eben erft durch des Könige Milde in Brescia 
wieder eingejegt worden war, nebſt den Seinen, auf den ſtädtiſchen 
Adel, deffen Haupt er-war, geftütt, an der Spite der Stadt, nach— 
dem anf jeinen Betrieb die Freunde der Mazier verbannt worden 
waren. Albertus de Rogolone, den der König in Brescia als 
Statthalter eingejett ‚hatte, mußte, weil er feinen Anhang bejaß, 
das Geichehene gutheißen; doc verließ er die Stadt nicht, da 
Thebaldus und die Seinen ihm freundlich begegneten. 

3. Tumulte in Como Die Stadt Como blieb von 
diefen Bewegungen nicht unberührt; doch fügte fie fi), Tobald 
der Biſchof von Genf?) auf Befehl des Königs dort erichten, um 
eine Verſtändigung herbeizuführen. 

4. Bertreibung der Rubei aus Parma. Cinige 
aus dem Geichleht der Nubert), melche auf Befehl des Könige 
nad) Barma zurücdgeführt worden waren, brachen den mit Gibertus 
de Corrigia geſchloſſenen Frieden, wurden aber in ungleihem Kampfe 
von diejem befiegt und mit großen Verluften an Todten und Ge— 
fangenen aus der Stadt getrieben. 

5. Berjöhnung mit Mailand eingeleitet. Diele 
ringsum ausbrechenden Unruhen riefen am füniglichen Hoflager 
große Beftürzung hervor und verurfachten ſchwere Sorgen. Der 


1) Friedrih 1308-17. — 2) D. i. Orci. — 3) Nimo II. von Genf 1304—1311. 
Diefer hatte fi Heinrich angeſchloſſen, als derfelbe im Dftober 1310 feinen Biſchoffitz 
berührte. — 4) D. i. Roſſi. 





j 
| 














Verſöhnung mit Mailand eingeleitet. 85 


König hielt öffentliche und geheime Berathungen ab, zu denen der 
Tag kaum ausreihtee Zur geheimen Berathung traten aus 
Heinrih8 Umgebung zufammen Graf Ameus von Savoyen, der 
Bilhof von Trier, des Königs jüngerer Bruder — der dritte der 
Brüder, der Tampfluftige Ooleran, war befier im Felde als tm 
Rathe zu verwenden !) — die Bilchöfe von Lüttich?), Bafel ?), Genf, 


der Biſchof von Trientt) Vorfteher der königlichen Kanzlei 5) ſowie 


der Protonotar und Geheimſchreiber Heinrih de Geldonta 6), der 
Referendarius 7). In den erſten Erlaſſen tadelte man die eigenen 
Leute, wagte nur ganz vorſichtig Neuerungen einzuführen, erzeigte 
ſich gegen die Mailänder verſöhnlich, verlängerte dem Guido 
della Turre ſeinen Termin, damit er nicht etwa ohne ſein Wiſſen 
verurtheilt werde, nahm ſich ſorgfältig in Acht die alten Partei— 
namen anzuwenden, unterſuchte mit möglichſter Nachſicht die Ur— 
ſachen der Bewegungen, beſänftigte und beruhigte durch Ver— 
minderung der Geldauflagen die Klagen und ſuchte die Aufſtändiſchen 
durch freundliche Ermahnung zur Unterwerfung zu bringen. Nach— 
dem man ſolche Anordnungen getroffen, ſoll der König den Grafen 
Ameus von Savoyen, das Brüderpaar der Delphine, den Herzog 
von Oeſterreich, Johann de Calcia von Flandern, den Marſchall 
des königlichen Hofhaltes Grafen Heinrich von Flandern und deſſen 
Bruder nebſt anderen franzöſiſchen und deutſchen Fürſten zu ſich 
beſchieden und zu ihnen bald trüben Blickes mit gebrochener Stimme, 
bald voll Unmuth mit zornfunkelnden Augen folgendermaßen ge— 
redet haben: 

„Meinen Gott, den Himmel und die Geſtirne nehme ich zu 
Zeugen, ihr Franzoſen und Deutſche, ihr meine Gefährten und 
Mitſtreiter, meine Freunde, Brüder, Verwandte und Schwäger, 
mein Fleiſch und mein Blut: keine irdiſche Ruhmſucht, kein Ver— 
langen nach dem was den Sterblichen ſonſt begehrenswerth er— 


1) Dies iſt wohl der Sinn der ſchwer verſtändlichen Stelle. — 2) Theobald Graf 


von Bar 1302—1312. — 3) Gerhard 1309—1325. — A) Heinrich 1310—1336. — 5) it ’ 


Bertretung de3 Erzbiſchofs von Köln, welcher Erzkanzler für Italien mar. — 6) Die ur» 
tundlihe Namensform ift Geldonia. — 7) Ein Beamter welcher mit der Beforgung der 
füniglihen Dokumente zu thun hatte. 


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1311 


86 Zweites Bud). 


icheint, treiben mich zu dieſem welterichütternden Unternehmen, 
MWenn ich meinen Blid nad oben wende, jo ſchaue ich Gott als 
Beranftalter deſſelben; als irdiſchen Anftifter aber Papſt Clemens, 
Diefe find die Führer auf meiner Herfahrt. Wer aber ift gegen 
mih? Falls ich nicht ſelbſt thöricht und undankbar Echandthaten 
meinen Beifall gebe, damit ich wie ein von Blinden aeführter 
Blinder in den Abgrund ftürze? Hat Gott der höchſte Lehrer ver 
Gerechtigkeit und Billigfeit ein heiligeres Gebot erlaffen, ald das, 
welches lautet: Du jollft deinen Nächften lieben als dich jelbft?! 
ft nun aber da unter Chriften irgend ein Unterſchied zu machen ? 
Wer ift mein Näcfter? Sit e8 der Deutiche, der Franzoſe, der 
MWandale, der Schwabe, der Lombarde oder der Tuscier? Und 
wer von euch möchte antworten: Der hibellinel? Unerhört! 
Wozu bin ich gefommen, wozu ausgeſandt? daR ic) als gottlofer 
Nachfolger die Irrthümer aller meiner Vorgänger !) aufnehme und 
weiter führe? Daß ich die alte Spaltung wieder erwede? Und 
Papft Clemens, der Gotted Thron auf Erden einnimmt, jollte 
dazu unjere Heerfahrt hervorgerufen und auf Blei fein Zeichen 
eingegraben haben 2), damit ich den Shibellinen die Guelfen oder 
diefen jene unterwerfe? Aber mas iſt aus diefer Gleichheit ge- 
worden? Die einen haben unter dem Dedinantel des Reichs, die 
anderen unter dem der Kirche Namen angenommen, welche nur 
Haß erzeugen fünnen und melde ihnen Yucifer der gefallene er- 
theilt hat. Ich alfo, der ich ald Bote des Papftes Clemens und 
unter deſſen Zeichen einherziehe (weswegen die Chriften auf mid 
wie auf eine zweite Leuchte Gottes bliden), ich fol hier ericheinen, 
um den Einen zu Willen zu jein, die Anderen zu verrathen ? 
Nicht To, rufe ich euch zu, Die ihr vermegen unfere Anſichten in 
ihr Gegentheil verwandelt, namentlich) euch, ſoviele aus eurer Zahl 
an jenen abjcheulichen Freveln betheiligt waren. Möge ich eher 
fterben, möge eher das Gefüge meines Körpers auseinandergerifien, 
als mein Sinn zwielpältig werden. Und wenn einige unter euch 


1) nämlich die Barteinahme für die Ghibellinen und die Befämpfung der Guelfen. — 
2) Wohl eine Anfpielung auf das päpftliche Siegel, die Bleibulle. 








Verlöhnung mit Mailand eingeleitet. 87 


die böſe Begierde unmiderftehlih zu Frevelthaten drängt, jelbft 
wenn ihr es jein folltet, ihr meine leiblihen Brüder — dabei 
faßte er diefe ind Auge — geht fort von bier, jucht euch anders- 
wo Mord und Blutvergießen, mwüthet, aber auf eure eigene Gefahr, 
nicht unter meiner Führerjchaft, unter meiner Herrichaft! Beim 
ewigen Gott, meidet mein Henferbeil, welches der erfte, ver in Zus 
funft ähnliche Unruhen hervorruft, mit jeinem Blute geröthet jpüren 
wird. Seht ihr nicht? ſchon verabjicheuen und meiden ung die 
Gemeinden Lombardiens und Italiens in gerechtefter Entrüftung 
(wenn ander8 die Gerüchte Wahres bejagen) als einen ruchlojen 
Tyrannen. Was Wunder? flieht Doch jelbjt das Thier Tod und 
Berderben“. 

Als er geendet, verſuchte die Königin mit thränenfeuchten 
Wangen den Gemahl zu bejänftigen: er folle die Sache nicht fo 
ſchwer nehmen, fagte fie, nicht alles jet wahr, was der erfte der 
beſte berichte, zumal da das, was man erfahren, nicht von ge— 
wichtigen zuverläffigen Zeugen herrühre, jondern ſchmutziges und 
läppiſches Gerede des niedrigften Geſindels je. Die Fürften ſeien 
an jenen Vorgängen unjchuldig und hätten nichtS davon gewußt; 
er thäte beijer, fie zu muthigen Ihaten anzuregen. Jeder folle 
fih anſchicken, dieſe Widerwärtigkeiten fchnell wieder gut zu machen, 
jo werde unter Gottes Führung alles nah Wunſch ausſchlagen. — 
Lange Zeit beriethen die Verfammelten über das Vorliegende, ver— 
ſchiedene Anſichten wurden laut; ſchließlich erſchien ihnen zweck— 
mäßig, das Uebel von Grund aus zu heilen, Guido dem König 
zu verſöhnen und ihm zu dem Ende ſicheres Geleit zu gewähren, 
ſeine Güter zurück zu erſtatten und ihm zu gewähren unbeläſtigt 
außerhalb des Mailändiſchen Gebietes zu wohnen; doch ſolle er 
das Schloß Drphanım ?), um Verdacht zu meiden, einem von 
beiden Theilen als zuverläffig erachteten Manne zuftellen. Die 
Unterhandlung über dieje Punkte ſolle man Guido's Schwiegerjohn 
Graf Bhilipponus, Simon de Colubiang von Bercel& und Antonius 


1) D. i. Montorfano. 


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88 Zweites Bud. 


de Fiſiraga von Lodi übertragen; diefelben follter aud in Cremona 
nachforſchen, wer die Urheber des Abfalls diefer Stadt gemelen 
jeien, dort jeglichen Anlaß zum Zwieſpalt befeitigen und Die Bürger 
der Milde des Königs verfühnen. Auf der Stelle nad Cremona 
gefandt (denn dorthin hatte ſich Guido fliehend gewandt), berichteten 
fie zurüd: Guido habe geantwortet, er ſei von den Cremoneſen 
gaftlih aufgenommen und habe bei ihnen Schuß für fein Leben 
gefunden; Alles komme auf ihr Ermeſſen an, er gebe fich feinen 
anderen Erwägungen bin als wie fie über ihn und die Seinen 
beſchließen würden. Die Cremoneſen ihverjeitS aber hätten ge 
antwortet: das Joch des königlichen Statthalters fer ihnen läſtig; 
das Bolt, durch Armuth und Hunger gebeugt, fer nicht im Stande 
geweſen, Die Beiſteuer zu entrichten, welche der Künig ihnen auf- 
zuerlegen beſchloſſen; außerdem laſſe Diefer zu — was noch weit 
ſchwerer zu ertragen fer — daß Die Deutichen gegen die Yateiner 
in ungebundener Zügellofigfeit würheten. Schon zeigten die den 
Guelfen zugefügten ©ewaltthätigfeiten, welche unbeftraft gebliebei: 
jeien, daß jene überall ausgerottet werden follten. in deutliches 
Zeichen der Parteilichfeit des Königs fei auch die Einfegung 
ahibelliniiher Statthalter in allen größeren und kleineren Orten. 
Schon müſſe die kirchliche Partei bejorgen, Daß die alte Spaltung 
der Zeit Friedrihs fich erneuere. Endlich, erklärten fie, fer es 
erforderlich, daß fie erft den Rath ihrer Freunde in der Lombardei 
und in Tuscien einholten; mit Nücficht darauf würden fie dann 
eine endgültige Antwort geben. 

6. Genua unterwirft ſich. Inzwiſchen eilten Ab- 
geordnete aus Genua!) mit großer Prachtentfaltung zum König, 
ſchworen ihm Gehorſam und gelobten auf eigene Koften Schiffe 
zum Geleit des Königs zur Kaiſerkrönung zu ftellen. — Die Luc 
chefen behielten ihre Geſandten lange Zeit am Hofe, verhandelten 
des langen und breiten und verſprachen eine große Summe Geldes, 
wenn man fie frei und unabhängig von der Kaiſergewalt belafie, 


1) Ueber Genua dgl unten Buch 5 Kap. 1 ff. 





Privilegienertheilung an Padıra. 89 


fie nicht zwinge Die Berbannten zurüdzurufen und fie im übrigen 
mit Contributionen verſchone. Man wies ihr Begehren nicht 
geradezu ab, gewährte ihnen vielmehr langdauernde Audienzen und 
Beſprechungen; jchlieglih aber wergendeten fie ihre Zeit ohne 
Nutzen. | 

7. Brivilegienertbeilung an Badua. Etwa um 
diefelbe Zeit wurden von den Obrigfeiten Padua's zwei Männer, 
ein Minderbruvder !), und ein Predigermönd) ?), nad Mailand an 
das Hoflager gefandt, um durch Bermittlung der Bertrauten des 
Königs zu erfunden, was für erjprieglihe Maßregeln zu Gunſten 
ber Freiheit der Stadt ſich mit Genehmigung des Königs auf 
Grund einer beide Theile befriedigenden Gehorjamteitserklärung 
treffen ließen. Die Gejandten, unter fi) uneins, führten ihre Auf- 
träge läſſig aus und entſprachen den Erwartungen ihrer Auftrag- 
geber keineswegs. Der eine berichtete, er habe vom König erfahren: 
von irgend einem Abkommen fünne nicht eher die Rede fein, als 
bis man, bereit allen gerechten Geboten des Herrſchers zu gehorchen, 
den Syndikus der Stadt mit den erforberlichen Vollmachten aus- 
gerüftet zu ihm fende, fonft werde jedes Gejuch vergeblich fein; 
gehordhe man jedody in diefem Punfte, jo werde man den König 
geneigt machen der Gemeinde von Padua jeine Gunft zu bezeigen. 
Hierdurch beunruhigt beauftragte der Magiftrat ?) im Einver— 
ſtändnis mit den Volfstribunen, welche jest Gaftaldionen *) heißen, 
und den zwölf Mitwifjern der Staatsgeheimnifje >), welden auf 
Anregung der Decurionen®) durch Senatsbefhlug ‘) die Befugnis 
übertragen war über die vorliegende Angelegenheit fih ſchlüſſig zu 
machen, zwei Plebejer vor erprobter Zuverläffigkeit, nämlich 
Antonius de Vicoaggeris 3) und Albertinus Mufjatus fich ebenfalls 


1) D. i. Franziskaner. — 2) d. i. Dominifaner. — 3) Darunter jcheint der Podeſtà 
verftanden zu fein nebit Anzianen oder Savii. — 4) eine gerichtliche Behörde, deren 
Competenz ſich vermuthlicdy nur iiber das niedere Volk erjtredte. — 5) wohl die Cre— 
denza, ein Ausihuß des Fleinen Rathes. — 6) Der große Rath. — 7) Unter Senat ift 
der kleine Rath zu verftehen. Die VBerfaffung von Padua war fehr complicirt; fie durch— 
lief der Reihe nah faft alle Formen, melde in jenen Zeiten bei den Gemeinweſen 
Staliens überhaupt vorkommen. — 8) Damals Syndifus von Padua, die italienische 
Form des Namens ift Vigodarzere. 


1311 


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90 Zweites Bud). 


an das Hoflager zu begeben, um dasjelbe, was man vorher den 
ermähnten Mönchen aufgetragen hatte, zu erfunden. Cinmüthigen 
Sinnes reiften diefe Männer nah Mailand, mo fie nicht ohne 
Mühe durchletsten daß die Beamten der königlichen Sammer 1) fich 
mit ihnen überhaupt auf Verhandlungen einließen; dann aber gelang 
es ihnen gelegentlich auch ven König felbft zu ſprechen, der den er- 
lauten Grafen Ameus von Savoyen, den Erzbifchof von Trier, 
die Biſchöͤfe von Lüttich Baſel und Trient beauftragte, über die 
Bedingungen der Unterwerfung Padua's zu verhandeln. Nachdem 
die beiden Abgeordneten mehrere Tage hindurch großen Eifer auf- 
gewandt und mit Wilfen des Königs mehrere Zufammentünfte 
mit jenen gehabt, wurde der Gemeinde von Padua eröffnet: des 
Königs Güte geftatte ihnen — jedoch unbeichadet der Königlichen 
Hoheit — in halbjährlichen Terminen, an denen die Wahl ver 
Rectoren ?) ftattzufinden pflegte, vier Männer, welche fie wollten, 
auszumählen, jofern e8 nur Reichstreue jeien; von diefen würde 
der König kraft feiner fatferlichen Gewalt einen zum Reichsvikar 
beftellen, falls er ſich zur Zeit dieſſeits der Alpen befinde, 
andernfall® werde der Oberftatthalter der Lombardei die Auswahl 
unter den vieren treffen. Die Herrichaft über Vicenza werde den 
Paduanern zugeftanden und zwar in der Form einer fortdanernden 
Belehnung mit derjelben. Jene Rectoren nun oder Bicare follten 
Derfaffung, Gewohnheiten, Statuten, Herfommen, Vorrechte und 
Sreiheiten der beiden Städte, welche diefelben im früheren Jahren 
erlangt hätten, unverfehrt aufrecht erhalten und darüber künftig vor 
den Syndikaten ?) der Benölferung Rechenſchaft ablegen. Hierfür 
aber müßten ſich die Paduaner dankbar bezeigen, und zwar dadurch 
daß fie und ihre Nachkommen der füniglichen Kammer eine jähr- 
fihe Abgabe von 15000 florentinischen Goldgulden zahlten; für 
den Augenblick jollten ferner 60000 Goldgulden, um die Veran: 

1) archarii. — 2) bier ſoviel als Podefta. — 3) Unter Syndifat verftand man in 
den italienischen Städten die Rechenſchaftsablage, zu welcher jede Beamte am Schluß 
feiner Verwaltung verpflichtet war. Die geringeren ftellten fi dazu vor dem Podeftä, 


diefer vor dem großen Rathe oder einem eigens ernannten Ausihuffe (Raumer Gefd. 
d. Hohenftaufen V 113). 





Privilegienertheilung an Padua. 91 


ftaltungen zum Vormarſch des Königs zu fördern und als Ehren: 
geſchenk zur Krönung deſſelben, dargereicht werden. Ueberdies 
ſollte für die Beſoldung und den Unterhalt der Miliz des Vorſtehers 
der Provinz alle fünf Monate an im Voraus feſtzuſetzenden Ter— 
minen der auf die Gemeinde von Padua fallende Antheil, nämlich) 
5000 Goldgulden, werabfolgt werden. Die beiden Gejandten er= 
flärten fich hiermit einverftanden, unter dem Vorbehalt, daß das 
Volk es billige (denn weiter ging ihre Vollmacht nicht), beurlaubten 
fib beim König, der ihnen viele Gunftbezeugungen in Ausficht 
ftellte, und reiften ab, um fo jchnell als möglich in der Heimath 
Bericht zu erftatten. Als fie aber nad) Padua famen, fanden fie 
das Volk unter dem Eindrud der fid) häufenden Neuigkeiten zu 
Ungunften des Königs geftimmt. Zu dem Mistrauen nämlid,, 
welches ſich ſchon Früher angefammelt, hatten meitere Vorkommniſſe 
neuen Stoff geliefert, wie z. B. der Umftand, daß gegen die Er— 
wartung Aller welche ihr Vertrauen auf den König fetten, Graf 
Bineiguerra !) von Verona bereits alle Hoffnung nad) Verona 
zurüdfgeführt zu werden, wie man nach dem überall fundgegebenen 
Borjag des Königs?) geglaubt, aufgegeben hatte, da er ohne 
Gehör gefunden zu haben vom königlichen Hoflager fortgewieſen 
worden war, mährend andererſeits Albumus und Canis della 
Scala durch üffentlihe Briefe der kaiſerlichen Meajeftät zu Des 
Kaiſers und des Neich8 Bilaren ?) ernannt worden waren. Auch 
erregte es das Bol, als verlautete, daß Riziardus de Camino die 
gleihen Befugniſſe in den Städten Trevifo Feltre und Belluno 
erhalten habe, und zwar ohne Rückſicht auf Recht und Billigfeit, 
lediglich durch Beftehung, weil nämlich Alles käuflich ſei. So vers 
dächtigte des Pöbels, der die Urfachen jener Maßregeln nicht kannte, 
Geſchwätz, welches bald ganz aus der Luft gegriffen mar, bald 
ein Körnchen Wahrheit enthielt, die Verfügungen des Königs und 
zog fie in den Staub. Bei einer ſolchen Lage der Dinge, während 


1) Aus dem Haufe der Grafen von San Bonifacio, Haupt der Guelfen Verona’s. — 
2) nämlich die VBerbannten überall zurüczuführen und zn reftituiren. — 3) nämlich in 
Verona. 


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92 Zweites Bud). 


die Stadt unter dem Eindrud dieſer verſchiedenen Ereigniſſe und 
Nachrichten ftand und die Ausficht auf einen guten Ausgang ihrer 
Angelegenheiten jehr zweifelhaft erſchien, berichteten num die Ge— 
ſandten zuerft dem Magiftrat, dann dem Senat ihre Berabredungen 
und theilten die Bedingungen des Könige mit. Schon während 
fie redeten, konnten ſich Viele des Lachens, Ziſchens und unzeitigen 
Murrens nicht enthalten; als fie geendet, entftand:ein jo großer 
Lärm und ein ſolches Schelten, daß der vorfisende Podeſta kaum 
im Stande war über das Vorgebrachte die Anficht der Verſamm— 
lung einzuholen. Als aber endlich der Antrag durchgebracht war, 
daß ein jeder feine Meinung über das, was zu geichehen habe, 
abgeben jolle: da gaben mande ihren Abjchen über die einzelnen 
Punkte des Abkommens fund, welde nicht nur nicht erſprießlich, 
fondern durchaus unbillig und der Stadt geradezu verderblich Seien; 
namentlich fer e8 unerhört, daß die Mark von Treviſo irgend einem 
von Stantäwegen oder von Einzelnen beftellten Vikar gehorche, möge 
er num von ihrer Stadt beftellt werden oder nicht; die auferlegten 
Geldjummen ferner jeien unerſchwinglich hoch. Die etwas Be— 
Jonneneren ftimmten dafür, daß man die Befefligung und Ver— 
theidigung von Padua und Bicenza ins Auge falle, daß man mit 
Vicenza zufammengehe, die alte Einheit durch neue Unterpfande 
befeftige, Die Gräben im Gebiet ermeitere, die Schlöſſer ummalle, 
die Feſtungen beider Gebiete verftärke, Waffen und Pferde be- 
Ihaffe, Kurz ſich auf jegliche Kriegsfälle gefaßt mache und vor— 
bereite; daneben freilich folle man auch nicht unterlafien, abermals 
den König zu beſchicken und mit ihm darüber zu verhandeln, daß 
er beide Städte mit Berbehaltung ihrer guten Gewohnheiten und 
ihrer Verfafjung wie bisher ohne Neuerungen weiter beftehen laſſe; 
nur Das eine wollte man zugefteben, daß die durch die Gemeinde 
von Padua für das Gebiet beider Städte erwählten Nectoren den 
Namen kaiſerlicher Vikare annähmen; doch wollte man ſich des— 
wegen zu nichts verbindlid machen, wenn nicht unter ausprüdlicher 
Beiſtimmung von zwei Dritteln der taufend Mitglieder des großen 
Rathes. Indeß verhehlte einer der beiden Gefandten, der fih an 


Abkommen zwifchen dem König und Brescia. 93 


dem königlichen Hoflager umgejehen und über die Abfichten und 
Berhältniffe des Königs ſich eingehend unterrichtet hatte), feine 
Anfiht nicht, daß es ihm nämlich vermeifen erjcheine dem König 
von einer To großen Abneigung gegen feine Vorſchläge und won 
deren gänzlicher Verwerfung Anzeige zu machen; aud dürfe man 
Die äußere Form nicht ganz vernadhläffigen, jondern müſſe diejelbe 
vielmehr, ſoweit es geziemend und der Gemeinde möglich jei, zus 
gleich der. Ehre des füniglihen Namens und den Wiünjchen dev 
Paduaner anpafjen; auch folle man wohl erwägen, wie zweifelhaft 
der Ausgang eines Krieges fer. Andere wiederum ſchlugen vor, 
einen Aufjhub eintreten und die Sache vierzehn Tage lang ruhen 
zu laſſen; inzwijchen würden ſich in Folge neuer wichtiger Ver— 
änderungen eriprießlihe Rathſchläge finden laſſen; vielleicht würde 
für alles weitere maßgebend fein, was die an den päpftlihen Hof 
geichieften Abgeordneten, die man zurüd erwartete, vollbringen würden. 
Auf Dielen Testen Vorſchlag ging der Senat ein. 
- 8. Einjegung eines Statthalter in Barma. 
Um diefe Zeit jegte der König einen Edelmann aus dem Geſchlecht 
der Malafpini, der dem Gibertus de Corrigia genehm war, als 
Vikar von Parma ein. 

9. Abkommen zwijhen dem König und Brescia. 
Auf Andringen des Maphäus de Maziis und der Andern, Die mit 
ihm furz zuvor aus Brescia vertrieben worden waren ?), jandte der 
König den Grafen Ameus von Savoyen mit etwa taufend Rittern 
aus feiner Begleitung und zweihundert Matländern nad) Caftrum 
Urceorum, um mit Thebaldus Bruxiadis und dem Bolfe von 
Brescta entweder ein gütliches Abkommen zu treffen oder ihnen den 
Krieg anzufagen. Bon Caftrum Urceorum aus ſchickte man als Ge- 
jandten den Moroellus de Malaſpinis nad) Brescia, dev vor allem 
darauf Drang, daß als Ausgangspunft jeglicher Verhandlung 
Bartolinus de Maziis und die übrigen Gefangenen ihrer Haft 
entlaffen würden. Man berief den Senat, auch das Volk trat 


1) vermuthlich geht das auf Muffato jeldit. — 2) Pal. ob. Kap. 2, 


— 


311 


1311 


94 Zweites Bud). 


zufammen: beide ſchlugen dieſes Verlangen ab. Thebaldus de 
Bruxiadis aber mit den Edleren legte ſich ins Mittel umd rieth 
die Freigebung der Gefangenen an, unter der Bedingung daß die 
Mazier Caftrum Urceorum und die übrigen Schlöſſer der Bres- 
cianer, melche fie eingenommen, herausgeben würden; Daß ferner 
der Graf von Sapoyen aus dem Gebiet Brescia's und der zu= 
gehörigen Orte weiche und den ihnen zugefügten Schaden erſetze 
und daß auch der König fi) feindlicher Einfälle in ihr Yand ent: 
halte. Mit Mühe fetten fie dies durch, während das Bolf, auf- 
geregt Durch die Erinnerung an die ehemalige Gewaltherrichaft der 
Mazier, gegen diefe entbrannte und in eine ſolche Wuth gerieth, 
daß es mit Schwertern und Gejchoffen bewaffnet auf den Straßen 
zufammenlief, al8 man die Gefangenen aus dem Kerfer holte, um 
fie den Gejandten des Königs zu übergeben. Man mußte fie daher 
in das Schloß zurüdführen, während Thebaldus mit den Edlen 
vor das Volk trat und dafjelbe in längerer Rede durch verjöhn- 
liche Worte ſoweit bejänftigte, Daß es zwar die Sache nicht gerade- 
zu billigte, fie aber doc gejchehen Tief. Als jo des Volkes Er: 
bitterung zurüdgedrangt war, nahm er die Gelegenheit wahr, um 
die Gefangenen auf abgelegenen Straßen den Gejandten zuzuführen 
und ihnen einen ficheren Ausgang aus der Stadt zu verichaffen. 
Nachdem dann den Bresctanern ihre Schlöffer zurücgeftellt waren, 
zog Ameus mit der ganzen Schaar, melde er mit fich führte, 
wieder ab, marjchterte unter Verheerungen durd) das Gebiet und 
die abhängigen Orte der Cremonejen und gejtattete feinem Kriegs— 
volf Feuer anzulegen, zu plündern und jegliche Feindſeligkeit aus- 
zuüben. Auch unternahm er einen Angriff auf Soncinum!) und 
brannte alle mit dem Schloß zulammenhängenden Gebäude nieder. 
Dann marjchterte er durch den Ort, bemächtigte fich defjelben und 
befeftigte ihn, da ſeine Lage ihn zur Bertheidigung ſehr geeignet 
erichtenen Tief, durch Gräben; die Kernichaar feiner Truppen aber 
fandte er aus, um vings die Verwüſtung der cremonefischen Yände- 


1) Soneino, fiidweftlih von Brescia, beherricht die Straße von Lodi und Crema 
nah Brescia. 








Berurtheilung der aufrühreriichen Cremonejen. 95 


veren zu betreiben. Nachdem er ſolches ausgeführt, kehrte ev zum 
König zurüd. 

10. Berurtheilung der aufrührerifhen Cremo— 
nefen. Entſchloſſen, die Empörung der Gremonefen zu Boden 
zu werfen, erklärte der König diefelben in aller Form für Neichs- 
feinde, indem er einen Erlaß ausgehen ließ, wonach jedem erlaubt 
jein follte jene als erklärte Aufrührer wider das heilige Reich zu 
verfolgen, zu vertreiben und zu tödten, und wonad ihre Güter, ihre 


Rechte, ihre Unterthanen und ihr Vieh demjenigen zufallen jellten, 


der ſich deſſen bemächtigen wirde; wer aber in Befolgung dieſes 
Gebotes des heiligen Reichs Städte und Länder durchziehen würde, 
ſollte von Weggelvern und fonjtigen Abgaben frei fein. Nachdem 


1311 


der König dann die Verfammlung des Heeres auf den 18. April !) Apr. 18 


anberaumt hatte, jandte er den Bilchof von Genf nah Verona 
Mantua und in die übrigen dem römiſchen Reich unterworfenen 
Ortſchaften. Diefer machte jened Gebot allgemein befannt und 
forderte die Statthalter wie die Bevöfferung auf, zu dem erwähnten 
Termin ihre Streitkräfte in das Gebiet von Cremona zu führen. 
Den Faiferlichen Geboten fügte er den Bannflud) des Papſtes hinzu, 
ſodaß Die Cremonefen aus der Gemeinjhaft der Gläubigen aus- 
gemärzt und mit denen, welche feterifche Irrlehre von dem Pfade 
des orthodoren Glaubens entfernt hat, auf gleicher Stufe zu ftehn, 
und deshalb Diejenigen, welche in geziemendem Gehorfam gegen 
Gott fie befriegen und alle Macht daran fegen würden fie zu 
Ihädigen und zu verderben, auf hundertfachen Lohn ihrer Mühen 
und auf die göttliche Gnade zur Vergebung ihrer Sünden Anjprud) 
zu haben ſchienen. — Die Cremoneſen ihrerſeits, geftügt auf ihre 
Auffafiung der Dinge, welche fie für die richtige hielten und durd) 
vernünftige Erwägungen zu befräftigen Juchten, Liegen offen hören: 
man habe es ſchon nicht mehr mit einem König, fondern mit 
einem Tyrannen zu thun, der entichloffen ſei, eine Gemaltherrichaft 
aufzurichten, da er den Tyrannen, welche er bereits worgefunden, 


1) Bis dahin hielt der König fortdauernd in Mailand Hof, abgejehen von einem 
furzen Aufenthalt in Pavia, wo er das DOfterfeft (11. April) beging. 


1311 


96 Zweites Bud). 


durch kaiſerliche Titel feine Biligung ausdrücke 1); wo aber feine 
ſeien, ſolche nach dem Ermeſſen der herrſchenden Klaſſen einſetze; 
die volksthümlichen Männer dagegen, ſoweit er ſie habe zurück— 
führen laſſen, wieder zu beſeitigen befehle, und denjenigen, welche 
ſie vertrieben, ſeine Hülfe und Gunſt angedeihen laſſe, weil er, den 
Ghibellinen durchaus ergeben, die Partei der Guelfen in der Lom— 
bardei zu unterdrücken beſtrebt ſei und auch in Tuscien das größte 
Verlangen trage jene Partei emporzubringen. Solche Reden ließen 
die Cremoneſen hören, äußerten ſich in derſelben Weiſe brieflich 
gegen die Bevölkerungen der Städte ringsum und erbaten Unter— 
ſtützung von nah und fern mit der Behauptung, daß ihr Verderben 
der Anfang des Verderbens für alle Übrigen ſei. Dieſe in allen 
Gemeinweſen Italiens offen verfündete Empörung der Cremonefen 
veizte nicht nur diejenigen auf, melde DVerlegenheiten für den 
König herbeifehnten, weil fie hofften, daß dann ihr eigenes Gebiet 
verichont bleiben werde, fondern verlodte aud) mandye von denen, 
die fih Thon unterworfen hatten, zum Abfall und hielt dadurch 
den Bormarjc des Königs und die Berwirflihung feiner Pläne auf. 

1) d. h. indem er fie a Reichsvikaren ernannte, wie 3. B. Mbuin und Cane in 


Berona. Gar häufig ftütten die in den einzelnen Gemeinden Italiens herrichenden Ge— 
ichlechter ihr angeblihes Recht auf ihre Funktionen und Titel als Reichsvifare. 





—— 





Drittes Bud). 


1. Bicenza fällt von Padua zum König ab. 1a 
Obwohl der König die Folgen feines Verſuches, die Lombardei zu 
unterwerfen, deutlich vor Augen ſah und fich nicht verhehlen konnte, 
daß die Ordnung der verwidelten Verhältniffe dafelbft noch viele 
Mühe koſten würde, fo richtete er doch feinen Blick weitſchauend 
bereit8 auf die entlegenen Gegenden und beſchloß, auf Daß Dad 
ganze von den Alten als Gallia Cisalpina bezeichnete Land!) feine 
Befehle empfange, ehe er ven Po überfchreite, auch die Landftriche 
am Adriatiihen Meere bis zu dem Winkel, wo Venedig berrict, 
feinem Machtgebiet einzuverleiben. Den heroorragendften Einfluß 
in diefem Landftrich befaß die Stadt Padua, deren durd langen 
Frieden begünftigter Wohlftand den der Nachbarftädte übertraf. 
Seit dem Sturze der Gemaltherrichaft des Eccerinus de Romano, 
alſo jeit etwa fünfundfünfzig Jahren, war Padua vor jeder Er- 
ſchütterung feines Staatsweſens bewahrt geblieben und hatte in 
Folge deſſen in hohem Grade an Eriegerifcher Tüchtigkeit und Volks— 
zahl zugenommen. Unter der Herrihaft von Padua ftand aud) 
Bicenza, welches, durch feine Nothlage gezwungen, ſich der Nachbar— 
ftadt unterftelt Hatte, jegt aber der Paduaniſchen Botmäßigkeit 
müde war, theil® des ſüßen Gefühl Langer Ruhe überbrüffig, 
theil8 aber auch aus Entrüftung über die Willfürherrichaft des 


1) Im Wefentlihen das ganze Oberitalien. 
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 7 


1311 


98 Drittes Buch. 


Paduaniſchen Volkes, welches nicht ſelten unter Beſchuldigungen, 


die öfter ungegründet als ſtichhaltig waren, und Verdächtigungen, 


die lediglich aus dem Gegenſatz der Parteien entjprangen, Bürger 
von Vicenza in die Verbannung getrieben oder gar mit dem Beile 
hatte enthaupten laſſen. Dieje Umftände waren dem König jehr 
wohl befannt, der bereit durch die Undankbarkeit der Paduaner, 
denen er fich doc jo überaus milde erwielen hatte, gereizt war, 
weil diejelben e8 nämlich zu verſchmähen ſchienen auf die von ihm 
geftellten Bedingungen hin ihren Frieden mit ihm zu machen. 
Die wahnfinnige Verwegenheit Padua's erbitterte ihn nicht wenig 
und gerne neigte er der heimlichen Verſchwörung der DVicentiner, 
zu der fich Volk und Vornehme faft ohne Ausnahme vereinigt 
hatten, jein Ohr. Er berief aus feinen Räthen den Biſchof von 
Genf Aymo, der ein ſehr geſchickter Unterhändler war, zu ſich und 
gab ihm den Auftrag mit möglichfter Gewandtheit die Ergebung 
der Stadt Vicenza entgegenzunehmen. Der Biſchof begab ſich mit 
einer Schaar Truppen nad) Mantua, indem er Kiftig vorgab, er 
habe den Befehl die Contingente der reichötreuen Städte in das 
Gebiet von Cremona zur Belagerung dieſes Platzes zu führen. 
Dann fam er nad Verona und erzählte dafjelbe. Darauf jegte 
ex fi mit den Verſchworenen von Vicenza in Verbindung und 
verabredete einen Zeitpunft zur Uebergabe der Stadt. Nachdem 
alle Vorbereitungen dazu getroffen worden waren, rüdte er mit 
Canis Grandis, dem Reichsvikar von Verona, Hülfsichaaren der 
Mantuaner und Beronefen und einer füniglichen Heeresabtheilung 
an dem fejtgejesten Tage gegen PVicenza vor und nahm die Stadt, 
welche ihm die Bürger bei offenen Thoren überlieferten, in Folge 
der Nadläffigfeit der Paduaner in Befis. Bald ſah man die 
föniglichen Infignien auf dem Markte; der Paduaniſche Präfekt 
Sohannes de Bigontia mußte fi) dem Biſchof ergeben, die Padua— 
niſchen Soldaten aber, die die Beſatzung der Stadt bildeten, irrten 
verftört in den Straßen umher und verftedten fich ſchließlich einzeln 
in den Gotteshäuſern, in den PVorftädten oder in den Schlupf: 
winkeln ihrer Landsleute. in Theil von ihnen eilte freilich zu 





Unruhen in Mantua. 99 


dem befeftigten Yager, der ſog. Inſel, wo ihr Standort war, und 1311 
Ihloß die Thore; ſchleunigſt aber eilte Canis mit jeinen Kern— 
truppen und leichtem Fußvolk herbei und legte Feuer an die Thore. 
Die im Yager befindlichen vermochten, durch dieſes neue Schredniß 
verwirrt, kaum die Waffen zu ergreifen, wagten feinen nachdrüd- 
lichen Widerftand und eilten faft ſchon verzagend zu den Thoren; 
nur wenige flürzten auf die Mauern und verjuchten fic) zu wehren; 
Canis aber, der ihre Verzagtheit vorausſah, verlangte auf Rath 
der Bicentiner die Uebergabe des Lagers. Die Bürger, die vor 
Aufregung zitterten und faum Hoffnung hatten jolange die Beſatzung 
ſich behauptete, gelobten, wenn fie das Lager überlieferten, fie an 
Leib und Gut unverjehrt zu entlaffen; als aber die Thore geöffnet 
wurden und die Kriegsſchaaren eindrangen, brach Canis das gegebene 
Wort und ließ feine Soldaten plündern, indem er jevem erlaubte, 
was ihm in die Hände fiel, an fih zu reißen. Auch hielt ex 
- jelbft nit an fich, Jondern wählte ſich einige aus, ſchickte diejelben 
mit Striden gebunden ohne Achtung vor feinem Waffenbündniß 
und jeiner Freundſchaft mit den Paduanern nad) Verona und 
zwang fie jpäter fih um jchmere8 Geld loszukaufen. Es war 
diefer Canis ein Mann von rauher Sinnesart und verjchlojjenem, 
unzugänglichen Weſen. Bei der Ausführung einer Pläne, die er 
mit Feuereifer erfaßte, verfuhr er ungeftüm und ließ ſich durch 
nicht8 von ihnen abwendig machen. Küdfichten zu nehmen, lag 
ihm gänzlich fern, vielmehr glaubte ex ſich berechtigt, alles, was 
ihm in den Sinn fam, auch auszuführen. Er liebte es äußerlich 
noch größere Wildheit zur Schau zu tragen als jeinem Wejen ent- 
ſprach. So geihah es, daß im Jahre des Herrn 1311, am 17. 
Tage vor den Kalenden des Mai d. i. am 15. April, die Stadt Apr. 15 
Vicenza jih der Botmäßigfeit Padua's entzog und zu König 
Heinrich abfiel. 

2. Unruhen in Mantua. Um dieſelbe Zeit brachen 
zwiſchen den durch den König aus der Verbannung zurückgeführten 
Guelfen Mantua's und den Häuptern der Gegenpartei, den Bonacofi ?), 


1) Buonacoffi, 
7 * 


1311 


100 Drittes Bud. 


neue Feindſeligkeiten aus. Die einen ftachelte der alte Haß an, 
die anderen die Erinnerung an die Herrihaft, deren Verluſt fie 
ichmerzlih empfanden ). Bon Tag zu Tage nahmen die Reibungen 
zu, Screden erfüllte die Bürger und der fünigliche Vikar Lapus 
Farinata aus dem Gejchlecht der Übertt ?) wurde mit Verbächtigungen 
und Angebereien beider Parteien wider einander beläftigt und ſuchte 
vergebens, bald durch gütige Mahnungen, bald durch ftarfe Drohungen, 
die Zwiſtigkeiten beizulegen. Endlih bradite man mit großem 
Nachdruck und in glaubwürdiger Form — id) weiß nicht, ob die 
Sache erdichtet oder rihtig war — dor das Ohr des Königs: 
die Zurüdgeführten hätten im Einverſtändnis mit dem veränderungs- 
füchtigen Volke den verwegenen Plan, die Bonacofi zu vertreiben. 
Der König wurde durch diefe Nachricht heftig erichüttert und glaubte 
es nicht zugeben zu Dürfen daß jene die Wohlthat, welche er ihnen 
durch ihre Rückführung in die Heimath bereitet, voll Undank mis- 
brauchten. So benutte er die Gelegenheit ?) und jandte Bifchof 
Aymo von Genf mit einer Kriegerichaar dorthin, mit dem Auftrag 
entweder einen dauernden Frieden zu vereinbaren oder aber, falls 
die Vermegenheit Einzelner e3 nöthig mache, dieſe Durch gebührende 
Strafe zu demüthigen. Der gewandte Vollzieher der Füniglichen 
Aufträge rief den Salinguerra aus Ferrara zu fich, dem die Ver- 
hältnifje der Marf von Treviſo befannt waren und dem es an 
der Vermegenheit ſolche Anſchläge auszuführen feinesmegs gebrach, 
erihien dann mit Lapus in Mantua und ftellte hier eine eingehende 
Unterfuhung an, melche ihn veranlaßte feine Gunft den Bonacofi 
al3 der dem König ergebeneren Partei zuzumwenden, die Gegenpartei 
aber aus der Stadt zu entfernen, ein Unternehmen, welches durch 
die Klugheit und Umficht der beiden, nämlich des Bischofs und des 


Vikars, ohne Kampf bewerfftelligt ward, ſodaß Corteſia de Caſa— 


xolto und Venaticus de Gaffaris mit den Ihren aus der Stadt 
weichen mußten. Kurze Zeit hernach ſandte Pafjarinus de Bonacofis 


1) Die Buonaccoffi hatten dem Füniglihen Statthalter in der Herrſchaft iiber die 
Stadt weichen müſſen. — 2) Ueber die Uberti vgl. ob. ©. 74. — 3) Die ihm nämlih 
der Anſchlag auf Vicenza bot, vgl. das vorhergehende Kapitel. 


Ergebung von Lodi. 101 


im Einvernehmen mit der Benölferung von Mantua jenen Bruder 
Beraldus zum König mit der Bitte, ihm, dem Paſſarinus, dag 
Vikariat der Stadt zu übertragen. Beraldus aber Jette es durch, 
daß wider den ihm vom Volfe und von Pafjarınus ertheilten Auf- 
trag ihm jelbft die Statthalterfchaft zuerkannt wurde. Doch ges 
langte ev nicht in den Genuß diefer Würde, denn man ließ ihn 
in Mantua nit ein und er wurde auf Betrieb des Paſſarinus, 
den Canis Grandıs und Albuin della Scala unterftügten, vom 
König, der feine Hinterliſt misbilligte, alsbald wieder abgejest nnd 
Paſſarinus an feiner Stelle erhoben. 

3. Ergebung von Lodi. Mit ganzer Seele darauf 
bedacht den Reſt der Lombardei in feine Gewalt zu bringen, und 
ſchon voll Mistrauen wegen der Unbeftändigfeit der Lombarden, 
die ex bereit8 jo oft und vielfach erprobt hatte, beſchloß der König 
fie durch ihre eigene Schlauheit zu fangen, damit nicht der Yıgurer 
den Gallier an Wis übertreffe.e Er entbot daher den Antonius 
de Fiſiraga aus Lodi, einen Mann von feltener Gewandtheit des 
Geiftes, der ohne eine öffentliche Würde zu befleiven Lodi Cremona 
und Crema mit einander lenkte, mit mehreren einflugreihen Männern 
aus diefen Städten zu fich, unter der Verheißung, den Frieden zu er- 
neuern und eine Webereinfunft zu treffen, welche zugleich ihren 
Wünſchen und denen der königlichen Majeftät entipräde. Antonius 
namlich behauptete, ex habe nicht Die Macht Lodi zur Uebergabe 
zu bewegen, ja, er finde bei feinen Brüdern und den Einwohnern 
von Lodi niht nur feinen Glauben, jondern ericheine ihnen wegen 
der Treue, die er dem König gegenüber mit ganzer Hingebung be— 
wahrt, jogar verdächtig. Als nun Antonius und die Häupter 
ſeines Anhangs fi) zur Verhandlung bei dem Könige eingefunden 
hatten, ließ dieſer fie feftnehmen und bedrohte fie mit dem Tode, 
falls Lodi ihm nicht überliefert würde. Da gab Antonius, durch 
die Betrachtung jeiner bevrängten Yage entmuthigt und ganz be 
ſonders von der Bejorgnis gequält, die Vermittlung des erwählten 
Biſchofs von Salerno und des Gascogners Ugo, des päpftlichen 


1311 


1311 


102 Drittes Bud). 


Kaplans 9), welche auf Clemens’ Geheiß die Cremoneſen im Sinne 
des Friedens bearbeiteten, möchte ihm zuvorfommen, nad), und befahl 
der Stadt ſich dem König zu ergeben, was die Einwohner jofort 
thaten. Die Einnahme Lodi's ?) machte den König den Cremonefen 
im höchſten Grade furchtbar, zumal da er nun den Deutjchen und 
jeinen übrigen Truppen ihre Ländereien zum Plündern überlief. 
Ein fo gewaltiger Schreden griff bei ihnen um fich, daß fie, aud 
unter ſich uneins, zu ihren Befeftigungen und Wällen alles Zu— 
trauen verloren. Eine große Zahl der VBornehmen, deren Be— 
nehmen fie zu offenfundigen Empörern gemacht hatte, verließ Die 
Stadt; ihre Flucht theilte auch Guido della Turre, der ſich nach 
Cremona begeben hatte, und ging mit ihnen nach Bologna, von 
wo aus ein jeder dahın, wohn ihn das Ungefähr führte, entwich. 
Das im Stich gelafiene nievere Bolt mit feinen Tribunen und 
Senatoren hielt ſich verborgen oder zerftreute ſich durch Die Stadt 
hin, verließ die Rathhäufer und Verfammlungspläge, und es kam 
nicht mehr zu regelmäßigen Beihlüffen der Volksverſammlung oder 
des Senats, bi8 endlich ein Paar geängftigte Senatoren eine außer: 
ordentlihe Verfammlung auf den Markt beriefen, wo fie darzu— 
legen Juchten daß demüthiges Bitten erhört werden würde; man 
jolle, riethen fie, den König aufnehmen, ihn zu beichwichtigen fuchen 
und ferner Milde Alles anhermftellen. 

4. Cremona's Ergebung und VBerderben. Nah 
Borausfendung von Boten öffnete man die Thore und der Adel 
jammt dem Volke, in Trauergewänder gehüllt, ging, nach Ständen 
georonet, mit Palınzweigen in den Händen, dem König eine Meile 


1) Nach jeinen eriten Erfolgen in der Lombardei hatte König Heinrich den Papſt 
erfuht die auf den 2. Febr. 1312 (vgl. die betr. Anm. zu Buch 1 Kap. 6) angejekte 
Kaiferfrönung an einem friiheren Termin ftattfinden zu laſſen. Man einigte fih auf 
Pfingften (Mai 30) 1311; doch zeigte fich diefer Termin bald als zu zeitig, worauf 
Clemens in diefer Angelegenheit die hier von Muffato erwähnten Männer, Robert er— 
wählten Biichof von Salerno und Hugo Geraldi feine Kapläne, mit einem Brief an den 
König fandte, der dann den Tag der Himmelfahrt Mariä Aug. 15. für feine Krönung 
anjegte. Vgl, unten Kap.5 am Ende. — 2) Ausführliher und richtiger erzählen andere 
Duellen, befonder8 Johannes von Cermenate (j. u.) und Bifhof Nikolaus von Butrinto 
die Gewinnung Lodi’s fiir den König. 


Cremona's Ergebung und Verderben. 103 


weit von den Vorſtädten aus entgegen. Einen goldenen Baldadın 
führten fie auf den Spigen der Ranzen mit fi, damit unter ihm 
die königliche Majeſtät einherziehe. Als aber der König mit feinen 
Schaaren und Schlachthaufen, dicht umdrängt von den Fürften des 
Heered, heranfam, weigerte er fih unter den Thronhimmel zu 
treten, da er im demſelben nicht ein Anzeichen von Ergebenbeit, 
jondern einen Ausdrud der feigen Furcht derjenigen, deren Hartnädig- 
feit er ſonſt erprobt hatte, erblidte. Ohne Verzug nahm er dtei— 
hundert der einflußreichften und thatkräftigften Cremoneſen in Ge— 
wahrſam und Lie fie im verfchtedenen Städten iun Feſſeln legen. 
Dann betrat er die Stadt, nahm furchtbar anzufchauen auf der 
Gerihtöftätte Pla und fällte mit Hevanziehung derjenigen, melche 
fih durch Kenntnis der Rechte und Bräuche wie aud der Straf: 
mittel der kaiſerlichen Conftitutionen auszeichneten, vom Throne 
herab folgendes Uxtheil: die Thore und Befeftigungen der Stadt 
jollten gänzlich zerftört, die ſämmtlichen Auszeichnungen, Freiheiten 
und Vorrechte, welche fie vom Reiche empfangen, ihr entzogen werden; 
niemand außerhalb des Umkreiſes der Vorftädte ſollte der Gemeinde 
untergeben, alle ihre Bürger und abhängigen Orte frei fein, jeder 
Cremoneſe dagegen ſollte ein Knecht des heiligen Römischen Keiches 
jein, mit Ausnahme derer die ſich dem König nicht geftellt hätten, 
diefe nämlich ſeien als erklärte Feinde des Reichs zu betrachten. 
Der höchſte auf dem Markte gelegene Thurm, der ſog. Turriazzo, 
auf defien Gipfel fi) das Standbild eines Yöwen befand al weit- 
bin fihtbare Zierde der Stadt, war ſchon zum Niederreißen be- 
ftimmt, ald die milde Königin zu Gunften des flehenden Volkes 
den König begütigte und ihm von feinem Vorhaben abwandte; 
ebenfalls auf Verwendung Der Königin enthielt man ſich auch des 
Beutemachens, der Verheerungen und des Zerftörend der Häufer. 
Soncinum Rimenengum und die übrigen befeftigten Orte im Gebiet 
von Cremona ergaben fi) auf die Kunde von der Einnahme der 
Stadt dem König, der Fall derjelben jchredte aber weit und breit 
Die benachbarten Gegenden. Der König fer ein Wütherich, hieß 
ed; natürlih waren, wie es bei ſchnell verbreiteten Gerüchten zu 


1311 


1311 


Aug. 15. 


104 Drittes Bud). 


gehen pflegt, die ausgehenden Nachrichten meift übertrieben und das 
Wahre in ihnen war mit Falſchem vermifcht. Der König erſchien 
von nun an den Yeuten jo fürdterlih, dag man ſich in mannig- 
fachen aufrühreriichen Neben erging und daß bereit3 die entgegen- 
gejetsten Beftrebungen gewaltfam aufeinander platten. 

5. Empörung Brescia’d Thebaldus de Bruriadie, 
der angejehenfte Mann in Brescia, und die übrigen Vornehmen 
(ten in völliger Mebereinftimmung mit dem Volke, da es ſchien 
daß in Folge ihres bisherigen trogigen Auftretens gegen den König 
feine Hoffnung ihn zu befänftigen vorhanden et, mit emſigem Eifer 
das Korn, ehe es veif wurde, mähen und alles Grün, das Die 
Erde trug, abjchneiden, die Bäume und Weinftöde fällen, altes 
Getreide von allen Seiten zulammenbringen und nebft Allem, was 
zum Lebensunterhalt oder zur Kleidung der Menjchen veriwendet 
werden kann, in die Stadt führen und dort niederlegen. reife 
und Kinder wurten aus der Stadt getrieben und nur die Waffen- 
fähigen zurüdbehalten, Geſchütze und Mafchinen wurden erbaut 
und auf die Zinnen gejchleppt, dann ſchloß man die Thore. 
Schon zog aud) der König mit den Contingenten aller gehorjamen 
Gemeinden und feinen fränkiſchen und germaniſchen Schaaren in 
Eilmärſchen heran um die Stadt zu belagern und legte ſich vor 
diejelbe, indem er fein Yager ringsum in der Ebene und über die um- 
gebenden Hügel bin auffchlug und fich ſämmtlicher Päfje und Straßen 
bemächtigte. Inzwiſchen empfing er von den Gejandten, melde ex 
an die Curie nad) Avignon geſchickt hatte, ein Schreiben des heiligen 
Baters, welches ald Tag der Krönung das Feft der Himmelfahrt 
der heiligen Gottesmutter Maria im bevorftehenden Monat Auguft 
anfündigte; und zwar jollte die feierliche Handlung in der Stadt 
Rom in Beiſein dreier in jenem Schreiben bereit mit Namen 
aufgeführten Cardinäle al8 außerordentlichen Gejandten der heiligen 
Kirhe vor ſich gehen. Diefe Ausficht erweckte bei den Italifern 
und Galliern, welche der Sache des Königs zugethan waren, große 
Freude, bei den übrigen dagegen allgemeine Betrübnis. 











Padua unterwirft fid) u. wird mit fgl. FreiheitSbriefen begnadigt. 105 


6. Padua unterwirft ih und wird mit könig— 
[ihen Freiheitsbriefen begnadigt. In diefen Tagen 
entfchloffen fich die Paduaner, durch jo große Erſchütterungen und 
Unruhen aufgefchredt; und in der Einficht daß, jobald Brescia 
gebrochen fei, die Feindſeligkeiten der Königlichen fi) wider Padua 
richten würden, nicht länger zu zögern mit dem König in eim 
gutes Einvernehmen zu fommen. Bol Neue daß fie das erjprieß- 
liche Abkommen, welches Antonius de Bicvaggeri8 und Albertinus 
Mufjatus erlangt, verſchmäht hatten, überhäuften fie dafjelbe jett 
mit Lob als im höchſten Grade heilfam, erhoben die Umficht, 
Trefflichkeit und Gejchielichket des Antonius und des Albertinus 
bi8 zum Himmel und jchmähten und jchalten auf die welche vorher 
gegen jene gefprochen hatten. Um diefelbe Zeit erfuhr man durd) 
Zwiſchenträger daß der vorermähnte Biſchof Ayıno von Genf den 
zwölf Werfen, die damals das Gemeinwejen lenkten, unter der 
Hand habe mittheilen lafjen: wenn es der Gemeinde von Padua 
gefiele und fie dem König unter ©emwährleiftung ihrer Freiheit 
gehorchen wollten, jo werde fid) das von der Milde des Königs 
leicht erreichen laffen, und zwar durch Aymo's Vermittlung, der 
fih für fie zu verwenden bereit ſei, jofern fie e8 wünſchten und 
genehmigten "und jofern fie nur die überhaupt erreichbaren Be— 
Dingungen, welche fie zu fordern gevächten, dem Biſchof vorher Fund 
machen wollten. Als man jo nad beiden Seiten hin unter Ver— 
mittlung der Bertrauten des Königs fondiert hatte, wurde endlich 
eine Zuſammenkunft in Barbanım, einem Ort an der Grenze 
zwifchen dem Paduaniſchen und PVicentinifhen Gebiet, angelegt. 
Hier traf der Bifchof nebft wenigen Begleitern mit ſechs Geſandten 
der Stadt zufammen. Als Ayımo fragte, welche Bedingungen die 
Paduaner zu erlangen wünjchten, wurden ihm diejelben durch 
Albertinus Muffatus, dem alle früheren Berhandlungen am fünig- 
chen Hoflager befannt waren, auseinandergejeßt. Der Herr von 
Genf, dem fie als vernünftig gefielen, ſprach fi) dahin aus daß 
fie wohl erlangt werden fünnten, und gelobte im Intereſſe der 
Paduaner jelbft zu dem König zu eilen, ın der Hoffnung das 


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1311 


106 Drittes Bud. 


Weſentliche von dem was fie ihm jett dargelegt und was Andere 
erlangt hätten, oder Aehnliches für fie auszuwirken, wozu er alle 
Mühe aufzumenden verſprach. Die Gejandten drücten dem Biſchof 
ihren Dank aus, worauf die Zuſammenkunft beendet ward und 
Aymo nad Vicenza, die Abgeordneten aber nah Padua zurückkehrten. 
Hier brachte man die Sade erft an Die zwölf Vorfteher und die 
Volkstribunen, dann an die taufend Mitglieder des großen Rathes 
und erlangte auf Antrieb des Mufjatus, der dazu anfpornte und 
die DVortheile dieſes Schritted mit Anführung der gemwichtigften 
Dernunftgründe darlegte und beleuchtete, einen Rathsbeſchluß, wo— 
nad) Gejandte, unter denen ſich Antonius de Vicoaggeris und 
Albertinus Muſſatus befinden follten, zu bejtimmen wären, Die 
unter Führung des Biſchofs Aymo zum König eilen follten, um von 
deſſen Milde zu erreichen daß er ihnen feine Gunft wieder zu= 
wende und ihnen nochmals Friedensbedingungen gewähre, unter 
denen die öffentliche Ruhe und die Berfafiung des paduaniſchen 
Gemeinwejens unerjchüttert beitehen könnten, wogegen fie, Die 
Paduaner, den Geboten des Königs gehorfam fein und den Treu— 
eid leiften wollten nah Maßgabe ver alten Gewohnheiten und 
Geſetze des Kaiſerthums. Ohne Berzug wählte man aus dem 
Kitterftand Henricus Scerovegnus, aus dem Volfe die Richter 
Antonius de Brognachis und Antonius de Leo, denen man Die 
Ihon erwähnten Männer, Antonius de Vicoaggerid und Albertinus 
Muſſatus, welche fi durch Die Kenntnis der früheren Verhand— 
(ungen empfahlen, beigab, damit die Angelegenheit um fo erſprieß— 
licher betrieben werden fünnte. Die beiden legteren weigerten fich 
indeß wiederum eine Gefandtihaft zu übernehmen, in ver Er— 
innerung daran wie jehr fie unter der Nichtanerfennung ihrer 
Bemühungen, ja unter dem Vorwurf verbrecherifcher Teigheit und 
Mangeld an Umficht zu leiden gehabt hatten, Doch Liegen fie fich 
ſchließlich durch das Drängen der Decurionen und der Volkstribunen 
beihwichtigen, unterzogen fi, durch die große Gefahr des feinem 
Berderben nahen Staates in Schreden geſetzt, der Geſandtſchaft 
und machten fich mit den übrigen auf ven Weg. ALS fie fih bis auf 


Padıra unterwirft ſich zc. 107 


ein paar taufend Schritt Bologna genähert hatten, kamen ihnen 
Boten der Bolognejen entgegen um ihnen das Betreten ihrer Stadt 
zu unterfagen, da fie zu dem ihnen verhaßten und verfeindeten 
König reiften, und fie zu jchleuniger Entfernung aus dem Bolog- 
nefilhen Gebiet aufzufordern. Da fein anderer Weg ihnen offen 
ftand, jo mußten fie umfehren, doch erlangte man dann durch 
bejondere Gejandte von den Bolognejen aufs neue das Recht durch— 
zupaffieren, und, da von den ſechs Abgeordneten Henricus Eerovegnus 
erkrankte, Antonius de Rogatis aber dringender Rechtsgeſchäfte 
halber zu Haufe bleiben mußte, jo gingen nur die vier übrigen 
an das Hoflager des Königs. Am feftgejegten Tage erfchienen fie 
vor dem Stuhle des Herriherd, an den im Auftrag der Mit- 
gejandten Albertinus Mufjatus folgende Anſprache hielt. 1) 

„Zum dritten Male 2), hochfinniger König, geftattet mix die 
Gunft Gottes und der himmliſchen Heerihaaren das hehre Antlis 
deiner Majeftät zu ſchauen, du Zierde der Chriftenheit, durch den 
unter den Augen Gottes die Könige Könige find und die Herricher 
bereichen. Und wenn ich dieſes Mal, da ich hier vor dir ftehe, 
die Angelegenheiten des Paduanifchen Gemeinweſens dergeftalt fördere 
daß dieſes Gemeinweſen zugleich deinen Wünjchen ſich fügt ?), jo 
will ic mich glücklich preilen, mic für einen Liebling Gottes 
halten, und an der Erinnerung hieran mic) tröften, felbft wenn es 
das letzte Glück fein follte welches mir je zu Theil wird. Doch 
ic komme zu dem was mir aufgetragen iſt. Dem Paduaniſchen 
Staate, welcher jetzt an langen Frieden gewöhnt ift, der die Studien 
und die Weisheit pflegt *), Parteikämpfe nicht fennt, und Gewalt- 
berrichaft nicht erträgt, erſchien dein Einmarsch in die Lombardei 
als ein höchſt erfreuliches Ereignis. Zum Beweife führe ih an 
daß die Biſchöfe von Chur und Conftanz 5), deine Fürften, bei ung 
wie Himmelsboten, die nicht Irdiſches, ſondern Himmliſches melven, 

1) Die folgende Rede ift von Wychgram, Albertino Muſſato, S. 15—17, überſetzt 
worden. — 2) Bgl. die Einleitung. — 3) So möchte wohl der jeltfame Ausdruf ut 
tuis sit compos votis illa respublica zu verftehen fein. — 4) Muffato fpielt auf die 
berühmte Univerfität Padua’3 an, welche im Jahre 1222 begründet wurde. — 5) Die 


Biſchöfe Siegfried van Chur und Gerhard von Eonftanz erichienen als Gefandte König 
Heinrich's im Mai 1310 in Stalien. 


1311 


-108 Drittes Bud). 


1511 aufgenommen find. Zu dem freudigen Schaufpiel deiner Krönung 
jodann haft du in königlicher Yeutjeligfeit aud) und Paduaner ein 
geladen, und Auserlejene von und waren als Zufchauer bei jenem 
herrlichen Feſte anmejend, unter ihnen auch meine Geringfügigfeit. 
Kurz darauf jandte Padua's Bevölkerung den Antonius de Vicvag- 
geris, denjelben der hier neben mir fteht und mid) jelbft, wenngleich 
jo unbedeutend, wie du mi — ſchau her! — hier vor dir fiehit, 
damit wir deiner füniglihen Herablaffung vorlegten was wir zu 
einem ruhigen und glüdlichen Dafein bedürften und was aus 
dieſem Bedürfnis heraus die Gemeinde von div erbat. Du 
winfteft unjeren Bitten Erhörung, o Caeſar! Obwohl frei, haft 
du dich doch willig bezeigt dich zu binden, indem du div jelber 
Geſetze vorjehriebeft, die dir zu überfchreiten, wenn du gleich Willens 
wäreft, nicht zufüme; nämlich du haft feſtgeſetzt daß wir un felbft 
Rectoren wählen, unter unjeren eigenen Geſetzen leben, unjere 
Sitten und Gewohnheiten bewahren follten, haft e8 für Recht er- 
fannt dag wir über die Stadt Vicenza herrichten und haft auf ung 
dein unbegrenztes und ungetheilte8 1) Recht über dieſe Gemeinde 
übertragen, in deiner Huld gegen ung beinahe, wenn id) das Wort 
wagen darf, ein Berjchwender! Denn mas, frage id), wollt ihr 
Paduaner von der föniglichen Freigiebigfeit noch mehr erbitten ? 
Froh alfo und vollftändig befriedigt wandten wir und von deinem 
UAngefichte heimwärts, mit dem Verſprechen, an einem beftimmten 
Zage mit der Annahmeerflärung To großer Gnaden jeitens de8 
Volkes zurüdzufehren. Du fragit jest: weshalb habt ihr verfäumt 
an jenem feftgejegten Tage wiederzufehren? woher die Zögerung ? 
Gnädigſter König, nicht an einen Alleinherricher hatten wir ung zu 
wenden, der durch feinen Mund allein die Anwort giebt, fondern 
wir brachten die Sache an eine zahlreiche Bevölkerung, welche aus 
den Golonien, Burgen, Fleden und Dörfern nur jchmer zu ver— 
jammeln war. Als diejelbe aber endlich verfammelt war, was fid, 
da man bei allen erſt Die paflende Zeit abwarten mußte, nur = 
langjam erreichen ließ, Da erregte die Kunde von deiner Bereit: 








1) Im Tert ift wohl immixtum für mixtum zu leſen. 





Padua unterwirft fich ıc. 109 


willigfeit jo große Vergünſtigungen zu gewähren, eine fo gewaltige 
Freude daß das zum Himmel tönende Jubelgejchret und Die ein— 
müthige Beglückwünſchung des Volkes fih an deiner erhabenen 
Freigiebigkeit gleihjam zu ſättigen ſchien !). Aber mas Hintertrieb 
denn eigentlich unſere Rückkehr zur werabredeten Zeit? Ich will 
es jagen: die Erwägung über die Art und Weife im der deine 
Gebote am beten deiner Erhabenheit entiprechend auszuführen 
ſeien. Nicht, weil man das, mas du gemwährteft, nicht mit ein- 
müthiger Freude aufgenommen hätte, ſondern weil bei einer fo 
großen Freigiebigkeit deinerſeits die von Dankbarkeit überftrömen- 
den Gemüther iiber die Art dir diefe Dankbarkeit zu bezeigen nicht 
einig waren, da jeder wollte dag dir dic Aufrichtigfeit unferer Ge— 
finnungen und Bemühungen, jo deutlich als möglich, fund gegeben 
würde! Wetteifernd jchlugen die Tribunen diefe, die Decurionen 
jene, der Senat noch andere Wege und Formen deine Majeftät zu 
ehren vor, bis fie endlih — allerdings nad Verlauf einer etwas 
längeren Zeit als der Anlaß erforderte — einmüthig beichlofien 
dir zu Willen zu jein, Div zu gehorchen, Dich als erhabene Zierde 
zu verehren und das, was wir, Antonius und Muffatus, mit dir 
verhandelt und ausgemacht hatten, zu beftätigen. Da fommt den 
Paduanern plötzlich die überrafchende Nachricht zu: Canis von 
Berona habe Bicenza bejett, die Paduaniſche Beſatzung der Stadt 
aber vertrieben oder gefangen genommen. Solches konnte Canis 
thun, unjer Mitbürger und Bruder, dem auch ſonſt jederzeit bie 
Thore Padua's offen geftanden hätten, der durch unfere Gunft 
groß geworden iſt, mit dem und Waffenbündnis und Bürgerrecht 
verbindet! Aber, bei Gott! beſſer wäre es gemefen, wenn die 
Paduaner deinen Befehl gekannt Hätten, denn mir wären eifriger 
Darauf bedacht geweſen dir zu gehordhen, ald du ung zu befehlen 2). 
Denn aus welchem Grunde und in welcher Hinficht ift, wofern 

1) Für satiaret ift Hier wohl satiaretur zu leſen. — 2) Muffato will fagen: Hätten 
die Paduaner gewußt daß der König ihnen Vicenza zu entfremden gefonnen fei, fo 
wilrden fie gern diefe Stadt preisgegeben haben; nur das eine ſchmerze fie, daß ihr bis— 


beriger Freund und Bundesgenoffe Cane grande fich jo treulos und undankbar gegen fie 
ermwiejen habe. 


1311 


1311 


110 Drittes Buch. 


nur die Völker im Frieden verbleiben und die höchſte Gottheit Dich N 
am Xeben erhält und beihütt, für Padua die Fortdauer feiner 


Herrſchaft und Oberhoheit über Vicenza wünſchenswerth? Bielleicht 
jagt jemand: e8 war dies eine Ehrenjache für Padua. Aber dieſe 
Ehre, o König, ward durch eine Laſt, welche ſich auf fünfzig 
Pfund Goldes belief, überwogen. Die Vicentiner mögen unab— 
hängig fein, wofern fie e8 nur ſelbſt wollen, und dieſe Angelegen- 
heit joll bei unfern Verhandlungen aus dem Spiel bleiben. Wir 
find erjchtenen um Stadt und Bürger deiner Botmäßigfeit zu 
unterwerfen. Wir befennen uns als Getreue des heiligen Reichs, 


nur geftatte, o König, in deiner Gewifjenhaftigfeit daß wir au 


ferner nach unferen eigenen Gelesen, unter denen wir jo lange in 
Freiheit gelebt haben, leben mögen. Möge ung gewährt fein ge= 
ſchickte und brauchbare Männer nad) unferen Sitten zu Borftehern 
zu mählen, unter welchen du jelbft einen ausfuchen magft, dem du 
für den Zeitraum eines halben Jahres die höchfte vichterliche Gewalt 
bei und überträgft. Auch mögen die Paduaner fich ihrer Güter 
und Befitthümer, die ihnen unvermuthet geraubt worden find, 
wieder erfreuen. Zu foldhen Bedingungen find wir willig bereit, 
hiermit ift unfere Gemeinde zufrieden. Du aber, lebe und wirke, 
unbefiegliher König, du Heil aller Chriſten auf Erden!“ 

Nachdem Mufjatus jo geredet hatte, hieß der König Die 
Geſandten fich entfernen, verfammelte feine Fürften und trat nad 
veiflicher Dreitägiger Berathung, bei der fi) die Königin Margaretha, 
Graf Ameus von Savoyen, die beiden Brüder des Königs und Die 
übrigen Bertrauten, namentlid) aber Biſchof Aymo von Genf, für 
die Paduaner verwandten, mit folgenden Verfügungen hervor, die er 
in den nachftehenden füniglichen Urkunden vechtöfräftig niederſetzen ließ: 

„Wir Heinrih, von Gottes Gnaden römiſcher König, allezeit 
Mehrer des Reichs, entbieten allen Getreuen des heiligen römiſchen 
Reiche, die diefen Brief jehen, unfere Gnade und alles Gute! — 
Dann wird der Eifer der Getreuen und Ergebenen des Reichs all- 
feitig entflammt, wenn er des Königs Freigiebigfeit ihnen zu ihrem 
Rechte zu verhelfen und Gnaden zu fpenden willig und bereit er 





Padıra unterwirft fich ꝛc. 111 


findet. Deshalb gewähren wir, in dem Wunſch gnädige Fürjorge 
für die Ruhe und das Wohl der weiſen Männer, des Kathes und 
der Gemeinde von Padua, unferer lieben Getreuen zu treffen, und 
verftatten ihnen aus fünigliher Güte daß fie alle ſechs Monate 
vier brave und geeignete, und und dem Neid) ergebene Männer 
erwählen und deren Wahl durch offene, mit den Siegeln der Ge— 
meinde verjehene Briefe zu unjerer Kenntnis bringen mögen, falls 
wir uns in der Lombardei, in Tuscien oder ſonſt dieſſeits der Alpen 
oder aud in der Stadt Rom aufhalten. Wir werden dann von 
den vorgenannten vieren einen, welchen wir wollen, ihnen geben 
und zum Bifar und Rector der genannten Stadt Padua auf 
ſechs Monate jegen, und werden durch unjern offenen, mit dem könig— 
lichen Siegel verjehenen Brief dem jevesmaligen Biſchof von Padua 
oder einer andern geeigneten Perſönlichkeit, die ihren Aufenthalt in 
Padua hat, ven Auftrag ertheilen won demjelben Dergeftalt durch 
föniglihe Gewalt ernannten Bifar in unferem Namen den Eid 
entgegenzunehmen, daß er die Yeitung der genannten Stadt und 
ihres Gebietes trefflich, gejegmäßig und treulich zur Ehre und zum 
Nutzen unferer Perfon und des Reichs ausüben und handhaben 
wolle. Falls wir dagegen uns außerhalb der Lombardei oder 
Tusciens oder der dieffeit der Alpen gelegenen Gebiete und auch 
nicht in der Stadt Nom befinden jollten, jo ſoll die Wahl jener 
vier unſerem eneralftatthalter der Lombardei angezeigt werben, 
und diefer Toll aus ihnen einen, welchen er will, zum Vikar Der 
Stadt Padua erheben unter Wahrung der oben vorgefchriebenen 
Art und Weiſe. Wir wollen jedoch daß Diefe Gnade und Ber: 
günftigung von heute, dem Tage der Ausftellung dieſer Urkunde 
an, nur jech® unmittelbar auf einander folgende Jahre in Kraft 
bleiben joll, e8 fer denn daß wir und aus reichlicherer Gnadenfülle 
heraus entſchließen jollten den gedachten Zeitraum zu verlängern. 
Derſelbe Vikar ſoll auch die genannte Stadt und ihr Gebiet, wie 
er es nad) dem Recht innehat und befitt, in gemeinem, friedlichem 
Zuftand in unferem Namen regieren, zu Gottes, unjer und bed 
Reiches Ehre, nach den Gefegen und guten Gewohnheiten jomie 


1311 


1311 


Suni 9. 


Apr. 15. 


112 Drittes Buch. 


nach den von uns gebilligten oder noch zu billigenden Feſtſetzungen, 
Gejegen und Abmachungen, welche Teftfegungen, Gejege und Ab- 
machungen weder gegen Gott noch zum Nachtheil unferer und des 
erwähnten Reiches Ehre fein jollen. Da wir aber wollen, daß die 
vorgenannte Stadt Padua des erwünſchten Vortheils der Ruhe ge— 
nieße und durch königliche Umſicht vor jeglichen Nachtheilen be— 
wahrt bleibe, jo haben wir für gut befunden die Stadt ſelbſt, ihr 
Gebiet, ihre Einwohner, und Einrichtungen in unferen ganz be 
jonderen Schu und Schirm zu nehmen, und gegen eine jähr— 
lite Abgabe von zwanzig taufend Gulden guten und puren 
Goldes, welche fie unferer Kammer zu entrichten hat, von jeglichen 
Antheil an der Aufbringung des Gehaltes unſeres Provinzialoor- 
ſtehers zu entbinden. — Diefer Dinge aller zu Urfund haben 
wir diefen Brief niederjchreiben und mit unferer Majeſtät Inge— 
fiegel befiegeln laſſen, der gegeben iſt im Lager wor Brescia am 
9. Juni in der neunten Imdictton im Jahre des Herren 1311, 
unſeres Reichs aber im dritten Jahre.“ 

Zweitens: | 

„Wir Heinrich, von Gottes Gnaden römischer König, allezeit 
Mehrer des Reiche, entbieten allen Getreuen des heiligen römischen 
Reichs, die dieſen Brief ſehen, unfere Gnade und alles Gute! 
— 68 ziemt der füniglichen Erhabenheit dasjenige was Zwiftige 
feiten und Verirrungen unter den ©etreuen des Reichs herbeizu= 
führen im Stande ift, mit emfiger Sorgfalt aus dein Wege zu 
raumen und einen friedlichen Zuſtand herzuftellen, denn, folange 
Gemüth und Sinn der Ruhe genießen, bequemen fie fic) beſſer 
zum Gehorfam gegen und und zur Ergebenheit gegen das Neid). 
Wir wollen daher und ordnen an daß Diejenigen Paduaner, welche 
am fünfzehnten Tage des jüngjtverwichenen Monats April, an 
welhen Tage Vicenza der Obhut der Stadt Padua enthoben 
ward, und nach jenem Tage durch irgend welche Leute aus der 
Stadt oder dem Gebiet von Vicenza ihres Beſitzes, ihrer Rechte 
oder unbeweglichen Güter beraubt worden find, im Genuß dieſer 
ihrer Güter und Beſitzungen ohne Rechtsgang und Anftrengung 








Padua untermwirft fih x. 113 


einer Klage wieder hergeftellt werben. Dieſe Wiederhergeftellten ızı1 
aber follen ihr Eigen in Befig nehmen und behalten ohne irgend- 
welche ungerechte Beläftigung oder Beichwerung, doch jo dag die 
vorgenannten Paduaner gehalten fein jollen, jene Güter, Rechte 
und Befitthümer der Gemeinde von PVicenza oder einzelnen Per— 
fonen aus der Stadt oder dem Gebiete derjelben um einen ge- 
ziemenden Preis käuflich zu überlafjen, wenn die vorgenannte Ges 
meinde von Bicenza oder einzelne Perfonen aus der Stadt oder 
ihrem Gebiet dieſelben zu erwerben wünſchen, doch joll jeglihem 
fein Recht vollftändig gewahrt bleiben, ſodaß aus diefen Beſtim— 
mungen niemandem irgend ein Nachtheil an feinem echte erwachſe. 
Für die beweglichen Güter aber, welche die Paduaner in der Stadt, 
dem Gebiet und Diftriet von Vicenza innehaben oder hatten, jo 
viele deren in die Hände der Vicentiner gelangt find, joll, ver- 
ordnen wir, durch den Statthalter von PVicenza ihnen eine ent- 
ſprechende Entſchädigung ausgewirkt werden. Auf diejelbe Weiſe 
beftimmen wir und münfchen daß es durchaus bei der Wieder: 
herftellung der Beſitzthümer, Rechte und beweglichen wie unbeweg- 
lichen Güter, melde die Vicentiner in der Stadt und dem Gebiet 
der Paduaner oder ſonſtwo haben, und welche an dem vorgenannten 
Tage oder päter von den Paduanern in Befis genommen find 
und ſich noch in deren Beſitz befinden, gehalten werde, indem wir 
zugleich anordnen und beftimmen, daß alle und jegliche Bürger 
Padua's, welche an dem vorgenannten Tage oder ſpäter durch Die 
unferen oder durch die Bürger von Vicenza oder durch Fremde ges 
fangen worden find, freigelaffen werden. Wir fügen überdies hinzu 
und befehlen, daß Die Gemeinde Vicenza, die einzelnen wie bie 
Gefammtheit, den Verpflichtungen, melche fie nachweisbar gegen die 
Paduaner hat, nachkomme, wie es ſich gebührt, auf daß jegliche. 
Grund zur Beichwerde mwegfalle, jowie aucd daß die Paduaner den 
Bicentinern in Betreff ihrer Verpflichtungen gleichfalls genugthun. 
— Aller diefer Dinge zu Urkund haben wir diefen Brief nieder— 
Ichreiben und mit unferer Majeftät Ingefiegel beſiegeln laſſen, der 
gegeben ift im Lager vor Brescia am 9. Juni im Jahre des Juni 9 
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VIT. 8 


114 Drittes Bud). 


1311 Herrn 1311, in der neunten Indiction, unſeres Reichs aber im 
dritten Jahre.“ 

Nah Ertheilung diefer Privilegien befahl der König, daß 
Padua, um fich für feine Freigiebigfeit dankbar zu bezeigen, Tomte 
als Ehrengejchent für die Königin und zur Wiverlegung der ges 
waltigen Ausgaben, welche die Belagerung von Brescia, mit Der 
man beihäftigt war, verfchlang, innerhalb eines beftimmten Zeitz. 
raumes der Königlichen Schatzkammer hunderttaufend Gulden über- 
weile. Hierauf entließ er die Gefandten. Im Senate berichtete 
Muſſatus im Auftrag feiner Gefährten das Ergebnis ihrer Unter— 
handlungen im einzelnen und fand jeltenes Yob indem ein jeder 
erklärte daß alles zum Heil des Baterlandes gereiche. Ald nam: 
lich fünfhundert und fünfzig Senatoren nad) der Sitte der Paduaner | 
mit bleiernen Kügelchen, welche man Ballotten nennt, (Die jeder 
insgeheim in die Urne werfen mußte, damit aus der Zahl der— 
jelben ganz fiher die geheime Anficht der einzelnen zu Tage trete) 
abftimmten, ward gegen nicht mehr als fiebzehn Ballotten, die ſich 
in der Urne der dagegen Stimmenden befanden, alles genehmigt. 
Nach etwa vierzehn Tagen erſchien als Abgeordneter des Königs 
Biſchof Aymo von Genf, Der vom Senate, von den einzelnen 
Senatoren und den Zribunen den Treueid entgegennahm. So 
unterwarf fih Padua dem Reiche, während der vorermähnte 
Heinrih VII. König war, im Jahre nah Chriftt Geburt 1311 

Sumizı am 21. Jun. Wenn aber jemand auf die Conftellationen und 
Umdrehungen der Himmelöförper achtet, ſo ift folgendes Zuſammen— 
treffen bemerfenswerth, dag nämlich Padua an demſelben Tage, 
an welchem “8 vor ſechs und fünfzig Jahren!) vom Reiche zur 
römischen Kirche abgefallen war, nunmehr zum Reiche zurüdfehrte. 
Inzwiſchen langten in Padua zwei der Gefandten an, melde die 
Stadt an die Curie geichielt Hatte, nämlich der Doctor der Rechte Bartcus 
de Lingua de Vacca und der Ritter Anſelminus de Anjelminis, die bet 
der Durchreife im Lager des Königs wegen der Widerjpenitigfeit 








1) Bielmehr vor 55 Jahren. Der Abfall von Ezzelino und die Flucht des Neffen des— 
ielben Anfedifio aus Padua erfolgte am 21. Juni 1256. 





Belagerung von Brescia ıc. 115 


ihrer Stadt und weil man behauptete, fie hätten im Angeficht des 
Papftes ſich Schmähungen gegen den König erlaubt, feitgehalten 
worden waren, nun aber, in Folge des frienlichen Ausgleichs 
befreit, endlich in Padua erfchtenen und dem Senat und Bolf 
die Antwort des Bapftes überbrachten, welche dahın lautete daß 
fie dem erlaucdten Könige, dem Sohn der römiſchen Kirche, in 
allen Stüden gehorchen follten; eher würde feiner von ihnen Er— 
hörung finden; fondern erft menn dies geichehen, fünne Die priefter- 
liche Milde fi) auf ihre Gefuche einlaffen, ſoweit diejelben mit 
der föniglihen Hoheit und ihrer eigenen Ehre jih im Einflang 
befänden. Nach abermaligem Verlauf weniger Tage fehrten dann 
audy der Richter Iohannes de Vigontia und der Ritter Roland 
de Guarnerinis, die Mitgefandten der letzterwähnten, zurüd und 
beftätigten was jene berichtet hatten. 

7. Belagerung von Brescia und Tod des The- 
baldus de Bruxiadis. Um diefe Zeit war der König in 
feinem Lager vor Brescia nebjt den lombardiſchen Hilfsvölkern mit 
der Belagerung der Stadt beichäftigt 1), beläftigte die Vertheidiger 
ohne Unterlaß durch Belagerungsthürme, Sturmböde und alle 
Arten von Schleudermafchinen, erlitt aber aud von ihnen bei 
einigen Ausfällen und durd) die Geſchoſſe ihrer Mafchinen Berlufte, 
indem das Glück, wie e8 zu geichehen pflegt, bald diefem bald jenem 
Theile jeine Gunft zumandte. Ber diefer Belagerung ereignete fich 
nun folgender bemerfenswerthe Tall. Thebaldus de Brurxia— 
DIS, das Haupt der Brescianer, hatte an einen dem königlichen Lager 
nahe gelegenen feljigen Hügel eine Warte, melde die Yombarden 
Ditifredus ?) nennen, erbauen lafjen, die nicht nur zur Beobachtung 
der Bewegungen der Königlichen diente, Jondern auch geeignet war 
jenen dem feindlichen Lager benachbarten Hügel zu fihern. Als 
fi nun Thebaldus einft mit etwa dreißig Leichtbewaffneten dorthin 
begeben hatte um die Werke zu befichtigen, wurbe er, jet e8 durch 
Zufall oder in Folge von Verrath, von eimer Schaar deutjcher 

1) Die Belagerung von Brescia dauerte vom 19. Mai bis zum 18. September 1311, 


ajo gerade 4 Monate. — 2) Die gewöhnliche Form ift belfredus oder berfredus. 
8 * 


1311 


131 


— 


116 Drittes Buch. 


Reiter überfallen, welche ſich mitten auf denjenigen Weg ſtürzten 
der, über ein ſchmales Joch führend, den einzigen Zugang zu jenem 
Hügel bildete. Obwohl er ſich verloren ſah, wich er dem Kampfe 
nicht aus. Die Lanzen fliegen und es kommt zu einem blutigen 
Gemetzel; wenige der Begleiter Thebalds retten ſich durch die Flucht 
in ein benachbartes Caſtell, die übrigen wurden gefangen, unter 
ihnen Thebaldus ſelbſt, der erſt im letzten Augenblick, als er bereits 
vom Pferde geworfen war und den Todesſtoß erwartete, mit Hilfe 
eines Knechtes italiſcher Zunge, welcher ausrief es ſei Thebaldus, 
von den Deutſchen erkannt wurde. Gefangen und von fünf Wunden 
durchbohrt, aus deren einer in Folge einer Verletzung des Stirn— 
knochens an der linken Stirnader das Auge ausfloß, wurde der 
Unglüdlihe zum König geführt. Wild tobte das Heer und des 
Königs triumphirender Jubelruf jtieg zum Himmel. Vergebens 
verwandte ſich Die Königin auf das allernahdrüdlichite für ihn: 
Heinrich ließ ihn nah Abhaltung eines Fürftenvathes, in welchem 
eine Unterfuchung angeftellt und Thebaldus des Hochverrathes über- 
führt und jchuldig erklärt wurde, zum Tode nad) alter Sitte ver— 
urtheilen. In eine Rindshaut genäht, damit er länger am Leben 
und für die Erleidvung der Strafe aufgeipart bleibe (denn, Durch 
die Wunden auf das härtefte mitgenommen, friſtete Thebaldus kaum 
noch das Leben), ward er an die Schwänze von wilden Ejeln ge= 
bunden und um das Lager geichleift, dann aber mit den Händen 
und Fügen an den Naden von vier Kindern befeftigt und von 
diefen in Stücke gerifien, fein Haupt auf die Spite einer Lanze 
geftet und an die nächſte Mauer, den Einwohnern zum Schaufpiel, 
getragen, jeine Glieder durch das Heer. compagnieweiſe verteilt 
und jeine Eingeweide von dem lärmenden Volke im Lager verbrannt. 
Das war das Ende des Thebaldus 9. Aber die Belagerten, fei 
es daR fie fich über dieſes entjegliche Ereignis, das vor ihren 
Augen fi) vollzog, hinwegſetzten, oder die Schmach durch erhöhte 
Tapferkeit austilgen wollten, thaten fich nur um jo mehr im Kampfe 


1) Saft alle Quellen gedenten des Ausgangs diefes hervorragenden Mannes, f. u. an 
den betreffenden Stellen. 





2 ee 





Geſandtſchaft zu den Venezianern. 117 


hervor. Auch berichtete man, daß fie jofort etwa Hundert gefangene 
Feinde auf die Zinnen ihrer Mauer geführt und ihnen dort die 
Kehle zugeichnürt hätten. Aus den Angefehenften erwählten fie 
an Stelle des einen vier, welchen fie die höchfte Gewalt über Tod 
und Leben übertrugen, ſchmähten die Feigheit des Ihebaldus, der 
ohne ihr Wiſſen fid) in die Gewalt der Gegner begeben, verboten 
feinen Namen zu nennen und meinten, man müfje Gott und den 
Heiligen Dankopfer bringen, daß die verdiente Strafe ſich auf jein 
Haupt berabgejenkt habe. Unter diefe vier ward auch die Obhut 
über die Befeftigungen und die Wachen der Stadt getheilt und 
viele umfichtige Anordnungen getroffen; um fo vermwegener aber 
und häufiger wurden von nun an Ausfälle unternommen. 


8. Geſandtſchaft zu den Benezianern. Um Diele 
Zeit begaben fih Biſchff Aymo von Genf, Grato Herr von 
Clariacus !) und der Richter Andreas Gareti von Aftı in einer 
Botichaft des Königs nad) Venedig. Der Doge Petrus Gradoncus ?) 
fam ihnen mit Gefolge zu Schiffe entgegen, empfing fie zuvor— 
fommend und ehrenvoll und führte fie in feinen Palaſt. Indeß 
muthete ınan weder ihm noch den Benezianern zu überhaupt irgend ein 
Treu- oder Gehorfamteitöverhältnis mit dem König einzugehen, 
denn ſchon früher, als diefer eben ven italifhen Boden berührt, 
hatte der Doge Gefandte mit königlichen Ehrengeſchenken 3) zu ihm 
geichiet *), nicht aber um irgendwie feinen Gehorfam zu erklären, 
wie er denn auch den Gefandten unterfagt hatte die Füße Des 
Königs zu küſſen. Man fagte aber, der Gemeinde von Benedig 
jet dieſe Ausnahmsftellung durd alte Vorrechte von Kirche und 
Reich bewilligt worden. Doch follen des Königs Boten Geſchenke 


1) Ein Ort Clariacus (jet Notre Dame de Clery) liegt nicht weit von Orleans; 
ob indeß diefer hier gemeint, ift zweifelhaft. — 2) Pietro Gradenigo 1289—1311. Unter 
ihm erfolgte die Schliefung des großen Rathes, welche der Republik für alle Folgezeit 
ihren ariftofratiijhen Charakter bewahrte. — 3) Muffato bedient fich Hier des längſten 
Wortes, welches in der Yateinifchen Sprache vorfommt; er nennt nämlich die Geſchenke 
exennia honorificabilitudinitatis, vielleicht um durch dieſes ſchwülſtige Wort dem eitlen 
Prunk und die Hoffahrt der VBenezianer zu bezeichnen. Vgl. Barthold, der Nömerzug 
König Heinrih3 von Lützelburg (1831) II ©. 60 Nte. 77. — 4) nah Mailand. 


1311 


1311 


fer 


118 Drittes Bud). 


und Unterftügung für den Marſch auf Rom zur Katjerfrönung 
ſowie Galeeren oder fleinere Schiffe, falls der König irgend ein 
Meer zu befahren für nöthig erachten würde, erbeten haben, worauf 
der Doge veriprach, ev werde nad) Rath und Beſchluß der Erſten 
des Staates !) Heinrich dem Römiſchen König als jeinem Freunde 
Dienftleiftungen und Ehren erweifen. Drei Tage verweilten Die 
Geſandten in Venedig, beurlaubten fid) dann und begaben ſich 
nad Treviſo. 

9. Trevifo unterwirft ſich. Zu ihrem Empfang er- 
ſchien mit den Edlen ver Trevijaner der erlauchte Riciardus de 
Camino, der dem König bereits Beiftenern geleiftet hatte, demſelben 
treu ergeben und von ihm (mie wir oben?) erzählt haben) mit 
dem Vikariat über Treviſo, Feltre und Belluno begabt worden 
war. Doll freudigen Eifers veranftaltete er unter dem Beifall der 
Bevölkerung von Trevifo den Gejandten glänzende Feſte und Er- 
luſtigungen, zugleich aber berief er eine Volksverſammlung und 
leiſtete felbft zuerft, nach ihm die übrigen Mann für Mann, den 
Eid den Geboten des Königs zu gehorchen. Zwei Tage ver- 
weilten die Gefandten bier, dann Fehrten fie, mit herrlichen Roſſen 
beichentt, nach Padua zurüd, um die dafelbft entftandenen Uneinig= 
feiten beizulegen und die Urfachen von ärgerlichen Auftritten, melde 
mischen den mit einander werfeindeten Paduanern und Bicentinern vor— 
fielen und von Tag zu Tag einen hitigeren Charafter annahmen, 
aus dem Wege zu Ichaffen. 

10. Beiläufige Erwähnung der Berurtheilung 
des Drdens der Tempelherren. Während diefe Dinge vor 
fih gingen, berührte der Patriarch Octobonus von Aquileja ?), 
vom Papfte zu dem allgemeinen Concil gerufen, welches am folgen= 
den erften Dftober in der Stadt Vienna *) eröffnet werden jollte, 
Benedig und Padua, im Begriff zuvor nod den König aufzu= 
ſuchen, und durdeilte dann geraden Weges die Lombardei. Jenes 
Concil aber, zu dem alle Brälaten der Chriftenheit geladen waren, 


1) d. h. der in der Signoria, dem großen Rathe, verfammelten Nobili. — 2) ©. o. 
Bud 2 Kap. 7. — 3) Dttobuono de’ Razzi 1302—1315. — 4) Vienne in der Provence. 





4 


4 
& 











Beiläufige Erwähnung d. Verurtheilung d. Ordens d. Teinpelherren. 119 


hatte der Papſt hauptfächlih wegen des Verbrechens der Gottes— 
fäfterung, des furchtbaren ſchnöden Lafterd des Götzendienſtes, der 
enteglihen Unthat der Sodomiteret und der abjcheulichen Ketzerei, 
deren die Meifter Präceptoren und Ritter des Templerordens von 
Serufalem, etwa zweiundjiebenzig an der Zahl, überführt und ge— 
ftandig waren und wofür fie num die Strafe der Kirche erwarteten, 
berufen. O Schande! Freilih gehören diefe unſäglichen Schand— 
thaten nicht zu unferer Erzählung, aber man darf doch davon 
jagen zur Warnung für alle, die ähnlicher Vergehen ſchuldig find 
(was fern jei!), damit Das, was unfer Zeitalter erlebt, die Nach— 
welt vorfichtiger made! Jene abjcheulichen Beftien, die eine menſch— 
liche Form angenommen als Brüder oder beſſer als Teinde des 
heiligen Kreuzes, unter defjen Zeichen fie einherzogen, hatten bet 
der Aufnahme in den Orden unter Abſchwörung Chrifti, Anfpetung 
des Kreuzes und anderer Ceremonien, welche ih aus Schamhaftig- 
feit verjchmeige, durch ihre und ihrer Geſellen Verbrechen ihre 
Seelen dem Satan verſchrieben und Frankreich, die Länder jenſeits 
des Meeres, die Normandie, Aquitanien und Poitou mit dem 
Schmutze ihres Gottesfrevels angeſteckt. Hauptſächlich um dieſer 
Sache willen wurde wie ſchon geſagt das Concil verſammelt zur 
Kräftigung des Glaubens, zur Ausrottung ſolcher Irrlehren und 
zur Rückführung der Gefallenen auf den Weg der Wahrheit. Den 
Anlaß zu dieſer Unterſuchung und Aufklärung verdankte man dem 
Scharfblick König Philipps von Frankreich, welcher in ſeinem Eifer 
für den Glauben in die leuchtenden Fußtapfen ſeiner Vorgänger 9) 
trat, und dem jene Verbrechen der Ritter angezeigt worden waren; 
nicht Habgier bemog ihn, wie einige aus jener Sippihaft behaup- 
teten, da er in der Folge nichts von ihrem Beſitz für fi in An— 
ſpruch nahm, fondern die Hände von ihren unberührten Gütern fern 
hielt, die er vielmehr aus freien Stüden dem Befig der hoch— 
heiligen Kiche, von welcher fie ausgegangen waren, vorzubehalten 
befahl 2). 


1) Nämlich der durch die blutigen Kriege gegen die Albigenfer in Siüdfranfreidh be= 
rüchtigten Könige Philipp II. Auguft, Ludwig VII. und Ludwig IX. — 2) Die Aufhebung 


1311 


1311 


120 | Drittes Bud). 


11. Wunderzeihen. Ungeheure ftaunenswerthe Vor— 
gänge und Ergebnifje waren Died, welche man, ehe fie eintraten, 
faum für möglich gehalten hätte. Auch fehlte e8 nicht an Wunder- 
zeihen am Himmel. Denn gerade um die Zeit, ald man fich 
mit diefer Sache zu beſchäftigen begann, erblicte man in Parts 
und ven benachbarten Yandftrihen von Frankreich ſeltſame Er— 
Iheinungen, eine zweitägige Verfinfterung der Sonne und des Mondes 
in Folge des Erdſchattens, ein nie worber gefehenes leuchtendes 
Geftirn, ein dreifaches Abbild des Mondes, feurige Kreife, melde 
das Bild eines Kreuzes einjchloffen, und andere jeltiame erichred: 
lihe ©eftalten in den Lüften. Ferner ſah man von der Erde aus 
bimmelwärts Fadeln fliegen, welche die italiihen Gefilde ver- 
brannten; das Geräuſch der Umdrehung der Erdaxen an den 
Polen wurde bet heiterem Himmel donnerähnlich vernommen ohne 
daß es bligte. Solches wurde aus dem gallifchen Lande gemelbet, 
mit diefen Gerüchten die italifchen Gemeinden erfüllt und, da die 
Nachrichten immer entjchiedener auftraten, galten fie der ganzen 
Welt für offenfundig. In einem Paduaniſchen Dorfe, mit Namen 
Eurte !), verirrte fich die Natur bei der Bildung des Lebenden fo 
meit, daß eine Stute ein Junges mit neun Füßen zur Welt brachte. 
Auf der Grenze zwilchen dem Gebiet von Padua und von Treviſo 
wurde das Schloß der Feſte Trivilla, ein altehrmürdiges Bau— 
werk aus Backſteinen, durch ein Erdbeben zerftört, ſodaß die oberften 
ZTragebalfen und der Giebel dem Erdboden gleihgemacht wurden. 
Auch wurde eine bis dahin unbefannte Vogelart in der Lombardei 
beobachtet und gefangen, deren Gefieder afchfarbig war und rothe 
Aleden zeigte und die einen Kamm auf dem Kopfe trugen, won der 
Größe derer welche wir Paduaner Frironen ?) nennen; einige be- 


des Ordens der Tempelherren erfolgte 1312, die Verbrennung des Großmeifters Jacob 
von Molay mit 54 Nittern 1314. Sie fielen nicht ſowohl in Folge ihrer angeblichen 
Berbrehen als vielmehr wegen der Habſucht des nad ihren reihen Gütern Tüfternen 
Königs Philipp. Wenn Muffato berichtet, diejer habe die Gitter der Berurtheilten un— 
berührt gelafien, fo ift er durchaus falfch berichtet. — 1) Corte a. d. Brenta ö. v. Piove. — 
2) Da diefes Wort uur hier vorfommt, jo läßt fih nicht jagen, welche Gattung von 
Bögeln der Autor bezeichnen wil. 





Wunderzeichen. 121 


richteten übrigens, dieſelbe Vogelart fer auch zu Zeiten Kaiſer 
Friederichs gejehen worden. Der Winter diefes Jahres war 
regnerifh und brachte viel Schnee, der Frühling war reich an 
Ueberſchwemmungen, der Sommer troden mit häufigen Hageljchauern. 
Daher entftand im ganzen Gebiet von Padua eine ſolche Dürre, daß 
die Aecker kaum die Ausfaat wieder einbradhten, die Trauben 
wurden vom Hagel abgeichlagen, die Neben vertrodneten, ſodaß die 
fünftige Beinernte im ganzen Gebiet der Euganeen !) geſchädigt wurde. 
»- Und wenn wir an der uralten Sitte der Vorfahren, der Nömer, 
nah deren Gefegen und Einrichtungen wir nod heute leben, die 
nämlich in ähnlichen Fällen ſich bemühten die Götter zu befänftigen, 
uns ein Beispiel nehmen wollten, wir, welche wir, vom Lichte des 
eingebornen Sohnes Gottes erleuchtet, die Erhabenheit des allmächtigen 
Vaters lebendiger zu begreifen vermögen, jo hätten wir wohl dieſe 
Wunderzeihen durdy Gelübde nnd Bitten fühnen und die durch die 
Welt verbreiteten Verbrechen abftellen müſſen. Aber leider 
fann niemand leugnen, daß, während jene Heiden ihren erzürnten, 
ihon zu den Blisitrahlen greifenden Jupiter durd) Opfer gar häufig 
befänftigt zu haben behaupteten, und verficherten daß die, welche 
fie Götter nannten, durch der Menſchen Uebermuth und Troß ge— 
kränkt, gegen dieſelben eingejchritten ferien, ihre Macht vernichtet, 
ihnen Tod und Verderben gebracht hätten (mie 3. B. gegen Niobe, 
welche in ihrer Anmaßung den Göttern zuzurufen wagte: „Schaut 
wie mächtig ich bin, nid ſchädigt nimmer das Schidjal?)!“ 
Latona, die Mutter des Phoebus und der Phoebe, mit rächender 
Strafe einfhritt), und, wenngleidy unter der Wolfe ihrer betrogenen 
Sinne, Diejenigen, welche jie für Götter hielten, verehrten und 
fcheuten: wir den ficheren Gott, der und erfchtenen ift, vernach— 
läſſigen und die am Himmel fihtbaren Zeichen desjenigen, deſſen 
Allmacht und Eigenihaften wir gefpürt haben, nicht ſcheuen! Was 
Wunder alfo, wenn die Plagen des mwaltenden Gottes vom Himmel 
fih auf die Erde fenfen und mit gerechter Strafe die Erdgeborenen 


1) vulfanifhe Gebirgsgruppe jüdweftlih von Padua. — 2) Ovid, Metamorphojen 
195. 


— 


— 


1311 


1311 


122 Drittes Bud). 


treffen? — Dod nehmen wir den Faden unferer Erzählung 
wieder auf! 

12. Einnahme von Bergamo Während fi der 
König noch im Lager vor Brescia befand, wurde ihm durch An- 
geber heimlich hinterbradt, in Bergamo finne die Partei der 
Dptimaten auf Abfall: man fordere von dort aus durch Briefe 
und Boten die Feinde des Königs, die belagerten Bresctaner, auf, 
fie follten fi) männlid) halten und gutes Muthes fein, ſchon bereite 
man zu ihrer Unterftügung jegliche Hilfsmittel; Guido della Turre 
fer gefchäftig, mit den ihm ergebenen Fractionen in der Lombardei 
Tuscien und Romagniola fich zu vereinen, im Heere ded Königs 
ſuche man die ſich ſchon insgeheim vorbereitenden Empörungen 
zum Ausbrucd zu bringen; die Gemeinde von Bergamo jelbft aber 
bereite und rüfte fih zur offenen Rebellion. Der thatkräftige 
Herrſcher jandte ſofort den älteren jeiner Brüder, Goleran, einen 
unerfchrodenen und tapferen Krieger, der, jchnell entſchloſſen, für 
alles Rath wuhte, mit einer Heeresſchaar nad) Bergamo. Erſchreckt 
liegen die Bürger den Gefürdteten mitten in der Nacht nad 
Deffnung ihrer Thore ein. Er aber, vol Mistrauen wegen der 
Dinge, die ihm binterbracht worden waren, daß fie nämlich 
vermegene Thaten planen jollten, ließ die Zugänge Ichließen, damit 
niemand fich entfernen fönnte, und dann ohne Verzug die Gebäude 
und Wohnhäufer der einzelnen Quartiere durchſuchen, zumal da 
einige vermutheten, Guido della Turre felbft fer in der Stadt ver- 
jtedt. Zweiundzwanzig aus den Erſten der Stadt führte er am 


nächſten Tage in Feſſeln mit fi in das Tager, wo fie einige Tage 


blieben, ohne ihrer Felleln entledigt zu werden, dann aber, nach— 
dem fie der König durch viele Fragen auögeforicht hatte, nad) 
Verona in Haft gejandt wurden. 

13. Tod Golerans, Bruders des Könige Sm 
eben diefen Tagen ereignete ſich ein beflagensmwerther Unfall, indem 
Goleran, der Bruder des Königs, einft, als die belagerten Brescianer 
einen hölzernen Belagerungsthurm, den die Deutſchen erbaut hatten 
um mit Hilfe deſſelben die Mauern der Stadt zu überfteigen, in 





; 


EA Eh 


Tod Goleran’s, Bruders des Königs. 123 


Brand gejett hatten und er herbeilief um dies zu befichtigen, von 1811 
einem Wurfipieß an der Kehle getroffen und durhbohrt ward. Die 
Wunde erwies fi) al3 tödtlich und entriß ihn nad) wenigen Tagen 
dem Leben. Seine Yeihe ward nad) Verona gebracht und dort 
unter großer Prachtentfaltung beftattet. Staunenswerth und merf- 
würdig erſchien hierbei, daß der König dieſen Unfall mit größter 
Standhaftigfeit ertrug und in Bid und That nicht das geringfte 
Zeichen von Trauer fundgab. Ihm nahahmend überging auch 

der Hof dieſen jo jchmerzlihen Todesfall mit tiefem Schweigen. 


1311 


Viertes Bud. 


1. Anfunft der vom Papſte gejandten Cardi— 
dinäle beim König und deren Verhandlungen mit 
den Einwohnern von Brescia. Der Bilhof von Baſel, 
einer von den Fürften des Hoflagers, welcher vom König na 
Avignon, wo damals die päpftliche Curie ihren Sig hatte, ge— 
Ihidt worden wart), wurde vom Papfte ehrenvoll aufgenommen 
und berichtete über den Marſch des Königs und die Läftigen Wechſel— 
fälle des Geſchickes, ſowie über den Ungehorfam der Brescianer 
und ihrer Gönner und Helferähelfer, und wie wegen der ungün— 
ftigen Geftaltung der Dinge bei den Bolognejen, den Florentinern 
und den übrigen Gemeinden Tusciens, die derſelben PBartet an— 
hingen, e8 nicht möglich fein werde, daß der König an dem feit- 
gejetsten Tage, nämlidy dem Feſttage der Jungfrau Maria in dem 
Ihon nahenden Monat Auguft 2), die Kaijerfrone — wenigſtens 
in der Stadt Rom — empfange, weswegen der Termin, bis daß 
fih ein beftünmter Zeitpunft abjehen lafjen würde, zu verjchieben 
jet. Dies ward denn auc bereitwillig zugeftanden und zwar nicht 
nur auf Verlangen des Biſchofs, ſondern der Papft jelbit hatte 
durchaus den gleichen Wunſch. Letzterer ernannte num als außer 


1) Im Juni 1311. Außer Bifhof Gerhard von Bajel nahm Biſchof Ugutio von 
Novara, deſſen auch zwei Handichriften des Muſſato an diefer Stelle gedenken, an der 
Gefandtihaft Theil. — 2) Vgl. die Anm. zu Buch 3 Rap. 3. 





area er 





Ankunft der vom Papfte gefandten Cardinäle beim König x. 125 


ordentliche Gejandte !) Arnald de Frangeriis den Cardinalbiſchof 1811 
von ‚Sabina (und zwar war diefer hauptfählic dazu beftimmt 
dem Kaiſer die Krone aufzufegen), ferner die Cardinalbiſchöfe Ni— 
colaus von Dftia und Beliträ und Leonardus de Guercino von 
Alba, endlih den Cardinaldiakon Lucas de Flesco?) vom Titel 
St. Marine in Bia lata 3), unter welchen, wie ſchoͤn angedeutet, 
der Biſchof von Sabina, den übrigen vorgehend, Die Stelle des 
Papftes zu vertreten beftimmt war, freilich erft nachdem ſich hier— 
über ein Streit entiponnen hatte, wer zu diefer Würde auszuer- 
wählen jet, indem nämlich) der Biſchof von Oſtia vorbrachte, daß, 
wie e8 fein Amt jet, ven Papft zu krönen, jo er folglich auch den 
Kaiſer zu krönen habe; wogegen der von Sabina geltend machte, 
es ſei alter Brauch, daß bei den Krönungen der Kaifer der Sa— 
biner ftet3 dem Papfte zunächft ftehe und, näher an der Handlung 
betheiligt al® die übrigen, dem Papfte die Krone überreiche. Durch 
des Papftes Ausſpruch wurde entſchieden, daß der Biſchof von Sa— 
bina jenes Amt verjehen und das Haupt der Gefandtichaft fein 
jollte. Sie erhielten alfo den Befehl, jo ſchleunig als möglich nad 
Stalien aufzubregen, um die heilige Handlung der Krönung zu 
vollziehen zu der Zeit die der König als geeignet beftimmen mürbe, 
und machten ſich eiligft auf ven Weg. Zwei von ihnen, nämlid) 
die Bilhöfe von Sabina und Alba, überjhritten auf gangbareren 
Wegen als die übrigen die Alpen und langten um den Anfang 
des Auguft im Lager des Königs an, wo fie freudig aufgenommen Aug. 7 
wurden. Sie begrüßten den König und die Königin mit dem 
päpftlihen Segen und meldeten, daß der Bitte des Königs gemäß 
der Termin der Krönung aus den gewichtigften Gründen einftweilen 
verjchoben worden jei; das Ceremoniell der ganzen Feier in Rom 
jet bereit feftgeftellt und alle dazu gehörigen Feftlichfeiten im Vor— 
aus angeordnet *); der König möge fich Daher voll Vertrauen zu 


1) legati a latere. — 2) Fiesco aus Genua. — 3) Ferner den Cardinaldiafon 
Franciscus vom Titel St. Luciae in Silice. Die Vollmacht für die fünf Kardinäle ift 
am 22. Juni 1311 ausgeftelft. — 4) Dies geſchah bereits in einem päpftlichen Erlaß vom 
19. Juni 


1311 


126 Viertes Buch). 


der ihm eigenen Mannhaftigfett aufihwingen und ohne Unterlaß 
Körper und Geift anfpannen; fie aber und ihre Amtsbrüder ſeien 
ausichlieglih dazu vorausgefandt, um ihn zu unterftügen und zu 
fürdern durch weltliche und geiftlihe Hilfsmittel; er möge nur um 
fih Schauen nnd verlangen, jo würden fie das Berlangte im weis 
teften Umfang erfüllen. Dean bat demgemäß die beiden, ſich nach 
Brescia zu begeben. Sofort machten fie fih auf und fchidten 
Boten, die um eine Unterredung anhalten jollten, voraus. ALS fie 
in die Stadt einzogen, holte die ganze Bevölkerung, nad) dem 
Range aufgeftellt, fie ein, indem alle beftändig mit lauter Stimme 
und unter Jubelgeſchrei ausriefen: „Es lebe die Kirche, unfere 
Mutter, e8 lebe, e8 lebe der Herr Papft und die heiligen Väter, 
die Cardinäle!“ Unter den größten EChrenbezeigungen führte man 
die Cardinäle auf das Rathhaus, wo vor Dichtgedrängter Verſamm— 
fung der Biſchof von Oſtia, nachdem er Stillſchweigen geboten, das 
Zeichen des Kreuzes machte und jo anhob: 

„D du Gemeinde von Brescia, allezeit Gott und der hoch— 
heiligen Kirche ergeben, welch' ein blinder und hartnädiger Irrthum 
hat dich von dem mahren Heilspfade deiner Mutter, der Kirche, 
entfernt, daß du den, welcher im Namen des Herren fommt, den 
gejegneten Sohn eben dieſer Kirche, Heinrich, den König der Römer 
und fünftigen Kaiſer, verachteſt und dic) wider den Willen des all- 
mächtigen Gottes und gegen die Boten Des allerheiligften Papſtes 
Clemens auflehnft, Unfelige? Wißt ihr denn nicht, daß der Sohn 
Gottes ſelbſt geantwortet und geboten hat: gebet dem Kaifer, was 
des Kaiſers ıft )!? D ihr Thoren, ihr Unfeligen, die ihr jchon 
durch menschliches und göttliche Strafgericht verurtheilt fein! Was 
it das für eine Blindheit, was für ein Unheil, das euch befallen 
bat? Wollt ihr fortfahren, einer der beiden Leuchten, welche der 
Welt gejett find, zu widerftehen, hier auf dieſem Felfen ringsum 
eingejchlofjen in einem fteinernen Bau, den Gott jelbft mit himm- 
liſchem Strafgericht, wie einft Sodom und Gomorra, zertrümmern 


1) Evang. Luck 20 V. 25. 





A 
J 





Ankunft der vom Bapfte geiandten Carvinäle beim König x. 1927 


wird! Machet euch auf, unjelige Schaar von Ungläubigen, werft ısı1 
euch demüthig in Sad und Aſche dem gebemeveieten Könige zu 

Füßen und beweint eure Vergehen, fo werden wir im Einklang 

mit dem Willen Gottes und der Dreieinigfeit ſowie unſeres hei— 

ligſten Vaters, des Papftes Clemens, uns für euch verwenden, daß 

er euch verzeihe und, ob ihr es gleich nicht verdient habt, mit fünig- 

licher Milde auf euch herabſchaue!“ 

Nach diefen Worten Jette fi) der Biſchof; e8 erhob fich aber 
Pinus de Bernacis aus Cremona, der damals der Vorſteher oder 
Podefta von Brescia war, ein Mann von großer Beredfamteit 
und klugem Sinne, ſchon an der Schwelle des Greiſenalters ftehend, 
bat um Erlaubniß zu reden und fol dann im Auftrage der Be- 
völferung folgendermaßen geſprochen haben: 

„Kein menjchliches Weſen fann, dur jo viele und fo ge— 
wichtige Stellen der Schrift und durch fichtbare Zeichen belehrt, 
leugnen, daß die höchſte Gewalt auf Erden dem Petrus, dem Felfen 
der Kirche, und feinen Nachfolgern überlafen worden ift, ſowie 
au, daß dasjenige Amt, welches ganz beſonders weltlichen Cha- 
rakters iſt und welches wir das des Kaiferd, von dem Namen des 
gefammten Amtes jelbft !), nennen, mit göttlicher Gewährung die 
Welt beherrſcht; aber e8 wird ebenjowenig jemand leugnen, daß 
das Papftthum ſich allein jo viele göttliche Herrlichkeit vorbehalten 
hat, daß es den, welchen der irdiſche Nichter ungerecht verdammt, 
niht auch für ſchuldig erachtet; vernichtet Doch die Kirche ſelbſt 
Könige der Erde, die unbillig richten, und ftraft fie mit gebühren- 
der Züchtigung. Daß aber unferem mwürbigiten Papfte Clemens 
diefer gottloje Mann, ver fih den Namen des Auguftus anmaft, 
unbekannt ift, jehen wir deutlich; er, der nicht ein Kaiſer, jondern 
ein Räuber ift, der alle Städte der Lombardei zu Grunde richtet, 
der die Spaltung Friedrichs erneuert, die Parteien der Guelfen 
und Ghibellinen wieder ind Leben xuft, die Guelfen ins Exil führt, 
die Ghibellinen erhöht, wie daraus deutlich hervorgeht daß im 


1) imperator (Kaifer) von imperare herichen. 


1311 


128 Viertes Bud). 


Mailand, Parma, Verona, Mantua, Trevifo und den übrigen 
Städten Tyrannen erftanden find zum Verderben der Bevölferung 
und der unglüdlihen Bürger, welche feit lange vom heimifchen 
Herde ausgeſchloſſen find, ja von denen viele, aus der Vaterftadt 
verbannt, den heimiſchen Herd nie gejehen haben. Und worauf 
anders ift er emfig bedacht al8 auf Erprefjung von Geld? Stets 
bedürftig und leerer Kaffe ſaugt er mit nie verlöfchendem Gold— 
durft Die untermorfenen Gemeinden aus. Und, bei Gott, mie ift 
der Unmenſch mit und verfahren, die wir ftetS bereit maren Die 
Stadt in feine Gewalt zu geben, auf die Bedingung hin daß fie 
dem Reiche diene, einen Königlichen Vikar entgegennehme und Ab- 
gaben zahle? Dies erachtet er wahrlich für nichts und verlangt 
unſer Berderben, unferen qualoollen Tod, unfer Blut. Damit will 
die wüthende Beftie ſich fättigen, diefe Mauern aber, melde ver 
hochheiligen römiſchen Kirche einen Stützpunkt bieten, niederreißen! 
Wohin jind jene Beinamen unferer hehren Kaifer, „der Gerechte”, 
„Der Fromme“, gefommen? Wohin ift ihre Frömmigkeit ent- 
Ihwunden? Ihr aber, ihr Brüder des apoftolifchen Ordens Petri, 
habt ihr diefer Behaufung Frieden gebracht, den ſtets zu befür- 
worten eure Sache ift, wie unſer Heiland bezeugte, da er gen Him- 
mel fuhr? Wir wünfchen es, wir bitten und beſchwören euch: 
öffnet und, die wir, wenn wir überhaupt etwas werfehen haben, 
venmüthig zurüdfehren, den Schos des Oberhirten unſeres Glau— 
bens und unferer Hoffnung, auf daß wir nicht verfchlungen mer- 
den und der brüllende Yöme und nicht pade und unfere Seelen 
verderbe! Seid der verirrten troftlofen Heerde gnädig. Wenn 
ihr das auf Antrieb des lebendigen Gottes thun werdet, jo wollen 
wir euch und unjere Mutter, die hochheilige Kirche, von der wir 
nie unjere Herzen losreißen werden, in brünftiger Verehrung an= 
beten. Wenn aber nicht: jo fteht und doch noch zuerſt irdiſche, 
endlih aber himmlische Speife und Erguidung zur Verfügung. 
Irdiſche Speife haben wir von jetzt an noch für ein halbes Jahr; 
wenn die verzehrt fein wird, jo werden wir niederes Gethier und 
anderes, mas nicht eigentlich zum Eſſen beftimmt ift, vorziehen; 








Ankunft der vom Papfte gefandten Cardinäle beim König x. 129 


ichlieglih werden wir uns vom Fleiſch und vom Blute unferer 
Kinder und Frauen und aller deren, die nicht zum Kriegsdienft 
tauglich find, nähren. Und wenn wir etwa feindliche Beute erjagen, 
jo werben die riefigen Yeiber der Sueven und Vandalen und der 
anderen Deutſchen unfere Erholung und Stärfung bilden, bi8 unfer 
Chriftus ein Ende machen wird, deſſen in Bälde bevorftehendes 
Urtheil gegen den trogigen und graufamen König, wmeldes ihr 
nebft allem Fleiſch ſchleunigſt ſehen werdet, wir erwarten.” 

Ueber diefe Worte entjett, hoben die Cardinäle die Verſamm— 
lung auf, ließen ſich aber dur die Scheuern und Vorrathskam— 
mern der Brescianer, mo Korn, Wein und alled was zum Lebens- 
unterhalt zu dienen pflegt, aufgefpeichert war, führen. Nur trosige 
und drohende Worte vernahmen fie überall und fehrten wenig zu= 
frieden zurüd, um dem König zu melden, was fie gejehen und ge— 
hört. Hochſinnig ließ ſich dieſer dur die Schmähungen der Bres- 
cianer nicht aus der Faſſung bringen, doch verfanf er in tiefe Ge— 
danfen, und indem er äußerlich Hoffnung, die er faum noch hegte, 
zur Schau trägt, 

„Zwingt er den Kummer den bittern im Herzen‘ 1). 
Beſonders quälte ihn der Gedanke, daß e8 nothwendig jein werde, 
Die Bresctaner härter zu behandeln, als ſich mit feiner frommen 
Sinnesart vertragen wollte. Denn er jah ein, Daß, wenn er ges 
zwungen wirde ſich auf Bedingungen einzulaffen, dann der Ein— 
fluß feiner Majeftät derartig geſchwächt und vermindert fein würde, 
daß Alle, die ſich noch nicht unterworfen, ihm trogen würden, 
da fie ihn verachten und feine Strafen nicht mehr fürchten würden. 
Es war ihm nämlich ſehr wohl befannt, daß die Einwohner von 
Tuscten und Romandiola bis faft nad) Rom hin die Belagerung 
von Brescia mit gefpanntefter Aufmerkſamkeit verfolgten, jo daß 
fi) vorausfehen ließ, daß, falls es ihm hier nicht glücen würde, 
Die Verwegenheit jener fich bis zu trogiger Verachtung jeiner Macht 
und Perfon fteigern würde, ja daß jelbft die Lombarden, welche be— 


1) Birg. Aen 1, 209. 
Geſchichtſchreiber. Lfrg. 67. Leben Heinrichs VII. 9 


131 


> 


130 Viertes Buch. 


reits den Naden gebeugt, es bereuen würden, ſich gleih anfangs, 
geriffermaßen übereilt und unüberlegt, unterworfen zu haben und | 
fich vielleicht gelegentlich ein Beiſpiel daran nehmen und den Hals 
aus dem Joche zurüdziehen würden. Auch vermehrte noch der 
Umftand, daß das Heer, vom Hunger und Mangel aufs äußerfte 
bedrängt, fich faum nod) zufammenhalten ließ, die Verlegenheit des 
Königs, und zwar um jo mehr, ald er gemwärtigen mußte, daß Die 
Fortjegung der Belagerung, welche jetzt ſchon mit Mühe aufrecht: 
erhalten wurde, unmöglid) werden würde, wenn bei vorjchreitender 
Sahreszeit der Sonnenſchein nachlaſſen und Regengüſſe ſich einjtellen 
würden. Bon folden Schwierigkeiten umringt, konnte der König 
bet fich jelbft faum zu einem heilſamen, troftbringenden Entſchluß 
gelangen. Die Königin aber, in tiefen Schmerz verjenft, bemeinte 
den Tod ihres Schwagers und der vielen Edlen, welche theils Der 
Krieg, theild das tödtlihe Klima hinweggerafft hatte; zugleich em— 
pfand fie tief den Kummer des geliebten Gatten und die bitteren 
Dualen und Aenafte feines edlen Herzens. Nur die Ausftattung 
von Altären, unaufhörliche gottesvienftlihe Uebungen, nächtliche Ge— 
bete und Gelübde vermochten den Schmerz beider einigermaßen zu 
Yindern und zu verſcheuchen. Wie allen Fürften und Völkern be- 
fannt ward, dauerte die Abhaltung von Mefjen vom Tagesanbruch 
bis tief in die dritte Stunde des Tages hinein!) nnd die früh: 
zeitig beginnenden Bespern ?) hielten den Hof bis zum Abend be- 
ihäftigt, fo daß Die zwiſchen diefen Berrichtungen liegende Zeit 
faum ausreichte, die Mahlzeiten einzunehmen und fich zu berathen. 
Das war das Yeben des Königspaares, das kaiſerliche Freuden! 
2. Ueberjendung der EChrengejdhenfe der Pa-= 
dDuaner an den König. Im Berlauf diefer Dinge will id 
auch folgenden bemerfenswerthen Vorgang nicht verihweigen, zum 
Beweiſe, daß oft das unbedeutendfte Ereignts das menſchliche Herz 
ſei e8 freudig oder jchmerzlic zu berühren vermag. Aus Padua 
nämlid) führte man vor das Angeficht des Königs acht Streitrofie, 








1) Bon der Primzeit bi zur Tertia, etwa von 5 bezw. 6 Uhr Morgens bis 8 bezw. 
I Ahr. — 2) Die Vesper beginnt etwa um 4 bezw. 5 Uhr Nachmittags. 





Abgewieſener Angriff der Deutichen auf Brescia. 131 


mit rothem Schmud aufgeputst, von jo ftattlichem Anfehen, ſolchem 
Ebenmaß und folder Schönheit, daß die Natur unter unjerem 
Himmelsſtrich nicht leicht eine gleihe Zahl von jo tadellojer Be— 
Ichaffenheit hervorbringt, alle etwa fünfjährig. Vier von ihnen 
wurden als Ehrengefchenfe der Gemeinde von Padua dem Könige 
dargebracht, zwei dem erlauchten Grafen Ameus von Savoyen und 
die beiden anderen dem ehrenfeften Grafen Guido von Flandern. 
Der König empfing das Gefchenf mit heiterem Antlis, äußerte feine 
Freude darüber und vertheilte die There ſofort an feine Erften. 
Auch, der von Savoyen und der von Flandern empfingen die Ihrigen 
freudig und ließen den Paduanern, den Spenvern eined fo koſt— 
baren Gejhentes, ihren wärmften Dank vermelden. Und an dieſem 
Tage wurde die heitere Laune des gefammten Heeres, welches her— 
beilief um die Gaben zu ſchauen, durd den Anblid der prächtigen 
Thiere wiederhergeftellt. 

3. Abgemiejener Angriff der Deutjhen auf 
Brescia. Der König aber, um nichts weniger auf das Nächſt— 
liegende bedacht, beſchloß, durch einen Angriff auf das neben der 
Stadtmauer errichtete Berglager am nächften Tage in aller Frühe 
das Glück auf die Probe zu ftellen. Noch in der Dämmerung 
ordnete er daher die Schlahthaufen des Fußvolkes und die Ab- 
theilungen feiner Neiterei, als wolle er die ganze Stadt angreifen, 
Damit die Belagerten nicht zur Entjegung des Lagers herbeieilen 
jollten; die Schleuderer aber und die leicht bewaffneten Fußtruppen, 
von denen die Genuefen etwa 1500 geftellt hatten, und die übrigen, 
welche mit Balıften, Schleudermafhinen und den beim Sturme be= 
nutzten Mafchinen jeder Art vertraut waren, ordnet er zur Be— 
ftürmung des Lagers ſchon am Abend vorher und führt am näch— 
ften Morgen in aller Frühe unter den Schmettern der Zinfen und 
Trompeten das gefammte Heer um die Mauern herum. Durch) 
den Lärm erichredt, eilen die Brescianer auf die Zinnen und deden 
ringsum die Mauern, fchiefen zur Vertheivigung des Lagers die 
übliche Beſatzung, die aber aus befonders Friegstüchtigen Truppen 
beſtand, aus, und jeder nimmt feinen Pla ein und rüftet fic zum 
9* 


1311 


1311 


132 Diertes Bud). 


Streite. Die angreifenden Franzoſen und Deutihen und die ge= 
jonderten Colonnen der Tuscier und Lombarden rüden mit den 
Schutdächern und den übrigen Kriegsmaſchinen an die Außeren 
Gräben des Lagers und die auf allen Seiten fteil abfallenden Felſen 
heran. Die Städter ließen fie, voll Vertrauen ouf die Schwierig- 
feiten des Terrains, beranfommen, verhielten fid) ruhig und ver- 
bargen fi) hinter den Dämmen und Wällen. Dann erft erhebt 
fi von beiden Seiten das Kampfgeihre. Man kämpft mit Wurf- 
Ipiegen, Pfählen, Steinen und Pfeilen hier wie dort, aber in Folge 
des Schutzes, den die natürliche Beichaffenheit ihres Standpunftes 
ihnen verlieh, hatten die Belagerten die Oberhand und Fonnten den 
Angreifern erheblichen Schaden zufügen, namentlich tödteten die Stein= 
maffen, welche fie von oben herabichleuderten, ſchon allein durch 
den Stoß. Auf beiden Seiten fließt Blut, doch waren die Ver— 
(ufte ungleich und größer auf Seite der Deutjchen und ihrer Bun— 
desgenoſſen, deren Leiber dem Hagel der feindlichen Geſchoſſe preis— 
gegeben waren!). Die Schlacht dauerte vom Tagesanbruch bis 
zum Mittag zu beiderfeitiger Ermüdung, bis endlich die Deutſchen 
und die Bundesgenoſſen, nachdem viele von ihnen und befonders 
von den leichtbewaffneten Genuefen getödtet oder verwundet worden 
waren, erſchöpft vom Kampfe abliefen. So behaupteten vie Städter 
ihr Lager, aber nicht ohne ſchwere und fchmerzliche Verlufte. Nach 
Abbruch des Treffens verließ der König das Schlachtfeld und führte 
die Truppen und die Hilfsvölker in das Lager zurück, von denen, 
die auf den Mauern ftanden, durd; niedrige Schimpfreden verhöhnt. 
Die Brescianer beglückwünſchten ſich unter einander und gaben 
ıhre Freude durch Fackelbeleuchtung in der nächften Nacht und auf 
jegliche Art und Weife fund. Die Cardinäle aber eilten an dem— 
jelben Tage nad) Cremona, damit man fie nicht des Zuſchauens 
beim Blutbade bezichtige. Der ehrwürdige Placentiner Octobonus 
dagegen, der Patriard) von Aquileja, welcher im Lager des Königs 


1) Dies dürfte jedenfall$ der Sinn der im Tert bis zur Sinnlofigfeit verderbten 
Stelle jein. Bielleiht ift zu lejen fit caedes sed impar et ob (fiir impatientia) Ger- 
manorum sociorumque corpora grandines sudesque exeipientia major. 











Die Padıraner erhalten einen Bikar. 133 


verweilte, begab fi in den nächſten Tagen, nachdem er mit Mühe ısıı 
Heinrich Erlaubnis erlangt hatte, nach Brescia, vwerhandelte Lange 
und viel mit den Einwohnern und mahnte fie, ſich dem milden 
und gerechten Fürſten zu überliefen und ihre Vergehen nicht nod) 
zu mehren, indem er zugleid verſprach fich für ihr Leben zu ver— 
wenden; doch vergeudete er nutzlos jene Zeit. Inzwiſchen bevief 
der König, entichlojjener als bisher, die Fürften des Hofes zur 
Berathung und legte ihnen die Frage vor, was zu thun fer, um 
jene Breöctaner auszurotten, welche die Erwartungen der ganzen 
Welt hinhielten. Nachdem ſich die meiften über diefen Punft ge— 
Außert und denſelben in eingehender Berathung näher erörtert hatten, 
wurde verfündet: auf daß die Widerſpänſtigkeit diefer einen Stadt 
nicht länger den Fortgang jo großer Dinge vwerzögere, ſoll Graf 
Ameus von Savoyen, als Graf der Lombardiihen Provinz, zu 
den fünfzehnhundert Kriegern, welche ihm ſchon vorher angemwiefen 
worden waren, noch dreiszehntaufend Mann Fußtruppen und zwei— 
taufend Mann zur Bedienung der Belagerungsmaschinen von Seiten 
der Gemeinden der Lombardei und der Mark von Trevifo, die den 
ihr nad Maßgabe ihrer Mittel zufommenden Theil ftellen fol, 
erhalten und mit diefer Zahl, Die man zur Bezwingung und Un- 
terdrückung des zähen Widerftandes von Brescia für genügend halten 
durfte, die Belagerung leiten. Diefer Befehl des Königs erging 
an die ſämmtlichen Gemeinden der Lombardei und der Trevifani- 
ſchen Mark, mit der Weiſung, jede möge zunächſt zur Feſtſtellung 
des Maßftabes der Vertheilung einen Abgeordneten entjenden. 

4. Die Baduaner erhalten einen Bifar. m die 
jen Tagen, nämlidy am 28. September, ernannte der König aussept.2s 
der Zahl von vieren, melde ihm gemäß der won ihm den Ba: 
duanern gewährten Rechte von dieſen vorgeſchlagen wurden, den 
Gerardus de Henzola!) aus Parma zum Bifar, der am fetge- 
festen Tage jeinen Einzug in Padua hielt und dort aufgenommen 
wurde. Doch machte ſich in Folge der ungewohnten Verwandlung 


1) Enzola, Städtchen im Gebiet von Parma. 


1311 


122 Viertes Bud). 


des Podeſid in einen kaiſerlichen Vikar und einiger Ceremonien bei 
der Eidegleiftung, welche die alten Gebräuche in manchen Bunften 
umgeftalteten, eine Bewegung unter dem Volke beinerfbar, welches 
fih unmwillig und mißtrauiſch bezeigte; indeß ließ es fich durch die 
Borftellungen der Erſten und Bornehmen, welche erklärten, e8 müffe 
jo fein, beihwichtigen?!) und gehorchte ebenfalls. Gleichzeitig fand 
fi bei ihnen Biſchof Aymo von Genf ein, des Königs Fürft und 
Bertrauter, der den Paduanern fein volles Wohlwollen zumandte ; 
er war vom Könige gefandt worden, um den Zuftand des Staates 
mit der Ehre des Königs und dem allgemeinen Frieden in Ein- 
Hang zu bringen, auch lenkte er die Bürger waderen Sinnes auf 
den Weg, fih die Liebe des Königs zu erwerben und fich ohne 
Zwiſtigkeiten zu einen; ferner juchte ev auf Befehl des Königs zu 
verhüten, daß zwiichen den Paduanern und PVicentinern in gegen= 
jeitigen Netbungen nicht die Saat der Zwietracht von neuem auf- 
gehe, indem er, mit den erforderlichen Vollmachten durch Königliche 
Erlafje ausgerüftet, darauf drang, daß den Geboten des Königs 
gemäß die Güter der Paduaner, die ſich innerhalb des Bicentinifchen 
Gebietes befanden, den Eigenthümern zurücgeftellt würden und daß 
die Bicentiner den Fluß Badjilio, den fie abgeleitet hatten, wieder 
in jein altes Flußbett und durch das Gebiet der Paduaner leite- 
ten ?2). Diefer Biſchoff von Genf war ein Mann von großer 
Milde, jo daß e8 ihm gelang, Menjchen jeder Art, jo aud den 
Paduanern, Liebe zu ihm ſelbſt wie zu dem König einzuflößen ; 
jein Antlig war heiter, für jeden hatte er ein freundliches Wort 
und ftet8 war er bemüht, das, mas er verfproden, auch auszu= 
führen; auch bei dieſen Gefchäften machte er fih in Padua jehr 
beliebt und Hinterließ ein gutes Andenfen für alle Zeiten. Da 
indeſſen das Verhältnis zwilchen Padua und Bicenza doch noch 
ein geipanntes blieb, fo nahın Aymo den Albertinus Mufjatus ala 








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1) Statt neque tamen reconeiliati ift wohl zu lefen neque tamen non recon- 
eiliati — 2) Der Bacchiglione, der in den Zrientiner Alpen entipringt, durchfließt ſo— 
wohl Picenza als Padua und ergieft fi in die Etſch nahe bei der Ausmündung 


derjelben. | 


Veftartige Seuche. 135 


Geſandten der Gemeinde von Padua an das Hoflager mit fich 
und empfahl ihn dort dem König, indem er fic) zugleich für die 
Ergebenheit und Treue der Paduaner verbürgte; ehe aber noch 
diefe Angelegenheit zu Ende gebracht war, erfranfte er und ließ 
fi der Genefung halber aus dem Lager fortichaffen, um ſich nad) 
Genf zu begeben, ftarb jedoch ſchon bei Iporegia!), 

5. Peftartige Seuche. Aber hier muß ich von der vom 
hohen Himmel herabgefandien Peft reden, die ſeit Menfchengedenfen 
nicht ihres gleichen gehabt hat; ſei es, daß fie als eine Plage des 
zornigen Gottes nad feinem Rathſchluß dem menfchlichen Geſchlecht 
nach Verbienft zuerkannt wurde, oder daß die von Anfang an außer— 
halb des Yagers unbeerdigt Tiegenden Pferbeleichen fie verurſachten, 
welche, in der Fäulnis begriffen, unter dem Einfluß des mit hef- 
tigen Regenſchauern abwechjelnden Sonnenbrandes (wie dies der 
Charakter der herbftlihen Witterung ift) die Puft mit Krankheits— 
feimen geſchwängert hatten: genug, bald ergriff die Seuche die 
Menſchen, Drang in die innerjten Theile des Körpers ein und er— 
mies ſich als jo todbringend, daß ſich für die Angeflecten fein 
Heilmittel finden ließ; und fo ſchnell ſchlich fich Died Uebel ein, 
daß alle von ihr DBefallenen nod im Lager zu Grunde gingen. 
Ohne Unterlag raffte die Seuche Franzofen und Deutjche hinmeg, 
die dad unmäßige Schlingen von Speifen der Anftefung um fo 
mehr ?) ausſetzte. Bon den Führern der Deutichen und Franzofen 
ftarben einundfiebenzig?), wie aus dem Verzeichnis der Mannſchaf— 
ten erjehen wurde; von den mit Lanzen bewaffneten Reitern fieben- 
taujendundfiebenhundert, vom niederen Volfe eine unzählige Menge. 
Es gab feinen geweihten Ort für die Beftattungen, auch fehlte e8 
an Zeit und Gelegenheit irgendwelche Exequien abzuhalten; viel- 
mehr murden jede Nacht eine große Anzahl von Leihen an abge: 
legene Stellen außerhalb des Lagers gebracht und, den Thieren des 
Feldes ausgejett, dort gelafien. Ein Theil der Leichen ward aud) 


2) D. i. Sorea. — 2) nämlih im Bergleih mit den mäfigeren Sidländern. — 
3) So richtig eine der Handidriften Muratori's; die andern leſen 4070 (quatuor millia 
et septuaginta, g 


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311 


136 Viertes Bud. 


1311 im Lager ſelbſt in den Gräben, die die Aeder der Bresctaner von 


einander abgrenzen, untergebracht, indem man fie an den Böſchun— 
gen der Ufer aufichichtete, bis der Graben vollftändig ausgefüllt 
war. Manche, die die Leichen ihrer Genofjen mühfelig im Erd— 
boden begruben, lagen wenig fpäter jelbft als Leichen unbegraben 
auf den Feldern. Dod blieben aud die Lombarden von diefem 
Verderben nicht verschont, obwohl ihnen ihr mäßigeres und enthalt- 
jameres Leben dabei zu ftatten fam. Biele Edle verließen fliehend 
dad Lager, wurden aber, während fie fid) aufe Sänften zur Hei— 
math Schaffen ließen, unterwegs won der Seuche ereilt und nur 
wenige entfamen ihr; unter den letteren war Herzog Leopold von 
Defterreih, der nad Venedig eilte und von dort, den Illyriſchen 
Meerbufen durhfahrend, nach Deutſchland gelangte. Aber die Peſt 
verbreitete fih auch in die Stadt Brescia und ergriff hier Peute 
jedes Alters und Geſchlechts, namentlich aber ſolche, welche ſchon 
durch Mangel und die hereinbredhende Hungersnoth geſchwächt waren. 
Die Ueberlebenden aber wurden durch das Bild des Todes vor 
ihren Augen erichredt. Denn da e8 ihnen an gemeihten Orten, 
den jogenannten Cimeterten, fehlte, jo wurden die Leichen auf den 
öffentlichen Wegen beerdigt. Sp herrichte innerhalb und außerhalb 
der Stadt überall Wehklagen und Trauer der Ueberlebenden, wäh— 
rend die grimme Wuth des tödtlichen Krieges nicht nachließ, ſon— 
dern faſt täglich Niedermegelungen, Verwundungen, Plünderungen 
und Feindjeligfeiten jeder Art rings um die Mauern ftattfanden. 
6. Brescia ergiebt ſich dem König. Unter diejen 
Drangfalen begab fich Lucas de Flesco aus hochberühmtem genue= 
ſiſchen Haufe, ein Cardinal der römischen Kirche, von welchem ſchon 
oben die Rede war!), welcher bet den Italienern größter Ver: 
ehrung und ausnehmenden Einfluffes genoß, im Hinblid auf die 
Leiden des Königs wie der belagerten Brescianer, in die Stadt 
Brescta, entweder mit ausdrüdlicher Billigung oder wenigftens ohne 
Wiverjprud des Königs, und nahm e8 auf fi, wie ich glaube, 


’ 


1) f. 0. Rap. 1. 








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Brescia ergiebt ſich dem König. 137 


die Sache zu Ende zu bringen, indem er die Bredctaner Dazu zu 
vermögen fuchte, fi) dem zu fügen, was er nad) feinem eigenen 
Ermefjen verfügen würde. Endlich willigten die Belagerten ein, 
doch baten fie um ihr Leben und bevangen ſich aus, daß ihre Stadt 
nicht zerftört werde und ihre Verfaſſung unangetaftet bleibe. Der 
Gardinal eilte ind Lager und beftirmte den König, die ſchon bis 
zum äußerſten geführte Belagerung aufzuheben und ſich der Un— 
glüclichen in der Stadt zu erbarmen, zumal da die Zeit der Krö— 
nung, die nicht länger zu verfchteben fer, nahe. Auf den Kath) 
feiner Fürften ftimmte der König dem Cardinal bei, verſprach oder 
gelobte zwar öffentlich nichts, doch erflärte er, er werde dem Gar- 
dinal hierin zu Gefallen fein, ſoweit e8 feinem eigenen Ermeſſen 
nad der föniglichen Würde zieme. Die durch die Menge verbrei- 
teten Gerüchte berichteten freilich anderd, denn von jenen Dingen 
wußte das gemeine Volk ſchlechterdings nichts, Tagte vielmehr, es 
feten insgeheim fürmliche Verträge abgefchlofien, daß nämlich die 
Mauern ftehen bleiben und nur an. dem Theile eingerifjen werden 
jollten, wo einige Deutſche auf den Zinnen mit dem Strang hin 
gerichtet worden waren !), und dieſes Stück mar nicht länger als 
ein Baliftenwurf reicht; ferner folle der König einige aus den Vor— 
ftehern oder Angejehenften mit fi) führen, aber niemanden an Gü— 
tern oder Bürgerrecht fränfen. Dies wurde zwar in Folge deſſen, 
wa3 nachher geſchah, von der Umgebung des Königs geleugnet, Doc) 
ftellte fi) wenigftens ſoviel als wahr heraus, daß der Cardinal 
Mehreren gegenüber fich beklagt hat, der König fer nicht in allen 
Stüden feinen Verſprechungen nahgefommen. Eben hierüber klag— 
ten die Brescianer, doch beſchwerten fie fich unter ſich nicht ſowohl 
über den König, als vielmehr über den Cardinal. — Nach Ber: 
einbarung des Abkommens alſo werden dem Grafen Ameus von 
Savoyen, Guido von Flandern und den übrigen Fürften des fünig- 
lichen Heeres die Thore geöffnet, und Alle, welche nod mit dem 
König im Lager verharrten, zogen ein; viele der Lombarden hatten 


1) Bgl. Bud 3 Kap. 7. 


1311 


Be Viertes Bud). 


nämlich unter dem Druf des Mangeld oder durd Krankheit ge- 
zwungen bereit8 das Lager verlaffen. Der König jelbft aber 309, 
um jeine großmächtige Erhabenheit Allen um fo veutlicher zum 
Bemuftjein zu bringen, nebft der Königin nur über die Trümmer 
der niedergeriffenen Mauer in die Stadt ein, geleitet von den Bres- 
cianern, welche früher vertrieben gemejen waren, jetst aber Olivenzweige 
in den Händen trugen und den Sieg des Königs laut jubelnd priefen. 
Dann aber überwies Heinrich alsbald die gefammten Mauern feinen 
Schaaren zur Zerftörung und ließ mit den Trümmern die Gräben 
ausfüllen. 

7. Mari des Königs gegendie Örenzeder Lom— 
bardei. Nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen verließ Der 
König Brescia unter Mitnahme von fiebenzig Bürgern und wandte 
fi) nad) Cremona, nachdem er noch, um die Angelegenheiten ver 
Lombarder endgültig zu ordnen — damit er nämlid um fo eher 
zur Krönung nad Kom gelange —, den unterworfenen Gemeinden 
den Befehl hatte zugehen laffen, je drei oder vier aus ihren an- 
gejehenften Bürgern auszuwählen, die ſich an einem gemiffen Tage 
in Pavia, wohin er eine allgemeine Berfammlung ausfchrieb, bei 
ihm einfinden jollten, 

8. Ereigniffe in Cremona. Bon Cremona aus, wo 
Heinrich etwa zwei Tage verweilte, fandte er Briefe an die unter 
worfenen Gemeinden, um deren Häupter zu berufen, welche ıhm 
zur Krönung folgen follten, indem er in den einzelnen Briefen die⸗ 
jenigen nannte, deren Anweſenheit bei feiner Krönung er wünſchte. 
Dann ordnete er, jo meit es ın jo furzer Zeit möglih war und 
die Umftände es zuließen, die Angelegenheiten Cremonas: unter 
anderem befahl er auf die Bitten der Königin hin, die dur) dag 
Wehklagen der ihre Hilfe ehrerbietig und demüthig anrufenden 
Frauen gerührt war, die Gefangenen, welche noch in Rimenengum, 
Caſtrum Yeoni und den übrigen Orten feftgehalten wurden ?), 
frei zu laſſen, ging aber dann nad) Piacenza, noch ehe wegen 





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1) VBgl. oben Buch 3 Kap. 4. 








Ereigniffe in Piacenza. 139 


plötzlich entftandener Streitigkeiten zwiſchen den Cremoneſen die An— 
gelegenheit ins Reine gebracht war, und beließ die Gefangenen in 
ihrer Haft. 

9. Ereigniffe in Pincenza. Die Einwohner von Pia- 
cenza gingen dem König etwa zwei Miglien weit !) außerhalb ihrer 
Mauern entgegen, fielen zum Fußkuß vor ihm nieder, überreichten 
die Schlüffel und überließen fih und alles Ihrige feinen Anord- 
nungen. Zugleich klagten fie Albertus Scotus ?) der Gewaltthätig— 
feit und Tyrannei wegen, die er lange gegen feine VBaterftadt wider 
alles Recht ausgeübt habe, an und verficherten, daß die Stadt feine 
Ruhe haben könne, folange er ſich in ihr befinde. Der König zog 
ein und ließ fich die Anfichten der Bürger näher darlegen, ſah aber 
bald, daß, wenn er auf einer weiteren Augeinanderfegung hierüber 
beftände, gar leicht größerer Zwieſpalt entftehen und daß die Sache 
feineswegs über das Knie gebrochen werben fünne; jo begnügte ex 
fi), den Petrus de Meſa aus Verona als Vikar einzuſetzen und 
309 dann ab. Albertus Scotus aber, der in der Hoffnung in Pia— 
cenza eingefegt zu werben, dem König bis zur Grenze des Gebietes 
der Stadt gefolgt war und ſich num in jenen Erwartungen ges 
täuscht jah, fuchte die Burgen feiner Genofjen und Getreuen auf 
und überzog furz darauf Piacenza mit Krieg. 

10. Berfammlung um den König in Pavia. Von 
Piacenza aus gelangte der König nad) Pavia, wo er der von ihm 
angefagten Berfammlung halber die Abgeoroneten der Yombarden 
zum feftgejetten Termin beveit3 vorfand, und die noch abwejenden 
faft fieben Tage lang erwartete 3). ES waren dort Geſandte von 


1) Eine Miglie beträgt etwa 1500 Mir. — 2) Diefer hatte fich ſchon 1290 in Pia— 
cenza zur Gemwaltherrihaft aufgeſchwungen, war 1305 geftürzt worden, aber ſchon 1309 
wieder in den Befit der Macht gelangt. Damals war er zwar aufs neue aus Piacenza 
vertrieben, hielt fih aber in der Umgegend und beunruhigte die Stadt. — 3) Der vor= 
liegende Tert lautet ubi et coneilii causa Longobardorum legatos jam ibidem pro die 
statuta invenit absentes, per dies paene septem praestolatus; aber ſchon bei 
Muratori finden wir die Vermuthung des Pignorius, daß das Komma vor absentes zu 
fegen fei. Da freilich die Zeit Hierzu faum auszureichen feheint, fünnte man ändern 
praestolatos; dann wären e8 die vor dem König eingetroffenen Abgeordneten, welche ge= 
wartet hatten. 


1311 


140 Viertes Buch. 


Cherium !), Iporegia, Novara, Vercelli, Como, Mailand, Pavia, 


Bergamo, Piacenza, Brescia, Modena, Reggio, Parma, Cremona, 


Lodi, Mantua, Verona, Vicenza und Padua?). Auf Befehl und 


Berufung des Königs kamen die Abgeordneten im Palaſte desſelben 
zuſammen und nahmen vor dem Throne Platz. Sie wurden dar— 
auf einzeln aufgerufen zum Zuhören, ftanden auf und hörten in 
aufmerffamem Schweigen die Rede an, welche, ſich erhebend, Io: 
hannes de Cancellariis aus Genua, des Königs Hofrichter, ihnen 
mit Genehmigung desſelben vortrug. Der König, führte er aus, 
habe in jeinem Beftreben, der Lombardei den Frieden und Ruhe 
zu bringen und zu fichern, viel Widerwärtiges erfahren und habe 
nicht nur auf Ertheilung guten Rathes und frievlihe Bemühungen 
bedacht fein, ſondern auch mit den Waffen in der Hand Fämpfen 
und feine und der Seinen Fähigkeiten und Vermögen insgeſammt 
auf das äußerſte anſpannen müfjen; dennoch habe er nicht vermocht, 
den Haß der Bürger unter fi und das alte Parteigetriebe jomeit 
auszurotten, daß es nicht vielmehr zum größten Theil fortbeftehe. 
Zu gelegener Zeit und am rechten Orte müfje e8 daher durch ae= 
eignete Heilmittel bejeitigt werden; jett jedoch ſei die Zeit feines 
Aufbruchs nah Tuscia gefommen; anderen italienischen Völkern, 
am Meer und inmitten des Landes, die ihn bereit8 erwarteten, 
müſſe er fi) darjtellen und feinen Beſuch ſchenken, ſowie die Krö— 
nung, welche der Papſt angeordnet, ind Werk fegen. Hierzu nun 
bedürfe ex des Rathes feiner anweſenden Getreuen, und zwar folle 
ein jeder von ihnen fein Gutachten im Namen der betreffenden Ge— 
meinde ihm jchriftlich einveihen. Der König werde e8 ſich dann 
angelegen fein laſſen, insgeheim die Anjicht eines jeden möglichit 
ſchnell zu prüfen und je nad) dem Urtheil feiner Fürften und Be— 
rather zur Ausführung zu bringen. 

Nach diefem Vortrag hielt noch der Cardinal von Dftia, wel: 
er neben dem König thronte, eine mahnende Rede an die Ge— 


1) Ehieri. — 2) Der Tert erwähnt hier Padua nicht, doch wird unten ausdrücklich 
gejagt, daß dieje Stadt ebenfall3 vertreten war. 





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Verſammlung um den König in Favia. 141 


fandten, welche darauf verabſchiedet wurden und auseinander gingen, 1311 
nachdem ihnen eine Frift von drei Tagen zur Erfüllung des Ver— 
langens des Königs gegeben worden war. Als viele Frift ver: 
ftrihen war, trat die Berfammlung aufs neue zufammen und die 
Abgeordneten überreichten ihre Gutachten verfiegelt dem Kanzler. 
Die Vertreter von Padua, von Liebe zum Baterlande und Begei— 
flerung für die Freiheit getrieben, Liegen ſich weder Durch Rückſicht 
auf irgend jemandes Wünfche, nod) etwa durd Geld abhalten, dem 
König lediglich den Rath zu geben, er möge nicht eher von Dannen 
ziehen, bis er die Provinzen in Ruhe verſetzt, die Feindſeligkeiten 
bejeitigt, die Tyrannen in den Städten ihrer Throne beraubt, die 
Berbannten dem heimifchen Herde wieder zugeführt, über die Ge— 
meinden Auswärtige von erprobter Zuverläffigfett gelegt habe !); 
auch jolle er die Bevölkerung überall nad ihren gerechten Geſetzen 
und Gewohnheiten leben laſſen; das fomme einem erlaudhten und 
gottesfürchtigen Könige zu und jo werde Alles einen glüdlichen Ver— 
lauf nehmen. Handle er aber anderd, jo werde er, das möge ev 
wohl merfen, bald vernehmen, daß, ſobald er den Rüden gewendet 
habe, Gemeinden gegen Gemeinven, Städtchen gegen Städtchen, Ein- 
zelne gegen Einzelne zu Mifhandlungen, Mordthaten, Plünderungen, 
Brandftiftungen und allen verderblichen Feindfeligfeiten ſich voll 
Leidenſchaft anjchifen würden; dadurd) aber werde zum alten Haß 
neuer hinzufommen und Verbrechen im Innern der Gemeinden eine 
Stätte finden, der König aber felbft, welcher in jeinen erjten Ver— 
fündigungen und feinen großen Verſprechungen ſich aller Welt für 
unparteitih 2) habe ausgeben Lafjen, allgemein ald eine Geißel Gottes 
gelten ?). Ueberdies möge Heinrich anordnen, daß die Privilegien, 
welche er den Paduanern unter feinem königlichen Siegel in Betreff 
der Rückgabe der Ländereien und Gewäſſer ertheilt, deren Ausfüh- 


1) Daß zu den höchſten Poften in den Städten Einheimische ernannt wurden, verbot 
meift die Eiferfucht der Familien und Parteien, namentlich der Podefta wurde in den 
italifhen Städten faſt durhgängig aus Nichteinheimifchen genommen. — 2) Statt quem 
partiarium im Text ift zu lefen qui impartiarium,. — 3) Für promulgata sit wohl befjer 
promulganda sit zu Iefen. 


1423 Viertes Bud. 





rung aber er von Tag zu Tage verihob, genau beobachtet wür- 


den; durch ſolche Beiſpiele würden die Unterthanen zur Verehrung 
und Ergebenheit gegen die königliche Majeftät herangezogen. — An 


demfelben Orte, wo man vor drei Tagen Sitzung gehalten, zeigte &) 


fi) der König abermals auf hohem Throne und Tieß durch den 


nämlichen Johannes von Genua verfünden: Er habe über die Rath 


ſchläge der anmejenden Getreuen lebhafte Freude empfunden, da er 
aus denfelben erfehen, daß er von ihnen geliebt werde. Das merbe 
er ftet3 im innerften Herzen bewahren und deſſen allezeit mit be= 
Tonderer Freude gedenken, und er ftatte ihnen feinen Danf für ihre 
Zuneigung zu ihm ab. Um das aber zu vollbringen, was in der 
Lombardei noch zu thun ſei, obmohl ed wichtige Sachen und ihre 
Erledigung ſehr wünſchenswerth fer, fehle e8 ihm für den Augen- 
blick an Zeit, da er fich gezwungen jehe, feinen Marſch fortzu= 
ſetzen; ſobald e8 indeß nur feine Zeit erlaube, werde er mit größtem 
Nachdruck die Verbeſſerung der Zuftände der Lombardei in die 
Hand nehmen. 

Als ihnen diefe Antwort ertheilt wurde, da warfen fich, weil 
ein jeder merfen fonnte, daß der König an jofortigen Aufbruch vente, 
die Verbannten, welche in Folge des Widerftrebend mächtiger Geg— 
ner noch nicht zurücgeführt worden waren, bis jetzt aber die Hoff: 
nung nicht aufgegeben hatten, vor dem Seſſel des Königs zu Boden 
und beklagten mit großem Wortſchwall ihr Geſchick; unter ihnen 
befanden fich von hervorragenden Männern Manfred de Beccarıa 
aus Pavia, Antonius di Fifiraga aus Lodi und Guilelminus de 
Rubeis aus Parma, außerdem viele von geringerem Range. Ihr 
Yärmendes Gefchrei aber verlegte nicht nur die Ohren des Königs, 
fondern auch die der Umftehenden. 

11. Der König berührt auf dem Marſche nad) 
Genua Tortona. Der König antwortete ihnen eingehend voller 
Leutfeligkeit und Güte; endlich verließ er den Saal, jpeifte etwa 


um die neunte Stunde!) und verließ dann Pavia, indem er die 


1) Etwa um 2 oder 3 Uhr Nachmittags. 








Der König berührt auf dem Marjche nach Genua Tortona. 143 


Straße nah Tortona einihlug. Antonius de Fifiraga folgte ihm 
bis nad Tortona; Dann aber ließ er feine thörichte Hoffnung fah— 
ven und fehrte nach Pavia zurüd; auf dem Rückwege jedod ward 
er von den Bauern von Bogaria, einem paveſiſchen Dorfe, welche 
die Partei des Manfred de Beccaria hielten, umftellt, aufgehoben 
und dort ind Gefängniß geworfen; alſo erging es ihm jchlecht, da 
das Unglück es jo wollte. 





1511 





Fünftes Bud). 


1. Zuftände in Genua, Parteiungen und Ber- 
ſöhnungen. Nachdem er die Lombardei in diefen Wirren ver- 
(afjen hatte, überfchritt der König ohne Verzug die Hügel von 
Gabium!) und ftieg dann nad, Genua hinab. Der Abt, (ein 
Dlebejer, der nad) Yandesfitte der Vorfteher des Volkes ift) mit 
dem Podeſtaà und den Bornehnften des Staates ſowie Die ganze 
Bevölferung famen, gleichgefleidet, mit den Feftgemändern angethan, 
etwa fünf Miglten weit dem Herricher entgegen und empfingen den- 
jelben, der unter einem glänzenden purpurfarbigen Baldachin feinen 
Einzug bielt, während die Königin in derſelben Weife geehrt ihm 
folgte, mit böchfter Freude. Im biſchöflichen Palaft, dem Die Ge— 
meinde ihm angewiejen, ftieg er ab. Diefe Stadt, von der Zwie— 
tracht zwiſchen den Parteien der Guelfen und Ghibellinen entzündet 
und lange unter mamnigfachen Wechfelfällen hin- und hergemorfen, 
befand ſich damals unter der Herrſchaft der Ghibellinen oder der 
fatferlihen Partei (denn dieſe beiden Ausprüde befagen das näm— 
liche), da die Guelfen, obwohl zahlreicher und mohlhabender, unter= 
legen waren, jei e8 in Folge ihrer Läffigfeit oder weil es die 
Dinge nun einmal fo mit fid) bradyten. Die Führer diefer herr- 
ſchenden kaiſerlichen Partei gehörten zwei rivalifierenden Familien an, 
nämlicy den Auria ?) und Spinola. Das Haupt der YAuria war 


I)». i Gavi. — 2) D. i. Doria. 








Zuftände in Genua, Parteiungen und Verſöhnung. 145 


Barnabas!), der Spinola Opieinus?). Die Nebenbuhlerichaft 
diejer beiden Männer hatte das Gemeinwefen um nichts weniger 
als vorher die Kämpfe zwiſchen den Guelfen und Ghibellinen in 
verderbliche Zwietracht geftürzt, indem Barnabas den Opteinuß, der die 
Führerfhaft des Volfes erlangt, mit Hilfe der berbeigerufenen 
Guelfen aus der Stadt vertrieben und auf die Anhänglichkeit dev 
höheren Stände 3), denen jener verhaßt war, geftüßt, die Vor— 
ftandichaft und das Ruder des Staates in die Hand genommen hatte, 
In Volge hiervon war Opteinus dem König bis nad Aftı ent= 
gegengeeilt, wo man ihm Gehör geſchenkt und Ausſicht auf Rück— 
fehr in die Vaterftadt gemacht hatte. Die Parteien nun, von Haß 
entzündet, beftürmten das Ohr des Königs wetteifernd Durch öffent— 
liche Anſprachen und heimliche Einflüfterungen. Die Partei des 
Barnabas nämlich beſchuldigte den Opicinus, daß er lange die 
Stadt als Gemaltherricher in unerträglicher Weile bevrüct habe, 
bi8 er vertrieben worden fer; dann aber habe er hochverrätheriicher 
Weiſe mit den Streitkräften des Königs Karl) oder Roberts, deſſen 
Erftgeborenen 5), die Pflanzftädte und abhängigen Orte Genua's 
verbrannt und die Stadt felbft in die äußerſte Gefahr geftürzt, 
ſomit habe er die Stadt, vornehm wie gering verletst und, was 
weit fluchwürdiger jei, auch die Königliche Majeſtät jelbft, va er 
fi) mit König Karl und deſſen Partei zu enger Freundſchaft 
verbündet habe. Auch klagten fie den Markgrafen von Mont— 
ferrat 6), Opicinus' Eidam an, daß er mit feinen Mitteln 
dem Schwiegervater zu Genua's Verderben beigeftanden habe. 
Andererfeit machten Opicinus und die Seinen e8 dem Con— 
radus de Auria und Barnabas zum Vorwurf, daß fie fi) mit 
den Guelfen zu einer der ghibelliniichen over Faiferlichen 
Partei widerwärtigen und ſchädlichen Gemeinſchaft herbeigelafien, 
und daß fie ihn und die Seinen, geftütt auf die Hülfe der Flis— 
catı, Grimaldi und Salvatici — Dies nämlich, waren Namen anderer 


1) D. i. Bernabd. — 2) D. i. Obizzo. — 3) populus major. — 4) Karl II. von 
Neapel, + 1309. — 5) Robert war Karls zweiter Sohn; der ältefte, Karl Martell, Prä— 
tendent von Ungarn, war mit Sinterlaffung eines Sohnes Karl Robert (Carobert) vor 
dem Vater geftorben. — 6) Teodoro aus dem griehifchen Kaiferhaufe der Palaeologen. 

Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 10 


1311 


146 Fünftes Bud). 


1311 vornehmen Familien!) — aus der eigenen Baterftadt verbannt und 
das Bolt von Genua dermaßen gefnechtet hätten, Daß es zu Yande 
und zu Wafjer unter Ihimpflihen Joche geihmachtet und jeglicher 
Vorzüge, welche Das Baterland früher gewährt, verluftig gegangen 
ſei. Mit folden und ähnlichen Klagen angegangen, verſchob Der 
König feinen Marſch über Genua hinaus, welchen er in fürzerer 
Frift anzutreten geplant hatte, um dieſe Verhältnifie zu ordnen und 
wenn aud feine dauernde Cinigfeit, doch wenigſtens einftweilen 
gleihjam einen zeitweiligen Zuftand der Ruhe herbeizuführen. Als” 
Ausgangspunkt hierfür befeitigte er den Podefta, der der Eitte gemäß 
die höchſte Obrigkeit des Staates war, und nahm die Yeitung und 
Lenkung deſſelben jelbft in die Hand2); dem Volksabt, der nur E 
feinen Namen fahren lafjen mußte, entzog er die Yeibwache und 
jegte einen Bilar?) ein. Er zwang Volk und ©emeinde zu einer 
Beifteuer von fehszigtaufend Gulden und nahm für ſich felbft die 
gefammte Macht zu richten, zu ftrafen, zu verurtheilen und freis 
zufprechen in Anſpruch. Zugleich war er eifrig darauf bedacht 
der Entzweiung unter den Bürgern, abzuhelfen. Bald rief er die 
Auria, bald die Spinola zu ſich, um mit ihnen zu berathen, wor ” 
beit ihm der Graf von Savoyen, ein Mann von ausnehmender I 
Tüchtigfeit und Klugheit, gute Dienfte leiſtete; namentlich aber © 
war ihnen der Cardinal von Oſtia, die Hoffnung aller = 
Shibellinen, der felbft für das Haupt diefer Partei zumal in” 
Toskana galt, behilflih. Er war aus Prato, einem Dorfe nahe ” 
Florenz, von niederer Herkunft, aber von großer Umfiht und 
Weisheit. Nach feinem Rath wurde faft Alles betrieben. So kam 
man endlich nad langen Unterhandlungen zu Vereinbarungen und ” 
zur Feſtſetzung beftummter Friedensbedingungen zwilden den Bars” 
teten, jo zwar, daß der König die Ehrenämter der Republik und 3 
die fonftigen Posten zwiſchen ihnen theilte. 








1) Dieje Familien, namentlich die beiden erftgenannten, die Fieshi und Grimaldi, © 
waren die Häupter der Guelfen Genua’s. — 2) Freiwillig übertrugen die Gemuejen dem 
König die Signorie über Genua für einen Zeitraum von zwanzig Jahren. — 3) Den = 
nahmalS fo berühmten Uguccione della Faggiuola, den hervorragenditen Ghibellinen F 
Toskana's. 


Der König empfängt Nachrichten iiber Unruhen in der Lombardei. 147 


2. Der König empfängt Nachrichten über Un— 
ruhen in der Lombardei. Inzwiſchen empfing der König 
Beſtätigung der Nachrichten, melde von der Lombardei her ſchon 
früher zu feinen Ohren gedrungen waren, daß nämlich Gibertus 
de Corrigia von Parma mit Tusciern und Lombarden fih in 
eine Verſchwörung eingelaffen habe, daß Ehebündniſſe zwilchen den 
Familien Guido's della Turre und des Grafen Philippo de Lan— 
gusco vollzogen worden ſeien, daß die Marfgrafen Cavalcaboe !) 
mit Schaaren der Tuscier, Bolognefen und Yombarden im Ein— 
verſtändnis mit dem vorerwähnten Gibert bereits den Vikar und 
die Bürger von Gremona befriegten, daß ferner in Piacenza 
neue Beitrebungen gegen den König ſich geltend machten. Zum 
Schub von Cremona ſei Galaaz der ältefte Sohn des Maphäus 
Vicecomes, des Vifars von Mailand 2), Ichleunigft herbeigeeilt. In 
Brescia bereite fi) heimlih im Innerften der Stadt jelbft eine 
Erhebung gegen die Mazier vor; dieſe ihrerſeits aber hätten Vor: 
fehrungen hiergegen getroffen, die Befatung, welche in Bergamo ge- 
legen, nebft dem königlichen Statthalter von Bergamo in Brescia 
aufgenommen, mehrere Häupter der Verſchwörung getöptet und alle 
gemeinen Bürger von der Partei derfelben aus der Stadt ge= 
trieben. Um dieſelbe Zeit hätten die bereit8 erwähnten Mearf- 
grafen, geftügt auf Gibertus de Eorrigta, mit den Verbannten von 
Cremona von Caſalis Major?) aus, wo fie mehrere Tage lang 
die Ihrigen zufammengezogen, die Feindfeligfeiten gegen die Stadt 
mit großem Nachdruck eingeleitet, wären in dieſelbe eingevrungen 
und hätten, nachdem fie den Vikar Goffredus de BVercellenfibus 
aus Piftofa und den ſchon genannten Galaaz befiegt und im die 
Flucht geichlagen, mehrere getödtet oder gefangengenonmen, Cre— 
mona gewonnen. In Aſti, DVercelli und den übrigen Gemeinden 


1) Ein Eremanefifhes Geſchlecht; den Markgrafentitel führten die Cavalcabo von 
Viadana (PVitelliana), einer ihrer Befigungen. — 2) Nach der Befiegung des Torrianifchen 
Aufitandes in Mailand vom Febr. 1311 hatte der König, was Muffato übergeht, auch 
die Häupter der viscontiihen Partei aus der Stadt entfernt; aber ſchon zu Pavia, 
Oſtern 1311, erfhien Maffeo wieder am Hof des Königs, fand freundliche Aufnahme 
und ward am 18. Juli zum Reichsvikar von Mailand ernannt. — 3) Caſale Maggiore. 


10 * 


131i 
—1312 


148 Fünftes Bud). 






iR der Lombardei aber jeien die Häupter der Guelfen — empor⸗ 
gekommen und wütheten gegen die Ghibellinen, ihr Unternehmen 
aber werde von Philipp von Savoyen, Fürſten von Lacedämon, 
dem Vikar von Pavia!), mit günſtigen Augen betrachtet, während 
der vorgenannte Graf Philippo de Yangusco ihnen mit Rath und 
That beiftehe. Endlich ſei Albuinus della Ecala an der Seuche, 
welche ihn vor Brescia befallen, zu Verona geftorben ?); in Folge 
hiervon müfje Canis grandis fein Bruder, der fih noch zu Genua 
im Gefolge des Königs befand, fi) jo jchnell wie möglich nah 
Berona begeben auf daß ihm nichts Schlimmes begegne, da er R 
nämlich dem Bolt und den Edlen der Guelfiſchen Partei verhaft 
war, namentlich) aber weil er fi; den Haß der Paduaner zuge 
zogen hatte. 
3. Ernennung eines Borftehers der Lombardei. ” 
Obwohl die Nachricht won diefen unruhigen Auftritten in der Yom= 
bardei den König nicht wenig überrafchte und erjchredte, jo war 
er darum dod in feinem königlichen und Faiferlihen Sinn um 
nichts weniger auf das, was ihm zu thun oblag, mit Eifer bes 
dacht. Er beftellte den Werner von Homburg ?), einen tapferen ” 
Kitter, zum Borfteher der Lombardiſchen Provinz, ertheilte ihm 
namentlich die Befugnis alle dort entftehenden Kriege zu über 
wachen und fandte ihn mit einer jo großen Schaar von franzöfiichen ” 
Kittern, als er aufbringen Eonnte, wohlgerüftet in die Lombardei. 
Werner wandte fi) zunächft nach Piacenza, wo man argwöhnte 
daß eine Empörung im Anzuge fei; doc) wollten ihm die Bürger 
nur erlauben mit hundert Leuten einzuziehen und Liegen ihm der 
geftalt die Wahl ſich damit zu begnügen oder wieder abzuziehen, 
anders als auf Diefe Bedingung hin wollten fie ihm den Einzug 


1) Neffe des Amadeus; durch feine Verbindung mit der Erbtochter eines der Fürften 
des ſ. g. lateinifchen Kaiſerthums hatte er den Titel eines Fürften von Achaja Morea 
und Lacedämon an fein Haus gebradt. Ihn Hatte König Heinrich bei feinem Aufbruch) 
aus der Lombardei zum Statthalter iiber Pavia Novara und Bercelli beftellt. — 2) Al 
buino ftarb erft einige Tage nad) Cane's Ankunft in Verona. — 3) Im Text Guar- 
nerius de Ocmborc genannt* 





Tod der Königin. 149 


nicht geftatten; fie jähen nämlich, erklärten fie, daß überall die 1311 
töniglihen Statthalter die Guelfen niederhielten, die Ghibellinen * 
dagegen begünſtigten; dieſen Parteiunterſchied wollten ſie ſich durch— 
aus nicht gefallen laſſen, da ſie, um ſich vor Schaden zu hüten, 
ſich entſchloſſen hätten gemeinſam, Guelfen und Ghibellinen, ein— 
trächtig mit einander zu leben, im übrigen aber dem königlichen 
Statthalter gehorſam zu ſein. Boll Unwillen über dieſe Bedingung 
faßte Werner dieſelbe als eine Abwerfung auf, wandte fich umd 
fehrte zum König zurüd. 

4. Tod der Königin. In eben diefen Tagen zeigte die 
Natur, welche alles zu Grunde richtet und dem menschlichen Geifte 
oder dem menjhlichen Nachdenken nicht geftattet fich ihr zur er— 
ziehen, ihr Amt beftändiger Veränderung an der erlauchteften und 
gütigften Königin Margaretha. Dieſe nämlich, welche, wie die ge- 
ſchickteſten Aerzte behaupteten, vor Brescia in Folge der verdorbenen 
Luft von der Seuche erfaßt worden war und jeitdem an einem 
Ichleichenden Uebel litt, wurde nad einer Krankheit von ſechs 
Tagen — o Jammer! — dem Leben entriffen, zu Genua im 
Palaft der Erben des Benedikt Zacharias, in dem Vorort Bes 
fagnum im öftlihen Theile am Meere. Shre Leiche, nad) könig— 
licher Sitte in Purpur gehüllt, mit goldener Krone auf dem Haupte, 
wurde unter unglaublic) zahlreichen Yeichengefolge nach dem Klofter 
der Minderbrüder gebracht und dort unter den üblichen Yeichen- 
feierlichfeiten im Chor der Kirche an der Seite des Altars bei- 
gejegt in bleierneim Sarcophag, der indeß weder vermauert noch 
dur haltbares Gold verichloffen ward, da, wie man glaubte und 
das Gerücht befagte, er feiner Zeit von Dort wieder entfernt und 
nad Deutichland gebracht werden jollte. Der Tag diefer erhabenen 
Gedächtnisfeier war der Fefttag der heiligen Jungfrau Yucta im Der. 13. 
Jahre unferes Herren dreizehnhundert und elf. Der hehre König 
ertrug ihren Tod mit männliher Würde und vergoß öffentlich feine 
Thräne, obwohl e8 weder überliefert wird noch überhaupt glaublich 
ift, daß vor dieſer Ehe jemald ein Baar gefunden worden, welches 
einander in jo inniger Liebe zugethan geweſen wäre. 


1311 


150 Fünftes Bud). 


5. Gefandtihaft der Pifaner. Während der König 
fi) in Genua aufhielt, famen, ihn zu begrüßen, als Geſandte vier 
undzwanzig wornehme Pilaner, deren Haupt und Führer Graf 
Facius war, der Sohn jenes Grafen Gerardus von Pila!), 
welcher — denn die Erinnerung an jenes fchredlice Ereignis 
(wenn es gleich einer entlegenen Zeit angehört) ift noch keineswegs 
geſchwunden —, in der Feldſchlacht befiegt und mit Conradin von 
Staufen dem alamannifhen Könige?) von Carl, dem damaligen 
Könige von Yerufalem und Sicilien, zu gleiher Todesſtrafe ver- 
dammt, jein Leben geendet hatte?). Dieje Gejandten warfen ſich, 
in fichtbarem Entzücken über den Anblid der faiferlichen Majeftät, 
den fie, wie fie werficherten, ſchon lange erwartet und erjehnt hätten, 
bis zu Thränen gerührt, dem König zu Füßen und trugen ihm 
in längerer würdiger Rede, wie es der Gegenftand erforderte, ihr 
Anliegen vor: 

Jetzt endlich, riefen fie aus, habe Gott ſich der Welt, welcher 
die Sonne entzogen geweſen, und des Menjchengeichlechts, welches 
in jeinen Sorgen faft erlegen fer, erinnert und ſich ihrer erbarınt 
zum Troſt der unterdrüften Völker, die das Licht der Kaiſer— 
herrlichkeit exjehnen, welches nöthig jet zur Vernichtung und zur 
gebührenden Vertreibung der Ungerechten.. Dies zu erreichen, biete 
mit Gottes Willen die Welt fi. dar. Er möge daher, baten fie, 
zu ihnen fommen, gleichwie zum Haufe und zur Brautfammer des 
Königthums, wo er umfafjende Sorgfalt und auserlejene Treue 
finden werde; alles gehöre ihm, Dort finde er einen Drt geeignet 
zur Erholung und zur Vorbereitung jeiner weiteren Unternehmungen ; 





‚von Pıla aus hindere ihn weder zu Yande nod zur See irgend 


etwas mit der Schaar der Getreuen, welche er bet ihnen jammeln 
fönne, nad) Rom zu gelangen; hier jolle er jene Truppen zuſammen— 
ziehen, zu deren Pflege und Rüftung jegliche Vorkehrungen getroffen 
jeien. Unter andern boten fie ihm zum Gejchenf ven Apparat 

1) Gerardo Donoratico. — 2) „cum Conradino de Stoph Alemannorum rege.* — 


3) Wie immer jo hatte auch bei dem Unternehmen Conradins Pija feine Anhänglichkeit 
an das Kaiſerthum und das Gefchleht der Staufer glänzend bethätigt. 


Gefandtichaft des Königs Robert von Apulien. 151 


eines Zeltlagers, welches zehntaufend Soldaten mit ihren Zelten a 
aufnehmen fonnte. Gefommen ſei, erklärten fie weiter, die Zeit 
der Gerechtigkeit, die Zeit der Vergeltung für die verabſcheuungs— 
würdigen Verächter des Kaiſerthums, die Zeit der Nüdführung 

der Verbannten zum heimifchen Herde, die Zeit des Frohſinns und 

des Friedens für diejenigen, welche das Kaiſerthum ſcheuen und 
verehren. 

Ihnen entgegnete der König voll Güte und Leutfeligfeit, in 
furzer Rede, wie e8 jeine Gewohnheit war, er freue fid) über ihr 
Erjcheinen und, was fie berichtet, habe er fich fehr zw Herzen ge— 
nommen. Um ihretwillen und im Intereſſe feiner übrigen Ge— 
tveuen ſei er gefommen; ihnen Glück und Friede zu bringen, fei 
er mit äußerſter Anftrengung bemüht, ſoviel fein gebrechlicher, 
fterblicher Yeib auszuhalten im Stande ſei; ihm fei e8 Herzensfache, 
allen Befennern Chrifti, joweit er vermöge, Ruhe und Frieden zu 
verſchaffen. Durch diefe Antwort getröftet und erfreut, blieben die 
Gelandten am Hoflager und hielten ihre vier Galeren, ihre übrigen 
Fahrzeuge und die Laftihiffe mit ihrer Ausrüftung unter großen 
Roften im Hafen von Genua zurüd. 

6. Geſandtſchaftdes Königs Robertvon Apulien. 
Inzwiſchen kam Riciardus Gambateſa, ein Vertrauter des Königs 
von Apulien, nebſt einem Gefährten nad) Genua, ward unter großer 
Spannung der Fürften eingeführt und Hatte Yängere Au— 
dienzen bei dem König. Der Gegenftand diefer Verhandlungen 
ward geheim gehalten und blieb den Volke gänzlich unbefannt ; 
aus Gerüchten aber, Vermuthungen und allerhand Anhaltspuntten 
fam fo viel zu Tage, daß es fih um Ehebündniſſe des römiſchen 
Königs ſelbſt und feiner Töchter mit König Nobert, deſſen Brüdern 
und Neffen handle; doc jollten dem Zuſtandekommen diefer Dinge 
von beiden Seiten verichtedene Hinderungsgründe entgegenftehen, 
unter andern der Umftand daß König Robert für den einen jeiner 
Brüder die Senatorwürde !) von Nom, für den andern das PVifariat 


1) Der Senator war in diefer Epoche der höchſte Beamte der Stadt Ron. 





152 Fünftes Bud. 


131 von Tuscien erbat, was der römiſche König für umbillig hielt, 7 

ER feinen und des Reichs Getreuen gegenüber, welche dann beftändig 
im Exil bleiben würden, während er doc hauptſächlich um ihret- 
willen nad) Italien gefommen fer; überhaupt werde e8 kaum mög- 
lich fein, hierdurch bei dem bitteren Haß der gegen einander in 
heller Wuth entbrannten Parteren irgend welche Linderung zu 
Ihaffen. Während man nod hierüber am Hofe verhandelte, fiehe, 
da erfuhr man durch Boten, die aus Kom zu Stephanus Colonna, 
der fi) gerade am Hoflager befand, kamen, eine überrajchende 
Neuigfeit, nämlih: Johann, der Bruder König Noberts, ſei mit 
jtarfer Heeresmacht in Nom eingedrungen, um ben Palajt des 
Cenatord und die ganze Stadt im voraus zu bejegen und jo den 
Einzug des römiſchen Königs zu hindern. Che man aber die Be— 
deutung diefes Schrittes Elar erkannte, faßten einige denjelben zum 
guten auf und verbreiteten, Johann ſei nur aus Freundihaft für 
den römischen König und zur Ehrenbezeugung demſelben entgegen- 
gefommen, da er vermuthet hätte, jener würde dort eher erjcheinen. 
Nachdem aber lange Zeit diefe Auffaflung von Mund zu Munde 
gegangen und noch von denen, welche fie verbreiteten, wie e8 häufig 
zu geben pflegt, mannichfache willfürliche Zufäge und Ermeiterungen 
erfahren hatte, verſchwand dieſe angeblihe Willfährigfeit oder 
Freundichaft, wie thatfählih, Jo audh im Gerüchte. Denn jener 
war, wie feine Handlungen erwiefen, nah Rom gefommen, um die 
Stadt gegen den König aufzumiegeln. Mit allen Machtmitteln, 
über melde fie verfügen konnte, flügte den Prinzen die erlauchte 
und mächtige Familie der Urſini, fer e8 aus Feindſchaft gegen die 
Colonna!) melde, wie e8 hieß, den König nach der Stadt ge 
leiten wollten, fer e8 auch aus Anhänglichkeit an die Guelftiche 
Sade, welche fie auch jonft nad Kräften begünftigt und gefördert 
hatten. ALS dieſes am Hofe fund ward, verſchwand Riciardus 
Gambateſa eines Tages um die Dämmerung mit feinem Vier: 
ruderer, den er zur Abfahrt fertig gemacht hatte, aus dem Hafen 





1) Ueber die Orſini und Colonna vgl, die Einleitung ©. 6. 


Gejandtihaft des Königs nad) Nom. 153 


von Genua, ohne Wiſſen des Königs, und kehrte nach Apulien So 
zurüd. j 
7. Geſandtſchaft des Königs nad Rom. Belorgt 
hieß der König den erlauchten Ludwig von Savoyen, der Damals 
von den Römern zum Senator berufen worden wart), eine 
Galeere rüften und auf welchem Wege er könne nad) Rom vor= 
dringen. Der Senator ward mehrere Tage in Piſa durch Stürme 
zurüd gehalten; endlich, als Diele fich gelegt hatten, fuhr er nadı 
der Maritima, erholte ſich dort in den Burgen des Grafen von 
Santa Flora einige Zeit und eilte endlih unter Genehmigung 
und Leitung dev Colonna zur Stadt, wo er im Lateran feinen 
Sit nahm. Eiligſt Tieß er dann aud zu feinem Schutze den 
Stephanus Colonna mit den Seinen fommen. Jede Partei be: 
feftigte nun einige Theile von Rom, in den Quartieren wo fie 
herrſchte, mit Schanzen und Feſtungswerken und verjah fie mit 
Allen, was zum Kriege und zur Belagerung dient. Der Auf 
aber warb immer lauter durch die Gemeinden Italiens bin, daß 
das römische Volk und zwar ganz beſonders das niedere Volf die 
Ankunft des römischen Königs erſehne und davon Vortheil für 
ſich erhoffe. Diefe Spaltung von Nom erfüllte die Völker von 
Italien, Gallıen und aller Länder, ſoweit der Name des Neichs 
anerkannt wird, mit mannichfaltigen Hoffnungen und Befürchtungen. 
8. Geſandtſchaft des Königs von Sicilien an 
das Hoflager. Um dieſe Zeit landete in Genua der edle 
Galvagnus Lancia ?), der Rath und Admiral König Friedrichs 
von GSicilten?), nebft Gefolge mit zwei Galeeren, als Gejanbter 
des eben erwähnten Friedrichs. Don König Heinrich freundlich 
empfangen, begrüßte er diefen im Auftrage feines Königs und be= 
Ihenkte ihn mit einem filbernen Tih*von erheblichem Gewicht 
und anderen föniglihen Ehrengeſchenken. Wozu jonft aber er ge— 
fommen war, erfuhr am ganzen Hoflager niemand, mit Ausnahme 
weniger in das Geheimnis gezogenen Bertrauten des Königs, doch 


1) Er hatte fich einige Zeit in Rom behauptet, war dann aber von dort aus zum 
König nad Brescia gefommen. — 2) Galvagno Lancia. — 3) Regierte jeit 1296. 


154 Fünftes Buch. 


SE ward in den Wirthöftuben und auf den Straßen vielerler darüber 
erzählt. Einige meinten, fie jeien gefommen, um für ihren Herrn 
die Anerkennung als König von Sicilien zu erbitten und den 
Stand der Dinge, die Yage und die Machtverhältnifje des römischen 
Königs zu erfunden. Andere meinten, e8 gelte ein Bündnis beider 
Herricher wider Die Könige von Franfreih und Apulien. Die 
fetstere Anficht indeß verſchwand jchnell wieder und nad) wenigen 
Tagen beftieg Galvagnus mit Wilfen und Erlaubnis des Königs 
jeine Galeeren und fehrte nad Sicilien zurüd. 

9. Ereigniljfe in Genua. Während nun der König 
dergeftalt Genua in Befit hatte und dort Hof hielt, ſandte die 
Gemeinde von Florenz mit den verbündeten Gemeinden Toskana's, 
nämlich von Siena, Perufium, Civitas Caftelli ), Yucca und anderen 
Drten im Berein mit dem guelfiichen Bologna den Dego?) 
Marihall König Roberts, mit ungefähr vierhundert Dann Sold— 
teuppen nad) Earzanım?) im Gebiet von Lucca unter den Feld- 
zeichen Roberts und der Guelfenpartei, damit der römiſche König 
dort feinen Durchweg fände; zugleich gelobten fie einander eidlich 
nicht zu Heinrich abzufallen jondern vielmehr alle Ohibellinen 
niederzumachen. Hierdurch erſchreckt, wenngleich in feiner Stand- 
haftigfeit nicht erjchüttert, Tieß der König von jeinen Fürften, 
Grafen Ameus von Savoyen, Grafen Robert von Flandern, 
dem Erzbiſchof von Trier feinem Kanzler, dem Biſchof von Trient, 
dem Biſchof von Lüttich, dem Heeresmarſchall Heinrid) von Flandern 
(denn diefe waren von allen ihm übrig geblieben) ſowie aud von 
den Cardinälen, namentlich dem von Oſtia (der Biſchof von Alba 
nämlich war inzwiſchen in der Gegend von Yucca einer Krankheit 
erlegen) mit Rath und That unterftügt, den Muth nicht finfen und 
hielt fi jo gut es gingsaufreht. Aber die Genuefen hatte er 
durch die Auflage von jechzigtaufend Goldgulden in jo hohem Grade 
beſchwert, daß er feine Hoffnung hatte weitere Summen von ihnen 
erheben zu fünnen; ja, fie hatten als feine und der Seinigen Be— 


1) D. i. Eitta di Eaftello. — 2) Diego della Ratta. — 3) Sarzana öftlih von 
Spezzia, an der von tort nad Fucca und Pifa führenden Küftenftraße. 


Ereigniffe in Genua. 155 


dürfniffe anwuchſen, plößlic begonnen die Lieferungen einzuftellen, 
ſodaß der König arm und erjhöpft in feiner Bedrängnis und Ohn— 
macht den Sold feinen Truppen zu zahlen aufjchteben und die— 
jelben mit eitlen, trügerifchen Hoffnungen hinhalten mußte. Und 
ſchon wurden die Seinen ihrer Schulden wegen von den Genueſen 
gemahnt und laute Klage erhoben, nicht nur hinter dein Rücken 
des Königs, jondern in feiner Gegenwart und vor feinen Ohren. 
Daraus entftand denn bald aud) Unmwillen wider den König felbft 
beim geringen Volke wie auch bei den befjeren Ständen. Ueber: 
haupt lagen ſchwerwiegende Momente vor, welche leicht zur Unzu— 
friedenheit und zum Aufruhr führen fonnten. Immer häufiger 
wurde die allgemeine Klage, welche man in der ganzen Stadt 
laut und öffentlich zu erheben wagte: Genua fei von jeher eine 
Freiftadt geweſen, fie habe die Herrihaft Friderichs von Staufen 
abgemwiefen und fogar fi mit ihm gemefjen?); jest aber habe fie 
blindlings den Hals unter das Joch gebeugt ohne Krieg und ohne 
daß e8 ihr zum Schut und Vortheil gereiche; fie fet jetzt entartet, 
ihre Ordnungen ſeien gelöft, ihre ſtädtiſche Verfafjung und ihre 
Volksbeſchlüſſe ferien aufgehoben und abgeſchafft; Volk und Vor— 
nehme verdienten ihre Augen zu verlieren, dafür daß fie ſich jenem 
‚gebunden überliefert und wie Sklaven und Peibeigene gehandelt 
hätten. Das Gewicht diefer Klagen wurde noch dadurch verſtärkt, 
daß ſich die Genueſen aller Handelsvortheile beraubt ſahen, daß 
ihnen, die wie die Fiſche auf dem Meere ihren Unterhalt ſuchen, 
jest ihre Schifffahrt entzogen und jeder Erwerb abgejchnitten war, 
da wegen dieſes unfeligen Kriegs Fein Waarenaustaufch mit den 
Kaufleuten der Lombardei, Tosfanas, Siciliens und bejonders mit 
denen von Alexandria und den Bewohnern der Infeln des mittel- 
ländiſchen Meeres ftatt fand ?). Dies alle war für das Volk 


1) Befanntlih führte Genua jahrelang Kriege mit Friedrich II. Der bedeutendite 
Geaner des letzteren, Papft Innocenz IV., ftammte aus dem genuefiihen Gefchledhte der 
Fieschi; die Genuefen waren es auch, welche diefem im Jahre 1244 die Flucht von Rom 
nad) Lyon ermöglichten, wo der Papft im folgenden Sahre fein großes Concil abhielt 
und die Abſetzung Kaifer Friedrihs ausſprach. — 2) Dies ift offenbar der Sinn der 
Stelle. Der Tert ift verderbt. 


1312 


156 Fünftes Bud). 


von Genua durchaus unerträglih. Von Tag zu Tag ward das 
Murren lauter und allgemeiner, dem König felbft blieb das 
Schelten nicht verborgen und oft vernahn er im Vorzimmer das 
Drängen und Yärmen der Gläubiger, welche für die von ihnen 
gelieferten Waaren Bezahlung verlangten. Rathlos wie er dieſen 
Misftänden abhelfen jolle, jandte der König, als er wahrnahm 
daß die aufgeregte Menge ihm gefährlic zu werden anfing, den 
Biſchof von Lüttich und den Marihall Heinrich von Flandern 
plöglih nah Pia, um von den befreundeten und getreuen Pifanern 
Hülfe in dieſer Nothlage zu heifhen. Das Hoflager war damals 
ungewöhnlich leer, durch Todesfälle verödet, da wiele, welche bisher 
verſchont geblieben waren, nun in Genua an der Seuche, melde 
fie Schon lange in fich getragen und genährt hatten, zu Grunde 
gingen. Bemerkenswerth ıft Dabei das folgende. Eben diele 
nämlich, die noch in Genua erkrankten, ſteckten die Genuejen derart 
an, Daß troß des überaus gefunden Klimas des Landſtriches und 
einer durchaus günftigen Witterung eine ſeit Menfchengedenfen un— 
erhörte Sterblichkeit in Folge der anſteckenden Seuche, welche auch 
die Bürger ergriff und eine unglaublide Menge hinmegrafite, 
eintrat. Unter Theilnahme des Biſchofs mit der Geiftlichfeit und, 
von großen Volksſchaaren geleitet, wurden die Körper Johannes 
de8 Täufer und anderer Heiligen unter Abfingung von geiftlichen 
Liedern und lauter Anrufung durch die Stadt getragen, um Gott 
zu befänftigen und die jo tödtlihe Krankheit zu fühnen. Der 
Hof war, wie ſchon erwähnt, verödet und zwar nicht nur in Folge 
der zahlreichen Todesfälle; fondern aud von den Abgeordneten, 
welche mit Nennung ihres Namens berufen waren um den König 
zur Kaiſerkrönung zu geleiten ?), erſchienen nur wenige; die meiften 
fauften die Verpflihtung mit Geld ab, andere verharrten in Gering= 
ſchätzung des füniglichen Befehls und offener Empörung. Aus der 
Zahl der lombardiſchen Großen erſchien nur Lucchinus, ein jüngerer 
Sohn des Maphäus Vicecomes von Mailand, mit wenigen Keitern 
und den Abgeoroneten der Gemeinde von Mailand. 
1) Vgl. oben Bud. 4 Kap. 8. 








Kückehr der Gefandten Padua's mit füniglicyen Privilegien &. 157 


10. Rückkehr der Geſandten Padua's mit fönig- 
lien Privilegien, und Tert derfelben. Unter den Ab- 
geordneten der übrigen Gemeinden befanden fich aud vier Paduaner, 
die Richter Rolandus de Blazivla, Jacobus de Alvarotis, Johannes 
Henricus de Capitevaccä und der Late!) Albertinus Muffatus. 
Diefe waren, dem Befehle des Königs gehorſam, erjchtenen, glaubten 
aber, wie die übrigen, daß der Aufbrud nah Rom jchneller er— 
folgen werde und baten, nachdem fie etwa hundert Tage in Genua 


1312 


ftillgelegen hatten, endlich der Sache überbrüffig und durch die | 


großen Koften des langen Aufenthalt8 in Genua beſchwert, um Er— 
laubnis fich zu entfernen. Lange Zeit blieben ihre Bitten frucht- 
08; ja fie hätten den König überhaupt wohl kaum geneigt ge= 
funden ihre Bitte zu gewähren, wenn nicht Albertinus Mufjatus, 
den der König ganz befonders hochſchätzte, dieſem mit Anführung 
der dringendften und gewichtigften Gründe darüber Vorftellungen 
gemacht hätte: ihm und jeinen Genofjen fünne nämlich wegen der 


Gefährdung der Wege ſeitens der Gemeinde von Padua fein Geld 


für ihren Unterhalt überfandt werben und fie befänden fich daher 
in einer jo bebrängten Lage, daß fie geradezu gezwungen ſeien 
zurüdzufehren; zur Krönung indeß würden fie vechtzeitig wieder 
ericheinen. Der König ertheilte ihm hierauf zwar nicht ausdrüd- 
li) die Erlaubnis, verweigerte fie aber auch nicht. So fehrten 
die Paduaner, mit einem föniglichen Erlaß in Betreff der Ableitung 
des Fluſſes Bachilio und der Paduaniſchen Befizungen in Vicenza 
und deſſen Gebiet, die die Vicentiner noch zurüchielten, verjehen, 
nach Padua zurüd. 

Der Wortlaut des füniglichen Erlaſſes oder Privilegs iſt der 
folgende: 

„Wir Heinrich von Gottes Gnaden römiſcher König, zu allen 
Zeiten Mehrer des Reichs, entbieten den Vikaren unjerer Städte 
Padua und Bicenza, welche jest find oder zur Zeit fern werben, 
und allen Getreuen des römiſchen Reichs und allen und jeven 


1) Laie (laieus) bedeutet hier einen folchen, der den juriftifhen Doctorgrad nicht er= 
worben hat. 


1312 


158 . Fünftes Bud). 


unferer Vikaren und Beamten, zu welchen diefer Brief gelangen 
wird, unferen lieben Getreuen, unſere Gunft und alles Gute. 
— Nachdem wir, wie es fic) für unſere Majeftät geziemt, Sorge 
getragen hatten, die Urfachen der Entzmeiungen und Srrungen, 
welche zwiſchen unferen Getreuen den Pabuanern und den Bicen- 
tinern und ihren Gemeinden und einzelnen Perjonen gefährliche 
Verwicklungen hervorrufen fonnten, mit emfiger Sorgfalt aus dem 
Wege zu räumen und friedlidy beizulegen, und im Betreff ver 
Güter, Rechte und des unbeweglichen Befites der Paduaner, in 
der Stadt und dem Gebiete von PVicenza und umgefehrt der Güter, 
Rechte und des unbemeglichen Beſitzes der PVicentiner in der Stadt 
oder dem Gebiet von Padua, ſowie im Betreff des Waſſers oder 
Fluſſes Bachilio für gut erachtet hatten, beiden Theilen gewiſſe 
Privilegien zu gewähren, zu deren Ausführung wir den ehrwür— 
digen Aymo, Biſchof von Genf, unferen Fürften und Hetmlichen, 
dorthin zu fenden geruht hatten, welcher dafelbft eine Unterfugung 
anftellte und eine Entſcheidung traf, wie diefelbe in öffentlichen 
Urkunden, welche er darüber aufnehmen ließ, vollftändig enthalten 
ift, welche Privilegien und Entfcheidungen aber, wie und von Seite 
der Paduaner mitgetheilt wird, nicht, wie es unſere Abficht war 
und noch ift, thatfählih nad) Maßgabe ihres Wortlautes und 
ihrer Faſſung ins Leben getreten und zur Ausführung gelangt 
find: jo haben wir beichloffen, in dem Wunjche daß jene Privi 
legten und Gewährungen, gleihwie wir fie qegeben und fie auf- 
zufegen und zu verfiegeln befohlen haben, durchaus und unverlegt 
beachtet werben, den weiſen Mann Baſſianus de Guaziis Yehrer 
der Nechte und Johannes de Caſtione, unſeres Palaftes Auditoren, 
unfere lieben Bertrauten und Näthe, in die Gegend und Dertlichkeit 
der Gebiete von Padua und Bicenza ſogleich zu jenden, denen wir 
nach wohlerwogenem Rathe unferer Richter und Rechtskundigen 
hiermit laut diejes Briefes den Auftrag ertheilen, daß fie Die wor= 
genannten Privilegien, als gerechte, wernünftige, dem echte ent= 
Iprechende, und die oben erwähnte Entjheidung erfüllen und zur 
Ausführung bringen, wie fie gejchrieben find, ohne Abbruch und 








Rückkehr Der Gefandten Padua's mit fönigl. Privilegien ꝛc. 159 


zu voller Wirkung Wir befehlen denfelben, dag jie an emen 
zwilchen den Städten Padua und Vicenza gelegenen, beiden Theilen 
gleich bequemen Ort oder anderswo in jener Gegend, mo die Par- 
teien fiher und bequem zufammentreffen fünnen, nad) ihrem Er— 
meſſen fich begeben, und dorthin alle und jegliche Paduaner und 
Bieentiner berufen, welche behaupten oder behaupten werben, fie 
jeien in dem Zeitraum, von welchem im den genannten Privilegien 
die Rede ift, an ihren Gütern Rechten und ihrem unbeweglichen 
Beſitz verfürzt worden, um dort von den einzelnen ihre Titel und 
Anſprüche in Betreff diefer Güter, Rechte und dieſes unbeweglichen 
Beſitzes und der Rechte und Güter, welche fie, mie fie behaupten 


oder zeigen wollen, in dem Zeitraum, von weldem in den vor= 


genannten Privilegien die Rede ift, befeffen und innegehabt haben, 
und deren fie in demſelben Zeitraum, wie fie nachweiſen wollen, 
beraubt worden jeien, entgegenzunehmen. Und nachdem fie in 
Betreff eben diefer Güter, Rechte und Befisungen, ſobald man 
ihnen über viefelben den genügenvden Beweis geliefert haben wird, 
die Wahrheit herausgefunden haben werden, jo jollen fie, befehlen 
wir, Die richtigen Befiger auf Grund unferer Autorität in den 
freien und unbeichränften Beſitz jegen und einführen und alle ohne 
weiteres auf den ehemaligen Stand, wie e8 früher war, zurüd- 
bringen. In allen dieſen vorgenannten Dingen und allem, mas 
fi) Daraus ergiebt, verleihen wir denjelben volle und uneingefchränfte 
Macht, Entſcheidung und Gewalt, indem wir von jeglichen feters 
lichen Formeln, welche das Recht vorschreibt, dabei abſehen. Wir 
wollen aber, daß die genannten Bafjtanus und Johannes in allem 


Vorgenannten und in Betreff alles Vorgenannten und in allem, 


was fi Daraus ergiebt, vorgehen können und mögen ohne chrift- 
liches Verfahren, einfach, kurz, ohne Umftände und Formen des 
gewöhnlichen gerichtlihen Berfahrens, auf jede Art und Weile, wie 


ſie am beften und ſchnellſten zur Ausführung alles Borgenannten 


zu Gunften der Beraubten gelangen zu fünnen glauben, und daß 
fie alle Widerfprechenden Ungehorjamen und Rebellen ftrafen und 
züchtigen, fie verurtheilen, ihnen Strafen auferlegen und fie um 


1312 


1312 


San. 27 


160 Fünftes Bud. Rückkehr der Gefandten Padua's ꝛc. 


Geld büßen fünnen, ganz wie e8 ihnen am beften jcheint. Euch 
aber und einem jeden von euch befehlen wir, daß ihr in allem Bor: 
genannten, gleichwie die genannten Baſſianus und Johannes es 
eud) jagen werben, in der Ausführung aller diefer Beftimmungen 
ihnen gehorcht und eifrig darauf bedacht ſeid ihnen zu gehorchen. 
Wir übertragen aber venfelben in allem Vorgenannten und allem, 
was ſich daraus ergiebt, unfere Vertretung, mit Verwerfung jeg- 
licher Entſchuldigungen, Ausflüchte, Hinderungsverfuhe und Be— 
rufungen, jodaß fie beide, oder, falls einer von ihnen der Ausführung 
dieſer Dinge nicht beimohnen kann, der andere fie nichts deſto 
weniger zur Ausführung bringen fann. Auch wollen wir daß bei 
den vorgedachten Wiederherftellungen einem jeden jein Recht durchaus 
in vollem Umfang gewahrt bleibe, ſodaß durch dieſelben feiner 
verfürzt werde — Gegeben zu Genua am 27. Januar im 
Sabre des Herrn 1312, unjere8 Reiches aber im vierten Jahre.“ 





Sechſtes Bud). 


1. Berbandlungen des Paduaniſchen Genateß 12 
nad der Rückkehr der Öefandten. ALS die Gejanbten 
mit dieſem königlichen Erlaß in Padua eintrafen, berichteten fie 
zuerft den acht Weilen, welche an der Spite des Staates ftehen, 
mit Hinzuziehung der übrigen maßgebenden Gewalten der Stadt, 
was fie am SHoflager ausgerichtet; dann aber ward der große 
Kath der taufend Mitglieder berufen, denen Albertinus Muſſatus 
einen eingehenden Bericht abftattete, in welchen er fich über ven 
Stand der Angelegenheiten des Königs verbreitete und die all 
gemeine Sachlage, die Bewegungen in ganz Italien und deren Fort— 
Ihritte zur Kenntnis des Rathes brachte. Als er ſich nieder— 
gelaſſen hatte, äußerten ſich die Mitglieder dieſer Behörde in 
ſtürmiſchen Reden verſchiedener Richtung. Die Mehrzahl nämlich 
wollte unter allen Umſtänden, ſoviel ſie dazu thun konnte, Ruhe 
und Frieden haben; zu Umwälzungen und Neuerungen waren ſie 
durchaus nicht geneigt, ja der Gedanke daran erfüllte ſie mit 
Grauſen. Aber eine nicht geringe Anzahl ſah einen jähen Sturz 
des Königs als nahe bevorſtehend und wahrſcheinlich an und ver— 
ſtieg ſich kühn zu dem anmaßenden Gedanken der Empörung. Unter 
ſolchen Umſtänden ward an dieſem Tage die Entſcheidung über 
eine Sache von ſo großer Wichtigkeit noch hinausgeſchoben. Schon 
am folgenden Tage aber erfuhr man aus Briefen, welche Canie- 

Gejchichtichreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 11 


1312 


162 Sechſtes Bud). 


grandis von Verona der Gemeinde von Padua jandte, eine uner— 
wartete, kaum glaubliche Nachricht, daß nämlid eben diefer Canis 
aus königlicher Machtvolltommenheit zum Vikar der Stadt Bicenza 
ernannt worden fer; und alsbald mifchte das Gerücht dem Wahren 
Falſches bei, dag nämlich der König jenen unbilliger Weiſe nicht 
nur über Verona !), fondern au über Padua, Trevijo und Beltre 
gejetst habe. Diefe Nachricht, von größter Bedeutung für Padua, 
erregte allgemeines Entfegen; meitere Gerüchte famen hinzu, um 
durch neue Scredniffe die Gemüther auf das tiefite zu erregen; 
wenig Gutes und Liebes glaubte man ferner von dem König er= 
warten zu dürfen, da, wie man es anjah, die Bosheit defjelben 
durch die That deutlich bewiefen wurde. Auf das Toben und 
Drängen des Volks ward jogleich der große Nath berufen und 
demfelben die Frage vorgelegt, was man in einer jo gefährdeten 
Lage zu thun habe. Aus der Zahl der Geſandten erhob ſich, 
durch jenes gefahrdrohende Ereignis nicht wenig erjchüttert, Der 
Richter Rolandus de Plaziola, betrat, Allen fichtbar, die hobe 
Rednerbühne des Verſammlungsſaales und ſprach folgendermaßen: 

„Unter Gottes Führung aus jenem Hoflager entfommen, wo 
Furcht und Schreden felbft die Macht der Sprache gebrochen hatten, 
und zum vaterländifchen Herde und eurem Holden Anblid zurüd- 
gefehrt, ihr meine Mitbürger, will ich frei und zuverſichtlich reden 
und den Mund wieder aufthun, nachdem ich faft hundert Tage 
ſtillſchweigend an mir habe vorüberziehen lafjen und ftumm ges 
blieben bin. Ich habe diefen König und fein Weſen fennen gelernt, 
aber es verdrießt mich ihn gejehen zu haben, der, wenn mid) 
nicht alles täufcht, der Welt nur zum Verderben bejcheert worden 
ft. Sa meine leiblichen Augen haben jenes Antlit; gejehen, welches 
der Trieb des Herzens zu jchauen ſich weigerte. Und wer möchte 
fih) darüber wundern, ihr Bürger? Sah id) doch denjenigen, 
deſſen Fortichritt jelbft die Elemente nicht wollen, dem die Erbe 
ihre Früchte verfagt, in deſſen pefterfüllter Nähe die Scholle und 


1) Wohl beifer Vicenza zu lejen. 











Berhandlungen des Paduaniſchen Senats z. 163 


das Neis ihre Fruchtbarkeit verlieren, und jelbft die Luft verpeftet 
‚ den lebenden Weſen den Athem benimmt und ihr Leben erftict, 
das Feuer aber die Wohnungen der Menjchen und alle mas der 
‚ Erdboden trägt verzehrt! Städte habe ich gefehen, kurz zuvor nod) 
| in voller Blüthe, jett ihrer Bürger beraubt und in Trümmern, 
' Dörfer verödet, dem wuchernden Unfraut preisgegeben. Und 
während das gemeine Volk dem Hunger erliegt, verfommen jelbft 
die Bornehmen durch Mangel. O Schande, Lombardien, das fo 
| fruchtbare Land, Liegt jetst unbebaut als wäre es eine waldbedeckte 
Bildnis. Und wer find heutzutage die Bewohner der berühmten 
‚ Städte? Die alten Tyrannen find es, welche jest den Namen von 
Reichsvikaren angenommen haben; diefe verichlingen alles, was von 
‚ der Lombardei noch vorhanden ift. Aber felbft hierüber geht der 
allgemeine Verfall noch hinaus: ſchon hat er auch Genua wie ein 
gefräßiges Feuer ergriffen. Genua, fage ich, ihr Bürger, fonft 
ſtark durch Reichthümer, Männer und jegliches Gut, habe ich zuerft 
noch in feiner Pracht gefehen, drei Tage fpäter aber aller Pracht 
' bar; ja, Genua war prächtig, prächtig durch die heitere Zufrieden: 
heit der Bürger, welche in ihrer Stadt ein Bild des Glüdes 
ſelbſt zu haben jchienen. Jetzt aber habe ich dieſe aller Pracht 
bat gejchaut, und verwandelt war das Antlig aller Bürger, Die 
jonft dort in freier Gemeinfchaft lebten; verwandelt aud ihr Sinn, 
‚ der das Vaterland freiwillig der Gewaltherrichaft preisgegeben hat. 
‚ Stellt euch einmal vor, daß uns diefer unjer VBorfteher genommen 
‚ und durch irgend einen unbekannten Menjchen erjetst würde; daß 
eure Volfsbeichlüffe, ihr Bürger, vernichtet und aufgehoben würden 
| mit der gefammten Berfaffung; daß hier diefer Senat aufgelöft, 
eure ZTribunen, die ihr Gaftaldionen nennt, mit Schimpf und 
Schande mweggejagt würden: Alſo ift e8 den Genueſen ergangen, 
alſo ift dort der Podefta verfchwunden und der eine, welcher Das 
Schwert führte, der Volksabt, der Erhalter der-Unabhängigfeit der 
Gemeinde, ift ſeines Amtes entſetzt; alfo find dort die alten volks— 
thümlihen Ordnungen und guten Gewohnheiten, wie fie von Ans 
fang an beftanden, durch einander geworfen. Was war die Folge? 
17% 


1312 


1312 


164 Sechſtes Bud. 


Zu ſpät, vergebens ſahen die Bürger diefe veränderte Gejtaltung 
ihrer Yebensbedingungen, beweinten unter ſich ihre Verluſte, Elagten 
jih der Unbedachtſamkeit an, daß fie zwar Friedrich, den Kaiſer, 
ehemals von ihrem Gebiet zurücdgeworfen, diefen Heinrich dagegen 
ven Waffenloſen, eingelafien hätten. Vergeblich aber find dieſe 
Klagen. Entnervt haben fie das Joch auf fich genommen und 
dem füniglihen Schatze jechzigtaufend Goldgulven geſteuert. Doch 
wenden wir und von dem traurigen Loos jener Bürger weg! Ueber 
den König will ich euch folgendes jagen: Was ift e8 denn eigent- 
lich, was ihn furchtbar macht? Iſt er nicht von Gottes Geikel 
getroffen und von allen Mitteln entblößt? Zmeihundert Ritter 
jind ihm übrig geblieben, mit zweihundert, mit kaum zweihundert 
bedroht er die Welt mit Verderben. Und diefe zweihundert, welche 
ſchon ein halbes Jahr ihrer Löhnung harren und an allem Noth— 
wendigen Mangel leiden, beginnen bereit8 dem König auffällig zu 
werden. Sch habe gefehen, wie Menjchen aus der Hefe des Volkes 
an der Thür ſeines Gemaches lärmend Bezahlung heiſchten für 
das, was fie ihm dargeliehen zu feinen Schwelgereien und Gelagen, 
während er, der an den gewühnlichiten Bedürfniſſen Mangel litt, 
ſich ftellen mußte, al8 habe er nichts gehört, weder für fich felbit 
noch für Andere Rath zu Schaffen wußte, und fi; nicht ſcheute die 
höchſten und einflußreichften Aemter aller Art zu verfaufen. Hat 
er ſich etwa geſcheut, die Genofjenichaft von Padua und PVicenza, 
welche in beſtem Einvernehmen mit einander lebten, aufzulöjen und 
jenen nichtswürdigen Canis in PVicenza, gleihjam vor den Thoren 
unferer blühenden Stadt, zum Bilar einzufegen? Nein, er hat fid) 
nicht gejcheut, Tondern dies fogar im vollen Eimverftändnis mit 
jeinen Parteigängern gethan, auf daß diefer Canis euch unter 
jeine Gewaltherrihaft beuge und den Bürgerfrieg zwiſchen den 
nächſten Nachbarn, im Innerften unferer Stadt entzünde. O, ges 
denkt Doc des entjelichen Unglücks unferer Väter, welches felbit zu 
erzählen jchauderhaft ift! Denkt jenes Satansjohnes Eecerinus de 
Romano, den der verbrecdherifche Vorgänger dieſes Heinrid von 
Lützelburg, Friedrich, als feinen Diener lediglich zu Mord und 





Verhandlungen des Baduanifchen Senates :c. 165 


Gewaltthaten hier unter dem trügertfchen Namen eines Reichsvikars 
einfeßte. O Sammer! wie jehr habt ihr nöthig, die Erinnerung 
hieran feftzubalten, welcher Sorgfalt bedarf ed, um das, was von 
Padua noch übrig ift, zu retten! Hier aber jeht ihr, Mitbürger, 
Spuren, die denen des Eccerinus gar ähnlich find, wenn ihr euch 
nur das Leben und die Sitten dieſes Canis von jeinev Kindheit 
an vergegenwärtigen wollt. Wahrhaftig, er ift noch blutdürftiger 
ald jener Eccerinus! Doch ic) jchweige Davon, wie er, jchon 
reiferen Alters, mit dem Blute der Seinen feine Hände befledt 
hat), und wie er fiherlih aud euer nicht ſchonen wird, die ihr 
ihm ftet3 verhaßt und zumider waret, er, der dort geboren, Dort 
erzogen worden, wo die noch lebende Erinnerung das Grab von 
elftaufend eurer Väter, die gemeinfam eines gemaltfamen Todes 
ftarben 2), nicht vergefjen hat. Doc, o, wie groß, wie überwältigend 
ift die Menge deffen, woran ihr eud) erinnern müßt! — Ich aber 
wende mic) dazu, meinen Rath zu geben, wie ihr am nützlichſten 
handeln werdet: Ich ftimme dafür daß ihr dem Könige den Ge— 
horſam auffagt, mit den Widerftehenden im gleicher Weiſe mider- 
fteht, mit den Feindlichen ihm feindlich jeiet, daß ihr die Adler 
von den öffentlichen Gebäuden und euren Wohnhäufern entfernt, 
eure Mauern, Beften und eure abhängigen Orte zur Vertheibigung 
wie zum Kampfe rüftet, daß ihr euer Leben für die Freiheit jeder 
Gefahr ausfeget! Dir aber, Gerardus — mit diefen Worten wandte 
er fi) an den Reichsvikar?), rathe ich, wenn anders du auf dein 
Beſtes bedacht bift, das Vikariat niederzulegen und den holden und 
gerechten Beruf und Namen unſeres Podeſta wieder auf dich zu 
nehmen, um auf ein halbes Jahr in Freiheit unfer Gemeinweſen 
zu leiten, und dies ohne Verzug und in aufrichtiger Gefinnung zu 
beſchwören. Willſt du das nicht, fo tritt zurück; den dir zufommen- 
den Gehalt jolft du erhalten, wir aber haben an Rodulfus de 
Saneto Miniato einen trefflihen Mann in Bereitichaft, den ich auf 


1) Davon ift nichts befannt. — 2) Ezzelinus nahm einjt 11000 Paduaner mit ſich 
fort, die mit wenigen Ausnahmen in den Kerfern von Berona umfamen. Nad) anderen 
ſoll er diefelben gar haben verbrennen laſſen. — 3) Gherardo d' Enzola f. o. Buch 4 Rap. 4. 


— 


10 


I 
> 
x 


1512 den freien glücjeligen Sit des Podefta zu berufen und zu erheben 
vorichlage. , 

ALS er geendet, erſcholl der Senat von lauten, einmüthigem 
Rufe, dies alles müſſe man annehmen. Da aber erhob ſich Yang- 
jam Albertinus Muffatus, ein anderer aus der Zahl der Gefandten, 
und nachdem ev trot des Getümmels, in Folge der Achtung, in 
der er fand, und des Vertrauens, welches ihm feine waderen 
Thaten eingebracht, ſich Gehör verſchafft, begann er endlich folgen- 
dermaßen: | 

„Wohl mag, ihr Bürger, bei einer jo vollftändigen Ueberein— 
ftimmung eurer Anfichten meine Vermegenheit wahnwitzig und eigen- 
finnig erjcheinen, wenn ich e8 wage, eure Gedanken, welche, durch 
die Rede des Rolandus ftark beeinflußt, eine beftimmte Richtung 
genommen haben, anderswohin zu Ienfen, oder wenigſtens euch zu 
vathen, die auf alle Fälle heikle und ſchwierige Angelegenheit mit 
größerer Mäßigung anzugreifen. Scheut euch nicht, mich zu hören, 
den ihr einftmals beveutet nicht gehört zu haben!); laßt die Ver— 
nunft Die entzündete Begierde wirkſam überwinden. Ich will nicht 
leugnen, daß der König ſchlecht berathen war, als er diefen Canis 
über Bicenza fette, aber der König hatte wahrhaftig feine Ahnung 
davon, von welcher Tragweite für Padua dieſes Vikariat ift, welche 
Spaltungen und Gefahren e8 für uns heraufbeſchwört! Oder läßt 
fich in diefer Angelegenheit etmas Wahreres behaupten, als daß der 
König mit jeinem Beſitz das gethan hat, wozu er volle Befugnik 
hatte? Sicherlich läßt fich dies nicht Keugnen. Hier aber kommt 
es darauf an, zu beiprechen, was uns zu thun übrig bleibt. Ro— 
landus bat, um euch zum Abfall zu bewegen, dargelegt, der König - 
jet mittello8, verlafjen, feinem eigenen Kriegsvolke verhaßt. Ich 
gebe zu, daß es fich fo verhält, ſtimme ven Ausführungen bei, 
aber ich geftehe nicht zu, daß er dem Unglüd erlegen ſei und daß 
feine Umftände fo zerrüttet feien, daß er nicht wieder das Haupt 
erheben könne. Wenn nämlich feine Hilflofigfeit euch ermuthigt, fo 


166 Sechſtes Buch. 


1) Sy. Bud 2 Kap. 75 Buch 3 Kap. 1. 6. 








Berhandlungen des Paduantihen Senats x. 167 


‚mögen feine Hilfsmittel, wenn er überhaupt noch ſolche beſitzt, euch 
vorfihtig und bejonnen machen. Unterftütst und begünftigt ihn 
nicht die römische Kirhe? Das wird euch felbft Rolandus bezeu- 
gen, der mit feinen eigenen Augen vier Cardinäle zu ferner Seite 
figen jah, welche auf Befehl des Papftes ihn mit allen Kräften 
unterftütten. Wenn ferner auch, wie wir vernommen haben, bie 
Könige von Frankreich und Apulien über ein Ehebündnig mit dem 
römischen Könige nody nicht übereingefommen find, jo “haben jie 
doch nicht verfhmäht, fih auf Verhandlungen darüber einzulafien. 
Denn wofern nur der König jenen die füniglichen Gaben, welche 
fie erbitten, verleihen will, nämlich dem franzöfiihen Könige das 
Reich von Arelat und den Yauf ver Rhone bis zu den Grenzen 
Alemanniens, dem Könige Robert von Apulien aber das Vikariat 
von Tuscien und Lombardien: fteht ihm dann nicht der Weg nach 
Rom offen? In Rom aber wird ihm die höchfte Krone zu Theil 
werden. Was dann, wenn der König, zu deſſen Erbe jene Ge- 
biete nicht gehörten, ihnen zu Willen iſt? er, dem dies ficherlich 
erlaubt ift, auf daß er durch die Kraft feines Geiſtes die Gewalt- 
that abwehre; er, der in der Macht feiner Katferhoheit thronend, 
wie e8 dem Kaiſer ziemt, fich erholen und fräftigen wird? Un— 
möglich kann Rolandus bemeifen, ihr Bürger, daß diefer König jo 
mittellos, jo niedergedrückt jei, wie er behauptet, da ihn die Partei 
der Ohibellinen als ihre Sonne betrachtet und felbft Parteien im 
Schooſe der Guelfenftädte ſich insgeheim nach ihm jehnen. Stets 
wird jein Name drohend über eurem Haupte ſchweben, jo lange 
er athmet, jo lange die Völker jehen werben, daß ein König, ein 
Kaiſer der Römer lebe. Wollt ihr ein Verfahren einfchlagen, wel- 
ches gerecht und wirkſam ift und allen Anforderungen des Rechts 
und der Billigfeit entfpriht? Beruft euch nicht darauf, daß Ro— 
landus zur Empörung gegen den König räth, nod) zeigt euch felbit, 
wenn auch nur mit Worten, der Empörung geneigt; heißet Den 
föniglihen Erlaf und die Erlaubniß gut, die ver Gemeinde von 
Padua hinfichtlich der Nückleitung des Bacchilio in das paduaniſche 
Flußbett gewährt worden ift; macht euch daran, die Velten und 


1312 


: 132 


% 


168 Sechſtes Bud. 


Güter, welche im Diftrift von PVicenza liegen, wie der König ges 
boten hat, wieder an euch zu nehmen, kurz, gehorchet dem König 
Durhaus, wie wenn er der gerechtefte Herricher wäre. Was wird 
nun die Folge fein, ihr Bürger? Sicherlich merben jener Canis 
und die hartnädigen, feindfeligen Vicentiner nicht gehorchen, denn 
wenn fie jenen euch entzogenen Beſitz zurüdgeben, mer fann dann 
eurer Macht widerftehen, die ihr, der eine hier, der andere dort, 
Burgen und Beften durch die Grafſchaft von Vicenza zertreut be= 
figet? Sogar im Schoofe der Stadt jelbft wird eure Macht vorwal⸗ 
ten! Werden eud nun aber eure Forderungen gegen den Befehl 
des Königs verweigert, jo bringt gerechte Klage an den Herrſcher, 
redet vor ihm, und inzwilchen jpannt eure Kräfte, auf die ihr jo 
ſehr vertraut, an, um im Namen des heiligen Reichs den Fluß zu 
öffnen und eure Grundftüde einzunehmen. Thut das unter dem 
Schild des Rechtes, was Rolandus euch der königlichen Majeftät 
zum Trotz zu thun räth. Was aber hat e8 auf fi, Diefem un— 
jeren Reichsvicar, wenn wir ihm die gleiche Macht, diefelbe Stel- 
lung an der Spite unferes Staates belafjen, einen anderen Namen, 
den des Podefta, beizulegen? Was joll ed heißen, die Adler ab- 
zureigen? Waderes und Fluges Handeln zieht den Worten vor; laßt 
ung auf Thaten bedacht fein, nicht auf windige Schauftellungen ! 
Haltet ftetd das Recht in Ehren, auch unter einem ungevechten 
Herrſcher, denn das Recht ıft beftändig und ewig, der König ver- 
änderlih und fterblid und ſchwindet dahin mie die Blumen des 
Frühlings. Mein Antrag geht alfo dahin: der königlichen Maje— 
ftät zu gehorhen, mit Wort und Werk auf die Ausführung ber 
Gebote des Königs bedacht zu ſein; dann wird nicht nur jener 
Canis, euer Bedränger und Feind, abgewehrt, jondern der Ent: 
ſcheid des Königs ſelbſt, wenn er der Gerechtigkeit nicht entipricht, 
wird ſich in jeiner trügerifchen Unbilligkeit herausftellen.“ 

Einige der Bürger, namentlich ſolche veiferen Alter, wurden 
durch dieſe Worte umgeftimmt; mande, die ein beſſeres Einfehen 
hatten, gingen unihlüffig im Saale hin und her und meinten, 
man jolle den entjcheidenden Beſchluß nicht jo jchnell faflen, man 








Empörung Paduas. 169 


möge ihn einige Tage ausſetzen, bis der weitere Verlauf der Dinge 
zeigen werde, was man zur thun habe. Aber die meiften erklärten 
laut, fie ftimmten dem Rathe des Rolandus bei. Als man daher 
zur Abſtimmung ſchritt und die Bleifugeln in die Urnen warf, 
wurde jein Antrag mit nahezu zwei Dritteln der Stimmen an- 
genommen. 

2. Empörung Paduas. Sobald das Volk, noch vor 
Aufhebung der Sitzung des Senates, das Reſultat der Abftimmung 
erfuhr, zerftörte e8 im Eifer des Aufftandes die hoch oben am 
Giebel des Gemeindehaufes befindlichen gemalten Adler, vertheilte 
jih dann eilig über die Quartiere der Stadt und vernichtete in 
gleicher Weile Die an den Thoren und an Privathäufern ange— 
braten Adler unter lauten Schmähungen. Alsbald begannen nun 
die Feindjeligfeiten mit Vicenza, Brände, Verheerungen, Plünde- 
rungen, NRäubereten und mas immer die Wuth wider die Feinde 
an die Hand zu geben vermag. 

3. Eroberung von Mota. Im Gebiete von Vicenza, 
gegen Padua zu, befaßen zwei der Vornehmen Padua Beften, die 
zum Widerftand gerüftet waren, nämlich Demetrius de Comitibus 1) 
Mota nahe Montegarba ?2) und Martinus Canis Camifanım ?). 
Canisgrandis griff mit den Kriegsſchaaren von Bicenza und Ve— 
rona Mota an, ließ Erde und Holzwerf zur Ausfüllung der Grä— 
ben ſowie Schleuderer und leichtes Fußvolk kommen und zwang 
Mota, welches Demetrius in feiner Schlaffheit unvertheidigt ließ, 
zur Uebergabe, nahm Demetrius jelbft gefangen und tödtete mehrere 
Söldner, melde die Paduaner zur Beſatzung der Veſte gelandt 
hatten. Von da führte er die Truppen in Schlachtordnung und 
zum Sturm gerüftet gegen Camiſanum und griff den Ort an, 
mußte aber, von Martinus Canis fühn zurückgeſchlagen, mit einem 
Berluft von mehreren Todten und Verwundeten abziehen. 
| 4. Canisgrandis befeftigt Montegarda. Zugleich 
befeftigte Sanis die Burg von Montegarda dur Feſtungswerke 


1) De’ Conti. — 2) 3. Montegalda, am Bachhiglione im VBicentinifhen nahe der 
paduanifchen Grenze. — 3) Camifano PBicentino, öftlid) von PVicenza, nahe der Orenze- 


1312 


1312 


170 Sechſtes Bud). 


und einen Wall und jandte eine Kriegerichaar dorthin, um die 
Ländereien der Paduaner zu verheeren. Die Angriffe der in diefe 
Warte gelegten Beſatzung aber erftredten fich bis in die Vorftädte 
Paduas; bald durch Räubereien, bald durch Metzeleien oder durd 
Brände thaten ſie ihre Feindſchaft kund, nahmen nicht wenige ge— 
fangen, ſchleppten dieſelben auf ihre Veſte und entließen ſie nur 
gegen ein Löſegeld, welches jene unter den Qualen der Mißhand— 
lungen und Schläge, die ſie zu erdulden hatten, anboten. Auch 
die Feuersbrünſte, welche zwiſchen den beiden Städten von räube— 
riſchem Geſindel oder von Söldnern, die bald hier, bald dort auf— 
tauchten, angelegt wurden, hatten weder Maß noch Ziel, bi8 jchließ- 
lich, bis auf fünf Stadien !) an die Städte heran, fein Stein auf 
dem anderen blieb und die Bewohner des Landes fi) in die Städte 
ſelbſt flüchteten. 

5. Berheerung der Ländereien der Beronefen. 
Nicht zufrieden damit, das Gebiet von Vicenza zu verheeren, durch— 
zogen die Paduaner in Schlachtorbnung unter dem Grafen Binci- 
guerra ?), dem fie den DOberbefehl in Montagnana 3) übertragen 
hatten mit dem Auftrage die Feinde zu befriegen, von Montag- 
nana aus die Kolonien Veronas und brannten ſämmtliche Gebäude 
und alles, was über dem Erdboden aufgebaut war, nieder, näm— 
fh St. Zenonis, Minerbium, Prelfiana ) und andere Orte dies: 
ſeits des Alpo °) bis nad) der Hafenftadt von Lignagium ©) hin und 
diefe jelbft mit Ausnahme eines größeren Gebäudes, durch mel- 
ches die Brüde gededt wurde. Und jo herrichte in Padua überall 
friegerifher Lärm und Waffengeklirr, Vicenza aber hatte Misge- 
Ihre jeder Art zu erdulden, nämlich vor allem eine überaus grau= 
jame Herrichaft. Denn da die Bürger der Guelfenpartei, welche 
von Canis beargwöhnt wurden, fich nicht ficher fühlten, jo war man 


1) Ein Stadion (griechiſches Längenmaß) beträgt gegen 200 Meter. — 2) Vgl. ob. 
Bud 2 Kap. 7. — 3) Hauptvefte im Südweſten des paduaniichen Gebietes, nicht weit 
von der veronefiihen Grenze. — 4) j. ©. Zenone, Minerbe, Preſſana. — 5) Alpone, 
nördlicher Nebenfluß der Etſch. — 6) D. i. Legnago, Hauptvefte an der Etſch. 





Kampf der Bicentiner bei Quarteſolum. 171 


allgemein von Furcht und Schreden befallen, als, während die ıs12 
Dinge Ichon einem gewaltjamen Ausbruch entgegenveiften, folgendes 
Ereignis eintrat. 

6. Kampf der Bicentiner bei Quartefolum. Da 
die Paduaner aus verjchtedenen Anzeichen muthmaßten, daß bie 
Bicentiner die Aenderung der Berfafjung ihrer Stadt!) als un— 
bejonnen bereuten, verftiegen fie ji) zu der Hoffnung, daß, wenn 
fie fih unter Entfaltung anſehnlicher Heeresmacht Vicenza nähern 
und die Wieverherftellung des alten Verhältnifjes oder die Anbah- 
nung annehmbarerer Zuftände und milde Ausübung der Herrichaft 
veriprächen, auch Verzeihung wegen alles Borgefallenen zugeftänden, 
jene in Anbetracht ihrer jo offenfundig bedrängten LXage vielleicht 
in freiwilliger Erhebung ihr Joch abwerfen und fich und die Stadt 
ihnen überliefern würden. Durch dieſe Hoffnung verleitet, führten 
fie ihre Truppen gerades Weges gegen Vicenza bis zur Brüde 
von Quarteſolum, unter der die Ticina dahinfließt?). Da indeß 
der Wartthurm auf der Brüde Widerftand Leiftete und ihren Marſch 
aufhielt‘, ihnen aber, um auf die rechte Seite des Fluſſes zu ge- 
langen, fein anderer Weg offenftand, jo führten fie ihre Schanren 
ſtromaufwärts auf ein nahegelegenes Feld zurüd; zugleich Tandten 
fie nad) dem wohlermogenen Kath ihrer Führer eine Schaar leichter 
Truppen auf Kundſchaft, ob Mannjchaften der Vicentiner ausgerückt 
ſeien. Die Kundſchafter mußten drei Miglien von der Stabt ent= 
fernt den Fluß mitteld einer ſchmalen, abichüffigen Furt paffiren. 
AS fie nun — es waren von Auswärtigen Beltramus Gulielmt 
und Bernardus Cerviani, Führer der Katalanen ?) mit einigen ber 
ihrigen dabei; von den Paduanern Canis, Sublimanus de Ru— 
bei8*), Johannes Cavalerius de Canibus und Jacobus de Ter- 


1) Nämlich den Abfall von Padua. — 2) Die Teſina ift ein von Norden fommender 
Nebenfluß des Bacchiglione. An ihr Liegt Duartefolo, und zwar an dem Punkte, wa 
die Straße von Padua nad) Vicenza den Fluß überſchreitet. — 3) So bezeichnete mar 
die Spanischen Hilfsſchaaren, welche die arragonifchen Herrfcher von Sicilien im Kampfe 
-gegen die Anjou's in Neapel unterftigt hatten, nad dem Friedensichluß von 1302 aber 
entlaffen, fi von den Gemeinden Italiens vielfach als Söldner anwerben liefen. — 
4) Sulimano de’ Roifi. 





ty 


172 Sechſtes Bud). 


gula, endlich Bonincontrus de Bravis aus dev Zahl der Ber- 
bannten Vicenzas — durch den Fluß gegangen, jenjeit8 etwa eine 
Miglie weit vorgerüdt waren und fi) in dem Gau von Quarte— 
folum befanden, da erblidten fie die Streitmacht von DVicenza, 
welche ihnen unter den Banner des Reiches, dem der Gemeinde 
von Bicenza und dem Feldzeichen der della Scala entgegenrüdte, 
in zwei Schlachthaufen, deren vorderſter fid) aus den jog. Ferito- 
ven!) zufammenfeste und ungefähr hundertundfünfzig Mann ftarf 
war, während der zweite, größere, in einer Entfernung von etwa 
dreihundert Schritt folgte. Die oben erwähnten leichten Truppen 
der Paduaner ftürzten ſich jählings wider den Befehl des Podeſtà 
in aufgelöften Reihen in den ungleichen Kampf und begannen, wäh- 
vend von beiden Seiten das Kriegsgeſchrei erſcholl, das Treffen, 
welches mit den Schwertern ausgefochten wurde. Die Bicentiner 
des erſten Schlachthaufens, jet e8 in dem Glauben daß überlegene 
Truppenmafjen der Paduaner in der Nähe jeien, die jofort ein= 
aveifen würden, oder meil es vielleicht das Kriegsglüd jo mit fid) 
brachte, ergriffen erjchredt die Flucht, fielen auf ihr zweites Treffen 
zurüd und brachten dafjelbe in Verwirrung. Sie ſelbſt blieben 
faſt ſämmtlich im Kampfe, das zweite größere Treffen aber ward 
in die Flucht geichlagen. Unter den Erichlagenen befanden ſich 
Graf Bannı de Bagnacavallo, Canis' Bannerträger, der in dieſem 
Treffen das fünigliche Feldzeichen, den Reichsadler, trug, Mafius de 
Seanabicis, der das Feldzeihen der Scala führte, und eine große 
Zahl Soldtruppen; an Bicentinern fielen Corradus Vivario, Tri 
virolus de Trivixolis, Gherardus de Protis, der Cohn des Bu- 
gamas, Hieronymus de Meontebello, Nicolaus de Luscis, Montorius 
Mascarelli, Petrus de Mora der Notar. Unter den Gefangenen 
befand fi) Albertus 2) der Sohn des Marhabrunus de Vivario 
(der Vater, im Kampfe zu Boden geworfen, floh in das Duntel 
des nächſten Haines nnd gelangte von dort durch die Gunft des 


1) Etwa „Zodtichläger” zu deutih. — 2) Der Name ift bei Muffato ausgefallen, 
läßt fi) aber aus der Chronif des Ferreto von Picenza (Muratori Seriptt. rerum 
Italic. IX, 1126 B) ergänzen. 


Einnahme und Verheerung von Maroftica. 173 


Glückes, freilich waffenlos und verwundet, endlich nach Vicenza 
zurüd), ferner Guidonus Nantor und etwa zwanzig andere. Ca— 
nisgrandis aber, der die Schuld an dieſer Niederlage den Partei— 
umtrieben der Guelfen von Vicenza beimaß, ließ die Thore Ichliepen, 
viele gefangen nehmen, der peinlichen Trage unterwerfen und die 
meiſten enthaupten, einige aufhängen, noch andere behielt ev im 
Gefängnis und legte ihnen Gelpftrafen auf, die fih aber aud in 
Todesſtrafen umwandeln fonnten, indem fie namlich), falls fie bis 
zu einem beftimmten Tage das Geld nicht gezahlt hätten, ven Tod 
erleiden jollten. Alle, die nicht erjchtenen, ſondern ſich flüchteten, 
erklärte ev für Feinde des Reichs und nahm ihre Güter in Be- 
Ihlag. Dies alles geihah im April des Jahres unferes Herren 
Jeſu Chriſti dreizehnhundertundzwölf. 

7. Einnahme und Verheerung von Maroftica. 
Um diejelbe Zeit führten die Paduaner ihre Hauptmacht wohl aus— 
gerüftet gegen Maroftica !), Iegten ſich Davor und erjtürmten ben 
Drt, das heißt den offenen Flecken mit allem Zubehör, töbteten 
oder fingen die Einwohner, führten alle Nahrungsmittel fort und 
brannten ſämmtliche Gebäude nieder; die Burg von Maroftica ver- 
ſuchten fie zwei Tage Yang zu ftürmen, Tiegen fie dann aber un— 
befiegt zurüd, damit der durch längeren Aufenthalt erforderte Auf- 
wand nicht den Werth ihres Sieges überfteige. Während fie aber 
nod vor Maroſtica lagerten, entjandten fie inzwijchen eine Abthei- 
lung über das Landgebiet der Bicentiner hin und plünderten und 
verheerten Tienä Breccantium Maxo, Sclavo ?), furz, die ganze 
Ebene wie auch alle Anfiedlungen in den Thälern, am Fuß der 
Berge, ja, in den Bergen jelbft. Nachdem fie jo aud den Weg, 
welcher ihnen den Rückzug von Balfianım nad Padua durch das 
Gebiet der Vicentiner ficherte, gejäubert und gleichſam ausgebrannt 
hatten, zündeten fie ihr Lager an und fehrten zurüd. Die Ein- 
wohner von Balfianım aber hatten auf Veranlaffung des Mar- 


1) 2-3 Miglien weitlih von Baſſano. — 2) j. Thiene, Breganze, Mafon Vigentino 
und Schiavon, alle in der Ebene zwiſchen der Brenta und den Quellflüſſen des Bacchig— 
Tione nördlich von Vicenza gelegen. 


— 
x 
fur‘ 


Apr. 


174 Sechſtes Bud). 


1312 ſilius Polafrirana, der dort als Podeſta im Namen der Paduaner 


vejidirte, Die Tefte von Angranım erftürınt und die vicentinifche 
Belatung getödtet oder gefangen genommen. 

8. Berheerung der Ländereien der Paduaner 
durch Canisgrandis. Während aber dies bei Maroſtica ge 
Ihah, madte Canisgrandis mit den Truppen von Bicenza und 
Berona gerades Weges einen Angriff auf die Landgüter der Pa— 
duaner nnd brannte nieder, was noch von Arlefica übrig war, ſo— 
wie Rubanum und Meftrinum!), während die Paduaner, welche 
die Stadt bewachten, durch das Gerüdt, dag Canis Willens jet, 
einen Angriff auf die Thore der Stadt jelbft zu unternehmen, auf 
das Höchfte erichredt wurden. Bald nachher eilte Canis wiederum 
mit den Bürgern, mit Truppen und Söldnern und einer Hülfs- 
ſchaar der Mantuaner ?) aus dem Gebiete von Verona jchleunigft 
herbei, plünderte und verbrannte den ganzen Flecken Montagnana 
mit den zugehörigen Orten rings um die Vefte, welche Riciardus, 
der Sohn des Grafen Vineiguerra von Verona, vertheidigte.e Um 
jeinem Einfall zu begegnen, eilten Paduanifche Truppen herbei, ver: 
jtärften die Beſatzung in der Veſte und zogen dann nad) Efte ?), von 
wo aus fie, nach Entlafjung der Söldner, Nicolaus de Lucio zur 
Berheerung von Noventa ?), einem von Bicenza abhängigen Orte, 
abfandten und jelbft nach Padua zurüdmarjchirten. Am folgenden 
Morgen, noch ehe e8 hell wurde, griff Nicolaus, der die Bauern 
von Pedevenda 5) aufgeboten, feine Söldner aber behalten hatte, 
Noventa an, zwang den Ort zur Uebergabe, brannte ihn nieder, 
plünderte ıhn und zog von dannen. Canisgrandis, außer Stande 
bei der großen Machtentfaltung der Paduaner ſich zu behaupten, 
ſandte eilends Boten zu Werner von Homburg, dem Borfteher der 
Yombardei, mit der Bitte, ihn mit Keichstruppen aus den dem 
römiſchen Kinige gehorfamen Städten der Lombardei zu unterftüßen. 

1) Arlefega, Meftrino, Rubano, an der Straße von Picenza nad) Padua, letzteres 
noch etwa 4 Miglien von Padua entfernt. — 2) Mantua blieb unter Pafjarino de’ 
Buonacoſſi der ghibellinifhen Sade treu; val. ob. Buch) 3 Rap. 2. — 3) Eſte Ateftino 


am Südrande der euganeifhen Hügel. — 4) Im äuferften Süden des vicentinifchen 
Gebietes. — 5) Diefer Name fcheint die Gegend der Euganeen zu bezeichnen. 





Ber, 








Das Heer Werner des Vorſtehers der Yombardet ıc. 175 


9. Das Heer Werner, Des Vorſtehers der Lom— 
bardei, in den paduanifhen Ländereien. Schleunigft 
eilte Werner mit königlichen Truppen und den Contingenten von 
neun Städten nad Bicenza, von dort mit Fuhrwerfen, welche alles 
trugen, was bei einem Feldzuge von Nugen ift, in die Gefilde am 
Fuße des Monte Garda, und ſchlug bei Mota ein Lager auf. 
Hier ordnete und gliederte er fchnell feine Schaaren und unter- 
nahm einen verheerenden Zug in das paduaniſche Gebiet, brannte 
die Städte Rovolonum und Covonum) nieder, übernachtete im 
Lager und zog, nachdem er diefe Verheerungen in anderthalb Tagen 
zu Wege gebracht hatte, wieder ab. Diejer Truppen beraubt 
(denn ein jedes Kontingent fehrte Des Krieges gegen die Guelfen 
der Lombardei halber in jeine Stadt heim), verzweifelte Canis an 
jeiner Macht und gab die Burg Montegarda, welche die Paduaner, 
die ſchon ihre Belagerungsmafchnen dazu in Bereitſchaft hatten, 
zu berennen im Begriffe ftanden ?), auf, nachdem er fie niederge- 
brannt hatte, 

10. Zug der Paduaner ins Picentinifhe Die 
Paduaner ihverjeitS nahmen die erlauchten Männer Franciseus, 
den Markgrafen von Efte, ihren Mitbürger ?), und Vecelus de 
Camino, den Gebieter von Trevifo, Feltre und Belluno (diefer 
nämli war feinem früher erwähnten Bruder Riciardus, welcher 
gerade um dieſe Zeit durch einen unbekannten, bäueriſch gefleiveten 
Mann mitteld einer Art Sichel, wie fie die Bauern haben, ſchänd— 
lich ermordet worden war, nachgefolgt und hatte die alte Genoſſen— 
Ihaft mit Padua erneuert) zu Hilfe und zogen dann mit ihrem 
Hauptheere gerades Wegs in die Felder der Bicentiner, ſchlugen 
bei der jchon oben erwähnten Brüde bei Quartefolum ihr Lager 


1) Rovolone und Zovon, im Nordweiten der Euganeen. — 2) Die Lesart der Hand— 
ſchriften ex qua Paduani abscessuri erant giebt offenbar feinen Sinn; man wird lejen 
müffen ad quam ... accessuri erant oder Ähnliches. — 3) Francesco, Bruder des 
1308 gejtorbenen Azzo VIII von Ferrara, hatte im Kampf gegen deffen natürlihen Sohn 
Fresco die Curie zu Hilfe gerufen, deren Truppen fi) Ferrara’s bemädtigten, ohne in— 
deß die Herridhaft der Stadt dem Francesco zu überlaffen. Deſſen Ausgang ſ. u. 
Bud 8 Kap. 8. 


176 Sechſtes Bud. 


2 auf, ordneten die Reihen des leichten Fußvolkes, hinter denen die 


Schlachthaufen der Vollgerüfteten aufgeftellt wurden, und jchieften 
eine Abtheilung voraus, die die Saaten, Weinberge und Pflan- 
zungen verheeren jollten. Nachdem fie alles, was ſich auf dem 
Erdboden befand, vernichtet hatten bis nahe an die Stadt heran 
und bis zu dem unüberwindlichen Wall, welcher nebit dem überaus 
breiten Graben die Vorftädte deckte und ringsum mit Yanzenträ= 
gern und Schleuderern bedeckt und mit Feſtungswerken verjehen war, 
machten fie Halt. Die Borausgefandten — unter ihnen von vor= 
nehmen Paduanern Tijo de Campo Sancti Petri, Nicolaus de 
Lucio, Jacobus de Carraria, Pantaleo de Buzzacarinid und ber 
Plebejer Albertinus Mufjatus; von Treviſanern Rambaldus Graf 
von Kollealto, Biaquinus und Tolbertus de Camino, Odoricus de 
Cuchania — zogen inzwiſchen Kundſchaft ein, und nachdem fie von 
dem, was fi) ihren Augen dargeboten Hatte, dem Podefta von 
Padua Gherardus de Henzola und den genannten Bundeögenofjen 
Markgrafen Franciscus von Eſte und Vecelus Bericht erftattet 
hatten, beichloß man, fich auf die Belagerung feineswegs einzulafien, 
da der Ort durch Natur und Menſchenhand überaus befeftigt war, 
der Kampf aber bei fo bedeutenden Streitkräften der Gegner (Ca— 
nis jelbft nämlich befand ſich mit etwa achthundert Yanzen tragen- 
den Reitern und ungefähr viertaufend Fußſoldaten in der Stadt, 
um dieſelbe zu ſchützen) tollfühn und unangebract jein würde. So 
machte man abermals fehrt und z0g in das Lager zurüd, wo man 
faft drei Tage überlegte, auf welche Weiſe man die Feinde ſchädigen 
und verderben fünne, dann aber, ohne etwas auszurichten, aufbrad). 

11. Zwiefahes Treffen bei Yongare Che man 
aber aufbrach, geſchah es, daß Bauern, die mit Haden und Aexten 
bewehrt, ſich in großer Zahl zur Verheerung des feindlichen Grund— 
beſitzes aufgemacht hatten und bis zur Brüde von Longare!) ge 
fommen waren, hier unverſehens mit einigen jungen Yeuten aus 


1) j. Zongane, 4—5 Miglien füdlih von PVicenza, nicht zu verwechſeln mit einent 
anderen Longare, welches nur halb fo weit von Vicenza entfernt ift, vol. unten Buch 7 
Kap. 10. 





Ziwiefaches Treffen bei Longare. 177 


Padua, welche um Beute zu machen beritten herumfchweiften, zu: 
fammentrafen; unter lauten Gejchrei wagte e8 der unbewaffnete 
Haufe, auf den Thurm, der die erfte feindliche Verfchanzung 
dedte, einen Angriff zu machen, ohne daß die Beſatzung, fei 
es aus Liſt, ſei es überrajcht, Widerftand leiſtete. Allerdings warnte 
Benadurius!) aus Parma, einer von den Unterbefehlshabern des 
Podeſta von Padua, der die Zerftörer und Plünderer anführte, mit 
lauter Stimme, fie möchten eilends zurückkehren und ihr unfinniges 
Unternehmen aufgeben; als er aber mit jolden Vorftellungen nichts 
ausrichtete und Lange Zeit fein Gehör fand, ſprengte ev jelbit wegen 
der gefährlichen Lage der Seinen mit feinem Gefolge und den 
übrigen Berittenen zur Brüde. Da aber fiel aus den Thoren 
des Thurmes eine Kriegerihaar plöglih auf die vorderſten Fuß— 
ganger und die Bauern aus, vernichtete fie und richtete unter ihnen, 
Die fich gegenfeitig am Entkommen hinderten, ein großes Blutbad 
an. Ein Theil ertranf auch im Fluſſe, unter ihnen Benadurius 
jelbft; von den Berittenen aus Padua, die auf der Brüde hielten, 
fand Trondus de Capite Vaccä entweder dur Exrtrinfen oder im 
Kampfe den Tod; in Gefangenihaft fielen Bartholomäus a Pa- 
latto, ein vertriebener Veroneſe, und Johannes Antoni de Andrea; 
die übrigen wurden in die Flucht geichlagen. Als das Heer der 
Paduaner dies erfuhr, jandte der Podefta Gherardus de Henzola 
alsbald Beltramus Gultelmus und Lancer de Dpicengid aus Piſa 
mit Söldnern zu Hilfe, denen ſich freiwillig die fampfesmuthigen 
Jünglinge aus Padua anfchlofien. Unterwegs famen ihnen ſchreiend 
Fliehende und Verfolger entgegen; in der Schaar der erfteren riefen 
viele der oben erwähnten Paduaner, unter die Verfolger gemifcht, 
mit den Siegen zugleih: „Scala lebe hoch“, damit letztere in 
Betreff ihrer Zugehörigkeit ivregeleitet würden und vom Morden 
ablegen. Durch den Anprall des Beltramus und der Seinen aber 
wandte ſich das Glück; die Schaar der Veroneſen trat jogleich den 
Rückzug an, verfolgt von den Paduanern und den genannten Bel- 


1) Benadufio. 
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VIL. 12 


1312 


1312 


178 Sechſtes Bud). 


tramus und Lancea, die viele von ihnen tödteten. Hier fiel Ma— 
thaus, ein Luckhefifcher Nitter, der die goldenen Zierden des Kitter- 
thums trug, Panceta aus Rovolo, der Sohn des verftorbenen 
Bartholomäus de SchinelliS aus der Zahl der verbannten Edlen 
Paduas (dieſe gehörten zu Canis vertrauteften Genofjen) und noch 
etwa fünfundzwanzig von den Berittenen; von den Fußtruppen er— 
tranfen viele tin Fluſſe. Die Sieger aber, Beltramus und feine 
Gefährten, Liegen nicht ab, jondern verfolgten fie bis zur Brüde 
jelbft, mober fie noch viele im Rücken verwundeten. ! 

Das Heer der Paduaner, welches, wie e8 den Führern ſchien, 
bei Duartefolum nichts ausrichtete !), brach wieder auf und ge— 
langte auf Umwegen und unter Bermüftungen der Gegend bis zum 
Städtchen Longare diesjeit ?) des Bacchiglione, wo e8 auf Anord— 
nung derer, die das Lager abzufteden hatten, Halt machte. Diefer 
Stelle gegenüber ſprang, wie oben erwähnt), das Ufer fteil vor, 
und eben hier hatten die Vicentiner, um die Paduaner zu ſchä— 
digen, den Lauf des Fluſſes aus dem gewohnten Bett abgelenft 9). 
Zugleidy hatten fie an der Stelle, wo fie den Fluß geftaut, höl— 
zerne Thürme und ftarfe Schugwehren errichtet. Hierhin eilte 
Canis ungefäumt mit feiner ganzen Mannſchaft, indem er nur die 
Beſatzung von Vicenza zurückließ, ficherte die Schanze durch ein- 
gelegte Beſatzungen und traf feine Maßregeln jo geihidt, daß die 
Paduaner, welche feine Möglichkeit jahen, ſich des Bacchilio zu 
bemächtigen, aufbrachen und ftromabwärts bis in die Gegend Ca— 
ftenerium ?) gegenüber marſchirten. Canis folgte ihnen jofort mit 
jeinen Truppen, nahm jenjeits Stellung und zog, mit Ausnahme 
der Bejatuugen, alle verfügbare Mannſchaft und was jonft zum 
Kriege taugt an fih. ine Zeitlang blieben die Paduaner ftehen, 


1) Bal. ob. ven Schluß des vorhergehenden Kapitels. — 2) Longare jelbft liegt jen— 
jeit3 (d. i. ſüdlich) des Bachhiglione; der Autor will jagen, daß die Paduaner gegenüber 
von Longare am nördlichen oder Yinfen Ufer des Fluffes Stellung nahmen. — 3) Su 
unferen Texte geſchieht diefes Umftandes vorher feine Erwähnung. — 4) Nämlih in 
einen anderen (weftlichen) Arm, der früher von den Paduanern verftopft worden war. — 
5) Wohl Eaftagnero, welches heutzutage alferdingS mindeitens eine halbe Meile vom 
Bachiglione entfernt Tiegt. 





Berichiedene Zufammenftöße zwifchen den Paduanern ꝛc. 179 


in der Hoffnung, daß ſich ihnen Ausficht bieten würde, auf das 
andere Ufer zu gelangen. Canis aber, der Schanzen aufgeworfen 
und hohe Feftungsthürme, jogenannte Bitifrede, zur Bekämpfung 
der Gegner erbaut hatte, durchſtach ſtromaufwärts das Ufer und 
überſchwemmte die Straße, welche zwifchen dem Flußbett und den 
umliegenden Feldern dahinläuft, mit dem Waſſer des Fluſſes, jo 
daß die Paduaner, um fid) vor den Aluthen zu retten, jchleunigft 
von dannen eilen mußten. So vereitelte ev ihre Hoffnung, über 
den Fluß zu kommen, und trieb fie hinweg. 

12. Befeftigung von Montegarda durd) die Pa— 
. duarer. Lange Zeit blieben die Paduaner unſchlüſſig, was fie 
unter diefen Umftänden thun follten. Da fie nun bereit3 alle 
Saaten öftlih) von den Mauern von Vicenza, joweit der Bacchilio 
nicht die Stadt umgiebt, bis zum Gebiet won Padua hin verheert 
hatten, jo konnten fie, joweit fie jahen, nichts anderes Zweckmäßiges 
thun, als die Befeftigung von Montegarda wiederherftellen und 
dur) eine Beſatzung von Neitern und Fußtruppen decken, zum 
Schu der paduanischen Grenze und zur Beläftigung und Verhee— 
rung des Diſtrikts von Vicenza bis zu den Thoren der Stadt 
jelbft, Hauptjächlich aber des Terraind zwilchen der Tieina und 
dem eigenen Gebiete. Died ward alfo beichlofien, das Lager bei 
Montegarda jelbft aufgeichlagen und dort eine ftarfe, durch eine 
Beſatzung gedeckte, Befeftigung angelegt. 

13. Berjhiedene Zuſammenſtöße zwiſchen den 
Paduanern, Beronejen und Bicentinern. Um aber 
inzwilchen die Zeit nicht unthätig verftreichen zu laſſen, ſchickten 
die Paduaner ihre Soldtruppen mit ihren Führern, insbefondere 
dem Catalanen Bernardus Cerviani nebft der Schaar des erkrankten 


Catalanen Beltramus Gulielmi, ferner dem Piſaner Lancia de 
Opicengis und Burgarutius de Sartiglano, im ganzen etwa zwei— 
Hundert und fünfzig Mann ftark, nad der Nordfeite von Vicenza. 
Diefe zogen durch Camiſanum und Villa Quinti!), machten Einz 


1) Jetzt Kamifano Bigentino (f. 0.) und Quinto Digenting, letzteres öftlich von; 


Vicenza jenfeit3 der Tefina, das andere fitdlicher- 
12* 


1312 


1312 


180 Sechſtes Buch. 


fälle ind Gebiet der übrigen abhängigen Gemeinden von Pede— 
mons ) und führten von dort erlefene Beute an beweglichen Gütern, 
Thieren und Menfchen, die man mit Stricken aneinander band, mit 
fih fort. Etwa achtzig Menjchen wurden gefangen genommen. 
Dann marichterten fie nad) Balfianum, jammelten fi dort und 
traten, mit Zurüdlaffung der Beute dafelbft, den Nüdzug an. 
un geihah es, dar Ganis, welcher um diejelbe Zeit mit etwa 
zweihundert Mann aus Bicenza aufgebrochen war, einige leichte 
Truppen entjandte, um von der Weide aufgegriffene Stuten nad 
Camiſanum zu führen. Ueber diefe Schaar fielen Bernardus, Lancia 
und Burgarutius her und verfolgten fie faft zwei Miglien weit 
in aufgelöften Reihen, allen voran Bernardus felbft nur mit 
Lanze und Schild bewaffnet. Unvermuthet aber ftieß er, des Weges 
unfundig, auf die Schaaren Canis' felbft und wurde ſofort burd- 
bohrt. Lancia aber und Burgarutius, welche ihm folgten und 
ihon nahe daran waren in das gleiche Verderben zu ftürzen, ent= 
deften in Folge des Wieherns der Pferde der Gegner die Nähe 
derjelben und ergriffen mit Hinterlafjung der mitgeführten Feld— 
zeichen, welche ſomit den Siegern verblieben und nad) Vicenza ge— 
bracht wurden, beim Anfturm der Feinde die Flucht. So wurden 
nur zwei Gatalanen, die Begleiter des Bernardus, getüdtet, Die 
übrigen zogen ſich zu ihrem Heere zurüd. Zur Vergeltung aber 
verließ auf Weifung des Grafen PVinciguerra von Berona der 
edle Biaquinus de Camino mit den Vornehmen von Trevifo und 
unter Führung des Nicolaus de Lucio, dem die Wege befannt 
waren, bei Nacht heimlich mit etwa vierhundert Yanzenträgern Das 
Yager und begab ſich auf Schleichmegen nad) Montagnana. Dort 
ipeiften fie und rückten dann nebft fünfhundert Leichtbewaffneten in 
die Ländereien der Beronefen hinaus und gegen die Feſte Cologna ?) 


hin, indem fie in kleineren Abtheilungen, wie die Gelegenheit fi 


1) Nach einer Angabe des Rolandinus von Padua (Muratori SS. Rer. Ital. VII, 
1. 3 c. 8) jcheint diefer Ausdruck fpeziell die Ebene im Often des vicentiniihen Gebiets, 





die Gegend von Baſſano zu bezeichnen. — 2) j. Cologna Beneta, im Dften de3 vero- | 


neſiſchen Gebietes. 


Verſchiedene Zufammenftöße zwijchen den Paduanern x. 181 


darbot, gedeckt vorgingen. Um aber die Städter defto mehr zum 
Ausfall zu verleiten, jandten fie einige leichte Truppen voraus. 
In der That fetten fich die Bewohner von Cologna arglos, etwa 
fünfzig Reiter und dreihundert Fußſoldaten ftarf, nad) der er— 
wähnten Gegend zu in Bewegung. Als fie nun von der Stadt 
jo weit entfernt waren, daß der Rüdzug nicht ohne Schwierigkeit 
bewerfftelligt werden fonnte, entfalteten Biaquinus und Graf Vinci— 
guerra mit der größeren Abtheilung ihre Feldzeichen und ftürmten 
auf fie ein. Auf beiden Seiten ericholl das Kriegsgeſchrei; die 
Beronejen aber, umgangen, vom Rüdzug abgejchnitten, ohne zu 
wiffen mohin fie ſich wenden jollten, den Schmwertern der Feinde 
preißgegeben, fielen faft ſämmtlich; eine erhebliche Anzahl gelangte 
zwar bi8 an die Gräben der Stadt, fand aber in denjelben den 
Tod t) und nur wenige jchlichen fich über die Wälle in die Stadt 
durch. Die Reiter hatten einen Verluft von fünfundzwanzig Todten 
oder Gefangenen, während der Reſt die Flucht durch den Fluß?) 
bewerfftelligte. Im ganzen wurden etwa hundert gefangen ges 
nommen und unter die Sieger vertheilt. Am näcften Tage famen 
die vorerwähnten Edlen mit vier erbeuteten Feldzeichen der Della 
Scala im Lager an. Nach diefen Erfolgen fehrte das Heer der 
Paduaner, nachdem es noch Die Befeftigung von Montegarda durd) 
eine Beſatzung gefichert hatte, nach Padua zurüd, und zwar am 
29. Juui im Jahre unjered Herrn Jeſu Chriſti 1312. In diefem 
Heere der Paduaner waren zwölfhundert Berittene aus dem Bürger— 
aufgebot der Stadt; fiebenhundert Yanzenreiter, welche die Edlen 
und Wohlhabenden in Gemeinſchaft geftellt hatten, und ſechshundert 
Schildträger; die Bauernreiterei zählte etwa taufend Stuten von 
der Art, welche die Lombarden Bertolaten nennen; ferner waren 
es dreihundert berittene Söldner, und an Fußvolf, das in der Stadt 
und den Vorftädten ausgehoben war, fünftaufend vierhundert Mann, 
aus den Unterthanenorten aber jechstaufend und neunhundert (un— 
gerechnet die Beſatzungen in der Stadt und den abhängigen Ges 


1) Statt assumtis ift wohl consumtis zu leſen. — 2) Nämlich den Fiume Nuovo, 
der mittels verfchiedener Kanäle mit der Etfch in Verbindung fteht. 


1312 


Juni29 


1512 


Suli 6 


182 Sechſtes Bud). 


meinden), da man aus jeder Familie wenigſtens einen, entmeber 
zum Roßdienſt oder als Fußloldaten in das Heer eingeftellt hatte. 
Laftwagen, zu deren jedem zwei Bauern als Fuhrleute gehörten, 
zählte man dreitaufend zweihundert. Mit Becelus von Treviſo 
famen ferner taufend Mann zu Pferde, darunter vierhundert von 
den Bornehmen und Keichen geftellt, zweihundert mit Yanzen be- 
waffnet, die übrigen Schilöträger; ferner die bäueriſchen Lanzen— 
reiter mit fiebzig Stuten, und fechshundert Fußſoldaten mit Yanzen 
von ungehenerer Länge; endlich dreihundert Laſtwagen. Markgraf 
Francescus von Efte und Ankona aber hatte fiebzig Keiter, darunter 
fünfzig mit Lanzen, Hundert Fußfoldaten und zwölf Schleuder- 
maſchinen mit Bolzen von ungeheurer Dide. 

14. Tod des Tiſo de Campo Sancti Petri. Nach 
der Auflöfung dieſes Heeres ftarb in Padua, von der Ruhr be— 
fallen, die Blüthe und die höchfte Zierde der Mark Trevifo, Tiſo de 
Campo Sancti Petri, der Sohn des weiland Tiſo Magnus, am 
ſechſten Juli. Die Paduaner begingen die Todtenfeier in ſolchem 
Schmerz und folder Trauer, als wenn ihr Gemeinweſen verwaift 
und ohne Hoffnung wäre fid) ferner zu behaupten. Nach dem 
Begängnis aber tröftete fie der Anblid des dem Zünglingsalter 
entgegenreifenden Enkels, welcher den im väterlichen Haufe alt üb- 
hen Namen Gulielmus trug, und der Gattin des Tifo, Die, ob- 
wohl bereit8 im vorgerücdten Alter, noch guter Hoffnung war, und 
dev Muth Fehrte ihnen zurüd, während ihre Redner das Lob des 
Berblichenen fündeten. 

Da wir nunmehr die durch das Eingreifen unjered Königs 
in der Lombardei hervorgerufenen Unruhen eingehender darlegen 
müffen, möge e8 und nicht verdrießen die von der Bewegung er— 
faßten Städte und Gegenden, und die Thaten, welche dort vollführt 
wurden, zu betrachten, ehe wir dem Fluge des Cäſar gen Rom 
folgen, und die faiferliche Majeftät möge e8 uns nachſehen, daß wir, 
da die Entwicklung der Ereigniffe e8 verlangt, unferen Nachen erſt 
gleichſam durch Binnengewäfjer lenken, um dann mit um fo weiter 





Tod des Tiſo de Campo Sancti Petri. 183 


ausgebreiteten Segeln und in um fo fräftigerem Anſturm die 
Wogen des Tyrrheniſchen Meeres zu durchſchneiden. 

Als Lombardei bezeichnet unfer Zeitalter dasjenige Gebiet, 
welches im Nordweſten die gallifchen Gebirge und die Alpenländer, 
wie Sabaudia, Bortiniacum ?), Gebenna 2) und die benachbarten 
Länder, deren alte Einwohner Allobrogen ?) genannt wurden, be- 
grenzen, im Oſten das adriatiſche oder venetianiſche Meer, im 
Südweſten die luniſchen Alpen, deren Joche fi von Genua aus 
bis an das Gebiet won Bologna heran erftreden; im Nordoften 
bilden die Tridentiner Berge und die Küſtenlandſchaft von Aquileja 
Die Grenze. Das jo umvahınte Land theilten unfere Vorfahren 
in zwei Landftreden ein, Aemilia *) und Liguria, obwohl nach der 
Bezeichnung der Alten außerdem nod von der Etſch an, welche 
Berona durchſchneidet, die Trevifaniihe Mark einen Namen für 
fi) hatte, während in der Gegenwart jene Mark nach allgemeinen 
Sprachgebrauch in Italien unter den Namen der Lombardei mit 
beariffen ift. 


1) j. Faucigny, ein Theil von Savoyen (an der Arve). — 2) d. i. Genf. — 
3) Galfiihe Völkerſchaft, zwifchen Siere Rhone Genferjee und graifchen Alpen jehhaft. — 
4) Nach) der Via Aemilia, die von Ariminum (Rimini) nad) Aquileja führte. Webrigens 
fommt der Name für das Land im Alterthum noch nicht vor. Der Autor bezeichnet hier 
die öftlihe Hälfte der Lombardei als Aemilia, die weftliche als Ligurien, welcher Name 
eigentlih nur dem Kititenftrich zukam. 





1312 


Siebentes Bud. 


1. Uneinigkeit zwiſchen dem Fürften von Achaja 
und den Vornehmen der Lombardei. — Fürft Philipp 
von Lacedämon hatte, als der König die Yombardei verließ, unter= 
ftügt von Graf Philippe de Yangusco aus Pavia, Simon de Colum= 
biano aus Bercelli und Gulielmotus Bruradus aus Novara, die ſich 
von ihm das befte verſprachen, das PVicariat von Pavia Vercellt 
und Novara vom König erbeten und erhalten, nachdem er der 
föniglichen Kammer dreiundzwanzigtaufend Gulden als Steuer 
jener Städte und als ihren Beitrag zur Förderung der Krönung 
gezahlt, welche Summe die vorerwähnten Philippp Simon und 
Gulielmotus zu einem beftimmten Termin dem Fürften zurüd= 
zuerftatten verjpradyen. Der Fürft aber hatte die Verwaltung jener 
Städte in der Abficht übernommen, die genannten Vornehmen zu 
begünftigen und zu fördern. Denn fie waren e8 eigentlich, vie 
den Staat Ienkten, nur daß dem Fürften der Name des Gtatt- 
halters blieb und jegliche Ehvenbezeigung geleiftet wurde, und die, 
wie vor der Ankunft des Königs, jo auch jest, Die unbeſchränkte 
Herrihaft ausübten. Während nun die Zeit verging und der 
König, der Piſa bereits Hinter fich gelaffen hatte, gegen Rom eilte, 
da verſuchten Graf Philippe, Simon und Gulielmotus, jei e8 aus 
Trotz, weil die Entfernung des Königs fie übermüthig machte, ſei 
es megen der Armuth des Volfes, welches durch anhaltende Mis— 


Uneinigfeit zwijchen dem Fürſten von Achaja ꝛc. 185 


ernten herabgefommen war, unter allerhand windigen Vorwänden 
die ausbedungene Erftattung des Geldes hinzuziehen, während das 
eigene Vermögen des Fürften nicht hinreichte um nur die noth- 
wendige Leibwache beizubehalten. Verdruß und Widerwillen er- 
faßten den hochſinnigen Fürften, als er, dem es, wie er glaubte, 
zufam den Gebietern zu befehlen und von ihnen ausgezeichnet zu 
werben, fich won denjenigen gering geichätt Jah, welche er aus Be— 
drüfung und Verachtung erhoben hatte. Dazu fam, dag Maphäus 
Vicecomes, der Statthalter von Mailand, der von grimmem Haß 
wider jene Edlen bejeelt war, dem Fürften im Ohre lag und dem— 
jelben vworredete, man müſſe fie in ihren Liften und Schändlich— 
feiten paden und niederhalten. Die unabläffigen Einflüfterungen 
des Vicecomes machten endlich, wie man glaubte, auf Philipp Ein- 
druck, der, ihren Trug mit gleihem Trug zu rächen, Ricciardinus, 
den älteften Sohn des Philippo von Langusco, und den Simon 
de Columbiano, die ihn geleiteten, ald er nad Turin ging um 
dafelbft feine Hochzeit mit der Tochter des Delphin zu fetern, ges 
fangen bei ſich behielt, und exflärte, fie würden in feinem oder 
ſeines Vetters Gewahrſam bleiben bis fie ſich Losfaufen würden ; 
außerdem drohte er ihnen noch weitere und verſchärfte Strafen an. 
Simon de Columbiano Faufte fih nach einigen Tagen gegen die 
vom Fürften beliebte Summe los, Ricciardinus jedoch blieb einft- 
meilen im Kerker. Maphäus Vicecomes aber, der auf die Unter: 
nehmungen und Beflrebungen feiner Gegner ftet3 ein wachſames 
Auge hatte und erkannte, daß die Feindſchaft zwifchen dem Fürften 
und jenen Edlen, die er hatte fommen jehen, ihm zum Nuten 
ausichlagen würde, rief die Markgrafen von Montferrat und von 
Saluzzo herbei und ſandte fein Heer unter Oberbefehl jeines 
älteften Sohnes Galaaz in das Landgebiet von Pavia und zwar 
in die überaus fruchtbare Landſchaft Lomelina!), zu einer Zeit 
ale ſchon das Frühforn der Ernte entgegenreifte, die Mailänder 
verheerten und verwüfteten die Aeder und Niederlafjungen mit ven 


1) 2. i. Lomellino weitlih von Pavia, wo die Grafen von Zangusco ihre haupt 
ſächlichſten Befitungen hatten. 


1312 


186 Siebentes Bud). 


Saaten und Weinbergen und plünderten alle unvertheidigten Schlöffer. 
Schließlich wurde ihnen jelbit das Schloß Mortara von der Be: 
ſatzung, die der Fürft von Lacedamon dort gehalten hatte, über- 
liefert, und als man dann ein Standlager vor dem überaus feiten 
Saarlatum !) aufihlug, ergab ſich die Beſatzung, welche dort für 
Graf Philipps Tag, vom Hunger bezwungen, an Galaaz. Graf 
Philippo dagegen rücte mit den Paveſen, Aſteſanen und Alefjandrinern 
ſowie mit dem Senefchall König Roberts, der in Alba befehligte, 
zu ſpät und ohne Erfolg nad) Lomelina und umlagerte darin 
Gaarlatum, um diefen Ort zurüdzuerobern. Nachdem aber das 
Lager ſchon aufgejchlagen war, geſchah es, daß die von Alefjandria, 
durch anhaltende Dürre und Hungersnoth im höchſten Grade be— 
drängt, in der Unmöglichkeit fi) länger zu halten ihr Lager an= 
zündeten und Damit das ganze Heer zwangen, Gaarlatum aufzu= 
geben und fich zurückzuziehen. 

2. Zod des Sulielmus Gavalcabos bei Sun= 
<inum. Zu derſelben Zeit ftritten auch im Herzen der Lombardet 
in den einzelnen Gemeinweſen die verjchtedenen Parteien, hier die 
Guelfen, dort die Ghibellinen, in unabläffigen Kämpfen wider ein= 
ander. Guibertus de Corrigia, Guido della Turre und Gulielmus 
Cavalcabos rüdten ſammt ihrem guelfiidem Anhang und ver 
Partei des Venturinus und Anderer von Suneinum mit Reiterei 
und Fußvolf dorthin, nahmen die Stadt, deren Einwohner ſich 
ergaben, und tödteten die Rebellen, welche der ghibelliniichen Partei 
anbingen; die Burg aber gewannen fie nicht, da die Bertheidiger, 
welche fih nur gegen Zuficherung des Lebens ergeben wollten, fein 
Gehör fanden. Gulielmus Cavalcabos ließ daher, in der Abficht 
die Burg zu erftürmen, aus Cremona zmweihundert Mann Fußvolk 
fommen. Als dieſe bereitd in der Nähe von Suneinum waren, 
ftiegen jie auf Werner von Homburg den Borfteher der Lombardei, 
der mit den Truppen von Mailand und Bergamo und einer fünig- 
lichen Schaar zum Entſatz von Suncinum heranrüdte, und wurden 


1) D. i. Garlasco an der Etraße von Mortara nad) Pavia, 





— — 


Lech 


Beleitigung des Fanus de Drifimo, Vifars von Lodi. 187 


von denjelben niedergeworfen und in die Flucht geichlagen. Als ıs12 
Gulielmus Cavalcabos die Niederlage der Seinen vernahm, führte 
er jeine Truppen fofort gegen Werner ind Feld und lieferte dem— 
jelben ein unentſchiedenes Treffen. Bmeimal wurde dem Gultelmus 
das Pferd, auf welchem er jaß, unter dem Leibe erichoffen und er 
zu Boden geftredt, doch beitieg er ein anderes, gab aber das 
Zeichen zum Rückzug und eilte wieder nad) Suncinum. Als er 
dort ankam, fielen die Städter, welche in der Burg maren, aus 
und fügten ihm vielen Schaden zu, während Werner ſich in Die 
Stadt warf und den Gegner im Rüden faßte. So umſchloſſen 
ftürzte Gulielmus abermals mit jeinem Pferde, welches nieder— 
gemacht wurde, und ward unter großen Berluften der Seinen ge= 
fangen genommen und zu Werner geführt. Als dieſer ihn erkannt 
und auf Befragen auch jeinen Namen erfahren hatte, jagte er: 
„Du wirft in Zukunft meder auf einem Ochlen nod auf einem 
Pferde reiten 1), riß ihm feinen Helm ab, zerichmetterte ihm mit 
der Keule, die er trug, das Haupt und tödtete ihn. Damals fielen 
von Gulielmus’ Lanzenreitern etwa fünfzig, ſechszig wurden ge- 
fangen genommen; vom Fußvolk fielen zweihundert, in Gefangen- 
Ihaft geriethen Hundert; die übrigen gelangten fliehend nad) Cremona. 
Allgemeines Entjegen ergriff die Cremoneſen, die ganze Stadt ward 
in Trauer und Klage verjenkt, und faum hielten fie die Hoffnung 
aufrecht fi) behaupten zu fünnen. Zu Mailand aber und in allen 
Städten Lombardiens, in denen die Ghibellinen am Ruder waren, 
herrſchte Jubel und Freue. 

3. Bejeitigung des Fanus de Drifimo, Bifars 
von Lodi. Während in Lodi Fanus de Drifimo an Stelle des 
römischen Königs die Gerechtſame des heiligen Reichs wahrnahm, 
bewirkten die Umtriebe der Partei der Summariva und beionders 
des Antonius de Fiſiratico eine Ummwälzung, durch welche die 
Partei der PViftarini, die von Alters her ghibelliniſch geweſen war, 
aus der Stadt getrieben ward, und jchloffen ſich dem Guibertus 


1) Anfpielung auf den Namen Capvalcabo von cavalcare reiten und bove = Ochs. 


188 Siebentes Bud). 


> de Corrigia Guido della Turre und den übrigen Guelfen an. ALS 


dies aber Werner von Homburg der Vorſteher erfuhr, ftellte er 
eine Unterfuhung an, warf den erwähnten Fanus jelbft ind Ge— 
fängnis, übertrug der Partei der Viſtarini die Leitung in Lodi und 
demüthigte und verjagte ſämmtliche Summariva. 

4. Unruhen in PBiacenza. Die Herrihaft über Pia- 
cenza hatte der König, ehe er die Lombardei verließ, in die Hände 
ver Ghibellinen gelegt, Albertus Scotus aber nicht zurüdgeführt *). 
Diefer nun bemächtigte fich ſofort ver Beften Arquadum und 
Slorenzola ?2) und befriegte Die Stadt, bis er ſchließlich feine Rück— 
fehr durchſetzte. Aber Guibertus de Corrigia und Guido della 
Turre eilten mit den Schaaren der Cremoneſen Brescianen und 
Parmeſanen und der Bertriebenen von Reggio nad) Piacenza und 
jegten die Guelfen, deren Partei ſich ſchon vorher organifiert hatte, 
in den Beſitz der Stadt. 

5. Bergamo verharrt in der Treue gegen den 
König. Die Stadt Bergamo, unter Bailardinus de Nogarolis 
von Berona als Vikar für den römifchen König, verharrte mit 
Ausihliegung der Guelfen auf der Seite des Maphäus Vicecomes, 
ver Mailänder, Beronefen und der iibrigen Getreuen ded Reiche. 

6. Afti fällt von König Heinrich zu König Robert 
von Apulien ab. Die Ajtefanen aber vertrieben unter dem 
Einfluß der vornehmen Guelfen den Reichsvikar und fielen vom 
römiſchen König zu König Robert und deſſen Marichall, der in 
Alba befehligte, ab. 

Sp ftritten die Lombarden geipalten und von Barteiwuth und 
Kriegseifer entzündet in wechjelnden Kämpfen wider einander mit 
Feuer und’ Schwert in erbittertem Ringen. Zur Partei des römi— 
ſchen Königs hielten fih Turin Novara und Bercelli, wo Philipp 
von Savoyen, der Fürſt von Adaja, Vikar war, Mailand, Ber- 
game, Como, Bredcta, Verona, Bicenza, Mantua, Modena, Lodi, 
Piacenza. Dagegen befannten ſich zur guelfiſchen Partei, welche 


1) ©. 0. Bud 4 Kap. 9. — 2) j. Caſtell Arquato und Fiorenzuola, Tetteres an der - 


Strafe von Piacenza nad) Parma, erfteres jüdlih davon. 








Niederlage der Ghibellinen von Modena. 189 


fic) als die der heiligen Kirche bezeichnete, Alba, Aftı, Aleſſandria, 
Pavia, Parma, Reggio, Eremona, Padua, Trevifo. 

7. Niederlage der Ghibellinen von Modena. 
In Modena vertrieb Franciscus della Mirandula, der des Vikariats 
mwaltete, die Einflußreicheren unter den Guelfen und ließ fie für 
Staatöfeinde erklären. Dieje aber hielten fih in den Yandftäbten 
und befriegten die Stadt unter beftändigen Angriffen. Sehr will 
fommen war den vertriebenen Meodenefen die Unterftügung, welche 
fie bei den Guelfen Bologna’8 fanden. Auf deren Hilfe geftütt, 
verheerten fie die Yändereien von Modena bis nahe an die Stadt 
jelbft heran, ſodaß viele, gleich als wenn fie belagert wäre, jo ſehr 
dur) Hunger und Mangel litt, daß Das Loos der Berbannten er- 
träglicher erjchten al8 das der Bürger. Während nun, bet Diejer 
Bedrängnis der Stadt, die erwähnten VBerbannten und Hilfstruppen 
der Bolognejen ausrüdten, um Bazzavora, ein zwei Miglien von 
der Stadt entfernte8 Dorf, niederzubrennen, führte Der Reichsvikar 
Franciscus jeine Truppen heraus und machte mit den Edlen, ven 
Bürgerjoldaten und den Sölonern, welche die Bejagung von Modena 
bilveten, einen Angriff auf jene. Es entipann fid) ein blutiges 
Treffen, welches faft zwei Stunden währt. Aber da das Geſchick 
und das Glück des Krieges, deſſen Ausgang ſich dev Berechnung 
der Sterblichen entzieht, ven Vertriebenen den Steg zumies, jo er: 
griffen Die Bürger die Flucht, "während unter großen Verluſten der 
Seinen Franciseus in Gefangenſchaft gerieth. Es fielen aber 
von namhaften Männern folgende: Prendiparte der Sohn des 
Vikars, Thomafinus de Gorzano, Johannes und Übertus de Tredo, 
Nicolaus de Alcardid, Iohannes Zacagnus und etwa hundert und 
fünfzig aus den Bürgern und dem niederen Volfe von Modena, 
während etwa Hundert zu Gefangenen gemacht wurden. Die 
übrigen flohen nad der Stadt zurüd und gelangten mit genauer 
Noth in die Thore. Dies geſchah im Jahre unfered Herrn Jeſu 
Chrifti 1312 am 8. Juli. Der Schreden der Einwohner von 
Modena aber kannte fein Maß, auf den Plätzen und in den Gaſſen 
durch die ganze Stadt bin wernahm man das Heulen dev Weiber, 


Juli 8 


190 Siebentes Bud). 


1512 das Wimmern der Kinder, das furchtſame Jammern Elagender 
Greiſe; fat gebrach e8 ihnen an Beſonnenheit die Stadt zu ver- 
theidigen und an Kräften die Thore zu ſchließen; erſt nachdem fie 
wiederholt an die benachbarten Vikare Canis Grandis von Verona 
und Pallarinus von Mantua, endlich aud an den von Mailand 
Maphäus Vicecomes und die übrigen Anhänger des Reichs Briefe 5 
gefandt Hatten, mit der Bitte ihnen in ihrem Unglüd zu Hilfe zu 
fommen, richteten fie fi) wieder auf, wenn auch mit ſchwindenden 
Kräften und der Verzweiflung nahe. Die Sieger aber fehrten mit 
ihrer Beute und den Gefangenen nad Caſtrum Sarioli !) zurüd 
und fandten die erbeuteten Feldzeichen nebft dem königlichen Banner 
zum Zeichen ihres Sieges nad) Bologna, mit dem Bemerfen, jegt 
jet die Zeit gefommen, um Modena zu gewinnen, wenn anders 
die Bolognefen mit ihren Truppen zur Belagerung herbeieilen 
würden. Dieſe erichtenen fampfgerüftet mit Neiterei und Fußvolk | 
und brachten auch Material zur Ausfülung dev Gräben von 
Modena mit, ſchlugen ein feftes Lager auf und machten fi) mit | 
Maſchinen und jeder Art von Belagerungsgeſchütz an die Berennung 
der Stadt. Auf gegneriicher Seite aber eilten unverbroffen Canis 
und Paſſarinus de Bonacofi8 mit den Schaaren der DVeronefen 
und Mantuaner und mit Soldtruppen zum Schub der Keichötreuen 

| 





nach Modena. ALS die Paduaner von der Niederlage der Mode- 
nefen vernahmen, fielen fie eilend® mit einer Reiterſchaar und 
ftarfem Fußvolk, um Canis von Modena zurüdzurufen, werheerend 
in das Gebiet von Verona ein, verwüfteten alle mit Feuer und 
Schwert, nahmen die die Veſte Cologna umgebenden Dörfer ein, 
verbrannten diefelben und fehrten dann nad) Padua zurüd. 

8. Aergerliher Streit zwifhen dem Borfteher 
der Lombardei und dem Fürften von Achaja. Als um 
diefelbe Zeit Werner von Homburg der Vorſteher dev Lombardei, 
die Markgrafen von Meontferrat, Balatronus der Sohn Des 
Maphäus Vicecomes und mehrere Andere in Bercelli zu einer Be— 


1) j. Saſſuo o an der Sechia, füdlich von Modena. 


Hergerlicher Streit zwiichen dem Borfteher der Lombardei x. 191 


rathung über die Mafregeln, welche man im Intereſſe des Reichs 1312 
zu ergreifen habe, zufammengetreten waren, führte ein plötlich 
entftandener Streit zwiſchen ihnen zu argerlichen Auftritten. Der 
Dorfteher nämlich verlangte von dem Fürften Philipp von Achaja 
das Schloß bei der Marienkirche, welches im Herzen von Bercelli 
gelegen ift, mit dem Bemerken, daß es dem Glanze und dev Würde 
der kaiſerlichen Majeſtät befjer entipreche, wenn er, als DVorfteher 
der Provinz, in einem vornehmeren und prächtigeren Gebäude feinen 
Aufenthalt nehme. Dev Fürft dagegen, der jenes Schloß inne 
hatte, hielt ihm vor, daß er felbft in der Stadt das Reichsvikariat 
verwalte und außerdem für feine eigene Perſon hier Einfluß befite, 
und fügte Hinzu, daß er zur Zeit dieſes Vikariat von dem König 
um ſchweres Geld erfauft habe: daher befige er e8 jest ohne Ein— 
ſchränkung und fer damit begnadigt und betraut worden. ALS der 
Wortwechjel immer hitziger wurde, rief endlich der Vorfteher wuth— 
entbrannt zum Kampfe auf, ftürzte fid) auf den Fürften, der be 
ritten war, umflammerte jeinen Nacken mit der Hand und zerrte 
ihn, obwohl er ſich fträubte, nebft dem Pferde mit gewaltigem Griff 
nad) den Paläſten der Tizones !), wo er jelbft in befeftigter Burg 
feinen Sig genommen hatte. Aymo de Ajperomonte aber, einer 
der umftehenden Nitter des Fürften, riß feinen Dolch aus ber 
Scheide, ſtürmte auf den Borfteher ein und brachte demfelben mit 
großer Wucht eine Wunde in der Seite bei; hierdurch aufgehalten 
und beläftigt mußte Werner den Fürften loslaſſen. Bald miſchten 
ſich Deutjche unter die Franzojen und es begann ein Handgemenge, 
bis der Vorſteher verwundet fid) zu den nächſten Häufern der 
Tizones zurüczog, während der Yürft, der eine Wunde an ber 
rechten Hand erhalten hatte, zu den Paläften der Advocati?) ent- 
floh; mehrere feiner Leute aber wurden auf offenem Plage er— 
ichlagen. Dieſe Auftritte hatten unmittelbar weitere Zwiftigfeiten 
inmitten der Kaiſerlichen zur Folge, und neue Händel brachen aus. 
Beide Theile zogen ihre Anhänger von allen Seiten in Bercelli 


1) Häupter der Ghibellinen in Bercelli. — 2) D. i. der Familie des Simone de 
Eolubiano f. o. 


192 Siebentes Bud). | e: 


Philippo mit den Pavejen und anderen verbündeten Lombarden 
Partei nahm, ſchloß fih Maphäus Vicecomes mit den Seinen und 
den Keichötreuen Werner an. Es fam daher aufs neue in Vercelli 
zu Feindſeligkeiten und ärgerlichen Auftritten, Die immer meitere 
Kreife in Mitleivenihaft zogen. Um ven fchmählichen Streit ab- 
zuurtheilen, vief der Fürft endlich jeinen Bruder den Erzbiſchof 
von Lyon t), feinen Schwager den Delphin Guido und den Herrn 
de Pulchrolivo herbei, aus freien Stüden aber erſchien die Gräfin 
von Savoyen, die Gattin Ameus des Großen. Man trat zus 
jammen und war ın KRüdficht auf den König eifrig bedacht einen 
Frieden zu Stande zu bringen. Man vereinbarte ſich denn auch 
über beftimmte Bedingungen und machte aus, daß beide Gegner 
aus Vercelli, deſſen Bifariat jedoch und ungejchmälerte Herrichaft 
dem Fürften blieb, weichen, und daß ferner, dem Gebot des Königs 
gehorfam, achtzehn der Angejehenften aus den Tizoned und zwölf 
aus den Advocati Bercelli meiden follten; erfteren möge der Vor: 
fteher, letzteren der Fürft nad) Belieben Aufenthaltsorte anweiſen. 
In Folge dieſes Ausſpruchs ging der Fürft nach Turin, der Vor- 
fteher nad) Lodi. 

9. Graf Philippo von Langusco nimmt Bercelli 
ein. AS die Dinge in Bercelli jo lagen, eilte Graf Philippe, 
durch die Kurzfichtigkeit der Gegner herbeigelodt und voll Freude, 
weil er ſehr wohl erkannte, daß durch jene Friedensbedingungen 
die Macht der Tizones gebrochen ſei, mit den Pavejen und feinen 
übrigen lombardiſchen Freunden, jo raſch er fonnte, gegen Vercelli, 
von mo die fremden Truppen inzwilchen entfernt worden waren, 
heran und ftürzte fi, von dem Biſchof, von Simon de Columbiano 
und defjen Anhang in die Stadt eingelaffen, auf die Partei ver 
Tizoned, nahm unter vielem Morden und Plündern die Stadt 
ein, zerftörte die Paläfte uud Burgen der Tizones und oronete 
alle8 in feinem Intereffe und dem der Adeocati an, im Jahre 

Juli unjere8 Herren Jeſu Chrifti 1312, im Monat Juli. 


1) Peter von Savoyen, 1308—1332. 


1312 zuſammen: während, wie es hieß, gegen den Vorfteher aud Graf i 
R 


Die Paduaner verheeren das Gebirge Berica x. 193 


10. Die Baduaner verheeren das Öebirge Berica, 
eröffnen den Bachilio wieder und nehmen Pojana. 
Inzwischen wurde die Treviſaniſche Mark und bejonderd die Stadt 
Padua, welche durch die unabläffigen Feindſeligkeiten des Canis 
Grandis beläftigt und durch die Zurückhaltung des Bacchilio, deſſen 
Waſſer ſie zur täglichen Nothdurft gebrauchte, in unerträglicher 
Weiſe geſchädigt wurde, unter dem Druck der Nothwendigkeit ge— 
zwungen, immer energiſcher gegen die Feinde vorzugehen. Nachdem 
man, wie oben erzählt wurde), ohne Nutzen und Erfolg verſucht 
hatte, ven Flußübergang zu gewinnen, rückten endlich, nicht lange 
darauf, als eines Tages, um den 22. Juli 2), einige der Kund— 
Ihafter, welche den Lauf des Fluſſes zu beobachten Hatten, die 
Meldung braten, daß die Brüde, welche fi) dei Nartum, einem 
Dorfe am Fuß der bericiichen Berge befindet, unbewacht fer und 
wiederhergeftellt werben fünne, die Streitmaht Padua's und die 
Bürger fchleunigft in finfterer Nacht, mit Brettern und jeglichen 
Zimmergeräth verjehen, aus, machten beim erften Tagesgrauen am 
Ufer des Bacchilio halt, befeftigten geräufchlos auf den im Grunde 
des Flußbettes eingerammten Pfeilern der ehemaligen Brücke Balten, 
legten Bretter darüber und gelangten jo auf das jenfeitige Ufer. 
Dann aber marjchierten fie unter Trompetengejchmetter und Yautem 
Subel ungehindert mit den Truppen und den fämmtlichen Ab— 
theilungen der Bürger auf Vicenza zu, bis fie, die übrigen Land- 
ftädte unverjehrt hinter fich laſſend, nach dem Dorfe Longare ge 
langten, wo fi ein ſtark befeftigtes Caftell befand, welches bie 
Vicentiner über der Stelle, wo fie ven Fluß abgeipftrt, errichtet 
hatten; Doch fanden fie dieſes Caſtell von feiner Beſatzung, melche 
fih in das Gebirge geflüchtet hatte, verlaſſen. Nachdem die 
Paduaner dafjelbe bejest und Kundſchafter worausgejandt hatten, 
rüdte das gejammte Heer in Schlachtordnung bis zu dem Dorf 


1) Buh 6 Kap. 13. — 2) Man wird beffer mit einer Handſchrift circa X 
Augusti Kalendas leſen, al3, wie die iibrigen haben, circa Augusti Kalendas, meil, wie 
der Schluß des Kapitels Lehrt, die Heimkehr des paduaniihen Heeres, melches längere 
Zeit draußen geblieben war, noch im Juli erfolgte. 

Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 13 


1312 


Juli 22 


194 Siebentes Bud). 


Longare?), zwei Miglien von Vicenza, vor, machte dort halt, da 
man erft die Kundichafter erwarten wollte und Thiere und Menjchen 
einer Ruheſtunde zur Erholung von der Hite und Arbeit bedurften, 
weil bereits der größte?) Theil des Tages verftrihen war und 
man ja auch die ganze vworausgehende Nacht wachend zugebracht 
hatte. Als die Späher, melde, vorausgefandt um zu jchauen, ob 
fid) von der Stadt her Bewegungen wahrnehmen ließen, etwa fünfzig 
Keiter von Canis' Kriegsvolf, die ihnen entgegengefommen waren, 
theils zerſtreut Hatten, theils gefangen hevbeibrachten, zurücfehrten, 
ichlugen die Söldner in Longare?), die Paduaner in Euftoza en 
Lager auf. Alsbald Tieß ver Podefta auf Grund eines Raths— 
beichlufjes anlagen und verkünden, daß man den Vicentinern, jofern 
fie nur wollten, Genoſſenſchaft und beftändige Freundſchaft mit den 
Paduanern gewähre und geftatte, ſowie Berzeihung für alle Un— 
bilden, doch müßten fie fi dem Einfluß des Tyrannen Canis 
gänzlich entziehen. Inzwiſchen ftand man zmei Tage lang von 
jeglicher Feindfeligfeit und Verheerung ab. Aber die Bicentiner 
liegen fich auf diefe Verfündigung nicht ein, ſei e8 weil fie nichts 
davon hielten oder, was wahrjcheinlicher ift, weil der Verluſt ihrer 
Freiheit fie hinderte, und alsbald zerftreuten fi die Paduaner, 
um durd) Nieverbrennen und Berheeren jenen nad Kräften Schaden 
zu thun. Die unglüdlichen Bauern im ganzen Umfreis ded Ges 
birges die — ah! — zu Feindfeligkeiten und übler Behandlung 
feinerlei Anlaß gegeben hatten, wurden gefangen genommen, ihre 
Dfivengärten und fonftigen Pflanzungen niedergehauen, die Häufer 
ſämmtlich in Brand gefteft und, auf daß nur das Andenken diejer 
Dörfer, deren man nicht weniger als fieben und zwanzig zählte, 
auf die Nachwelt fomme, wurde alles was das bericiiche Gebirge 
an Gebäuden über der Erde trug, von dem erften ſüdlichſten Hügel, 
wo das nächftgelegene Dorf Orianum *) heit, an bis zu ben 





Fakca 


1) Diejes zweite Longare liegt in geringer Entfernung vom Bacdhiglione, an deffen 
rechtem Nebenfluß Debba. — 2) Tert: septima diei pars, offenbar finnlos; vielleicht 
maxima zu lejen. — 3) Hier feheint wieder das erfte Longare gemeint zu fein, welches 
ganz in der Nähe von Eoftozza gelegen ift. — 4) j. Orgiani. 





Die Paduaner verheeren das Gebirge Berica ıc. 195 


Borftädten von Bicenza hin, auf beiden Seiten des Gebirges nebit 
der von demſelben eingefchlofjenen Thalſchlucht von Grancona, vom 
Feuer verzehrt, der Hausrat) aber und Geräthichaften jeder Art 
von Staatswegen wie aud) von den einzelnen Bürgern nad) Padua 
gebracht. 

Auf daß ich aber die Beſchreibung einer bemerkenswerthen 
Begebenheit, die wohl werth iſt aufgezeichnet zu werden, nicht 
übergehe, erzähle ich folgendes: Bei dem Dorf Cuſtoja befindet ſich 
eine Bergſpalte und im Innern eine gewaltige Höhle, von wo der 
Ausgang nach der einen Seite durch dreifache, nach der anderen 
Seite durch einfache Kreuzungspunkte führt, ſodaß Unkundige 
den Rückweg aus dieſem Schlupfwinkel nimmer finden. Die Breite 
des Spaltes beträgt eine Miglie, und 

„Eiskalt ſtrömet hindurch der Hauch unabläſſigen Windes!“ 

Wenn wir einer alten Sage glauben wollen, welche im 
Munde der Bauern fortlebt, ſo gruben römiſche Sträflinge, die 
zu den Bergwerken verurtheilt waren, dieſen Ort aus, und von 
dieſen hier einſt in Haft befindlichen!) Sträflingen ſoll auch der 
Name Euftoja, wie der Ort noch heute heißt, — was dafjelbe ift wie 
Euftodia 2) — ftammen. Aber, du Liebe zum Befit, wie viel Sorge 
und Unruhe bereiteft du den Menfchen! die Mehrzahl der Ein- 
wohner nämlich hatte fich in dieſen grauenhaften düfteren Ort, im 
Bertrauen auf den Schuß, welchen er gewährt, mit all ihrem Hab 
und Gut und mit ihren Angehörigen von jeglihem Alter und Ge- 
ſchlecht eingefchloffen. Am Eingang hatten fie mit Hilfe von Werg, 
Reiſig und anderen leicht brennbaren Gegenftänden einen Holsftoß 
aufgethürmt, und denfelben mit Waller beiprengt, welches ein in 
der Nähe befindlicher natürlicher Duell darbot; die aus dem 


Innern fommenden Winde trieben nun einen fo dichten Rauch nach). 


auswärts, daß wer ſich draußen befand, nit im Stande mar 
beranzufommen. Durch dieſe bewunderungsmwürdige Beranftaltung 


in Staunen verjett, überlegten die Paduaner drei Tage lang, was 


1) Custoditi, von custodire bewachen. — 2) custodia, Haft, Bewachung. 


13° 


1512 


196 Siebentes Bud). 


man anwenden jolle um jene herauszutreiben ; endlich famen einige 
erfahrene und verftändige Leute auf den Gedanken, eine fefte Mauer 
aus Gement und Ziegeln zu erbauen und mit derjelben die Mün— 
dung Der unterivdilchen Gewölbe zu verftopfen. Dies geichah. 
Sofort legten ſich die Winde, die Yuft ward ausgefchloffen und bet 
großer Kälteentwidelung tröpfelte das Wafjer von den Wänden 
hernieder. Der Ausihluß der Yebenselemente brachte die Drinnen 
befindlichen Menfchen dem Tode nahe, fchreiend baten fie um ihr 
Leben und ergaben fich. 

Nachdem die Paduaner dieſes vollbracht hatten, leiteten jie 
ichließlich den Bachilio in fein altes Bett zurüd und zerjtörten die 
Werke, das Caſtell mit jeinen Befeftigungen, welche die Vicentiner 
zuvor mit unſäglicher Mühe erbaut hatten. 

Als eben Ddafjelbe paduanifche Heer durch die Bergzüge von 
Alonte !) ftridy, um die Dörfer niederzubrennen, und in der Gegend 
von Leonium ?) Rauch erblidte, als wenn das Städtchen ſelbſt in 


Tlammen ftände, richtete e8 feinen Marſch dorthin und machte 


unter Geſchrei einen Angriff. Einige der Einwohner, welche die 
Partei des Grafen von St. Bonifacio 3) hielten, hatten auf deſſen 
Antrieb Feuer an die Stadt gelegt, damit die Belatung der Burg 
von Schreden ergriffen dieſelbe den Paduanern überliefern ſollte. 
Bon beiden Seiten erſcholl lautes Kampfgeichrei und es entipann 
fich ein Higiges Treffen. In die Burg nämlich hatte Canis, dem 


die Einwohner von Leonicum verdächtig waren, Veronejen eingelegt, 4 
um den Ort zu jchügen, die Eingeborenen beider Parteien aber 


gezwungen, die Nacht außerhalb der Burg zuzubringen. Nachdem 
nun aber die Paduaner die Befeftigungen umzingelt hatten, be- 
jtieg, während der Podeſta von Padua im Süden fein Banner 


aufitecte, Graf Binciguerra von St. Bonifacio mit den Söldnern die ° | 
Anhöhe von St. Termus im Norden und behauptete diefen Platz. 


Der Kampf war jett allgemein; aber da die Veronefen Die Burg 


1) Nahe dem oben genannten Orgiano. — 2) Lonigo, im äußerſten Südweſt der 
Monti Berici. — 3) D. i. der oben mehrfach erwähnte VBinciquerra von Verona, der 
Gegner des Canis. 






an ie a A hr 


| 











Die Paduraner verheeren das Gebirge Berica. 197 


mannhaft vertheivigten, jo wurde nichts erreicht, als daß drei 
Biertel der Stadt abbrannten. Erſt bei Sonnenuntergang 
ſammelten die Paduaner ihre Schaaren und fehrten noch an dem— 
jelben Tage nad) Orianum in ihr Yager zurüd. Diejenigen Ein- 
wohner von Leonicum aber, welche dem erwähnten Grafen an- 
hingen, gaben fich verloren, wenn fie die Ankunft des mißtrauifchen 
Canis abmwarteten und kamen daher mit ihren Angehörigen jeg- 
lihen Alters und Gejchleht3 zum Grafen Vinciguerra. — 

Die Paduaner richteten, nachdem fie die Bericiichen Berge 
verheert und ihr Lager in Brand geſteckt hatten, ihren Weg auf 
Bojana 1), einen überaus feften, durch zwei Gräben und eine ftarf 
befeftigte Burg gededten Ort, und griffen venjelben an. Dieſer 
Drt trennte das Gebiet der Paduaner von dem der Picentiner 
und Veronejen und war den Bauern dieſes Grenzgebietes ehr 
(äftig, weil hier, als in einem ficheren Schlupfwintel, ſich räuberiſches 
gewaltthätiges Gefindel aufhielt, welches alle Umwohner unabläffig 
durch Beute- und Raubzüge heimſuchte. Und fo oft die Paduaner 
verfucht hatten hier in das Gebiet der Beronefen und Bicentiner 
einzudringen, hatte dieſer Drt ihnen die Möglichkeit dazu be- 
nommen. Unter Borausfendung des leichten Kriegsvolkes und des 
Troſſes griffen fie mit ihrer ganzen übrigen Macht den Ort unter 
lautem Gejchrei in plötzlichem Anfturm an und umringten ihn auf 
allen Seiten. Die Einwohner Tleifteten lange Wiverftand und 
brachten den Angreifern durch Steinwürfe und zahlreiche Pfeil- 
ſchüſſe viele Wunden bei, blieben aber auch jelbft nicht verfchont. 
Endlich, als es ſchon Abend wurde Iegten die Paduaner auf Kath 
des Albertinus Muffatus, welchem gerade das 2008 zugefallen war 
das Feldzeichen de8 Quartier der Mühlenbrüde zu führen, lange 
Balken über die beiden Gräben, öffneten ſich unter ermuthigenden 
. Zurufen in heißem Ningen den Weg mit dem Schwert und brachten 
das Feldzeichen über die Gräben. Durd den gemaltigen An= 


1) Pojana di Sranfion, nördlich von der Straße von Padua an Berona, zwiſchen 
Camiſano Vigentino und Arlefega. 


1312 


1312 fturm erſchreckt und aus der Faſſung gebracht, wichen die Ber 


Juli 


198 Siebentes Buch. 


lagerten zurück, legten ſchnell Feuer an die Häuſer, gaben ihre 
Aufſtellung in der Stadt preis und ftürzten in die Burg. Da 
drangen aud die übrigen Abtheilungen des Bürgerheered ein und 
verfolgten die Städter bi8 an die Burg. Am anderen Tage 
warfen die Paduaner, zur Belagerung der Burg entjchloffen, Keifig 
Flechtwerk und dergleichen mehr in die Gräben um dieſelben auszu- 
füllen, und griffen dann an. Unter Steinwürfen der Schleuderma- 
Ihnen, unter Schmähreden, Gezänk und Getümmel wurde den ganzen 
Tag über geſtritten; erſt als der Abend fie zwang, fehrten die Paduaner, 
nachdem fie die Gräben, deren Waſſer ſchon in Folge der erften Ein 
ſchüttungen ausgetrodnet war, zur Hälfte ausgefüllt hatten, zu ihrem 
Lager zurüd. In derjelben Nacht aber verließen die Befehlshaber 
der Beſatzung, jeder Hoffnung beraubt, da Canisgrandis nichts 
that außer daß er ihnen Briefe mit vielen Verſprechungen Tandte, 
die Burg, verriethen ihre Soldtruppen und die übrige Wachtmann- 
ſchaft und flohen heimlich) zu Canis. Die Soldtruppen aber und 
die Uebrigen, welche bei der Beſatzung verblieben waren, vertrugen 
ih Früh am Morgen mit den Paduanern, die ihnen geftatteten 
am Leben ungefränft auszurüden, und entfamen, im ganzen brei- 
hundert Perfonen beiderlei Geſchlechts. Die Burg ward jofort 
verbrannt, die Beute theild für den Staat in Anfprud) genommen, 
theil® den Flammen preiögegeben. Unter Yautem Jubel und vielen 
Glückwünſchen kehrten darauf die Paduaner heim, im Jahre unferes 
Herrn Jeſu Chrifti 1312, im Monat Juli. 

11. Ganisgrandis verbrennt Curtarodulum. 
Während aber das Heer der Paduaner noch bei Pojana Ing, rüdte 
Canisgrandis mit etwa fünfhundert Neitern und taufend Fuße 
joldaten werheerend in das Gebiet von Padua ein, nahm Gurtare- 
dulum, eine reiche Yandftadt, mit Sturm, verheerte alles mit Feuer 
und Schwert und ließ die Pandleute über die Klinge fpringen. Als 
er aber im Abmarſch begriffen war, näherten ſich ihm Vecelus de 
Camino, der gerade zur Unterftägung der Paduaner herbeigeeilt 
war, Paganus della Turre der Biſchof von Padua und Gual- 














Berheerung Bicentinifcher Colonien in Pedemons. 199 


pertinus Mufjatus t) der Abt von St. Yuftina, die, wie es hieß, 
Eurtarodulum zu Hülfe ausgerüdt waren. Erſchreckt ließ Canis 
jeine Beute im Stich und fam fliehend nad) Bicenza. 

12. Berheerung Bicentinifher Colonien in 
Pedemond Sofort beſchloſſen die Paduaner Canis, der, wie 
fie merkten, ihnen nicht gewachlen war, zu verfolgen. Nachdem fie 
ſich erholt hatten, rüdten fie um dieſelbe Zeit, Anfang Auguft, 
nebft dem trefflichen Vecelus de Camino, ihrem Mitbürger und 
Bundesgenofjen, mit großer Streitmacht abermals in das Gebiet 
von Vicenza, führten ihr Heer und den begleitenden Troß durch Den 
Pag von Sanfredulum in die reihe Landſchaft und ſchlugen ihr 
Lager in Sandricum?) und Lupia auf, da fie ihr Heer wegen 
feiner Stärke theilen mußten. Am näcften Morgen legten jie 
diefe Orte in Aſche, verbrannten und braden die Burg von 
Monticulus de Precaleino ?) mit allen Nebengebäuden, fchlugen 
ihr Lager bei Villa Verla *) auf, und act Tage lang fand das 
Beutemachen und Bermwüften fein Ende. Bon den der Stadt be- 
nachbarten vicentinifchen Velten der das Thal von Drifinum ?) ein- 
ſchließenden Gebirgsfetten an, weftlich das Thal von Logevre 6) ent— 
lang von Ecledum”) bis ing Gebiet von Baſſianum hinein blieb 
nichts in Pedemons übrig, jondern alles fiel dem Feuer und dem 
Schwerte zum Opfer und die ganze Einmohnerfchaft wurde ge- 
fangen und befiegt, ſoweit die Gipfel der Berge ihnen nicht Nettung 
gewährten. Kaum vermochte ſelbſt Cantsgrandis die Vorftädte 
zu vertheidigen, als die Paduaner ihre Schlachtreihen unter dem 
Schall der Zinfen und Trompeten an die Wälle heranführten, die— 
jelben angriffen uud Canis ſelbſt durch Schmähungen und Schimpf- 
reden zum Kampfe herausforberten. Von dort zogen fie Durch die 
meite Ebene nad Citadella und fehrten dann im Monat Sep- 
tember vefjelben Jahres nad) Pabua zurüd. 

1) Der Bruder des Verfaſſers. — 2) j. Sondrigo, links vom Aftino; Lupia wenig 
ſüdlicher. — 3) j. Montechio Precalcino, am rechten Ufer des Aftino. — 4) Weftlih von 
Montechio Precalcino. — 5) j. Triffino am Ayno. — 6) Andere Handſchriften leſen 


Legoure. Die Oertlichkeit ift auf den Karten nicht ausfindig zu machen. — 7) D. i. 
Schio, an der Stelle, wo die Strafe von Picenza nad) Rovereto das Gebirge betritt. 


1312 


Aug. 


Sept 


1312 


März 
April 


Achtes Bud). 


Die Nadywelt welche diefe Zeilen liest, möge meiner Bitte 
die Verzeihung nicht verjagen, wenn ich im Folgenden die Thaten 
unjere8 Kaiſers, welche fich meiner eigenen Beobachtung entziehen, 
weniger genau darftellen werde, obwohl id e8 an Eifer nicht habe 
fehlen laſſen, um mit Hilfe von Boten und durch Berichte von 
Freunden und Fremden Nachrichten einzuziehen. Deswegen möge 
wenigſtens die Gewiſſenhaftigkeit, mit der ich eifrig darauf bedacht 
war die Wahrheit zu ergründen, einige Anerkennung finden. Habe 
ich "aber Vorwürfe verdient, fo habe ich Lieber mich wegen Aus- 
lafjungen, al8 wegen unlauterer Berichte tadeln laſſen wollen. 

1. Der König verläßt Genua; fein Aufenthalt 
in Piſa. Nachdem der König mit ftattlicher Flotte Genua ver= 
laſſen hatte, mußte ev wegen eines gewaltigen Sturmes gegen vierzig 
Tage!) in Portus Beneris ?) liegen bleiben; von dort gelangte 
er nah Piſa, wo durch die von allen Seiten herbeiftrömenden 
Toskaner, Romandiolen und die übrigen, welche unter den Namen 
der Weißen ?) und der Shibellinen der Sache des Kaiſerthums 
in Italien anhingen, jein Hoflager anfchwoll. Zwei Monate hin= 
durd, März und April, des Jahres nach der Geburt des Herrn 
1312, blieb der König in Piſa und verhandelte und erprobte 

1) Da Seinrih am 16. Febr. Genua verließ und am 6. März bereits in Pifa ein= 
traf, jo hielt ihn der Sturm nicht vierzig, fondern höchſtens achtzehn Tage auf. — 


2) j. Porto Benere, an der Riviera di Levante. — 3) Pal. unten Kap. 8 fowie die Ein— 
leitung. — 4) BiS zum 23. April 1312. 





; 
4 


N NR WAREN BR FE HEEENE 


Einzug des Königs in die Stadt. 201 


innerhalb dieſes Zeitraumes vielerlei, in Piſa jelbft wie auch 
außerhalb diefer Stadt, namentlich im Innern von Nom und an 
ven Küften. Nachdem er aber, jomeit ex e8 vermochte, das Nöthige 
vollbracht hatte, eilte er, wegen der Lage der Parteien im Nom 
mit den weitgehendften Hoffnungen erfüllt, in aller Stille mit ges 
vinger Begleitung, Tag und Nacht marjchterend, über Plombinum 
und durd die Maritima nach PViterbium, wo er am erften Mat 
bei Sonnenuntergang ankam und von dem Präfeften von Nom!) 
und dem Grafen von Anguillaria freudig aufgenommen ward Die 
Cardinäle mit den übrigen Begleitern folgten ihm, durch die große 
Schnelligkeit und die Beſchwerden des Weges ermattet. Damit er 
dann den fogenannten Pond Molis?) welchen, wie der König ers 
fahren, Johann, der Bruder König Nobertd von Apulien zu be= 
jegen beichlofien hatte, jelbft vorwegnähme, machte er einen nächt= 
lichen Eilmarſch und jandte, ohne den Pandulfus de Sabellis, 
welchen er vorausgefchit hatte, um mit dem erwähnten Johann 
über einen Vergleich zu verhandeln, abzuwarten, ohne Aufenthalt 
jobald er an die Stadt herangefommen war, eine Abtherlung 
feiner Truppen über den Pond Molis in die Stadt. Aus einem 
hölzernen Thurme jedoch der ſeitwärts der Brüde errichtet war, 
dem fogenannten Tripizo, wurden die Truppen mit Pfeilichüfien 
überſchüttet 3) und viele Pferde ſowie einige Menſchen bei der Ueber- 
Ihreitung der Brücke getödtet. 

2. Einzug des Königs in die Stadt. Inzwiſchen 


zog der König an einen gevedten Ort außerhalb der Stadt und 


traf in Gemeinjchaft mit den Columna in der Stadt zu einem 
angemefjeneren Einzug Vorbereitungen, da er es hochſinnig durchaus 
nit über fi) gewann, feinen Einzug in der Stille zu bewerf- 


ftelligen, ſich vielmehr erforderlichen Falls mit dem Schwerte 


1) Manfredo del Vico. — 2) j. Ponte molle; der urjprünglide Name ift Pons 
Mulvius. Die Brücke liegt an der Via Flaminina, nördlid) vor der Stadt. — 3) Näm— 
lid von den Truppen der Orfini, welche mit dem Prinzen Sohann vereinigt, Trastevere 
ſowie die Leoftadt mit der Petersfiche und der Engelsburg, außerdem die bebölfertiten 
Quartiere am Yinfen Ufer des Tiber beherrfchten; die Gegenpartei der Colonna und der 
faiferlihe Anhang behauptete ſich dagegen in den ſüdlichen und öftlihen Stadttheilen- 


1312 


Mai © 


202 Achtes Buch, 


1312 den Weg zubahnen entfehloffen war. Während er nun vom Sonnabend 
Mais den ſechſten Mat bis zum folgenden Sonntag fi hier aufhielt, 
Mai 7 famen am frühen Morgen des genannten Sonntags unter Boran- 

tritt der Columna Schaaren der Nümer mit einer unzähligen 
Menge Bolfes, namlich won der Partei des Kaiſerthums, aus der 
Stadt unter lauten Freudenbezeigungen ihm entgegen, führten ihn 
unter dem Geſang der Geiftlichkeit durd) die von den Columna 
behaupteten Straßen und wieſen ihm den päpftlihen Palaft des 
Lateran ?) zur Wohnung an. Seine Vertrauten und Genofjen deutſcher 
und franzöfiiher Zunge zählten damals nod etwa fiebenhundert 
Lanzen ?); von den Weißen Tusciens und den Ghibellinen folgten 
ihm dreihundert Neiter; ferner gaben ihm der Graf von Sancta 
Flora mit Hundertundfünfzig, der Graf von Anguillaria, der 
Schwiegerfohn des Stephanus de Columna, mit hundert, Corradus 
von Antiodhta ?) mit fünfzig Reiſigen das Geleit. Als fih nun 
der König in Rom ſah, war er geſonnen alles zu werfuchen, ehe 
er ſich mit König Robert von Apulien in offnen Krieg einlieke, 
und juchte deſſen Geſinnung zu erforichen, obwohl er bereit nad) 
Apulien zu dem Könige felbft Johann von Juſtiga und einen 
Predigermönch vorausgelandt hatte, mit dem Auftrag Nobert jolle 
dem römiſchen Könige zum Empfang der Krone behilflich fein und 
nichts Feindliches unternehmen und planen. Und da ſowohl die alte 
Sitte als auch die Beftimmungen der Urkunden des Bapftes es mit 
fi) brachten und verlangten, daß die Krönung in der Kirche der 
Apoftelfürften Petrus und Paulus ftattfinde, jo ließ der” König 
die Häupter des alten und erlaudten Geſchlechtes der Urſini 
darum angehen und erſuchen. Die Boten des Herrichers aber 
berichteten, daß fie troß lange fortgejegter Bemühungen nichts 
erreiht hätten außer dem Beſcheid: Alles hänge Lediglich vom 
Willen König Roberts ab, diefer habe hierüber zu entſcheiden, ob 


1) Im Südoſten der Stadt. — 2) In Genua war der König dur Herzog Rudolf 
von Baiern, welcher aus Deutichland fommend zu ihm ftieß, verftärft worden. — 3) Ein 
Nachkomme Kaifer Friedrichs II. und deſſen Nebengemahlin Mathilde von Antiodhien. 








Erſtürmung des Tripizo. 203 


er wolle, ob er nicht wolle; an ihn möchten fie fich Daher wenden ; 
fie jelbft hätten über Das, was jene erbäten, nicht zu verfügen. 

3. Erftürmung des Tripizo. Der Schmad) eingedenf, 
welche er beim Paſſieren des Tripizo erlitten, befahl der König den 
Thurm zu erobern, umlagerte denjelben und Tegte rings herum 
feine Poften, die, mit Schleudermajchinen und anderen Vorrichtungen 
die dazır dienen Eonnten das Vorwerk, welches aus Holz war, zu 
zerftören, verjehen waren. Nachdem er die Beſatzung des Lebens 
verfihert hatte, ergab ſich ihm die Vefte am Tage vor Pfingiten, 
als ſchon der Abend fich niederſenkte. Und als fid) auf einer freten 
Fläche nahe dem Tripizo einige Truppen König Noberts, die der 
Beſatzung zu Hilfe kommen wollten, zeigten, entjpann ſich Jofort 
ein Gefecht, welchem die Dunkelheit ein Ende machte, nachdem von 
jever Seite etwa zehn Mann geblieben waren. Am nächften Tage 
fam Jordanus de Columna mit zmweihundertundfünfzig Mann aus 
Anagni, Todi und Spoleto dem König zu Hilfe. Um dieſelbe 
Zeit kehrten auch die Gejandten des römiſchen Königs, welde in 
Apulien bei König Robert geweſen waren, mit Antworten an Prinz 
Sohann und die Urfint zurüd. Man überbrachte dem König den 
Beſcheid, der dahin lautete, daß Robert entſchloſſen ſei den Er— 
wartungen der Treuen Tusciens und der vielgeliebten Lombarden 
zu entſprechen, da dies ihr Gehorſam und ihre Verdienſte um ihn 
und ſeine Vorgänger erforderten. Vielleicht aber würden, falls 
König Philipp von Frankreich geneigt und einverſtanden ſei und 
man auch die Zuſtimmung des Papſtes erlangen könne, Ehever— 
träge die Gegenſätze abſchwächen und die Kämpfe, welche aller 
Wahrſcheinlichkeit nach in Italien bevorſtänden, beilegen, wenn man 
nämlich die Tochter des römiſchen Königs dem älteſten Sohne des 
erwähnten Robert übergebe und denſelben als Heinrichs Schwieger— 
john. dann zum Vikar von Lombardien und Tuscien von Reichs— 
wegen beftelle. Dem gegenüber ließ es fich der römiſche König 
angelegen fein, die ihm treuen Tuscier und Yombarden, durch deren 
Unterſtützung und Ergebenheit und unter deren Führung er große 
Thaten vollführt und von den Alpen her den Marſch bi Rom 


1312 


Mai 13 


Mai 14 


204 Achtes Buch. 


> bewerkſtelligt hatte, zu beſtimmen und zu ermuthigen, daß fie F 


allem was der Krieg mit ſich bringen möchte, unverzagt entgegen 
traten. Sein nächſter Vorſatz aber war, die Befeftigungen der ° 
Stadt zu gewinnen und bei Zeiten fefte Punkte einzunehmen, da 
er nicht anders dachte als dag, wenn er fih in Kom, dem Haupt 
der Welt und dem Mittelpunfte des römiſchen Kaiſerthums, ber 
haupte, Die übrigen Lande gleihlam als Glieder ihrem Haupte 
folgen würden. 

4. Der König lädt die römifhen Großen zum 
Mahl und fordert die Auslieferung ihrer Beften. 
Auf Antrieb der Seinen und befonderd der Columna berief der 
König daher, unter dem Vorwand ein Gaftmahl mit den Römern 
begehen zu wollen, die Edlen ohne Untericdied zum Mahl. Viele 
von den Angefehenen erjchtenen voller Heiterkeit und Zuverficht, 
unter ihnen Annibaldus de Annibaldis, Johannes de Sabello und 
Thebaldus de Campofloris, welche, mit den Urfini verſchwägert, 
fich bisher dem König nicht angefchloffen, ſondern feine Ankunft zu 
verhindern gewünjcht hatten und bei den Unternehmungen feiner 
Gegner betheiligt gewejen waren. Der König zeigte fich ihnen und 
den Übrigen Gäften, und hatte für jeden ein freundliches Wort; 
endlich aber, als das Mahl beendet, die Broden gefammelt und 
die Tische entfernt waren, trat er zwifchen die Römer und redete 
folgendermaßen: 

„Nicht fehlt e8 mir an gutem, vernünftigem Grunde, in 
einem Momente von jo großer Tragweite zu euch zu fprechen, 
Quiriten, aber fat benimmt mir Staunen und Berwunderung Die 
Sprache, wenn id) mir überlege, was mid) aus der hehren Königs— 
burg hierhin nad) Italien geführt hat. Denn was war e8 anders 
als der Wunſch, das Kaiſerthum, deſſen man ſchon entmöhnt ift, 
zu neuem Ölanze zu erheben, auf daß der von den Barbaren faum 
noch gefannte Römer der Welt fein Gebot verfünde unter dem 
Schild und Namen der faiferlihen Majeftät! Was anders er- 


baten häufige Briefe, was anderes eilende Boten gar oftmals, als E 


daß ich meinen geliebten Senat, mein römiſches Volk bejuchen, 





Der König lädt die römischen Großen zum Mahl ıc. 205 


unter feinem Jubel auf das Capitol ziehen follte? Komme ich 
als ein gewaltthätiger Einpringling, daß ich von der Schwelle des 
Apofteld Petrus zurüdgewiefen werde? Drei Cardinäle, welche der 
gütigfte 1), heiligſte Papft von feiner Seite mir geſandt, führe ich 
als Zeugen mit mir. Ste find mir Führer und Boten, fie find 
die Vollzieher der Gefege, der Vorſchriften des Kanon und der 
taiferlichen Verfügungen. An euch wende ich mich alfo, zu euch 
vede ih, Quiriten. Bin ich, obwohl geladen, vergebens gekommen, 
der Welt zum Geſpött? Ich will in der Traulichfeit dieſes Mah— 
les erfahren, welche Wünſche euch bejeelen, was euve geheimen Ab- 
fichten find, auf weſſen Unterftügung ich mich verlafjen kann: Dies 
erkläre und jage mir jeder einzelne gerade heraus!“ 

Nach einer ſolchen, kurzen und bündigen Anſprache beftete er 
den Bli auf ven Boden und blieb in drohender Haltung ftehen. 
Der erlaudte Stephanus de Columna aber beeilte ſich, ſich und 
die Seinigen mit Hab und Gut dem Könige zur Verfügung zu 
jtellen und versprach, fich allen Geboten defjelben zu unterwerfen, 
ſoweit er vermöchte, und jelbft den Tod nicht zu jcheuen, wenn ein 
böſes Geſchick venjelben verlangen ſollte. Nicolaus de Comite 2) 
erklärte dagegen, er habe als Ehrenſchmuck den Nittergürtel von 
König Karl, dem Vater Roberts, empfangen, weswegen ex fich 
feft worgefegt Habe, gegen denſelben und gegen deſſen Nachkommen 
nicht im Felde zu ftehen ?). Annibaldus wiederum ſowie Thebal- 
dus de Campofloris erboten ſich zum Gehorfam gegen die Befehle 
des römiſchen Königs in allen Fällen und: jelbft wider alle ihre 
Verwandten, jedoch machten fie einzelne Ausnahmen. Der König 
ließ diefe Ausnahmen nicht gelten, nahm vielmehr Anftoß daran 
und befahl, daß die Erklärungen aller Umftehenden jehriftlich nie— 
dergejegt würden. Endlich erlaubte er dem Stephanus und deſſen 
Anhang nad) Stellung von Geiſeln fich zu entfernen, die übrigen 


1) Clementissimus, Anfpielung auf den Namen des Papftes. — 2) de’ Conti. — 
3) Die Ertheilung der Ritterwiirde begründete ein gewiſſes Pietätsverhältnis des Em— 
pfängers zum Berleiher diefer Auszeichnung; hier muß dafjelbe allerdings wohl nur al? 
Borwand oder Entfhuldigung herhalten. 


1312 


Mai 21 


Mai 22 


Mai 25 


206 Achtes Bud). 


nahm er fejt und behielt fie von einander getrennt bei fi, zwang 
den Annibaldus, die Thürme der Milizien!) und feine übrigen 
Burgen, den Thurm von Sanct Marcus und das Eoloffeum 2), 
ihm auszuliefern uud befahl auch dem Johannes de Sabello, ſo 
jehr derſelbe ſich fträubte, die Befeftigungen, melde feine Quar— 
tiere 3) und die Umgegend beherrfchten, zu verftärfen, damit diefe 
Bollwerke den Urfini den Weg zum Capitol, welches diefelben da— 
mals noch innehatten, ſowie zu den Milizien, dem Markusthurme 
und dem Colofjeum abjchnitten. Denn durch das Quartier der Sa— 
belt führte der Weg zu diefen Feftungen %). Alles geihah, wie 
der König befohlen hatte. Um diefelbe Zeit, nämlich am 21. Mai, 
murde in der Gegend des Haufes des Stadtfanzlers 5), eines Par- 
teigängers der Urfint, von Seiten der Königlichen heftig geftritten, 
mober mehrere auf beiven Seiten getöbtet und gefangen genommen 
wurden, unter den letteren Pietrus Malabranca, der Neffe des 
Kanzlers jelbit, der den Truppen des Baternherzogs in die Hände 
fiel. Am nächſten Tage entipann fich ein noch bedeutenderes Treffen 
nahe den Quartieren des Riciardus Petri de Annibaldis 6), wobei 
viele ihr Leben verloren oder verwundet wurden, während die Ur- 
fint bis an die nächſtgelegenen Paläfte der Colonna vordrangen. 
An Diefem Tage fiel der Graf von Biferno mit vielen Genoffen 
ın Gefangenſchaft, jeine Häufer aber nebft deren Befeftigungsthurm 
wurden auf Befehl des Königs zerftört und gänzlid) nievergebrannt. 
Am 25. Mat aber, das Heißt am achten wor den Kalenden des 
Juni ?), ergab ſich das Capitol, von jeglicher Unterftügung feitens 
der Urfint abgejchnitten, dem Künig. 


1) Hier nahm der König felbft in der Folge feine Wohnung. — 2) Alle drei Beften 


in der Nähe des Capitols. — 3) Das Quartier der Savelli lag im Weften der Stadt 


Trastevere gegenüber, zwiſchen Aventin und Capitolin. — 4) Nämlid von dem feind- 
lichen Zrastevere aus. — 5) Im Biertel der Minerva am Fuß des Capitols. — 
6) Rizzardo di Pietro degli Annibaldeshi. — 7) Der römische Kalender, nach welchem 
Muffato mit Vorliebe die Tages-Daten ausdrict, zählt bekanntlich die Tage nad 
ihrem Abjtand von den drei Hauptabihnitten des Monats, den Kalenden Nonen und 
Iden. Hier giebt Muffato die doppelte Datirung vigesimo maji die, octavo seilicet 
Kalendas junii, von welchen Angaben natiirlih eine falſch fein muß, und zwar ift dies 
ohne Zmeifel die erfte, da oben im Kapitel fchon von dem 21. Mai (XII Kal. junii) die 
Rede war. 











Tod des Biſchofs von Lüttich ꝛc. 307 


5. Zod des Biſchofs von Lüttich und mehrerer 1312 
Fürften des Königs in der Stadt. In der Folge bramı- 
ten die Parteien nad) größeren Thaten und auf beiden Geiten 
wuchs Die Erbitterung. Durch die Erfolge der vorhergehenden 
Tage aufgeftachelt, machten daher die Schaaren des römiſchen Kö— 
nigs, deren Verwegenhett zugenommen hatte, am 26. Mai!) einen Mai 26 
Angriff auf die Verſchanzungen des Laurenzius Johannis Statit, 
als die Sonne fid) bereit3 der dritten Stunde näherte). Diejer 
Johannis, ein edler Römer, war für die Partei der Urſini über- 
aus thätig. Er eilte zur DVertheidigung der Schanzen herbei, fiel 
aber gleich im Beginn des Kampfes tödtlicd verwundet zu Boden; 
die Befeftigungen wurden durchbrochen und die Steger ergofjen fich 
über die Quartiere der Urfini, wo auch der Palaft des erlauchten 
Gentilis de Urfinis ftand, welchen die Deutichen, Franzojen und 
die übrigen Kriegsvölker des Cäfar unter vielem Morden gänzlich 
ausplünderten und verheerten. Die Häupter der Gegenparter, Jo— 
hann, der Bruder König Robert, mit den Römern und Toska— 
nern, waren um bdiefelbe Zeit in der Engelöburg zu einer Bera- 
thung zufammengetreten. Als fie aber das dumpfe Geräuſch der 
einftürzenden Häufer und das Kampfgeichrei vernahmen, griffen fie 
jofort zu den Waffen, führten ihre Schaaren geraded Weges in 
das von den Gegnern eingenommene Quartier und machten auf 
die Deutjchen, welche auf Beute bedacht waren und, ebenfo wie die 
Franzoſen und die übrigen, bereits im Webermuthe des Siege - 
glaubten, daß fie ſich Alles erlauben dürften, einen Angriff. Da 
erlitten die Königlichen im Gemetzel große Verlufte und mußten 
fi) zur Flucht menden, von den Gegnern, die unabläfjig auf die 
Fliehenden einhieben, verfolgt. Einige wurden, dur ihren Raub 
beichwert, noch inmitten des feindlichen Stadttheils getödtet. So 
wurden die Freunde und Helfer des Cäſar an jenem Tage zer= 
ftreut und bis zu den Quartieren der Columna zurüdgemworfen. 
Auf den Straßen fand man hundertundfünfzig Yeichen, unter den— 


1) Der Tert hat fälſchlich VII Kal. julias, ftatt VII Kal. junias. — 2) Etwa 
um 9 Uhr Vormittags. 


DD 


208 Achtes Bud. 


jelben den hocherlauchten !) Biſchof von Yüttih, des Grafen von 
Bar Bruder, Peter von Savoyen, einen Bruder des Senatord Lud— 
wig, den Abt von Weißenburg ?2), Robert von Flandern 3) umd 
mehrere andere hochadlige Männer aus der Umgebung des Königs, 
Deutſche wie auch Bundesgenofjen Lateinischen Blutes. Das Ban— 
ner des Königs, das von Savoyen und das von Flandern fielen 
den Gegnern in die Hände und murben als Schauftüde in das 
befreundete Florenz gefandt. AS Nicolaus de Bonfignoribus aus 
Siena, melcher damals als Stellvertreter des Grafen Ludwig von 
Savoyen jeinen Sit auf dem Capitol genommen hatte, von dieſem 
Treffen erfuhr, ließ er, zornentbrannt und glühend von Kampfes- 
luft, von allen Kirchthürmen herab zum Kampfe blaſen und berief 
das römische Volk durch den Heroldsruf; und fofort erſcholl die 
Stadt überall von Waffengeflivr, von Geheul und Gefchrei und 
von dem Geräufch der einftürzenden Häufer, während die Bewaff- 
neten in hellen Haufen bei den Schanzen aufeinander trafen. Und 
an diefem Tage kamen im offenen Kampfe der PBarteien politiiche 
Feindſchaft und Familienhaß gleihmäßig zum Austrag. 

6. Abnahme der Macht des Königs in der Stadt. 
Während der Sieg fi mehr und mehr auf die Seite der Urfini 
neigte und das Gerücht dies in die Deffentlichkeit brachte, ließen 
die Anhänger des Königs und die Eiferer für die Küönigähoheit, 
von Ueberdruß ergriffen, ermattet, verwundet, ab und fehrten in 


‚ihre Wohnungen beim, nachdem bei den Kämpfen in den Straßen 


und Winkeln der Stadt viele getödtet und fogar Stephanus Co- 
lumna am Schienbein ſchwer verwundet worden war. Don nun 
an wagten fi) die Füniglichen Truppen, niedergejchlagen und un- 
geordnet, nicht mehr zu den Schanzen vor und verzweifelten daran, 
jemals wieder zu SKräften zu kommen; auch verminderte der Tod 
des Biſchofs von Lüttih) und der erlaudten Ylandrer die Macht 
des Königs nicht wenig, da deren Anhang ſich entmuthigt zerftreute. 


1) superillustrissimus. — 2) Mufjato nennt ihn abbas de Nuneimbore. — 3) Falſch! 


Vergl. Dönniges Kritik der Quellen fir die Gefchichte Heinrichs VII. des Luremburgers 
(Berlin 1841) ©. 54, 





Abnahme der Macht des Königs in der Stadt. 2309 


Nur der Bräfeft der Stadt, die Grafen von Anguillaria und 
Sancta Flora, wenngleich auch fie durch den Kampf gelitten hatten, 
blieben, während die Mannjchaften aus Spoleto Todi Narni und 
die übrigen dem römiſchen König ergebenen Kriegsvölker nebft der 
Mannſchaft des Corradus von Antiochia ſich in ihre Heimath zer= 
fireuten. Während der König fid) in folder Noth und Bedräng— 
nis befand, kamen ihm aud aus Piſa, wohin er fi mit dem 
Auftrag gewandt Hatte, ihm zu erjprießlicher Unterftügung fünf- 
hundert Bogenfhügen zur See nad) Nom zu Ichaffen, ſchlimme 
Nachrichten zu, des Inhalts, daß, als jene bereits zu dem genannten 
Zweck mit jieben Galeeren von Portus Pifanus aus unter dem 
Befehl des Admirals Vani Mascha unter Segel gegangen jeien, 
Raynerius de Grimaldis, der Admiral König Aoberts von Apulien, 
der durch vorausgefandte Späher über das pifanifche Unternehmen 
unterrichtet worden, nad) ſchleuniger Fahrt jene Galeeren, die fich 
deffen nicht verſahen, angegriffen und zerftreut, von der Bemannung 
viele im Kampfe getödtet, die übrigen mit den Schiffen und den 
geſammten Bogenjchüsen zu jenem König nad) Neapel gebradit 
habe. Als der Cäſar feine Macht dahinfchwinden Jah und wahr: 
nahm wie der unfterblihe Gott und das Gejchie ſelbſt dergeftalt 
ihn beugten, bejchloß er, in fich jelbft verjunfen, in edler Negung, 
da e8 ihm an Zeit gebrach fich der Stadt zu bemächtigen und 
feine zwingende Nothwendigkeit dazu für ihn vorhanden war, ſein 
Augenmerk nur auf die Krönung zu richten und die Jonjtigen hohen 
und niederen Ehren ein andere8 Mal entgegen zu nehmen, da er 
die Hoffnung, daß befjere und glüdlichere Tage wiederfehren und 
Gott ihm wieder günftig fein würde, im Herzen nicht aufgab, 
jondern vielmehr mit Sicherheit erwartete daß ihm einft wieder 
Erfolge zu Theil werden würden. Er fandte daher Boten zu 
Iohann, dem Bruder Roberts, und zu den Urfint mit der Bitte, 
fie mödten ihm die Kirche des Apoftelfürften einräumen, damit er 
dort der päpftlichen Verfügung gemäß, welche jene Kirche zu der 
Feier im Voraus beftimmt habe, die Krone empfange. Doc) erreichte 
er durch diefe Mäßigung den Feinden gegenüber feinen Wunſch nicht, 
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrihs VII. 14 


1312 


310 Achtes Bud. 


2 da er die Antwort erhielt, daS hänge von der Zuſtimmung König 


Kobertd ab. Diefe Zuftimmung aber erwartete er lange vergebens 
und fonnte diejelbe auf keine Weife erlangen, obwohl er wiederholt 
zu König Robert Geſandte, Geiftliche wie Weltliche abſchickte. Von 
Kobert aber kam feine andere Antwort, als: man möge ihn er= 
warten und bis dahın alle8 und jedes verjchieben. Er veriprad 
dann freilich immer aufs neue, Tag für Tag fich eilends auf den 
Weg zu machen, hielt aber nie die angegebenen Friften inne und 
machte durch dieſe Zögerung jelbft die Tuscier und die Guelfen 
Italiens nicht nur überdrüffig und unmuthig, Jondern hielt fie auch 
durch vielverheißende, trügeriſche Vorſpiegelungen hin, ſodaß fie ihn 
träge und läſſig ſchalten und den Namen des weibiſchen Fürften, 
Kobert, in „König Berta” ) wandelten und ihn jo gemeiniglich 
ſchmähten. Andere freilich urtheilten abweichend. Manche freuten 
aus, das Königreich Apulien fer in fich felbft gefpalten und merbe 
durch Die Umtriebe zahlreicher Parteiungen erjchüttert, e8 gebe dort 
eine große Zahl von Männern, die dem Namen und der Herr- 
ihaft des Reichs wol Eifer zugethan feien; die Franzoſen dagegen 
ſeien den Apulien faum weniger ald den Siciliern verhaßt; der 
eine wünjche dies, der andere jenes, ja, im Verborgenen preije man 
verftohlen die Thaten des ehemaligen Kaiſers Friedrich 2). Des- 
halb wage der umfichtige König nicht Apulien zu verlafien, und «8 
genüge ihm völlig, jofern er nur dem Cäſar furchtbar erjcheine, fich 
in feinem Reiche zu halten. Außerdem müſſe er große Beforgnis 
vor Friedrih, dem Beherricher Siciliens, hegen, der fid) niemald 
den Wünſchen der Franzoſen geneigt zeige, und, wie man wilje, 
fi) mit dem römiſchen König durch ein gewaltige Bündnis ver 
eint babe. Dieſes und anderes habe König Robert jo lange ab- 
gehalten nah Rom zu kommen. 

7. Berhandlungen in Betreff der Krönung in 
Rom und die Krönung jelbft. Nach diefen Verſuchen ftand 


1) Mit Anfpielung auf den italienifhen Ausdruck dar la berta, berteggiare, jeman—⸗ 
den zum beften haben. — 2) Friedrich II, der bekanntlich feinen unteritaliihen Staaten 
feine Sorgfalt in befonderem Maße angedeihen Tief. 











Berhandlungen in Betreff der Krönung in Rom x. 211 


der Kaiſer von jenem Vorſatze ab und verlangte von ten Car— 
dinälen, daß fie ihn im Lateran krönen follten. Als jene behaup- 
teten, es jet Unrecht von der Satzung und den Erlaſſen des Papftes 
abzugeben, und ſowohl den Wortlaut der Briefe als auch die alt: 
hergebrachte Sitte!) für fi anführten, erwiderte der König feiner- 
jeits, das Gejeg müfje der Noth weichen und die Macht ver ge- 
heiligten Seftfegungen der Macht der Thatſachen nachgeben, da e8 
an ihm nicht liege, der vielmehr al3 ein Sendling des Papſtes 
gen Rom gezogen jet um hier die Kaiferfrone zu empfangen; fie 
möchten daher die wahre und gerechte Sache fördern; e8 fünne ja 
auch nicht zweifelhaft jein, daß der Papft binterdrein die vollzogene 
Handlung billigen und beftätigen würde, auch wenn bei der Aus: 
führung eines fo bedeutenden Unternehmens irgend etwas Anftößiges 
mit untergelaufen fein jollte. ALS aber die Cardinäle ihm nicht 
zuftimmten, berief der König das römiſche Volk, foweit dasſelbe 
jeine Partei hielt, zur Verſammlung, feste demfelben die Schmwierig- 
feiten der Sachlage auseinander und bat, ihm zu rathen, mas er 
thun ſolle. Auf diefe Weife erlangte der König einen Volksbeſchluß, 
der dahin Yautete, die Cardinäle follten auf die Bitte und den 
Rath des römijchen Gemeinweſens ihm die Krone ertheilen; wei— 
gerten fie fi, jo jollten fie Durch die Tribunen und das römiſche 
Volk gezwungen werden. Als die Cardinäle immer noch wider: 
jtrebten, wurben die Römer erbittert und entbrannten gegen jene; 
da, als ſchon die Wuth des Volkes zum Ausbruch gefommen 
war, theilten die Cardinäle dem König, der in den Milizten refidirte, 
mit, fie hätten dem Papfte über den Thatbeſtand berichtet und er— 
warteten bi8 zum erften Juli die Antwort; die faiferlihe Majeftät 
aber möge den Erwägungen und Einrichtungen der hochheiligen 
Kirche ſich in Geduld fügen, jo werde alles aufs beſte ausfallen. 
Beionnen beruhigte fid) der König und gab ſich mit ihren Worten 
zufrieden, beichwichtigte aud) das verfammelte Volk und entließ es. 
Da aber inzwiichen den zahlreihen Mannſchaften die Mittel aus- 

1) Bis dahin hatten die Kaiferfrönungen ohne Ausnahme zu St. Peter ftatt- 


gefunden. 
14* 


1312 


212 Achtes Bud). 


1312 gingen und auch der königliche Schag erſchöpft war, jo legte der 
König eine Steuer auf die Römer; doch erregte ſchon der Erlaß 
dieſes Edikts das ungeftüme DVolf, ohne daß es weiterer Auf: 
wiegelung bedurfte, zu aufrühreriichem Benehmen, und der Befehl 
blieb wirkungslos; allein die Juden, die an beiden Ufern des 

Jun. 2s Tiber wohnten, gehorchten. ALS daher die Vigilie des Feſtes des 
Apoftelfürften 2) heranfam, begab fich der König früh Morgens 
vom Balafte der Milizien aus mit großem Gefolge auf ven 

Sun. 29 Aventin 2); von dort 309 er, jobald der folgende Tag, der Feſttag 
jelbft, anbrady, von den Bürgern und den Fürften feines Anhangs 
geleitet, in den Yateran, wo eine feierliche Meſſe ftattfand, nad) 
welcher die Cardinäle, nämlich der Legat?) und Lucas de Flisco, 
doch mit der Erflärung, daß fie ed nicht freiwillig thäten, jondern 
gezwungen dem Drängen des Volkes und des Königs nachgäben, 
auf das Haupt des letzteren die goldene Krone ſetzten unter dem 
Jubel der Geiftlichkeit und der Römer, welche mit lauter Stimme 
dem erhabenen Katjer Heinrich, allezeit Mehrer des Reichs, Leben 
und Sieg wünſchten. Darauf führte man den Kaiſer nad) dem 
Aventin zurück, zum bereitftehenden feftlihen Schmaufe mit den 
Edlen und dem Volke, im Jahre unfere8 Herren Jeſu Chriſti 1312, 

Sun.29 am 29. Juni. %). Aber das jo feftliche und herrliche Mahl ver: 
lief nicht ohne Beläftigungen durch die Widerſacher. Auf die Spige 
des Aventin nämlich hatten dieſe Schleuderer und Schügen gejandt, 
welche die um den Thronſeſſel gelagerten durch ihre Pfeile beun- 
rubigten, Jodaß man, nachdem einige Berwundungen erfolgt waren, 
fi) gezwungen ſah, jene Zuflucht zu fichereren Räumen unter Der 
Dedung fefter Mauern zu nehmen. Auch Shmähten jene und höhnten 
den König unter lautem Gejchrei, diefer aber kümmerte ſich hoch— 
finnig nicht im Geringften um ihr Gebahren und ließ fein Zeichen 
von Unruhe bliden. 








1) D. h. des Peter-Paulstages, 29. Juni; mit Bigilie bezeichnete man den Tag vor 
einem Fefte; es ift alfo der 28. Juni gemeint. — 2) Im Südoſten der Stadt auf dem 
linfen Tiberufer. — 3) D. i. der Cardinal von Oſtia. — 4) Statt Kal. Julii ift wohl 
beffer zu leſen III Kal. Julii. 


Der Kaijer verläßt Rom umd zieht nach Tivoli. 2313 


Inzwiſchen gelang es ven vorerwähnten Annibaldus und 
Johannes de Sabellis, welche der Kaiſer in Haft behalten hatte, 
durch die Nachläſſigkeit der Wächter aus ihrem Gewahrſam zu 
entkommen, heimlich aus dem Palaſt auf die Straße zu gelangen 
und durch die Vororte der Stadt ihre Burgen, welche etwa zwei 
Miglien von Rom entfernt waren, zu erreichen. Sofort nahmen 
ſie eine große Zahl der dem Kaiſer feindlichen Ritter König Roberts 
in dieſe Burgen auf und eröffneten die Feindſeligkeiten gegen den 
Kaiſer. Dergeſtalt begannen ſie Plünderung, Raub und Brand und 
jegliche Feindſeligket an den Thoren Rom's ſelbſt, und, auf daß 
kein Uebel, welches herbeizuführen in ihrer Macht ſtand, fehle, 
ſtauten fie einen dem Tiber zuſtrömenden Fluß !), aus dem das 
Heer des Kaiſers ſich mit Waller verjorgte, und zerftörten die 
Mühlen, melde das den Truppen zugeführte Getreide mahlten. 
Wenn die Kaiſerlichen aber fich zum Tiber wandten, um dorther 
das Waller zu nehmen, jo trieben die Schüten König Roberts fie 
von den Zugängen zum Fluſſe fort. 

8. Der Kaiſerverläßt Romundziehtnad Tivoli. 
In diefer Bedrängnis vermochte fich der Kaifer kaum in der Stadt 
zu erhalten, da ihm die Lebensmittel entzogen waren. Um aber 
für feinen Abzug einen ehrenvollen und haltbaren Vorwand zu 
haben, beichloß er die erwähnten Edlen zur Rechenschaft zu ziehen, 
um fie, falls fie fich nicht ftellten, in aller Form Rechtens für 
Hochverräther erklären zu laſſen. Unter dem Scheine, die Wider: 
Ipenftigen befriegen zu wollen, gedachte er dann die Stadt zu räumen. 
Er traf alſo alle Vorbereitungen, um mit bewaffneter Macht ihre 
Burgen anzugreifen und ſchlug dann, ohne Wilfen der Gegner, 
den Weg nad) Tibur ?) ein. Diefe Stadt iſt etwa achtzehn Miglien 
von Rom entfernt. Dem römiſchen Gemeinwejen unterthänig, ftand 
fie auf Seite der Columna und war dem Kaijer zugethan. Diejer 


1) Die Marana (oder Maranella), die, bei Grotta Ferrata entfpringend, fi in zwei 
Arne theilt, deren einer in den Teverone, der andere nahe bei Rom in den Tiber mün— 
det. — 2) j. Tivoli am Teverone (Anio) öftlih von Rom. 


1312 


214 Achtes Bud. 


2 ließ in Rom eine Befasung von dreifundert Kittern unter einem 


Oberbefehlshaber t) zurüd, um die Ufer, Straßen und Verfhanzungen 
der Columna zu befehirmen, machte die Paläfte des Annibaldus 
und 28 Johannes de Sabello nebft dem Mareusthurme dem 
Boden gleich, verließ bei Sonnenaufgang Nom und wandte fich 


Zuti 20 gerades Weges nach Tibur. Died gefhah am 20. Juli. Als er 


Suli 


dort etwa bier Tage verweilt hatte, verließen ihn von den Fürften 
jeiner Umgebung der Herzog von Baiern, der Delphin von Vienna, 
defjen Bruder Hugo, und der Herr von Fortiniacum mit etwa vier 
hundert Rittern, durd) die allgemeine Nothlage jowie durch Mangel 
bewogen, mit Erlaubnis des Kaiſers und mit Geleitöbriefen ver- 
jehen, welche ihnen Johann, der Bruder König Roberts gefällig 
ausgeftellt hatte, und zogen in fchnellen und weiten Tagesmärichen 
nad) DViterbo ?). Hierdurch geſchwächt, hielt fi) das Hoflager in 
den Mauern von Tibur, jo gut e8 eben ging, mit nur noch etwa 
neunhundert Kittern. Zu Johann dagegen, dem Bruder König 
Koberts, ftrömten überallher aus Toskana, Bologna, Apulien und 
den Ländern des Patrimontum Schaaren von Rittern und Fuß— 
wolf nad) Rom herbei, wo bereit8 etwa dreitauſend Ritter nebft 


zahllofem Fußvolk verfammelt waren. Nicht weniger Sorge be - 


veiteten die erwähnten Annibaldus und Johannes dem Kaifer, dem 
fie unaufhörlih Schaden zufügten, indem fie bis zu den Thoren 
von Tibur vordrangen und den römiſchen König mit Schimpfreden 
zum Kampfe herauszuloden ſuchten. — Um diejelbe Zeit, gegen 
Ende des Juli, brachte man dem Legaten ein Schreiben des Papftes, 
des Inhalts, daß ſowohl der Kaiſer als König Robert mit allen 
Truppen Rom verlaffen follten, worauf, wenn alles friedlich bei= 
gelegt ei, der Papft jelbft nad) Rom kommen wolle. Died wurde 
durch Herolde in Kom und Tibur laut auögerufen. Der Kaifer 
aber, mit allen feinen Truppen in Tibur eingeengt und geſchwächt, 
ohne Hoffnung Nom zu gewinnen, richtete fein Augenmerk auf 


1) Heinrich) von Flandern; auf dem Capitol blieb Johann von Sapigney, ebenfalls 
ein Flanderer, zurüd. — 2) Von hier fehrten fie dann nad) Deutichland zurück. 





Der Kaifer verläßt Rom umd zieht nad) Tivoli. 215 


andere Unternehmungen, von denen er ſich größere Erfolge veriprad). 
Er beſchloß nämlich auf den Kath und das Drängen ver Bor: 
nehmen Etruriend, welche eine alteingewurzelte Sehnſucht trieb ihre 
Heimath wieder aufzuſuchen und zu betreten, in befreundete Gegen— 
den zurüdzufehren, in der Erwägung, dag, falls günftigere Ereig- 
nifje ihm Toskana gewännen, dort, gleihlam im Mittelpunfte 
Italiens in der pafjendften Lage, der künftige Kaiſerſitz des Yandes 
fein ſollte. Da er wußte, daß in diefer Provinz Florenz, welches 
von feinem Zuftand jeinen Namen empfangen zu haben jchien !), 
den übrigen Städten und Ortichaften wegen feiner ungemeinen 
Größe überlegen und gleihjam das Haupt Toskana's fer, jo waren 
mande Gründe vorhanden, die e8 ihm wünjchenswerth ericheinen 
ließen diefe Stadt zu unterwerfen, ein Plan, welcher einem könig— 
lichen Sinne wohl verlodend ericheinen konnte. Auch fehlte es 
nicht an Umftänden, welche einem jolcyen Unternehmen Erfolg zu 
verheigen ſchienen. Es gab hier uralte Anhänger der Ghibellinen- 
partei, die das Kaiſerthum wie ein himmliſches Zeichen verehrten ; 
e8 gab Hier Weiße, eine erft neuerdings aufgefommene Parteı, 
welche, aus den Guelfen erwachlen und urfprünglich deren Factions— 
genofien, in Folge innerer Zwieſpalte ſich von ihnen getrennt 
hatte und, mit den Ghibellinen vereint, die Guelfen auf jede Art 
bis zur Vernichtung befämpfte. Von ihnen war freilich ein großer 
Theil aus der Stadt verjagt worden ?). Den Namen der Weißen 
hatten fie urfprünglich von den Einwohnern von Piltoja erhalten, 
welche die Guelfen Schwarze ſchimpften; dieſe Bezeichnungen aber 
verbreiteten fich durch Italien und famen zu allgemeinerer Geltung?). 
Diefe Factionen hingen dem Kaiſer und dem Reiche an, und Jo hatten 
in den Städten die Parteiungen und Spaltungen zugenommen und 
alle Verhältniffe zerſetzt. Denn wie überall im Leben der Staaten, 
jo gingen auch hier ſolche Parteiumtriebe von der einflußlojen 
Menge aus und richteten fic) gegen die Mächtigen; hierauf zielt 


1) Florentia von florere blühen. — 2) Pal. die Einleitung. — 3) Wenigitens in 
Toskana. 


je 


312 


1312 


216 Achtes Bud). 


der allgemein menſchliche Trieb ab, der den Untergeordneten den 
Wunſch nad Ummälzungen eingiebt. Außerdem wurden diejenigen, 
deren Angehörige in der Verbannung ſchmachteten, von der Natur 
jelbft gedrängt, von den Banden des Blutes aufgeftachelt und auf- 
ſäſſig gemacht, fintemal ein Jeder die Rückkehr der Seinigen in 
die Heimath wünſcht. Der Kaifer aber ſah fehr mohl ein, daß 
wenn er erſt Tuscien gewonnen, die Lombarden nicht in der Lage 
jein würden ſich feiner zu erwehren, weil hier feine Anhänger die 
mächtigen Städte größtentheil® befaßen, und daß ihm dann von 
Tibur bis zu den Thoren von Deutfchland der Weg offen ftehen 
werde. 

Um diefe Zeit herrſchte in Ferrara, ſeitdem die Venetianer, 
melde nad) dem Tode des herrlichen Markgrafen Azzo von Eite 
das Land eingenommen, vertrieben waren !), Dalmafius, ein Mann 
von Catalaniſcher Herkunft, als Präfeft des Papſtes Clemens. 
Diefer war urfprünglich ein Kriegshäuptling, ein überaus Eriegerifcher 
Mann, der von vielen Italifern Sold genommen und fein Leben 
um Waffenhandwerk hingebracht hatte. In Ferrara lebte auch als 
Privatmann der erlauchte Markgraf Franeiscus, ein Bruder Azzo's, 
auf den nach defien Tode die Erbanfprüche des väterlichen Haufes 
übergegangen waren, und der insgeheim nad der Vorjteherwürde 
und der Herrihaft von Ferrara trachtete. So braden zwiſchen 
ven beiden Mishelligkeiten aus, und die Eiferfucht, lange kaum be— 
merft, ward allmählich von Tag zu Tage hitiger. Endlich nahm 
Dalmafius die Gelegenheit wahr, da Zeit und Ort günftig waren, 
vertheilte nach wohl überlegtem Plane, als Franciscus in den 
Wald auf die Jagd gezogen war, Beſatzungen der Catalanen in 
der Stadt, berief Mdobrandinus, den Bruder des Franciscus, und 
defien fonftige Anhänger angeblich zu einer Berathung über Staats- 
angelegenheiten und hielt fie, um ungeftört das Werf vollbrin- 
gen zu können, in Gewahrſam bis zu der Stunde, im ber 
man Franciscus zurück erwartete. Als nun bet Sonnenunter- 


1) Durch Cardinal Arnald von Pelagrıra, 1309; vgl. ob. Buch 1 Kap. 9. 





I 


Ermordung des Franz von Eite. 21T 


gang diefer mit geringer Begleitung von der Jagd kam, unbe 1312 
waffnet, nur daß der Sitte gemäß das Schwert an feiner Seite 
hing, meldete man ihm, daß es in der Stadt verdächtig ſei, und 
warnte ihn diefelbe zu betreten. Doc ließ Franciseus ſich nicht 
einfhüchtern, ſondern verficherte, er habe nicht Böſes verſchuldet 
und es Liege fein Grund vor, weöwegen er nicht zuperfichtlich und 
unbeirrt einherziehen fünnte. Als er heranfam, ftand das Löwen— 
thor offen; ſobald er jedoch eingeritten war, wurde er von dem 
Bruder des Dalmafius ſelbſt und deſſen Catalanen umzingelt und 
umdrängt. Viele behaupten, man habe im Anfang nur davan ge= 
dacht ihn gefangen zu nehmen und ihn nur erfchlagen, weil er die 
Hand an den Schwertariff gelegt und die Abficht kundgegeben hätte, 
feine Kraft zu gebrauchen und fid) zu vertheidigen, Andere verfichern 
dagegen, feine Ermordung fer von vornherein beichloffen gemefen. 
Genug, von Lanzen und Dolcftihen- durchbohrt, ſank er jofort zu 
Boden. D Schande! ein Mann von jo großer Tüchtigfeit und 
aus einem jo herrlichen Haufe! Lange lag der edle Leichnam nadt, 
jedem Schimpf ausgelegt, im Kothe, in der eigenen Vaterſtadt, 
unbeerdigt, bis einige fromme Leute ſich vorwagten und, nachdem 
fie Erlaubnis eingeholt, die Leihe zur Beftattung hinwegführten, 
ohne das Gefolge leidtragender Angehörigen. Diefe That, die man 
bier jah und von der fi der Auf verbreitete, galt überall in der 
Lombardei, in Tosfana und der Mark Trevifo für gar graufam 
und verrucht, ſchändlich erjchten der Mord, melchen ein Fremder 
vollbracht, dem es wohl am wenigften angeftanden hätte fich ein 
fo freies Verbregen zu Schulden kommen zu laſſen. Andere Liegen 
fi) dagegen abweichend vernehmen, daß e3 jenem nicht an Grund 
gefehlt habe eine Jolche Unthat zu planen und zu vollbringen ; fie 
erzählten nämlid in den Wirthöftuben, Franciscus habe heimlich 
ven Plan verfolgt den Dalmafius durch feine Trabanten umbringen 
zu lafjen, dieſe aber jeien ergriffen und zum Qode verurtheilt 
worden, nachdem fie überführt geftanden hätten; ſelbſt dem Papſt 
jet das nicht verborgen geblieben und er habe daher feinen Haß 
auf Franciscus geworfen. Diefer aber habe ſich um dieſelbe Zeit aber— 


918 Achtes Bud. 


1312 mals mit feinen Anhängern auf Umtriebe wider Dalmafius in 
Ferrara gingelafien und ſomit nur das erlitten, was er jenem 
zugeracht. Dies und Anderes wurde in mancherlei Abweichungen 
in den Nahbarländern verbreitet und mit vielem fabelhaften Ge— 
ſchwätz ausgeftattet. Wer die Sache verftändig beurtheilt, wird 
daher jagen müffen, daß ſich nicht ficher ausmachen läßt, wo hier 
die Wahrheit Liegt. 





Neuntes Bud). 


1. Der Kaifer verläßt Tibur und betritt Tu8= ısı2 
cien. Nachdem der Kaifer, im Begriff Tuscten mit Krieg zu 
überziehen, deswegen vielerlei Erwägungen angeftellt und alles 
reiflih überlegt hatte, z0g er jeine Truppen aus Nom herbei, 
ordnete fie und verließ dann ohne Aufenthalt Tibur. Bon dort 
gelangte er auf weitem, beſchwerlichem Wege nad BViterbo t) und 
fiel jodann in das Gebiet von Perugia ein. Da er im voraus 
wußte, daß diefe Stadt ihm und den Seinen feindlid) jet, jo er: 
laubte er, unter Vermeidung der feften Plätze, den Seinen das 
Yandgebiet zu verheeren und ging mit großem Nachdruck vor, um 
die übrigen Tuscier in Schreden zu ſetzen, indem er wie em 
Raſender mit dem Schwerte dreinſchlug, und fich kämpfend den 
Weg bahnte. Ia, die Wuth der Franzofen und Deutjchen ver— 
ſchonte nicht die eigenen Anhänger, indem fie ſelbſt die Schlöſſer 
und Befitungen der Grafen von Marzano, obwohl diejelben der 
Sache des Kaiſers ergeben waren, Ihädigten und beläftigten: ohne 
Unterfchted fiel alles dem Feuer und Schwert zum Opfer. So 
309 der Raifer unter Berheerungen und Ausjchreitungen feiner 
Truppen nad Arezzo, wo er wie ein Bräutigam in feinem Braut- 
gemach aufgenommen und von der gefammten Menge der Ghibellinen 


1) Zuvor jedoch berüihrte Heinrich nochmals Rom. 


1312 


220 Neuntes Bud. 


freudig eingeholt ward. Während ſchon rings umher die Guelfen 
der Nachbarſtädte zitterten, mied er jeden Verzug und ließ, indem 
er jofort mit der Ausübung der kaiſerlichen Gewalt den Anfang 
machte, König Robert von Apulien durch ein Edict auf einen be— 
ftimmten Tag vorladen, unter Feſtſetzung einer Strafe, falls er 
nicht erſcheinen werde). 

2. Der Kaiſer verheert das Gebiet von Ylorenz 
und rüdt in die Nähe der Stadt. Eilends Tieß der Kaiſer 
die Adler aufheben, entfaltete die Oriflamme?) und rüdte in das 
Gebiet von Florenz vor, mo er die Häufer ausplündern und nieder— 
brennen ließ und alsbald die Burg von Mond VBardius?) fo 
Ihnell, daß die Einwohner fich faum hinein flüchten und in Schut 
begeben Eonnten, einſchloß. Die Beſatzung aber, durch fein uner- 
wartete Erfcheinen in jähen Schreden verſetzt und durch die plöß- 
liche Umlagerung feitens eines fo ftarfen und mächtigen Feindes, 
der fich bereits anfchicte die Burg zu ftürmen, außer Faſſung ge— 
bracht, hatte faum jo viel Geiftesgegenwart, um vechtzeitig zur 
Berathung zufammen zu treten. Ueberdies war man bier über 
das, was zu Florenz in diefer Gefahr geihah oder geplant wurde, 
völlig in Ungewißheit, da von dorther feine zuverläjfige Nachricht 
in die Burg gelangte, nad) der man fi) hätte richten fünnen. Unter 
diefen Umftänden erbat die überraſchte und verwirrte Beſatzung, 
welche auch der Stärfe der Feſtungswerke nicht traute, Sicherheit 
für eben und Gut, und überlieferte daraufhin gegen den Anfang 


Spt.15 de8 September 1312, die Burg dem Kater, welcher nach dieſem 


Erfolg wieder aufbrad und die Burg St. Johannis *) angriff, die 
fi) ihm, nachdem die fatjerlich gefinnte Partei unter den Einwohnern 
die Beſatzung verrathen hatte, auf der Stelle ergab. Man nahm 
hier vierzig Catalaniſche Keiter und jehszig Mann Yußtruppen 


1) Bielmehr erflärte Heinrih, daß er, falls Nobert nicht erfcheine, dem Verfahren 
gegen ihn feinen Lauf Laffen werde. — 2) Diejes Wort bezeichnet urjprünglich das Ban 
ner des Klofter8 St. Denis bei Paris, welches die franzöfifhen Könige zu führen pfleg= 
ten; hier ift iiberhaupt das Föniglihe Banner gemeint. — 3) Montevardi, im S.D. von 
Florenz, aus welcher Richtung der von Arezzo fommende Kaijer heranzog. — a) San 
Giovanni am Arno, etwa 3 Miglien unterhalb Montevardhi gelegen. 


* 


Der Kaifer verheert das Gebiet von Florenz x. 331 


gefangen. Die beunruhigende Kunde von diefen großen Erfolgen 
des Kaiſers erregte in Florenz zugleih Staunen und Entjegen. 
Jedoch benugten die Bürger die ihnen noch bleibende Zeit, um 
ihre Streitkräfte durch Aushebungen aus dem niederen Volke zu 
ergänzen und dieſelben zu oronen, und eilten dann dem Kaijer 
entgegen. Bei Ancıja!) machten fie Halt, um bier, ehe fie fid 
auf eine Schlacht einließen, ihre Vereinigung mit den Contingenten 
der zur Hilfe entbotenen Verbündeten aus Lucca, Siena und den 
übrigen Guelfenftädten zu bemwerfftelligen. Der Kaiſer aber, ſei e8 
in der Hoffnung auf innere Parteiungen in Florenz, oder in der 
Erwartung durch Handftreih die Stadt gewinnen zu fönnen, 
ſowie auch feinerjeitS von dem Wunfche befeelt, eine Schlacht zu 
vermeiden, brach auf und marſchirte auf Florenz zu, um in der 
Entfernung von einer Miglie von den Borftädten Halt zu machen 
- und ein Lager aufzufchlagen 2). Sofort fehrten jedoch auch bie 
Florentiner, durch dieſe gefahroolle Veränderung der Lage in 
Schrecken und Beftürzung verfett, in Eilmärſchen zurüd, Beide 
Parteien fuchten nun, fid) zu verftärfen. Zugleich aber war der 
Kaiſer darauf bedacht, durch Verheerung der Aeder und Zerftörung 
aller Gebäude rings um die Mauern die Leute in der Stadt, melde 
ſich auf nichts dergleichen gefaßt gemacht hatten, zu erjchreden und 
mit Entjegen zu erfüllen; die Florentiner bewährten jedoch in 
diefer Bedrängnis eine trefflihe, mannhafte und muthige Haltung 
ſowie die toskaniſche Verſchlagenheit, forgten für alles, waren auf 
ihrer Hut, entboten die auswärtigen Freunde, waren geſchäftig, 
machten die Runde um die Mauern, verftärkten Die Befeftigungen 
und ſchloſſen ſich unter einander durch neue Vereinbarungen und 
Cheberedungen feiter zujammen. Ya, was in Friedenszeiten in 
Florenz ſchier unglaublich geweſen wäre, ein Volksbeſchluß ſchlug, 
- um Gemaltthaten vorzubeugen, die vom Bolfe gegen die Bornehmen 
angeftvengten Proceſſe nieder und widerrief die Erlaſſe der tribuni- 


1) Sneifa am Arno oberhalb Florenz, etwa 7—8 Miglien unterhalb ©. Giovanni. — 
2) Bei der unten erwähnten Abtei von ©. Salvi am rechten Arnoufer öftlih von Flo— 
renz, welche jett einen Theil der öftlihen Vorſtadt von Florenz bildet. 


1312 


222 Neuntes Buch. 


eiſchen Gewalt.) AS man aber außerhalb Florenz vernahm, 
dag der Kaiſer gegen diefe Stadt hevanziehe und nähere Kunde 
hiervon die Städte Tusciens durchflog und aud nad) Bologna ges 
langte, da war der Eifer, mit dem die Behörden wie aud bie 
Einzelnen rüfteten, jo groß wie nie zuvor. Gemeinſam befeelte alle 
das ſtürmiſche Verlangen, diefen, der ihnen nicht als Kaiſer oder 
römiſcher König, ſondern als Feind des Menjchengefchlechtes erſchien, 
zu verjagen, ihn nicht nur von Tusciens Örenzen zu entfernen, 
fondern ihn zu Lande und zu Waſſer zu vernichten. Ohne Säumen 
eilten ferner aus Lucca Stena Perugia Città di Caſtello Volterra 
San Gimignano?) Colle Piſtoja Bologna, aus der Nomandiola 
und den abhängigen Orten Reitergeſchwader und Fußtruppen herbei, 
ſodaß die Mauern von Florenz diefe Maſſen faum in ficy zu 
halten vermochten. Nur fleine Bejagungen blieben zum Schub 





der einzelnen Ortſchaften zurüd. Der Kaifer rief jett feine weit - 


umberfchweifenden Truppen vom Sengen und Brennen ab, bradite 
fie insgefammt in einem Lager unter, welches ev mit Gräben um- 
gab, und ſchob feine Verſchanzungen bis dicht an die Vorſtädte 
vor, ſodaß das Waffengeklirr und das Wiehern der Pferde in die 
Stadt Hinübertönte. Vom Klofter von ©. Salvi an erjtredten 
fich ſomit die kaiſerlichen Verſchanzungen bis faſt an die legten 
Häufer von Florenz heran; weder Mufellum?) noch Scarparta *) 
noch ein anderer Zugang zur Stadt von Oſten und Norden >) her 
war unbefegt und fonnte benutst werden, der Stadt Verſtärkungen 
zuzuführen. Um dieſe Zeit erlitt aber der Anhang des Katjers 
eine neue Niederlage. Die Pifaner nämlich führten, in der Ab: 
fiht die Florentiner zu befeinden, ihr Heer gegen eine Florenz 
gehörende Burg in der Nähe von Pifa und umlagerten dieſelbe, 


1) In dem vollftändig demofratifchen Florenz waren fonft die Adeligen manden Un— 
bilden jeitens des Volkes ausgejegt. — 2) Dafür lieft eine Handidhrift San Miniato, — 
3) j. Barberino di Mugello an der Straße von Florenz nad) Bologna. — 4) Wenig 
dftlih von Barberino. — 5) So glaube ih für „Süden“ (meridies) leſen zu müſſen, 
denn das Lager des Kaifers umfpannte, wie die angegebenen Orte und die Berichte an— 
derer Quellen zeigen, die Stadt im Often und Norden; der Süden jedodh, die Gegend 
jenfeit de3 Arno, war unbejegt. 


Der Kaiſer verheert das Gebiet von Florenz ꝛc. 293 


um einen Theil der Truppen von Slovenz abzuziehen oder um die 
genannte Burg zu breden und dann San Miniato !) anzugreifen 
und jo die vereinten Kräfte der Florentiner abzulenken und zu ver: 
mindern. Der florentiniihe Marſchall Dego ?) aber brach mit 
etwa taufend vollgerüfteten Keitern und eben foviel Fußvolk bet 
Nacht auf und fiel no vor Tagesanbruch gänzlich unerwartet 
über das Lager der Piſaner her. Ueberrafcht konnten diefe kaum 
zu den Waffen greifen umd eine große Zahl von ihnen wurde noch 
in den Zelten erichlagen, die übrigen wandten fi ohne Wider- 
ſtand zur Flucht. Die Verwirrung der Berittenen war freilich, 
geringer: fie entflohen ſchnell in die Pifa benachbarten Landſtädte. 
Die Sieger aber richteten ein großes Blutbad an und hieben jeden 
nieder, den fie erreichen Eonnten. Alle nämlich hatten fich mit 
Preisgebung des Lagers zur Flucht gemandt und nur fliehend wurden 
fie erichlagen. Es fielen an dieſem Tage ſechshundert Piſaner und 
‚ etwa ebenjo viele geriethen in Gefangenſchaft. Bahnen, königliche 
Feldzeihen und viel Kriegsgeräth nebft den Zelten und dem Stand- 
lager, welches von erheblihem Werthe war, wurden nad) Florenz 
gebracht. Und um diefelbe Zeit, nämlich um den Anfang Oftober, 
ſenkte fich kurz vor Tagesanbruch 3) von der Abendſeite nordwärts 
unter der Deichjel des Dchjentreiber8 *) ein den Künigen unheil- 
verheigendes Zeichen durch die Luft abwärts, nämlich ein feurig 
glühender Comet, welcher mit gemaltigem Glanze das Angeficht der 
Erde erleuchtete, aber in etwa anderthalb Stunden verbrannt und 
aufgezehrt wurde. Sein flammender Körper war gebogen und lief 
weitwärtd in einen langen Schmweif aus, mit gewundener und nad 
oben gekrümmter Spite. Nach der anderen Seite mar er breiter, 
der nach Nordweſt gemandte Schmweif aber kürzer. Inzwiſchen 
fiherten die Florentiner, um fernere Beutezüge des Faiferlichen 
Kriegsvolfes zu verhindern und demſelben auch die Berprovian- 


1) Im Südweſten von Florenz; etwa gleihweit von diefer Stadt wie von Pifa 
entfernt. — 2) Diego della Ratta f. o. — 3) ante Luciferum. — 4) Bootes, der Ochſen— 
treiber, der Führer des großen Wagens, auch Arctophylar (Bärenhiter) genannt, Stern- 
bild in der Nähe des großen Bären. 


1312 


77 


Okt. 


1312 


— 


224 Neuntes Buch. 


tirung aus dem Gebiet von Arezzo unmöglich zu machen, die Burg 
von Fefulä!) und die Kirche von San Miniato in Monte?) ſowie 
die am Hügel von Kipolis ?) belegenen Burgen der Söhne des 
Petrus Benincafa durch Beſatzungen, beobachteten von diefen Punkten 


aus das Faiferliche Heer und Liegen ſich mit den umherjchweifenden 


Truppen defjelben häufig in ungeftüme Gefechte ein. Mande von 
diefen find des Aufzeichnend nicht unwerth. Brancharolus von 
Eugubium *), ein piſaniſcher Söldnerführer, war verheerend in die 
Fandereien von DVolterra eingefallen. Auf ihn traf Belaqua de 
Bicecomitibus, welcher gerade mit einer Reiterſchaar und einigem 
leichtbewaffnetem Fußvolk zum Schute dieſer Yändereien auszog, er= 
ſchlug in ungleihem Kampfe den überrafchten Brancharolus, welcher 
weniger Truppen zählte, und warf die Seinen in die Flucht, wobei 
dreiundneunzig (darunter vierunddreißig DBerittene) fielen und zwei— 
undfünfzig Ohibellinen gefangen genommen und nad) Florenz ges 


. bracht murden. Faft gleichzeitig hiermit, um den erſten Dftober, 


braten die florentiniihen Söldner hundertundfünfzig Laften Ge: 
treide, welche von Arezzo unter einer Bedeckung von zmweihundert 
Mann herbeigeführt wurden, auf, nachdem fie jene Mannſchaft 
zeriprengt, dreiundſiebenzig gefangen und jechzig getödtet hatten, 


Bernardinus de Polenta ferner zog mit achthundert Berittenen 


und zweitaufend Fußgängern das Thal des Arno aufwärts und 
griff Die won einer faiferlihen Beſatzung beſchützte Feſtung Leccium ?) 
an, welche fich beim erften Angriff dem Bernardinus ergab und 
fofort von den Florentinern befeftigt wurde, um Truppen und Zu— 
fuhr den Weg zum Lager des Kaiſers zu verlegen. Bernardinus 
führte feine Truppen jodann ohne Verzug gen Ancifa, griff das— 
jelbe an, gewann durch freiwillige Ergebung den Thurm des 
Bandinellus, welcher auf der Brüde von Ancifa errichtet mar, und 
befeftigte denjelben als Schugwehr wider die Veſte. Dod blieb 
er dort nicht Liegen, ſondern eilte in der Naht nad Gangare— 


1) Fiefole, nördlic) von Florenz. — 2) Eine Heine Strede füdlidy von Florenz. — 
3) 3: Bagno a Ripoli füdöftlid von Florenz. — 4) D. i. Gubbio. — 5) Leccio, ein 
Paar Miglien ftromabmwärt3 von Inciſa. 





Rückzug des Kaiſers aus der Nähe von Florenz cc. 225 


tum ), wo er, von den Grafen von Salvattcum und von Batıfole, den 
Angejehenften in diefem Theil des Thales, begünftigt, ſich mit feinen 
Keitern und Fußtruppen einjchloß, um die hier vworbeiführende 
Strafe zu beherrihen, damit hier dem Kaifer feine Hilfstruppen 
heranzögen. Durch diefe Angriffe wurden die Wege zum Raifer 
auf allen Seiten gejperrt, mit Ausnahme des Weges durch die 
cafentiniiche Landſchaft?), welcher ſchließlich den einzigen Zugang 
bot. Denn auch die Engen und Hügel von Mufellum hatten die 
Slorentiner dur die Wiedereinnahme von Burgium, welches dem 
Reihe anhing, gefihert. Dazu fam noch, daß ein unermwarteter, 
jehr widerwärtiger Unfall die Kaiſerlichen betraf. Als nämlih um 
diejelbe Zeit ?) Neiter und Fußvolk wie gewöhnlich zum Arno ges 
zogen waren, trat in Folge nächtliher Regengüſſe eine plötzliche 
Ueberſchwemmung ein, welche ihnen den Rückweg zum Lager ab— 
ſchnitt. Während fie nun hin und ber eilten und vergebens nad) 
Furten ſuchten, Tiefen die Florentiner, von ihrem Unfall unter= 
richtet, Schnell herbei und befesten die Furten. Sp ward ein großer 
Theil von jenen erichlagen; Andere verunglüdten in den Fluthen, 
noch Andere hatten fic in die Mühlen geflüchtet, welche dort für 
das fatjerliche Heer arbeiteten und zufällig von der Ueberſchwemmung 
verihont geblieben waren, und verbrannten nebft dieſen Mühlen 
in Häglicher Weile, ſodaß dieſer traurige Unfall im Ganzen drei- 
hundert Menſchen das Leben Eoftete. 

3. RüdzugdesKaijersausderNiähevon Florenz 
und Berwüftung der Landſchaft. Unter vem Drud folder 
und anderer Drangjale beſchloß der Kaiſer, als bereitS die Ver- 
proviantierung unterbrochen und zum Eſſen fein Fleiſch von jolchen 
Thieren, die man unter gewöhnlichen Umftänden zu verzehren pflegt, 
mehr vorhanden war, ſodaß fih die Truppen bereits von 
Pferden und Yaftthieren nähren mußten, das Heer auf Das andere 

1) Gangheroto, Name eines (jett zerftörten) Caſtells im oberen Arnothal und Be— 
zeichnung der Umgegend. — 2) Cassentino (ager Casentinus) ift eine fleine Landſchaft 
am oberen Arno, deren wichtigſte Orte Camaldoli und Valombrofa find. — 3) Der 
Zert hat in VI eas Kalendas. Ob daS foviel heißen ſoll als ante diem VI Kalendas 


[Oct.], wage ich nicht zu entjcheiden. 
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrich VII. 15 


1312 


1312 


Nov. 1 


226 Neuntes Buch. 


Ufer des Arno zu führen. Nachdem er, damit ihn auf dem Marſche 
fein Unfall treffe, insgeheim Alles vorbereitet und feine Schlacht: 
haufen neu georonet hatte, brach er plötzlich ohne Hörnerſchall auf 
und bewerfitelligte noch vor Tagesanbruch am erften November !) 
den Flußübergang, ohne von den Feinden irgend welche Verfolgung 
zu erleiden. Bon dort marjchierte er das Thal der Ema ?) ab- 
wärts 3) bis zum Pond Arıs*) und machte, als es inzwilchen Tag 
wurde, Drei Miglien von der Stadt entfernt Halt. In früher 
Morgenftunde erfuhr man in Florenz von der Bewegung des 
Gegners; und als das Gerücht auf den Gaſſen, auf den Plätzen 
und in den PVerfammlungshäufern immer weiter verbreitet ward, 
erſcholl plöglih überall der Auf: Zu den Waffen! Die Führer 
riefen Durch wiederholte Glodenfignale die Truppen auf den Markt 
zufammen und hingen die Sturmfahne aus, doch konnten fie erſt, 
als es vollends Tag geworden war, die Schaaren geordnet aus 
den Thoren führen. Das gemeine Volt aber wie aud) Die Truppen 
ließen mannigfache Klagen laut werben und bejchuldigten die Führer 
der Feigheit oder gar des DVerrathes, daß fie entweder ohne es zu 
wifjen oder vielleicht gar mit Vorwiſſen verbvecheriicher Weile den 
Kaiſer To hätten entfommen laſſen. Schon am geftrigen Tage habe 
man die deutlichten Zeichen des beworftehenden Aufbruch wahr— 
genommen; dieſer jei daher nicht jomohl durch Nachläſſigkeit er— 
mögliht worden, als vielmehr durch Begünftigung des Kaiſers— 
Solches mannigfaltige Gerede verhinderte das Volk beinahe die 
Schlachthaufen zu formiren. Endlich aber ſchlug man mit ges 
jammter Macht die Richtung ein, in welcher, wie man wahrge— 
nommen, der Kaiſer abgezogen war. Als man nad Margarita, 
anderthalb Miglien von der Stadt, gelangt war, wurde das Heer 


1) Der Kaifer jelbft giebt in einem Schreiben an Pifa für feinen Aufbrud den 
31. Dft. an. — 2) Diefer Fluß mündet bei Galuzzo in den Greve, welcher faft unmit- 
telbar unterhalb Florenz dem Arno von Süden zuftrömt. — 3) Der Kaifer nahm alfo 
feinen Marſch zuerft ſüdwärts, bis er die Ema etwa an der Stelle erreichte, wo fie ſich 
nad Weiten wendet, um dem Greve zuzuftrömen, jodann folgte er ihrem Laufe ebenfalls 
in weſtlicher Richtung bis zu ihrer Miindung. — 4) Ponte dell!’ Asfe, Brücke iiber den 
Greve. 





Rückzug des Kaifers aus der Nähe von Florenz x. 2237 


zufammengezogen und Späher vorauögefandt, um den Mari und 
die Haltung des Kaiſers zu erfunden. Diefe meldeten nachdem fie 
ausgefhaut zurüd, ver Kaiſer ftehe, zur Feldſchlacht bereit, am 
Pond Arxis mit jechszehnhundert Berittenen und achttauſend Mann 
Fußvolk. Sie fügten hinzu, daß weit und breit zwei Miglien in 
der Runde die Burgen und Häufer der Florentiner in hellen 
Flammen ftünden. Dies war dem florentinifchen Heere nicht mehr 
unbefannt, da dichte Kauchwolfen und zum Himmel jchlagende 
Flammen es jedem verfündigten. Die muthoolle Haltung des 
Kaiſers dämpfte den prahleriichen Kampfeseifer der Florentiner und 
ihrer Berbündeten in dem Grade, daß fie, obwohl es bei ihrer 
dreifachen Uebermacht an Reiterei und der unzähligen Menge ihres 
Fußvolks auf dev Hand lag, daß der Katjer ihnen nicht die Stange 
halten konnte, voll Schred es nicht über fich gewannen in die Ebene 
hinabzufteigen, und fie fiherlih ganz aus der Faſſung gebracht 
worden wären, wenn die Natur der Gegend e8 dem Raifer ver- 
ftattet hätte zur Schlacht anzurüden. Anftatt deſſen jedoch 309 ſich 
der Kaiſer mit feinem Heere ein wenig zurüd, marjchterte das 
Emathal aufwärts weiter und ſchlug drei Miglien von der Stadt, 
da wo e8 Santa Maria in Paneta !) heißt, fein Lager abermals 
auf. Hier verweilte er, indem er die Gelegenheit zur Erholung 
und Stärfung benuste, einen Tag mit der darauf folgenden Nacht 
und berieth mit feinen Fürften, wie und wo er die Florentiner 
am empfindlichjten ſchädigen könne. Dann brach er auf und brannte 
von Porticus ?) bis Marzalta ?) im ganzen Vallis Gravıs +) und 
von Zurris?) bis Duadrantula ©) weiter von Baldepeta ”) bis 
St. Romulus®) und nicht minder bei Mond Spertuli?), Billa 


1) Wohl daS jegige Impruneta, zwiſchen Ema und Pefa, etwa 4 Migl. von Flo— 
renz. — 2) Klojter nahe Galluzzo. — 3) Marcialla, im Bald’ Elſa öftlich von dieſem 
Fluſſe, nördlich von Barberino. — 4) Bal di Greve. Greve linker Nebenfluß des Arno 
mündet wenig unterhalb Florenz. — 5) Gemeint ift wohl der Ort Torre am PVirginio, 
Nebenfluß des Peſa. — 6) Ouarantola, im Bal di Peſa. — 7) Soll wohl Bal di Peſa 
heißen. Der Peja ift der nächte größere Nebenfluß, den der Arno nah dem Greve von 
Iint3 aufnimmt. — 8) Ein San Romolo liegt zwiſchen Greve und Peja, wenig jitdlich 
bom Arno. — 9) Montefpertoli zwiſchen Peja und Eljfa. 
1} in" 


1312 


1312 


228 Neuntes Bud). 


Pogna und in dem Landdiſtrikt von St. Yazarıs?), alle Dörfer 
und Flecken, welche nicht durch Befeftigungen geſchützt waren, nieder. 

4. Lager des Kaijers bei San Caſciano. Endlich 
gelangte der Kaifer, der jedem zu behalten erlaubte was er er 
deutet, ohne Widerftand ſeitens der machtlofen Ummohner nad 
dem Flecken Caſcianum, etwa fieben Miglien von Florenz ?). Hier 
ließ er feine Schaaren ſich erholen und an der fetten Beute fich 
nad Luſt bereichern und ſchickte dann durch die Berge wie auch 
über die Ebene hin feine Abtheilungen aus, während ringsum 
Alles von den flüchtenden Einwohnern verlaffen war. Nichts that 
den Sengen Einhalt und die überall heroorbrechenden Flammen 
gewährten den befiegten Florentinern ein trauriges Schaufpiel. 
Dieſer Tag ſchien fih für den Katfer froh zu geftalten, doch wor 
Sonnenuntergang nod tauchte Das unbeftändige Gefchie die Rollen. 
Als nämlic eine Abtheilung verbannter Florentiner nebft Ghi— 
bellinen 3) und Weißen von Arezzo und Deutichen, durch die legten 
Erfolge verleitet, bejonders auch auf Anregung ded Vanni Barbaro: 
dus und der Söhne des Sclata de Albizo *) fid) verheerend Florenz 
genähert und bei dem Kreuze von St. Gadium, zwei Miglien von 
der Stadt, das Aolerbanner entfaltet hatte, ftieß fie auf eine Ab- 
theilung Späher, die aus der Stadt famen, um zu erfunden, wo 
der Kaiſer Halt gemacht hätte. Sofort trafen die Schaaren in 
aufgelöften Gliedern auf einander und es entjpann ſich ein blutiges 
Handgemenge, doch wurden die Verbannten, melde durch das uns 
verhoffte Zufammentreffen in Schreden gerathen maren, da toll- 
fühne Berwegenheit fie verleitet hatte ſich weiter vorzumagen als 
die im Kriege gebotene Vorficht geftattet, unter großen Verluſten 
in die Flucht getrieben. Bon Lanzenreitern fielen etwa Hundert, 
während fünfzig in Gefangenſchaft geriethen, darunter eine große 
Zahl Edler, welche fpäter um hohes Löfegeld von den Giegern 
zurüdgefauft wurden. Einer von ihnen aber, Griffus de Lignaria, 


1) Diefe beiden Orte nahe Marcialla. — 2) Im Süden von Florenz, zwifchen Greve 
und Peſa — 3) Wohl fo zu Iefen für Guelfis, was der Tert bietet. — 4) Schiatta de’ 
Albizzi. 


Lager des Kaijers bei San Caſciano. 229 


welcher, der peinlichen Frage unterworfen, eine Verſchwörung ver= 1312 
vieth, vermitteld deren er, wie er befannte, innerhalb und aufer- 
halb der Stadt mit einer großen Reihe von Bürgern und Bauern 
einen Aufftand zu Gunften des Kaiferd zu Wege zu bringen be- 
müht war, wurde, an den Schweif eines Eſels gebunden, zum 
Galgen geſchleppt und aufgehängt. — Sobald num die Floventiner 
erfundet hatten, daß der Kaiſer feine Truppen bei Caſcianum 
zufammengezogen und ſich dort gelagert habe, ſandten fie voll Eifer 
den Carrocius, einen Catalanen, mit Soldtruppen und einer floren= 
tiniſchen Abtheilung aus dem Quartier jenſeits des Arno ſowie 
mit Hilfstruppen aus Siena nad dem Valdelſa um die Burgen 
und Flecken diefer Gegend zu fichern, mit dem Auftrage, wie e8 
Die Natur der Gegend erfordere, an alle wichtigen Punkte Be- 
jagungen zu legen. AS fie nun auf dem Marche nach ihrem 
Beftimmungsort durd) Kundihafter in Erfahrung gebracht hatten, 
Daß der Kaiſer am folgenden Tage mit feinen Schaaren die Be— 
ſtürmung von Podium Bonict!) verfuchen wolle, kamen fie ihm 
zuvor und brannten den Ort vollftändig nieder, nachdem jie alles 
bewegliche Gut, ſoviel fie konnten, in ihr Lager gebracht hatten. 
Während dergeftalt die Gegner einander immer größeren Schaden 
zufügten und der unerbittliche Krieg Alles in Wuth und Ber: 
nihtungsluft umgewandelt zu haben ſchien, erhielt man in Florenz 
die Nachricht, daß bereitö der Graf Novellus, der Schwager König 
Roberts von Apulien, Thomas de Marzano und Gibertus de 
Santillo Graf von Nomaniola mit fünfhundert Reitern nad) 
Siena gelangt feren, um fofort nad) Florenz aufzubrechen. Als 
Dies zur allgemeinen Kenntnis fam, forberten die Genofjenihaften 
des DVolfes 2) erhöhten Muthes, während auch Die Bürger jhon 
von dem leidenſchaftlichen Wunjche bejeelt waren unter allen Um: 
fanden eine Entſcheidungsſchlacht mit dem Kaiſer herbeizuführen, 
ſtürmiſch daß der Senat zufammentrete und die Schlacht nicht 


| 1) Poggibonfi an der oberen Elja an dem Punkte, wo die Straßen Florenz-Siena 
und Pija-Siena zufammentreffen. — 2) plebejae societates, es find wohl die Zünfte ges 
meint, die iu Florenz befanntlich eine große politiihe Bedeutung hatten. 


1312 


230 Neuntes Bud). 



































länger verjchoben werde, als bis man durch die Hilfsichaaren des 
Königs von Apulien feine Macht verftärft habe und nad Heran— 
ziehung derjenigen, welche in der Umgegend ftreiften T), mit wer= 
einten Kräften fampfen fünne. Der Senat trat zujammen und 
Ihloß ſich einftimmig diefer Anſicht an. Inzwiſchen hatte der 
Raifer in Caſcianum Meberfiuß an Lebensmitteln jeder Art, 
alle Borräthe ftanden ihm in üppigfter Fülle zu Gebote, nur 
Tieferten die Quellen wegen der regenlofen Jahreszeit nicht Waſſer 
genug. Zwar reichten fie für den Bedarf der Menfchen aus, die 
Thiere aber fanden in den ausgetrockneten Flußbetten fein Waſſer, 
welches vielmehr unter großen Gefahren aus den entlegenen Thälern 
von Gantum?), Granı83), Ultrarnum ), Barberinumd) und 
St. Donatus in Podio ©) (fo nämlich heißen jene Gebirgsthäler) 
dem Lager zugeführt merden mußte. Um diejelbe Zeit unterwarfen 
ſich florentiniſche Edle aus den Familien der Gerardini, Caval- 
cantes, Jan-Donati und jehr viele andere, deren Yandereien, Burgen 
und Beſitzungen dem Kaiſer bereitS in die Hände gefallen maren, 
diefem und vereinigten ſich mit den Verbannten und Weißen zur 
äußerſten Bekämpfung der Stadt und zum Verderben der Bürger 
in derfelben. Und damals gerieth die viele Jahre in hödhfter 
Blüthe ftehende Stadt, deren Würde und Großmächtigfert, welche 
in gleihem Maße wie das Selbftgefühl der Bürger geftiegen war, 
die übrigen Gemeinden gleichſam als dienende ftreng in Abhängigfeit 
und Gehorfam erhielt und melde die Völker Galliens, Germanienz, 
Liguriens, Illyriens, Apuliens, Siciliens, Aragoniens, Hilpaniens 
und der geſammte latiniſche Name als Haupt Italiens verehrten, 
durch dieſe plötzliche Bedrängnis ind Wanken, gleichſam in Folge 
ihrer eigenen Schwere, indem Diejenigen einander mistrauten und 
fi fpalteten, die einft mit einander gleichen Ruhmes voll auf gel 
meinjame Erfolge geftüst emporgefommen waren. O menſchliche 

1) Dies fcheint der Sinn der Stelle zu fein; der Tert ift hier offenbar arg corrumslT° 
pirt. — 2) Chianti ift die Landichaft, in der die Gebiete von Florenz Arezzo und Siena 
zufammenftoßen. — 3) Greve an der Duelle des gleihnamigen Fluffes. — 4) Muffato 


Ultranensis, wohl die Gegend jenfeit (öftlih) des Arno (Oltr' Arno). — 5) Zwiſchen 
San Caſcianum und Poggibonfi. — 6) San Donato in Poggio nahe der oberen Peſa— 


Lager des Kaiſers bei San Caſciano. 231 


Natur, o unfeliges Geſchick! Wo ift (menn id) jo reden darf) dein 1312 
Glück von geftern? Did jelbft fürchteſt du, in dir ſelbſt wanfft 
du; mistrauiſch gegen dich ſelbſt wagft du jogar den Mauern kaum 
zu trauen und hältft dich in ihnen nicht für fiher. Du fürchteſt 
den deutjchen Feind, den du jo oft gering geachtet, jegt da er dich 
aus nächfter Nähe bebroht, während du bisher die leichtfinnigen 
Gemüther der Deinen, welche jede erwünſchte Nachricht gläubig 
hinnehmen, an Freuden und Ergöglichfeiten großgezogen haft. Doch 
ihäme did) deshalb nicht, die bu, des Kommenden unfundig, fo 
lange ſchmeichelnd vom Glücke umkoſt warft. Das ift eben das 
Spiel des Geſchicks! Und, bei Gott! eine beſſere jelbit als du 
brauchte ſich eines ſolchen Gegners nicht zu ſchämen. Denn, ſchau 
bin, wer ift e8? Der Kaiſer! Und was für ein Kaifer? Der 
Held des Weltkreifes! — So ſprach Mancher in feiner Bedrängnis 
zu ſich, wenn in den Hallen und Fäden Schmähungen und Schimpf= 
reden ertönten. Schon mäfigte man“ fich jedoch in den Aeußerungen 
über den kurz zuvor noch unverhüllt vwerabjchenten König. Bei 
alledem waren die Florentiner noch ungebrochen in ihrer Kraft 
und zur VBerfühnung um fo weniger geneigt, als fie den Zorn des 
ſchon beleibigten Königs und die Rückkehr der Berbannten fürditeten. 
So trieb der äußerſte Nothftand, der feinen anderen Weg der 
Rettung aufwies, fie an, für die Aufrechterhaltung der überlieferten 
Zuftände Alles aufzumenden. Auf den Kampf allein jegten fie 
ihre Hoffnung, mit dem Schwerte meinten fie die Entſcheidung 
herbeiführen und durch die That erproben zu müffen, welcher Theil 
für die gevechtere Sache ftreite. — Auf der anderen Seite, im 
Lager des Kaifers, zeigten die ehemals aus der Stadt Berbannten 
ſich in ihren Aeußerungen nicht minder erregt, doch waren fie im 
Bemußtjein der biäherigen glänzenden Erfolge fühner und aus- 
ſchweifender; auch hatten fie noch dringendere Gründe, die Ent— 
ſcheidungsſchlacht herbeizumünfchen, denn dies war die legte, nie 
wieder einzubringende Gelegenheit, die Gott und das Geichtd ihnen 
gewährte, die Vaterftadt zur gewinnen und an den heimijchen Herd 
zurüdzufehren; dieſes eine Ereignis mußte über ihr ganzes Gejchid 


232 Keuntes Bud). 


1319 entſcheiden; fein anderer Weg ftand ihnen offen; ſchlug es ihnen 
jetst fehl, jo war das fernere Leben eine Laft für fie und der Tod, 
wenn fie ihn jest fanden, lediglich das Ende ihrer Leiden. Dazu 
Ihäumten fie in der Begierde alte und neue Unbilven zu räden 
und klagten jchon bitter, daß der Kampf immer nod) verzögert 
werde. — Aud in den übrigen Gemeinweſen Italiens waren die _ 
Erregung, das leidenſchaftliche Treiben und die Zudungen nit 
geringer. Alle richteten ihr Augenmerk auf Florenz, als ob hier 
auch für fie die Entſcheidung fallen würde, und verftärften inzwiſchen 
auf jede Weife, die ſich ihnen darbot, ihre Partei, ſchickten von 
Staatswegen wie auch im Namen Einzelner Gefandtihaften, erbaten 
Hilfe und machten Verſprechungen. Indem nämlich ein Jeder 
glaubte, daß bei den Ereignifjen von Florenz fein eigenes Intereſſe 
mit ind Spiel fomme, mar er bemüht, fein Möglichftes zu thun, 
damit der Ausgang des Kampfes zum Vortheil der Partei gereiche, 
ver feine Wünfche und Gebete galten. Mannigfach dem verjchte- 
denen Parteiftandpunft entfprechend waren die Gelübde, die zum 
Himmel ftiegen. Denn die allgemeine, überall verbreitete Anficht 
unterwarf es feinem Zmeifel mehr, daß das Geſchick der Welt jett 
auf das Zünglein der Mage geftellt ſei: werde der Würfel Des 
Geſchicks jet dem Kaiſer den Steg zuweilen, jo werde dieſem die 
Weltherrichaft zufallen. — 

Inzwiſchen zog Das gefammte Heer der Pijaner, mit großen 
Laften an Kleidung, Häuten, Gefchofien, Waffen und Kriegsgeräth 
aller Art beladen, nach Yegolis, einem florentinifhen Dorfe!), in 
der augenfcheinlichen Abficht, die Katferlichen zu verproviantteren und 
zugleich den Florentinern einen Schred einzujagen und deren Auf- 
merkſamkeit vom Katfer ab und auf fich zu Ienfen. Als jie num 

Nov.20 um den 20. November von dort aus dem Kaifer ihre Vorräthe 
nad St. Caſcianum gebracht hatten und mit gegen fünfhundert, 
mit großer Beute, welche das Zaiferliche Kriegsvolk in den Dörfern 
und Feldern der Florentiner gemacht, beladenen Eſeln, geleitet von 

1) Set zur Provincia di Pisa gehörig. Legoli liegt im Flußgebiet der nicht weit 


oberhalb Pija’3 von Süden her in den Arno mindenden Era. 


%- 





Lager des Kaiſers bei San Caſciano. 233 


einem: flandrifhen Kriegsoberften, einem Ritter des Grafen von ı312 
Flandern, nebſt einer deutſchen Abtheilung des kaiſerlichen Heeres, 
etwa Hundert und fünfzig Flandrern, zweihundert Bertttenen und 
ſechsſshundert Mann Fußtruppen und Yeichtbewaffneten aus Piſa, 
heimzogen, wurden fie von Carrocius, dem Führer der Catalanen, 
und Zecla!) de Friscobaldi8 mit Truppen der Bundesgenofjen 
von Florenz, welche in Caſtrum Florentinum?) als Beſatzung lagen, 
im Ganzen hundert und zwanzig Berittenen und dreihundert Fuß— 
gängern, mit großer Wucht angegriffen und die Pifaner ſofort ın 
die Flucht geichlagen. Der Flandrer aber mit der füniglichen 
Schaar nahm den Kampf auf, und unter heftigem Zuſammenſtoß 
wurde eine fir beide Theile blutige Schlacht geliefert. Nachdem 
man im Anprall gegen einander die Lanzen zerbrocden, focht man 
im Getümmel des Handgemenges mit den Schwertern. Faſt andert- 
halb Stunden dauerte der entjetliche Kampf. Endlich brachte es 
das Kriegsglück mit fich, daß dem Flandrer das Pferd, auf welchem 
er ritt, erftochen wurde und er ſelbſt jäh zu Boden ftürzte In 
Folge hiervon wurden die Königlichen in blutigem Gemegel nieder— 
gemacht; der Anführer fiel Yebend mit dreißig Nittern, feinen Ge— 
nofien, in Gefangenschaft, die übrigen wurden erſchlagen. Mit 
ihrer Gefangennahme aber hörte das Blutvergiegen nicht auf. Denn 
die Steger machten auf die zerftreuten Pifaner, welche flüchtig und 
voll Schreden durch die Gefilde iriten, Jagd; und da, um das 
Map ihrer Beftürzung voll zu machen, nun aud) aus St. Mintate °), 
Caſtrum Florentinum und den umliegenden Dörfern die Bauern 
über fie herfielen, wurden fie faft ohne Ausnahme gefangen oder 
erſchlagen. Eine fette Beute von fünfhundert Laſten wurde ihnen 
entrifjen und nad Caſtrum Florentinum und in die übrigen Städte 
gebracht, wie gerade ein Jeder dies oder jenes aufgegriffen hatte. 
Fünf Feldzeihen nebft dem flandrifchen Banner wurden als Tro— 
phäen nach Florenz gebracht und im Palaft der Prioren aufgehängt; 
gleichzeitig ward aucd zum großen Jubel der Einwohner der Anz 


1) D. i. Tegahin. — 2) D. i. Caſtel Fiorentino an der Elſa. — 3) D. i. Sam— 
miniato. 


234 Neuntes Buch. Lager des Kaifer bei San Caſciano. 


führer mit den übrigen Gefangenen dorthin gebracht. Won den 
Florentinern aber und der übrigen Mannſchaft des Carroccus 
waren fünfundzwanzig getöbtet, Carroccius jelbft mit etwa vierzig 
anderen ſchwer verwundet. 

Diefen glüdlichen Erfolg, der fich ihnen dergeſtalt darbot, 
bejchlofjen der Rath und die Führer der Guelfen von Florenz, 
welche fich von Gott und dem Glücke begünftigt Jahen, auszubeuten und 
von allen Seiten die verbündeten Gemeinden zum letzten Entſcheidungs⸗ 
fampfe herbeizurufen, nämlich die Aufforderung ergehen zu laſſen, 
Daß jede Gemeinde die Truppenzahl, zu der fie fich vorher erboten, 
nad) Florenz jende, Stena nämlich achthundert Berittene, fünftaufend 
Fußgänger; Lucca achthundert Berittene, zehntaufend!) Fußgänger; 
Bologna vierhundert zu Roß, zmweitaufend 2) zu Fuß; Perugia 
fünfhundert zu Roß, zweitaufend zu Fuß; Eitta di Caftello fiebzig 
zu Roß, fünfhundert zu Fuß; Gubbio von jeder Art hundert, die 
Romandiola dreihundert Berittene, viertaufend Mann Fußvolk; 
Prato, Piſtoja und Samminiato follten hundert Keiter, taufend 
Fußgänger jenden; Florenz jelbft endlich Hatte zmölfhundert Bes 
rittene und fünfzehntaufend Mann Fußvolk zu ftellen. 


1) So die meiften Handſchriften; eine aber Yieft zweitaufend, eine andere fünfzehn- 
taufend. — 2) Nach einer Handſchrift viertaufend. 





Zehntes Buch. 


1. Wunderzeihen. Trevifo wird ite 
Ende dieſes Jahres, nämlich am 14. December, wurde die geſammte Der. 14 
Menfchheit durch eine wunderbare Mondfinfternt® erichredt, bei 
melher der Mond eine blutrothe Farbe annahm, ein Umftand, 
welcher, wie die Wahrjager urtheilten, Blutvergießen anfündigen 
jollte. Folgendes aber wurde für jchreklih und überaus wunder— 
bar gehalten, daß dieſe bluthrothe Farbe den Mond, der kurz nach 
der Morgendämmerung aufging, von Norden ber überſchattete, ihn 
allmählich vollftändig bevedte und ihn bis zur dritten Stunde des 
Tages, volle vier Stunden hindurch, bevedt hielt. — 

Während nun der Kaiſer bei San Caſciano Yagerte, fam e8 
in der Treviſaniſchen Mark zu neuen Bewegungen. Vecelus de 
Camino nämlih, auf welden, als auf den jüngeren Sohn des 
verftorbenen Gherardus, nad) dem jähen Tode feine Bruders 
Richard, wovon oben die Rede war!), die Herrichaft über die Stadt 
Trevifo übergegangen war, hatte den Vertrag, welchen fein Bruder 
mit dem Kaifer eingegangen war, gelöft und ſich mit Padua vers 
bündet, und befriegte als eifriger Guelfe mit den Paduanern zu— 
jammen und mit ihnen auf Tod und Leben vereint Canis della 
Scala. Bald aber änderte er feinen Vorſatz und begann, nachdem 
er die Machtverhältniffe der Paduaner fennen gelernt hatte, dieſe 


1) Il. ob. Bud) 6 Kap. 10. 


1312 


236 Zehntes Bud), 


durch läſtige Bitten zu beſchweren und zu bedrängen und allerhand 
Ansprüche zu erheben, in der Abficht, feine Forderungen, falls er 
jene geneigt finde, immer mehr zu fteigern. So bat er fich zum 
Beilpiel die prächtigften Häufer, fowie die Güter der reichften Re— 
bellen im ganzen Gebiet aus, indem er äußerte, feine Dienfte wür— 
den der Gemeinde weniger zur Yaft fallen, wenn der Solo, welchen 
fie allen ihren Truppen gab, für die Seinen wegfiele, infofern als 
ihm jene Güter die Mittel zu diefen Ausgaben jelbft Kiefern würden. 
Sp drücdend diefe Forderungen auch maren, jo gab doch die Ge— 
meinde ihnen gezwungen nad. Hierdurch nur übermüthtger ge— 
macht, beſchloß Becelus, in dem Glauben, daß die Paduaner durch 
die Gewährung jeiner Forderungen in große Noth gerathen jeien 
und daß fie ihm nichts, jo erheblich e8 auch fein möchte, abjchlagen 
würden, nad) und nad) in immer umfaffenderem Maße fie auf die 
Probe zu ftellen. Er veranlafte nämlid) einige Bürger zu fordern, 
dag man ihn zum Kriegscapitän wähle mit der Befugnis, alle 
ſoldatiſchen Vergehungen zu beftrafen. Die Paduaner, fügte ev 
hinzu, verftänden nicht Disciplin zu halten, und es fünne ihrem 
Gemeinweſen einmal den größten Nachtheil bringen, wenn ein Führer 
und Lehrer fehle, den fie fürchten und nad dem fie ſich richten 
müßten. Sobald die Bürger ſchon voll Bejorgnis für ihre Frei: 
heit ihm dies, freilich nur widerwillig, zugeftanden hatten, bemühte 
er ſich angelegentlich diejenigen, welche auf die Negierung den 
größten Einfluß hatten, durch Verſprechungen an ſich zu ziehen. 
Als er hierbei jedoch feinen Erfolg hatte, machte fich fein Ueber— 
muth in Drohungen Luft, und er erklärte, da ihm feine Bitten, 
die lediglich das Wohl der Bevölkerung von Padua bezwedten, ab- 
geihlagen”würden, jo müffe er fire fich felbft forgen. Ihm für 
jeine Perſon genüge e8, die Feinde won feinem Gebiete fernzuhalten 
und Die Aeder der Trevifaner zu beſchirmen; er hätte beſſer gethan, 
dem Kaifer ſich als Nachfolger im Vikariat feines Bruders zu 
unterwerfen, anftatt die drei Städte, welche er beherrichte, für eine 
einzige aufzuopfern. Aber er ſei es fatt, zu Gunften von Undant- 
baren jene hintanzujegen. Durch ſolche Borjpiegelungen und Redens— 





MWumderzeichen. Treviſo wird Freiftaat. 337 


arten hoffte er zu erreichen, daß die Paduaner eingefhüchtert und 
ihre eigene Macht für unzulänglich erachtend, ihm Alles, was er 
fordere, in ausgiebigfter Were bewilligen würden, auf welchem 
Wege er fih dann zum Herrn der Stadt machen fünnte, Die 
Paduaner jedoch, welche bereits merften, was jein Ziel war und 
ihn durchſchauten, fingen an, gegen den Verwegenen Abſcheu und 
Erbitterung zu fühlen; doch verbargen fie ihren Haß für ben 
Augenblid, To lange fie noch jo jehr von Kriegsgefahren umdrängt 
waren, und ließen die Sachen gehen. Vecelus ſeinerſeits, der ohne 
Säumen die lange gehegten Pläne ins Werk zu jegen wünjchte, 
eilte zu feinem Schwager, dem Grafen Heinrich von Görz 9, wel- 
her kürzlich durch Verlobung feiner Heinen Tochter mit einem Sohne 
des verftorbenen Albuinus della Scala zu Canisgrandis in ver- 
wandtichaftliche Beziehungen getreten war, um ſich mit ihm über 
allerlei Dinge, die ihm im Sinne lagen, zu beiprechen. Unter 
Herzuztehung des Archidiaconus von Aquileja, welcher ald eifriger 
Shibelline dem Canis durchaus zugethan war, verhandelte man 
nah Entfernung aller jonftigen Zeugen inögeheim. Doch erriethen 
die Begleiter de8 Vecelus aus gewiſſen Anzeichen, die ſich bald 
bemerkbar machten, nahezu um was es ſich handelte. Der Archi— 
diaconus übernahm voll Eifer die Vermittelung zwifchen den beiden 
und vereinbarte ſchließlich eine Doppelverlobung, nämlich eines 
Sohnes und einer Tochter des Vecelus mit zwei Kindern Albuin’s 
unter Zuftimmung von Vecelus und Canis, welche ſich überdies 
mit der ihnen anhängenden Bevölkerung zu enger Freundichaft ver: 
pflichteten. Nachdem man zur Erfüllung der Verabredungen feite 
Zeitpunfte angefest hatte, kehrte Vecelus nach Trevifo zurüd und 
war eifrig bedacht, feine Pläne bei günftiger Gelegenheit ind Wert 
zu ſetzen. Als er einige wenige feiner VBertrauten um ihren Rath 
über Eingehung eines freundfchaftlichen Verhältniffes mit Canis, 
wodurch man von aller Kriegögefahr befreit fein und Ruhe und 
Sicherheit wiedergeminnen würde, befragt, alle aber aus Furcht 


1) Aus einer Nebenlinie des tyroler Grafenhaufes. 


1312 


238 Zehntes Bud). 


1312 wor jenem, der, wie fie behaupteten, gegen die Seinen am grau— 
famften fei, ihm abgerathen hatten, hielt er nichts defto weniger an 
feinem Vorhaben feft und ſchloß an dem vorausbeftimmten Tage 
im Klofter der vierzig Heiligen !), wohn auch der Archidiaconus 
mit Boten Canis' fam, ein endgültige Bündnis mit letterem ab. 
Durch inftändiges Bitten veranlagte er auch den Caſtellanus, Bifchof 
von Trevifo, wider deſſen Willen, anmejend zu fein, damit wo— 
möglich die Sache durch deſſen Gegenwart größeres Anſehen erhalte, 
ließ denſelben jedoch außer Gehörmweite ftehen und mit Anderen 
reden, damit er nicht offen als Zeuge ihrer Verhandlungen auf- 
treten fünne. Anfangs war der Bevölkerung von Trevifo die Sache 
nicht unlieb, bis man erfuhr, daß Canis grandi® und der Graf 
von Görz mit Truppen in der Nähe ftänden, um äufßerften Falls 
ihre Zuftimmung zu erzwingen. Aber wie das Geſchick, das heißt 
Gottes Fügungen, menjchliche Pläne oftmals zu nichte maden, jo 
verbreitete fich bereit8 von den Edlen aus, welche jchon vorher 
darum mußten, ein unbeftimmtes Gerücht in das Volk, daß Trevifo 
dem Canis in die Hände gejpielt, Volt und Adel ermordet werben 
und daß in der Weiſe, wie fürzlich gegen das nun gänzlich zu 
Grunde gerichtete Vicenza, auch gegen Trevifo gemüthet werden follte; 
ihon jet der Tod unter Qualen aller Art den Einflußreicheren be— 
ftimmt. Da aber berief Graf Rambaldus de Collealto unverzagt 
den erwähnten Bilchof, den Advocatus Tolbertus und Biaquinus 
de Camino, ſowie Andere, Vornehme und Geringe, zu fich, um 
mit ihnen über ein gemeinjamed Vorgehen zu berathen. Einmüthig 
wurde bier beichloffen, die Pläne jener zu durchkreuzen und auf 
jede Art zu hindern, wozu man ſich durch Eidſchwüre verband. 
Auch verihob man die Ausführung nicht, Damit die Berzögerung 
das Vorhaben nicht wereitele, ſondern feste dafür ſchon den folgen- 

Der. 5 den Tag, den 15. December feft. Im der Nacht follte das Volk 
quartierweile bearbeitet werden und ber Tagesanbrucd ein Jeder 
mit den Waffen in der Hand zum Losichlagen bereit daftehen. In 


1) Wohl der Quadraginta milites martyres ? 





MWunderzeichen. Treviſo wird Freiftaat. 239 


der That brachten fie dies fertig, da man allgemein der drückender 
werdenden Gewaltherrſchaft müde und über dieſelbe erbittert war, 
und viele Arme hofften, daß die Ummälzung ihnen zu gute fommen 
würde, falls es nämlich Gelegenheit zum Plündern gebe. Aller- 
dings merkte Vecelus jchon am frühen Morgen, wie die Dinge 
lagen, aber e8 fehlte ihm an Macht, die zahlreihen und mächtigen 
Gegner zu bezwingen; auch konnte er nicht mehr zurüd, fondern 
er mußte entweder den erbitterten und von Außerftem Haß ent- 
brannten Bürgern das Feld räumen, oder aber ſich auf einen 
Kampf gefaßt machen, wenn er e8 wagte, ſich jehen zu lafjen und 
auf die Strafe oder auf den Markt zu treten. Als e8 Morgen 
wurde, ließ fich, als verabredetes Zeichen zum Treffen, die Glocke 
von der Kirche Sancta Maria Major !) dreimal vernehmen, worauf 
die Kathedrale und alle Kirchen der Stadt zu lauten begannen. 
Beim Klang diefer Glocken erſchien Rambaldus mit einer Schaar 
Bewaffneter auf der Straße vor dem Gerichtöpalafte. Die Söld— 
ner des DVecelus, etwa fiebenzig an der Zahl, meiſtens Paduaner, 
welche jene Nacht dort die Wache gehabt hatten, drangen gegen 
Rambaldus vor, der langfam zurüdwid, da er merkte, daß er mit 
den Seinen zu früh erjchtenen fer. Bald aber fahen die Söldner, 
wie aus allen Straßen und Gafjen, welche auf den Markt mün- 
den, die Schaaren der übrigen Berfchworenen gegen fie heranftürmten 
und eilten, vom ‘Plate verdrängt und auseinander gerifien, über 
den Fluß, um ſich zu Vecelus zu begeben. Der Paduaner Al— 
bertus de Novocaftro, welcher an Stelle des Vecelus als Podeftä 
Die Stadt regierte, überließ nad) kurzem vergeblihem Widerftand 
den Gerichtöpalaft den Bürgern. DVecelus felbft aber beftieg, ale 
er den verzweifelten Stand feiner Angelegenheiten wahrnahm und 
feine Truppen fich zuftrömen ſah, ſein Schlachtroß, verließ mit 
geringer Begleitung die Stadt und z0g fi auf feine Güter zu 
Serravallis zurüd. Sp wurde Trevifo, welches 29?) Jahre unter 


1) Santa Maria Maggiore. — 2) Die Zahl fehlt im Tert. Im Jahre 1283 machte 
fi Gherardo da Cammino, der Vater Rizzardo’3 und Guecellone’3 zum Herrn von 
Treviſo Feltre und Belluno. 


1312 


240 Zehntes Bud). 


1312 der Herrichaft des Geſchlechtes Camino geftanden hatte, im Jahre 
Der. 15 unſeres Heren Jeſu Chrifti 1312 am 15. December wieder in 
ein freies Gemeinwejen umgewandelt. 

2. Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Berrath 
leines Schloſſes. Aber in eben diefen Tagen wurde Padua 
abermals von Unheil im Innern betroffen. In Padua lebte ein 
Mann von vornehmer Herkunft, väterlicherjeitd ein Nachfomme der 
Maltraverfi, mütterlicherfeitS aus dem Gefchleht der Markgrafen 
von Efte, namens Nicolaus de Lucio !), der fich durch feltene Be— 
redſamkeit, äußerſte Verichlagenheit, einen hochftrebenden Sinn und 
verſchwenderiſche Freigebigfeit auszeichnete. Diefen Tugenden aber 
ftanden Eiferfuht und Mißgunſt, melche ihn nie ruhen Liegen, ſo— 
wie ein ſchrankenloſer Ehrgeiz gegenüber, dem alle bürgerlichen Ein= 
richtungen außer denjenigen, die er jelbjt gejchaffen, ein Greuel 
waren. Er fonnte e8 nicht ertragen, daß im Staate ein Bürger 
ihm gleichftehe, geſchweige denn mehr Einfluß befige als er. Lob— 
preifung eines Andern erſchien ihm als Verkleinerung feiner jelbft. 
In Folge diefer Eigenihaften haßte er die guten Patrioten und 
war Schmeichlern überaus zugethan. Niemand war brauchbarver 
als er, wenn ihn einmal nicht ſowohl ein tugendhafter Trieb, als 
vielmehr Gelegenheit und Zufall veranlaßten, ein löbliches Ziel 
zu verfolgen; aber aucd niemand konnte mehr ſchaden. Es ift 
jeltfam, wie oft er im Senat durch feine Beredſamkeit ausfichts- 
[ofen Sachen zum Siege verhalf; ſchon beim Verlaſſen des Rath— 
hauſes mißbilligten wohl diejenigen jelbft, die für feine Anficht ges 
ftimmt hatten, den von ihnen gefaßten Beſchluß, doch ſchützte fie 
die Neue, fo häufig diejelbe ſich auch bei ihnen einftellte, nicht vor 
Rückfällen. Obwohl man ihn als unzuverläffig kannte, triumphierte 
er doch durch Trug und Lift über die Bemühungen derer, melche 
es redlich meinten. Und wie er ſich durch die Ueberlegenheit feines 
Geiftes Anhänger erwarb, jo erfaufte er ſolche auch durch Gejchenfe: 
die Einen bereicherte er durch Kirchenvorftandichaften, wobei dann 


2) D. i. Lozzo. 





Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Berrath feines Schloffes. 241 


mit Hintanfegung aller Religion die gotteödienftlichen Gefälle zu 
weltlichen Vortheilen Ichmählic verwandt wurden. Andere erfreute 
er durch jährliche Gefchenfe aus feinen eigenen Scheuern und Bor- 
räthen, die er hierdurch völlig erichöpfte; noch Andere auf Koften 
des Staates; manche aus den Gütern der Berbannten. Da er 
Alles vortrefflich zu veranftalten und einzurichten verftand, jo feste 
er mit Hilfe diefer jener Anhänger was er immer wünfchte im 
Gemeinweſen durch, indem namentlih auch die Yeichtigfeit, mit 
welcher er fich überall anzufchmiegen wußte, jenen Unternehmungen 
Vorſchub Ieiftete; denn obgleih er ein Wühler mar, jo blieb er 
nie ftandhaft bei einer Partei, jondern folgte ſtets derjenigen, welche 
vom Glück am meiften begünftigt ſchien; dem Volfe war er wider 
die Bornehmen zu Willen, jo lange des Volkes Macht vormog ; 
unterlag dasjelbe jedoch, jo war er der rüdjichtslofefte Eiferer im 
Berbande des Adels; abwechſelnd ging er mit der jedesmal fiegen- 
den Partei, mochte e8 die der Shibellinen oder der Guelfen jein. 
Auch den Herrſchern von Verona war er, je nach der Lage der 
Dinge, Feind oder Freund. Obwohl ſich jo in feinem Weſen gute 
und böje Eigenſchaften mifchten, galt er doch für einen bebeutenden 
Menſchen. Auch das äußere Anjehen dieſes merkwürdigen Mannes 
will ich zu ſchildern nicht unterlaffen. Er mar blond, von röth— 
licher Gefichtsfarbe, glänzenden, beweglichen und vorftehenden Augen, 
ſchwellenden Tippen, breiter Bruft, wohlbeleibt mit plumpen Gliedern, 
ſtets mit ungejundem Hautausſchlag behaftet, won gedrungener, 
kräftiger Geftalt. Sein weites Gewand reichte bis zur Erde, aud) 
liebte er e8, vielen Schmuck an fich zu tragen, war in Speile und 
Trank ziemlich unmäßig, im Ernſte wie im Scherz anmafend. 
Zum Freunde wählte er fich einen Menfchen, der ihm ebenfo in 
Anlage und Charakter als in Anfichten und Plänen ähnelte, ven 
Antonius de Curtarodolo, mit dem er Alles theilte. Ex bereicherte 
denſelben nicht nur, jondern bewohnte das gleiche Haus mit ihm 
und theilte, wenn gelegentlid) die Gattin abweſend war, in leiden— 
ſchaftlicher Hingabe felbft das Lager mit dem Freunde, wie das 
Gerücht beſagte, jo daß Jeder, der ihr Verhältnis beobachtete oder 
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 16 


1312 


1312 



































242 Zehntes Bud. 


auc nur muthmaßte, diefe Hingabe, welche weiter ging als fie 
fi) zwiſchen Männern geziemte, verdammen mußte. Wenigftens 
fah man fie im Rathsſaale und auf der Straße ſich, Lippe auf 
Lippe und Mund auf Mund gepregt, umarmen und weibiſch küſſen 
ohne Scham, oft audy bei Gelagen vor den Augen zahlreicher 
Bürger. Diefer, zum Verderben der Gemeinde groß gewordene 
Mann, zu den Zeiten dieſes unſeres Kaiſers etwa dreißigjährig, 
führte damals an Stelle der Herren von Berona in angefehener 
Stellung die Herrihaft daſelbſt }). Anfangs, bei den erften Be— 
wegungen in der Lombardei, bemühte er fich mit Aufbietung aller 
feiner Talente, Albuinus und Canis dem Kaiſer abjpenftig zu 
machen. Die Paduaner aber, denen der Kaiſer bereits wohlgefinnt 
war und umfaffende Freiheiten verliehen hatte, verführte er, dieſe 
zu verſchmähen, und rieth ihnen, jo jehr auch Albertinus Mufjatus 
widerftrebte und aufrichtigen Frieden empfahl, auf das entſchiedenſte 
fi) aufzulehnen, indem er ſich im großen Kath der Taufend mit 
beredten und hochtrabenden Worten dafür ausſprach, man folle die 
Thore jchließen und Lieber fich dem Hunger ausjegen und zu 
Grunde gehen, al8 dem Kaifer gehorhen. Doch war es ihm hier— 
bei, wie ſich Tpäter herausſtellte, durchaus nicht darum zu thun, 
das Befte der Baterftadt zu befördern, jondern voll Selbftvertrauen 
und der Stellung eines einfachen Bürgers bereit8 überdrüffig, hoffte 
er, wenn in den Kriegsgefahren der Staat erjchüttert würde und 
in Wanfen geriethe, dann ſelbſt in Padua oder PVicenza, wie e8 
das Glück mit ſich brächte, eine um fo glänzendere Rolle zu ſpielen. 
Als dann, wie oben geſchildert worden tft, Canisgrandis DVicenza 
einnahm, nannte die Stimme des Volkes ihn als Mitjhuldigen 
Canis' und aud die Bürger nahmen aus vielen Gründen feine 
Mitihuld an. Doch wurde er durch die Entſcheidung der Erften 
des Staates aus einem zwiefachen Grunde gegen das Volk, welches 
Yaut rief, er ſei des Todes fhuldig, in Schug genommen, einmal 
weil die Sache nicht ganz klar war und man ihn nicht etwa ſchuld— 


1) d. h. er war Podefta in Verona. 


Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Verrath feines Schloffes. 243 


08 zum Zode oder zur Verbannung verurtheilen wollte, zweitens 
aber, damit nicht bei der augenblidlichen Nothlage des Staates, 
wo man faum ſich in den Mauern behaupten zu fönnen hoffte, 
er als mädhtigfter der Aufftändifhen mit den Feinden vereint zum 
Verderben der Stadt beitrag. So erwied man ihm, der faum 
noch darauf hoffte, Vertrauen und zog ihn wieder in die Stadt. 
Diefen Beſchluß veranlagte Albertinus Muffatus, der hierfür den 
Tiſo de Campo Sancti Petri, Yacobus de Sarraria, Öualpertinus 
Mufjatus den Abt zu St. Yuftina, und mehrere andere Guelfen 
gewann. Dod lieg Nicolaus, der feinen Zorn verbarg, darum 
nicht nad, Stadt und Bürger zu umlauern und gab fi Tag und 
Naht mit den Seinen und unruhigen Bürgern Verfhmörungsplänen 
hin. Bet den Ghibellinen behauptete er dem Kaifer eifrig ergeben 
zu jein, den Guelfen jpiegelte er vor, er haſſe denfelben. Und 
damit er größeres Bertrauen erlange und um jo leichter Gelegen- 
heit finde, die Berfaflung, wie er wünfchte, über den Haufen zu 
werfen, ſprach er fih über Canisgrandis in öffentlichen Verſamm— 
lungen, im Rathe, vor dem Volke voll Abſcheu aus, ſchmähte auf 
ihn, daß er, der eine jo große Wolle fpielte, von ſchmutzigen Del- 
händlern abftamme!), daß er graufam und verrucht und feine Herr— 
haft unleidlich ſei. Ya, er felbft vieth dazu, daß der Nath be 
Ihliege und verfündige, daß derjenige, welcher Canis umbringe, 
aus dem Staatsichat eine Belohnung von zehntaufend Goldgulden 
nebjt andern umfaljenden Freiheiten und Begünftigungen erhalten 
jole. Und gleichzeitig ftand er, wie aus dem, was fich fpäter 
ereignete, klar wurde, unabläfjig, Tag und Nacht, indgeheim mit 
eben jenem Canis über den Verrath der Stadt vder der unter— 
thänigen Orte durch Boten in Verhandlung, mober ihm als Be: 
rather und Vermittler Bailardinus de Nogarolis diente, deſſen 
Tochter furz zuvor mit Guido, dem Sohne des Nicolaus de Lucio 
verlobt worden war, bis er endlich, Größere planend als der 
Erfolg ihm ſchließlich gewährte, mit feinen Mitverfhworenen auf 


1) Schon im Alterthum galt der Delhandel für ein wenig ehrenvolles Gewerbe. 
| 16* 


1312 


1312 


244 Zehntes Bud). 


folgende Punkte übereinfam: Er hatte den Becelus de Camino an— 
geftiftet, mit Canis Freundſchaft zu ſchließen, damit auch von dieſer 
Seite her Padua befriegt würde; doch war dies (mie wir oben 
erzählt haben) vergebens geweſen und anders ausgefallen, ald man 
gedacht hatte. Werner hatte er den Dalmafius und Galardus, 
welche in Ferrara für die römische Kirche befehligten, beftürmt, fich 
mit Canis zu verbünden; fie follten, wenn die Dinge in Padua 
in Folge der Empörung des Nicolaus ſelbſt zum äußerſten fümen, 
der Stadt Krieg ankündigen unter dem Vorwande, daß die Paduaner 


im Gebiet von Ferrara einige Orte beſetzt hielten. Dann berieth 


er nächtlicher Weile in Venedig mit einigen verbannten paduaniſchen 
Shibellinen über die Mittel und Wege, wie man den Verrath bes 
ginnen und ins Werf fegen wolle. Jene jollten ihm behilflich 
jein und mit Canis vereint durch raſchen Anmarſch die Sache zur 
Bollendung bringen. Inzwilhen hatte Antonius de Curtarodolo, 
welcher den Verrath auf das eifrigfte worbereitete und für den 
Aufftand um jo nüglicher fein konnte, je beliebter er bei den Guelfen 
Padua's mar, zeitig feine Maßnahmen ergriffen, die Regierung von 
Eſte erbeten und von den Bürgern, die fie ihm vertrauensvoll 
darboten, erhalten, um dieſe Stadt bei günftiger Gelegenheit Canis 
zu überliefern, wenn der Verlauf der Dinge die Hoffnungen der 
Berräther zur Verwirflihung brächte. Mean hatte nämlich ver— 
abredet, Daß an einem und demjelben Tage und zu derfelben Stunde 
die Burg Lucium, Efte und Mons Silicis) von den herbeigeführ- 
ten Feinden eingenommen und die Paduaner dergeſtalt unverſehens 
in ihrer näcften Nähe umlagert und bevrängt werden follten. 
Inzwiſchen war Nicolaus emfig bemüht, auf Koften der arglojen 
Paduaner bei Tag und Nacht Lucium zu befeftigen, zu ummallen, 
durch Thürme und Zinnen zu fichern, indem er behauptete, es 
gehe das Gerücht, als wolle Canis das Schloß überfallen. Auch 
legte ex ſowohl Reifige als aud das Fußvolf, welches die Paduaner 


1) Monfelice, eine Hauptvefte des Faduanifchen Gebietes, im Süden der Euganeen; 


wenige Miglien weftlich davon Efte Ateftino. Lozzo liegt am Monte Lozzo, einem 
mweftlihen Vorberge der Euganeen. 


Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Verrath feines Schlofjes. 245 


aus Beſorgnis vor Canis' Feindfeligfeiten um hoben Solo an— 
geworben hatten, in feine Befte, angeblich um diefelbe zu bewachen, 
und hielt fie hier zurüd, indem er einer günftigen Gelegenheit zur 
Ausführung feiner Pläne harrte. Endlich jedoch begann das Volt 
in Badua fi) mit der Sache zu beihäftigen: auf den Straßen, in 
den Schenfen redete man darüber, exft leiſe einander ins Ohr, 
dann immer vernehmlicher, bis das Gerede auch zu den Ohren 
der Senatoren und der Obrigfeiten fam. Es fer doch, jo hieß es 
allgemein, geradezu wahnwitzig, einem Menjchen, der die Stadt jo 
oft treulo8 hintergangen habe, im Hinblick auf die gewaltige Be— 
feitigung jeiner Burg ein jo großes Zutrauen zu fchenfen. Ex, 
der immer bereit ſei Unheil zu ftiften, müſſe nnter den obmalten- 
den Umftänden auf das ängftlichjte überwacht werden, Damit ex 
nicht feine Vergünftigungen freventlich misbrauhe und die Stadt 
mit ihrem ganzen Gebiet in die größte Gefahr ſtürze. Diefes 
Gerede gelangte dem Biſchof Paganus della Torre, dent Gualper- 
tinus Mufjatus Abt von St. Yuftina, und anderen Angejehenen 
zu Ohren und wurde von ihnen an den Kath gebradt, um in 
nähere Erwägung gezogen zu werden. Die Sache ſchien nicht 
grundlos, vielmehr glaubte man fie eingehender erörtern und Vor— 
fehrungen treffen zu müſſen. Die Mehrzahl war der Anſicht, man 
jolle fi) nicht8 merken laffen und von Staatswegen an Nicolaus 
Männer, denen er Dertrauen ſchenke, abſchicken, um ihn zu bewegen, 
nad) Padua zu fommen und die Stadt zu berathen, da man alles 
nur nach jeinem Rathe anoronen wolle. Albertinus Muffatıre 
Dagegen, welcher die Verwegenheit des Nicolaus bereit aus viel- 
facher Erfahrung kannte und an deutlihen Anzeichen merkte, daß 
Alles für den Verrath vorbereitet ſei, billigte 8 zwar, daß man 
jene Männer vorausfende, vieth jedoch, insgeheim während der 
Nacht einen Theil der paduaniſchen Bürgerwehr oder der Söldner 
mit einer Abtheilung Fußvolk nachzuſchicken, um das Schloß zu 
befegen, ehe e8 dem Feinde in die Hände fiele, weiter aber feine 
Gewalt gegen Nicolaus anzumenden, ſondern es im fein Belieben 
zu ftellen, nach Badua zu fommen oder fih in feinem Schloß auf: 


1312 


1312 


246 Zehntes Bud). 


zubalten. Dieſer Rath erfchten der Mehrheit zu hart; man müffe, 
meinte man, die Sache milder angreifen und den mächtigen Bürger 
zu gewinnen ſuchen, damit er nicht ſeinerſeits, wenn er fich bedrängt 
und aller Ausfichten beraubt jehe, ſich von der Gemeinde Iosfage. 
Dem entjprechend jandte man den Ritter Marfilius PBolafrirana 
und den Nichter Rolandus de Plaziola, die fi) freiwillig dazu 
erboten, da fie voll Eifers waren mit jenem die Sache ind Keine 
zu bringen, zu ihm. Sie fehrten mit dem Berjprechen des Nico- 
laus zurüd, binnen drei Tagen nad Padua zu fommen. Man 
Ihidte damals aucd den Zambonetus de Capitevaccae, um die Be— 
jagung, welche in Lucium lag, zu befehligen, doch ſandte Nicolaus 


dieſen zurüd, nachdem er ihn ſchlau berüdt und abermals gelobt 
hatte, nad) Padua zu kommen. Jedoch befand fih Nicolaus in 


nicht geringer Berlegenheit, da er wahrnahm, daß der Statthalter 
der Lombardei, Werner von Homberg, mit den Contingenten ver 
Lombarden, nämlich von Mailand, Bergamo, Crema, Brescia, 
Mantua und Verona, denen neben Canis erft Lucium, dann Efte 
überliefert werden follte, nod) zügere, und wußte nicht, was er thun 
joe. Wenn er nämlich die Abmwerfung der Maske bis zur Ans 
funft der Lombarden verſchob, jo drohte ihm, falls die Paduaner 
ihm zuvorfamen und ihre Maßregeln trafen, Tod und Berderben, 
ohne daß er fich wehren fonnte; entjchloß er ſich dagegen ſchon 
jet zur offenen Empörung, jo mußte er bejorgen, in Canis' 
Augen ſogleich als Betrüger zu erjcheinen, menn er demfelben näm— 
fi anftatt der weitergehenden Hoffnungen, die er ihm gemadıt, 
nur Lucium überliefere und den Aufftand mit unzulänglichen Mit— 
teln beginne. Da nämlich der Abfall von Efte dadurch vereitelt 
worden war, daß die Gemeinde jenes Drtes felbft fid) hundert 
paduaniſchen Berittenen zur Bewachung anvertraut hatte, jo konnte 
er für den Augenblid jeine Verſprechungen und feine Abfichten 
nicht zur Ausführung bringen. Auch waren weder er noch Canis 
ohne die lombardiſche Hilfe ftarf genug, um in die weite und be= 
völferte Gegend von Efte einzufallen. Unter dem Drud der Um— 
ftärde ſandte er daher früher als er vorgehabt hatte, eilends zu 


Berheerung von Pedevende ıc. 247 


Canis, um denfelben zu bewegen, Söldner zu ihm nad Lucium 1312 
zu ſchicken. Diefer ſchickt denn auch, um den unbeftändigen Men— 
ichen jchlechterdings zum Verrath zu zwingen und die Paduaner 
im Mittelpunkt ihres Gebietes zu jchädigen, jene Söldner und mit 
ihnen die paduanifchen Berbannten, welche am Freitag den 23. Des Der. 23 
cember im Sahre unferes Heren 1312 bei Tagesanbruch anlangen. 
Sobald diefe Truppen in Lucium erjchtenen, warf Nicolaus die 
paduaniſche Beſatzung, welche aus zwanzig Berittenen und fünfzig 
Mann Fußvolk beftand, ind Gefängnis, aus dem fie jpäter los— 
gekauft wurden. — Lucium liegt auf einem Berge, welcher einen 
hohen ſpitzen Gipfel hat, unten aber breit ift. Den einzigen Zu: 
gang bildet der Weg über Valbona im Weften, vom Vicentiniſchen 
her; üblich grenzt, durch einen Sumpf getrennt, das Gebiet von 
Eſte; im Often und Norden Liegen Cintum Nufta Venda und die 
übrigen pabuanifchen Berge, doch fcheidet ein vom Bacchilio ab- 
gezweigter Flußarm !) Lucium von den Bergen. Auf dem fpigen 
Gipfel befindet fid) nur ein einfames Wachthaus; auf einem be— 
nachbarten Joch aber Liegt die Burg des Nicolaus auf fahlem Fels, 
von allen Seiten mit Baftionen verjehen. Als am Morgen die 
flatternden Adlerbanner der kaiſerlichen Hoheit und die Leitern, die 
Teldzeihen des Canisgrandis 2) auf den Zinnen der Burg er= 
Ichienen, ergriffen die Yandleute ringsum die Flucht. 

3. Berheerung von Pedevende und Niederlage 
der Anhänger des Nicolaus de Lucio. Sobald die Nach— 
richt hiervon nach Padua gelangte, eilten die Paduaner ohne Zeit 
verluft nad) Ejte und brachen beim erften Grauen des Morgens gegen 
Lucium auf. Während fie ſich noch auf dem Marjche dorthin befanden, 
nahmen fie in der Luft den Rauch des brennenden Dorfes Arquada 
wahr. Die Kriegsichaar Canis' nämlich war, ohne Kunde von 
der Ankunft der Paduaner in Efte, unter Anführung des Antonıus 

1) Zert: Bacchilionis fAuentum; jedenfalls nicht an den Fluß felbft zu denfen, der 
im Norden der Euganeen bleibt, während durch das Thal, welches den Monte Lozzo 
vom Hauptftod der Euganeen trennt, einige Flüffe, die mit dem Canalnetz zwischen Etſch, 


Bacchilione und Brenta in Verbindung ſtehen, ihren Lauf nehmen. — 2) Scala bedeutet 
im deutſchen „Leiter“. 


348 Zehntes Bud. 


1312 de Gurtarodolo, bereits auf einem Naubzuge unterwegs. Durch 
Ben auffteigenden Rauch hiervon benachrichtigt, wandten fich die 
Paduaner mit dem Fußvolk von Efte vereint zu den Engpäffen, 
durch welche jene zurückkommen mußten, und nahmen hier Stellung. 
Al Antonius und Canis' Truppen heranfanıen und wahrnahmen, 
daß die Paduaner die Zugänge von der Höhe der Hügel herab 
zur Ebene bewachten, jahen fie ihre Niederlage vor Augen, gaben 
ſich verloren und flüchteten in regellofer Unordnung und Zerftreuung 
mit Preisgebung der Pferde, die Waffen wegwerfend, in die weiten 
Wälder, über die jchroffen Klippen und in die Engen der Berge. 
Doch war ihre Hoffnung auf Entfommen eitel, denn da fie der 
Gegend unfundig waren, jo fielen fie den Paduanern in die Hände, 
baten nur um ihr Leben und ergaben fich ohne Widerftand. In 
dem hügeligen Terrain wurden viele getödtet, deren Namen man 
nicht wußte, da fie ausländische Söldner Canis' waren. Etwa 
hundert Berittene mit ihren Waffen und Pferden wurden als Ge— 
fangene in Eſte eingebradt. Viele lieferten fi, beim Umherirren 
von Kälte und Hunger gepeinigt, freiwillig den Bauern der Dörfer 
von Pedevenda in die Hände. Noch andere hielten fich drei Tage 
Yang in den Schluchten verborgen, bis fie endlihh von den Bauern 
ergriffen wurden. Bon dreihundert Lanzenreitern, welche an jenem 
Tage Luctum verließen, und ebenfo viel Fußtruppen fehrten in der 
folgenden Nacht zwetundzwanzig zurüd. in Theil, welcher über 
die Ebenen von Rovolono zeriprengt worden war, kam vom Glüd 
begünftigt nach Ueberſchreitung des Bacchilio nah Bicenza, im 
Ganzen hundertundzwei Mann. Antonius de Curtarodolo, welcher 
der Wege fundig war, gelangte mit einem Begleiter nad) einem 
ichnellen Ritt durch die Hügellandichaft ohne Weg und Steg wieder 
nad Lucium, nachdem er den Berfolgern nur mit Mühe entgangen 
war. Gegen Abend kehrten die Paduaner voll Siegesfreude mit 
Beute und Gefangenen nah Efte zurüd. Nachdem fie dann eiligft 
Schleudern und Belagerungsmafchinen aller Art, welche mit Be— 
feftigungen verfehen und theil8 zu Lande, theild auf den Wafler 





Einfall des Statthalters der Lombardei ꝛc. 349 


verwendbar maren ?), erbaut hatten, wandten fie fih in Schlacht— 
ordnung gegen Lucium, um dasjelbe zu erobern. Dod während 
ihon die Einwohner an der Behauptung der Stadt verzweifelten 
und, zu ſchwach zum Widerftande, fich anſchickten in die Wildnis 
zurüdzumweichen, brachte es das Gejchi mit fi, daß bei Nacht 
eine für Menſchen und Thiere unerträglihe Kälte eintrat und den 
Kampf unterbrah. In den nächſten Tagen vernahm man dann 
fichere Kunde, daß Werner von Homberg mit lombardiſchen Con— 
tingenten zu Canis nad) Verona gefommen je. Beſorgt warfen 
die Paduaner rings um die Burg von Eſte einen Wall auf und 
befeftigten denſelben durch Gräben, zu melden Arbeiten unter dem 
Zwange der Notwendigkeit die Reiter verwandt wurden, die auf 
ihren Schultern Schanzzeug, Pfähle und andere Laften heranſchlepp— 
ten und jogar auf den Schilden die aus den Gruben audgegrabene 
Erde forttrugen. So ward der Drt befeftigt; ſelbſt Borntus de 
Samaritanid aus Bologna, ein maderer Ritter, welder damals 
Podeſtà von Padua war, fpaltete vor aller Augen mit wuchtigen 
Arthieben Das Geftein, damit die übrigen fich ein Beifpiel daran 
nähmen und um fo williger and Werf gingen. Zugleich ließ er 
von anderen Truppen mit gleicher Emſigkeit Burg und Stadt von 
Mons Silicis befeftigen. 

4. Einfall des Statthalters der Lombardei 
Werner von Homberg in das Gebiet von Padua. 
Einnahme des Schloſſes Boccho. Während die Paduaner 
mit ſolchen Arbeiten beſchäftigt waren, kam Graf Werner mit 
ſeinen Schaaren in Begleitung des Canisgrandis mit vielerlei 
Kriegsmaterial, Eſeln und Wagen verſehen, nach Vicenza. Von 
dort aus griffen ſie nach ſchnellem Marſche die Feſte des Maſtinus 
Canis in Camiſanum an, in welcher ſie die verbannten Edlen von 
Vicenza vermutheten, zerſtörten und verbrannten dieſelbe, nachdem 
fie fie erſtirmt und die Hüter getödtet oder gefangen genommen 
hatten. Die vicentinifchen Edlen dagegen, melde das Haus in 


1) machinae et tormenta cum propugnaculis navalibus ac terrestribus. 


1312 
—1313 


250 Zehntes Bud). 


— der Nacht verlaſſen hatten, wandten ſich, nachdem ſie die Ort⸗ 
ſchaften von Pedemons verheerend durchzogen, mit Beute und Ge— 
fangenen nach Baſſianum. Bon Camiſanum aus marſchierten der 
Graf und Canis nach Montevarda und griffen es an, kehrten 
aber unverrichteter Sache nach Vicenza heim. Am nächſten Tage 
verließen ſie beſſer ausgerüſtet Vicenza wieder und zogen in Lucium 
ein, wo ſich nun die dem Grafen beigegebene deutſche kaiſerliche 
Abtheilung und die geſammelten Truppen der reichſstreuen lombar— 
diſchen Städte mit dem leichtgerüſteten Fußvolk und denen, welche 
die ungeheuren Lanzen handhaben, endlich die kaiſerlichen Provinzial— 
truppen zuſammen fanden. Dieſe auserleſenen Schaaren richteten 
zuerſt ihre Angriffe gegen die in den Bergen von Pedevenda be— 
legenen Ortſchaften, überfielen Cintum!), deſſen Bewachung die 
Paduaner fünf und zwanzig Mann Fußvolk als Kundſchaftern an— 
vertraut hatten, und zerſtörten das alte Gebäude auf dem Gipfel 
des Berges; die Beſatzung ward gefangen oder getödtet. In der 
Folge verheerten fie Valle Cornaleda ?) und die ganze Gegend dies— 
ſeits des Venda-Berges durch Teuer und Schwert und fehrten dann 
wieder nad) Lucium zurüd. Am Tage darauf marjchierten fie in 
Keihe und Glied nad) Mond Bocconis ?), wo Nicolaus de Caftro- 
n000, welcher aus dem Geſchlecht der Maltraverfi und ein Better 
des Nicolaus de Lucio war, eine Burg beſaß. Albertinus, ver 
Sohn des Nicolaus, war nicht ftarf genug, um den Anprall aus- 
zuhalten und ergab fid) dem Canis mit feiner Mutter und Familie, 
die Eäglih in em Haus gebracht wurden, welches ihnen jet 
gegneriſch und feindjelig geworden war, während fie einft Darin 
geboren und erzogen waren, durch Blutsvermandtichaft dem Ber- 
rather verbunden, deſſen Macht fie jet ind Unglüd ſtürzte. Doc 
oh! hätte jener, wenn nicht Scham, jo doch wenigſtens Trauer 
in feinem Herzen gefühlt, als fein Verrath dergeftalt bereitS gegen 
jein eigenes Geſchlecht ſich zu kehren begann und ihm ſchon nad 
zwei Tagen ein Haus verheert und in Flammen geſetzt ward, an 


1) Einto Euganeo füdöftlih von Lozzo. — 2) Soll vielleicht Balnogaredo fein öſtlich 
von 20330. — 3) Boccon nordöftlich von Lozzo. 


Herausforderung der Paduaner zur Schlacht ıc. 351 


deſſen Aufbau er jelbft mit den Geinen feinen geringen Antheil ! — 
gehabt hatte! Nachdem dieſe Burgen verbrannt und verheert waren, 
gingen Werner und Canis, obwohl der Verräther ſie aufforderte 

ins offene Feld zur Belagerung größerer Städte oder zum Kampfe 

mit den Paduanern auszurücken, bedächtig und mit großer Vorſicht 
gegen die Paduaner zu Werke, die nichts verſäumten um ſich und 

die ihren zu ſchützen, und, falls man ſie herausforderte, bereit 
waren mit ihren zahlreichen Truppen die Schlacht anzunehmen. 
Daher dünkte es jenen gerathen, das Gebiet von Padua zu ver 
laſſen und abzuziehen. 

5. Herausforderung der Paduaner zur Schlacht 
durh Kanisgrandıs und ihre Antwort. Dod jandte 
Canis prahleriſch und um die Kühnheit der Paduaner zu erproben 
einen feiner Vertrauten an den Podefta Bornius und die Edlen 
mit einem gefiegelten Briefe, um fie zu emem Kampf im offenen 
Felde herauszufordern. Bornius, ein tapferer Ritter, berief, mit 
Laub geſchmückt, wie zu einem Freudenfeft, die Vornehmen zum 
Rathe und ließ den Boten feinen Auftrag ausrichten. Nachdem 
diefer entfernt worden war, rieth er in bevedter, muthiger An— 
ſprache die Schlacht nicht abzumeifen: der Sieg fei jo gut wie 
fiher: zmweitaufend einträchtig gefinnte Lanzenreiter mit glänzen- 
den Waffen und fräftigen Pferden auögeftattet, welche ihnen die 
eigene Heimath Lieferte, jeien vorhanden; daneben eine zahl- 
reihe Bevölkerung; damit folle man die breitaufend Fremden 
auf ihren verhungerten Kleppern, welche faum den weiten Marſch 
aushielten, aus der Heimath verjagen oder niedermachen. Ohne 
Widerſpruch antworteten daher die Bürger, fie nehmen das Treffen an; 
Canis jelbft möge ein offenes Feld bezeichnen, auf welches fie, wie 
fie freudig beſchworen, hinausziehen wollten. Canis antwortete, ex 
werde mit den Seinen am folgenden Tage vor der dritten Stunde 
unter Montevarda auf vicentiniſchem Grund und Boden erjcheinen ; 
dorthin möchten auch fie fommen, dort werde ex fich mit feinen 
Truppen ihnen ftellen. Die Pabuaner, unwillig über den knappen 
Termin, der für fie unannehmbar war, ließen ihm durch einen 


252 Zehntes Buch. Herausforderung der Paduaner zur Schlacht x. 


— mit dem großen Siegel der Gemeinde geſchloſſenen Brief, den ein 
adliger Bote aus der Zahl der Genoſſen des Podeſtà überbrachte, 
zurückmelden: da ein Theil ihrer Kriegsmacht bei Efte, ein anderer 
bet Mons Silicis, größere Mafjen auch in ihrer Stadt und den 
abhängigen Ortichaften ſich befänden, jo möge Canis, wenn ev eine 
Schlacht wünſche, bis zum dritten Tage warten; an dieſem werde 
es ihnen möglich fein auf dem bezeichneten Felde fich zu ftellen. 
Canis aber verlachte Died Anerbieten, verließ mit Werner und dem 
übrigen Heere Lucium und ging nach Vicenza, von wo er Werner 
und die Pombarben nad) Haufe entlieh. 





Elftes Sud. 


1. Caſuläſſchließt fihdem Kaiſer an. Schon waren 1312 
Toscana und Lombardien durch das Kriegselend erjchüttert, durch — 
rauchende Trümmer menſchlicher Wohnungen und Verheerung der 
Aecker entſtellt. Der erſte Blick offenbarte dem Beſchauer ihr 
Elend. Außerhalb ver Mauern der Städte laueyten Tod oder 
Gefangenſchaft auf jeden Wanderer; mit Unkraut und Dornen be- 
det, waren die Wege faum noch von ödem Wald- oder Sumpf- 
land zu unterjcheiden. leid) war das Anjehen aller Diftrifte, 
überall erſcholl die Kriegsprommete; in den Städten und Tleden 
aber wechſelten ängftlihe Wachen bei Nacht und Waffengeklirr am 
Tage mit einander ab, der Kriegsgott allein beherrichte alles Leben 
und Treiben. 

Um dieſe Zeit riß die Ghibellinenpartet unter den Bürgern 
von Gafulae!) dieſe Stadt von Siena los und nahm den fünig- 
lichen Marſchall nebft Friedrich von Montefeltro, Ugutio de Fagiola ?) 
und fiebenhundert Keifigen in ihre Burg auf. Sofort eilten die 
Truppen von Florenz und Siena, durch Hilfsſchaaren König Roberts 
verftärft, dorthin und befesten alle Punkte, welche die Zugänge zur 
Stadt beherrfchen. Denn da fie wahrnahmen daß des Kaifers 
Sinn nur dahin ging fi) mit feinen gefchwächten Truppen im 
Lager zu behaupten, jo beichloffen fie von ihm abzulaffen. Als 
ih jedoch die Belagerung von Tag zu Tage, länger als fie ge 


1) Eafoli im Quellgebiet der Elfa. — 2) Uguccione della Faggiuola. 


254 Elftes Bud). 


u dacht hatten, hinzog, kehrten fie der Sache überdrüffig nach und 
nad heim, gaben ihr erſtes Lager auf und machten die Wege den 
königlichen Truppen wieder zugänglid. Diefe nahmen die ihnen 
gewährte Möglichkeit wahr, um mit Zurüdlaffung einer Beſatzung 
in das kaiſerliche Lager zurüdzufehren, wo fie von dem Raifer und 
den Seinen auf das freudigfte aufgenommen murbden. 

2. Streitigfeiten in Florenz während Jeiner 
Bedrängung durch den Kaifer. In Florenz aber, wo man 
des nur noch ſchlaff betriebenen Krieges bereit8 überdrüſſig war, 
kam es zu Streitigfeiten. Fulcerius de Calbulis!), der mit Söldnern 
aus Romandiola um hoben Sold im Heere der Florentiner ges 
dient hatte, geriet) mit Dego, dem Anführer ver Catalanen, 
melde ebenfalls von Florenz angeworben waren, in einen Streit, 
der von beiden Eeiten immer erbitterter wurde und einen unleid- 
lihen Zwieſpalt und die höchſte Gefahr für die Stadt und Die 
Guelfen herbeizuführen drohte. Da aber die Florentiner den 
Dego Höher ſchätzten und mehr begünftigten, fo verließ Fulcerius 
Florenz und marjchierte mit feinen Truppen nad) der Nomandiola 
ab. Dies war den Florentinern nicht unlieb; manche vermutheten 
nämlich, Fulcerius habe ſich insgeheim mit dem NKaifer eingelafien, 
und gaben ihm Schuld, ınehrfac eine Gelegenheit zur Verfolgung 
dejjelben unbenutt worübergelaffen zu haben. Ferner fam es in 
der Stadt zu umwilligen und drohenden Aeußerungen des Volkes, 
welches mit den Bornehmen uneind war; denn das durch den 
langen Krieg, welcher Handel und Gewerbe brach legte, erichöpfte 
Volk rief, man folle dem Kaifer eine Schlacht Liefern; die Vor— 
nehmen dagegen empfahlen die Verſchiebung des Kampfes als ficherer, 
fonnten aber die Wuth der tobenden Menge faum von fid) fern= 
halten. 

3. Der Katjer verläßt St. Cascianum und zieht 
nad Podium Bonici. Im Lager des Kaiferd waren die 
Zruppen jehr zufammengejchmolzen, weil die Pifaner und die 


1) Folcieri da Calboli. 


König Robert zeigt Padua an, daß der Papit ıc. 255 


übrigen, welche der in Folge des Langen Aufenthalt drohende 
Mangel jchredte, nach und nach in andere gefündere und veichere 
Drte fortgezogen waren. Dazu fam daß im Lager im Folge der 
durch die außerhalb deſſelben hingeworfenen todten Pferde und 
durch die enge Zujammendrängung der Menjchen und des Viehes, 
verdorbenen Luft eine Seuche ausbrach, welche viele hinmegraffte. 

Auch hatte fich in eben diefen Tagen der Carbinal von Oſtia 
aus dem Lager entfernt, um ſich zur Curie zu begeben und ven 
Papft zu bewegen König Robert von Apulien zur Einftellung der 
Veindfeligfeiten gegen den Kaiſer zu veranlajjen, da, wenn die Hilfe 
Roberts fortfiele, der Carbinal Tuscien fat jhon für befiegt an- 
ſah. — Durch vielerlei Uebelftände beläftigt, ließ der Kaiſer daher 
jein feftes Lager in St. Cascianum zerftören und anzünden, brach 
am 13. Januar im Jahre unjeres Herren Jeſu Chrift 1313 mit 
dem ganzen Heere plöglic auf und gelangte nad) Barbarinum, 
von wo er fih am nädften Tage nach Podium Bonici begab. 
Hier richtete er nach dem Rath aller feiner Fürften ſich auf dem 
Gipfel des Berges ein Winterlager her!). Indem er hier feinen 
Aufenthalt nahm, war der Kaiſer im Stande mit gleicher Leichtig- 
feit jowohl Siena als Florenz wie auch Lucca mit Krieg zu 
überziehen, und, wenn e8 etwa die Lage der Dinge erforbern follte 
daß er fih nah Piſa ziehe, jo führte auch dorthin eine direkte 
Straße ?). 

4. König Robert zeigt Padua an, daß der Papft 
ihm die Stadt Ferrara überlafjen hat, nebft Ant- 
wort der Paduaner. Um diefe Zeit fam von König Robert 
von Apulien ein Brief in Padua an, welcher folgendermaßen lautete: 

„Wir Robert von Gottes Gnaden König von Ierufalem und 
Sicihien, Herzog von Apulien, Fürft von Capua, Graf von Pro- 
vence Folcaquerium ?) und Piemont entbieten den edlen und weiſen 
dem Podefta den Anzianen und der Gemeinde von Padua, unferen 
geliebten Freunden und Getreuen, Heil und den Gruß aufrichtiger 


1) Heinrich nannte die Lagerſtadt Mons imperialis, Kaifersberg. — 2) Bergl. oben 
die Anmerkung zu Buch) 9 Kap. 4. — 3) d. i. Forcalquier. 


1313 


San. 13 


I56 Eiftes Bud). 


1313 Zuneigung. Die treue Liebe des frommen Vaterd Herren Clemens, 
des höchften Priefterd der hochheiligen römischen Kirche, auf ung, 
als auf feinen und der Kirche ergebenen Sohn vertrauend, hat die 
Stadt Ferrara in beftimmter Weife zu lenken unferer Sorgfalt 
übertragen und das Ruder der Verwaltung vderjelben ausdrücklich 
in unſere Hände gelegt. Wir aber, obwohl diefer Auftrag uns 
beichwerlich ift, da wir augenblidlid mit anderen dringenden An— 
gelegenheiten unjerer Herrichaft beichäftigt find, haben dennoch, in 
der Erwägung, daß wir die dringenden Gejuche des Herrn Papftes 
jelbft nicht von der Hand weiſen und die Dienftleiftungen gegen 
unfere heilige Mutter die Kirche nicht beicheiden und geziemend 
ausichlagen fünnen, den vorerwähnten Auftrag ſowohl wegen des 
glühenden Eifers unjerer Ergebenheit, welche wir gegen die hoch— 
heilige römische Kirche hegen, als auch wegen der Zuneigung, die 
wir der gedeihlichen Geftaltung eurer Berhältnifie und der eurer 
und unjerer andern Freunde entgegenbringen, ehrfurchtsvoll an— 
genommen. Daher erjuchen wir und bitten eure Liebe und Freund- 
ſchaft, daß ihr im Hinblid auf die Aufrichtigfeit unjerer Gefinnung 
den Statthalter der vorgenannten Stadt und unfere übrigen Be- 
amten dajelbft, welche gleichjam ein Bild unjerer Gegenwart dar— 
ftellen, der heiligen Mutter der römischen Kirche und ung zu Ehren 
mit wirfjamer Hilfe und gefälliger Gunſt unterftügen und mit be 
reitroilliger Darbietung eurer Heeresmacht, wenn und wie es nöthig 
ist, ftärfen möget, auf daß durch unfere Verbindung mit gemein- 
jamen Kräften und gleicher Zuneigung die Stadt Ferrara unter 
dem Scepter unjerer Herrihaft in der Ruhe eines glüdlichen Zu— 
ftande8 wiederaufblühen und auch in Folge davon eure Stadt, 
durch nachbarliche Beziehungen damit verfnüpft, in ungetrübten 
Glücke verharre; auch find. der vorgenannte Statthalter und Die 
Beamten von und ausdrüdlich angewieſen worden, ihrerjeits, was 
fie immer zur Beförderung eurer Wohlfahrt thun fünnen, eifrig 

1312 und wirfjam zu betreiben. Gegeben zu Neapel am 12. Dezember 

Del der 11. Imdiction 1). 


1) Indiction bezeichnet befanntlich die Stellung des betr. Jahres in einem funfzehn- 





König Robert zeigt Padıra an, daß der Papft ꝛc. 357 


Die Antwort Padua's Yautete: 

„Dem erlauchten Aobert König von Jeruſalem und Sicilten, 
Herzog von Apulien, Fürften von Capua, Grafen von Provence 
Folcaquerium und Piemont entbieten Bornius de Samaritanis aus 
Bologna der Podefta, die vier Bewahrer der Freiheit und Ver— 
fafjung ?), die acht Werfen ver Eredenza, die Anzianen der Gemeinde 
und der Bürgerſchaft der Stadt Padua ihre unterthänige und er— 
gebene Verehrung. Den Brief der königlichen Majeftät über die 
Mebertragung und Entgegennahme ver Berwaltung der Stadt 
Ferrara in Folge der wohlbedachten Ueberweiſung derſelben feitens 
Des frommen Vaters, des höchftens Priefter8 der hochheiligen 
römiſchen Kirche Haben wir empfangen und mit jo inbrünftiger 
Freude entgegengenommen, mie wir das, was und gemeldet wird, 
als fürberlih für die Macht des Königs und unfere Wohlfahrt 
erfennen. Auch können wir nicht zweifeln, daß es nicht nur der 
heilige Bater, fondern dag Gott im Himmel jelbft e8 verhängt 
und gewollt hat, daß wir als Söhne der hochheiligen römischen 
Kirche Durch einen jo erhabenen Sohn verjelben Mutter To fehr 
begünftigt werben, daß wir in Gemeinſchaft mit den Seinen 
wandeln. Wir haben e8 daher in größter Demuth auf ung ge- 
nommen, den Statthalter und die füntglihen Beamten, unfere 
Brüder, in der Stadt felbft und überall jonft mit gleicher Liebe 
zu ehren, und verſprechen diefelben auch zu unterftügen und ihnen 
unter dem Scepter der füniglichen Erhabenheit mit vereinten Kräften 
zu dienen ; zugleich jprechen wir dem erlauchten Könige, dem Spender 
einer jo reihen Gabe, aus innerfter Erfenntlichfeit des Herzens 
unjeren Danf aus und wünjchen ihm Leben und Sieg. Gegeben 
am 6. Januar“. 

Dergeftalt trat zu großer Erleichterung der Bolognejen, 
Paduaner und übrigen Guelfen in Ferrara eine Veränderung ein, 
jährigen Cyclus. Das elfte Indictionsjahr, welches hier gemeint ift, ift vom September 
1312 bi$ September 1313 zu reinen. — 1) Die Einrichtung diefer Behörde hängt mit 
einer um eben dieje Zeit erfolgenden demofratifch-guelfifchen Umgeftaltnng der Berfaffung 


zuſammen, deren Mufjato in feinem zweiten, großen Hauptwerfe, den Gestis Italicorum 
ib. 2 rubr. 2 (Muratori Rer, Ital. Seriptt. X col. 587) gedenft. 


Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 17 


ar. 6 


1313 


258 Elftes Bud. 


durch welche auch in jenen Gegenden die Partet der Guelfen ge= 
jtarkt war. 

5. Bernihtung einer föniglihen Abtheilung 
bei der Abtei Sponga. Inzwiſchen ereignete e8 fich, daß 
einft dreihundert Eſelslaſten Proviant unter dem Geleit einer 
föniglichen Abtheilung durch Galegnanım geführt wurden. Durch) 
Boten hiervon unterrichtet, hatten Zirimbertusg de Syntilla !) ein 
Aragonefe, der Graf der Nomandiola und die florentinifchen 
Keifigen, melde in San Giminiano und Colle als Bejagung Lagen, 
ſich bei der Abtei Spogna gefammelt und hielten ſich bier ver— 
borgen, bis die füniglihe Schaar, etwa zweihundert Berittene und 
ebenfo viel Mann Fußvolk ftark, auf dem Rückwege über den Felſen 
von Scarna hin gegen Colle ?) hinabzog. Ein Theil der Florentiner 
(ag nahe bet der Abtei jelbft im Sinterhalt, ein anderer Theil bei 
dem Thore, durd; welches der Weg nad St. Lazarus führt; 
die übrige Mannſchaft war auf der Hauptftraße, melde nad Siena 
führt, offen aufgeftellt. Die königliche Schaar ſandte ſechs Be— 
rittene als Späher vor um die feindlichen Reihen zu bejichtigen 
und zu erfunden, was für Leute und wie viele es jeien; da fie 
indeß zu weit worgingen und ſich den Rückweg nicht offen hielten, 
fo wurden fie von den Florentinern abgeſchnitten und niedergemacht. 
Sofort aber fam jegt die fünigliche Abtheilung in die Ebene hinab 
und griff an, wurde aber von den in den beiden Hinterhalten 
verborgenen Truppen umftellt und dadurch alsbald in Verwirrung 
gebracht und vollftändig befiegt und vernichtet. Won den Reiſigen 
fielen zwei und fiebenzig; nur wenige entfamen durch die Flucht, 
der Reſt mit den Fußtruppen, welche nach Kriegfitte zugleich vor— 
gegangen waren um die Tinten jener zu umgeben und zu verftärfen, 
geriet) in Gefangenſchaft, von den beutegierigen Teichtbewaffneten 
Cataloniſchen Sölonern der Florentiner aufgegriffen. Die Feld— 
zeichen brachte man nach Florenz. Bei der fo vernichteten Ab— 
theilung befanden ſich Deutſche, Ylanderer und Franzoſen, welche 


1) Ghiberto di Santillio. — 2) Colle di Bal d' Elfa, wenige Miglien jitdlid von 
Poggibonfi. 


König Robert von Apulien entſchließt ſich x. 359 





dem König nahe ftanden und an feinem Hofe eine Nolle fpielten, 1313 
3. B. Aymo de Braymonte ein Franzoje!), des Kaiſers Better, 
und Raynerius Porine aus Caſulä, derſelbe der diefe Stadt dem 
Kaifer überliefert hatte. In Gefangenſchaft fiel Teri Paganelli, 
einer der römiſchen Grafen; ein Graf von’ Santafiora ward er— 
ftochen, ebenfo ein dritter Edler, einer der Fürften des Königs 
und aus deilen Verwandtichaft. 

6. Tod des Raymundus de Aipello Markgrafen 
von Ancona bei Modena. Um dieſelbe Zeit wurde Nah: 
mundus de Afpello der Markgraf von Ancona, ein Nepote des 
Papſtes Clemens, als er mit großen Schätzen, die er geſammelt, 
fid) an die päpftlihe Curie begeben wollte, im Gebiete von Modena 
nahe Caſtrum Vetus ?) von Guido de Montecueulo und Franciscus 
de Menabovibus aus Ferrara, der damals Borfteher von Modena 
wor, und den ghibelliniihen Einwohnern von Modena, welche ſich 
zu einem abicheulichen Raubzug verbunden Hatten, getöbtet, das 
Gold nebft ven Laftthieren weggeführt, fein Gefolge bis auf den 
legten Mann niedergemadt. Die Räuber aber fehrten, um neunzig- 
taufend Gulden bereichert, voller Freude nad Modena zurück. 
Dies geihah am dreizehnten Februar im Jahre unſeres Herren Febr. 13 
1313. Die Bolognejen, voll Schmerz über diefen ungeheueren 
Frevel, hoben die Yeiche von der Landftraße auf, brachten fie nach 
Bologna und festen fie unter ehrenvollen Leichenfeterlichkeiten und 
großem Geleit in einem foftbaren Sarkophage bei. 

7. König Robert von Apulien entjcließt ſich, 
feinen Bruder nah Tuscien zu jenden. Inzwiſchen ver- 
fündeten die Gejandten der tusctihen Guelfenliga Yaut, daß König 
Robert von Apulien zu Neapel in Gegenwart aller Fürften feines 
Reiches eine Berathung abgehalten und hier die ihm dargebotene 
Herrihaft iiber Tuscien angenommen und das fererliche, durch die 
Fürſten befräftigte Gelübde gethan habe, ohne Verzug feinen jüngeren 
Bruder Petrus Bictoriofus mit hinreichender Truppenmacht aus- 








1) de Blamont, ein lothringifcher Ritter. — 2) Caftrovetere. 
Li* 


260 Eiftes Bud). 


1313 gerüftet nad) Tuseien zu enden; zugleih habe er veriprochen daß 
er mit diefem Schritte nur den Anfang made die Sache in die 
Hand zu nehmen, indem ex felbft nichtS deſto weniger die Kriege 
führung in Tuscien auf fih nehmen und dort erfcheinen wolle, 
einerlet ob als Führer, oder als Bruder, denn er habe auf die 
tusciſchen Brüder und Getreuen fein geringeres Augenmerk als auf 
fein Reich Apulien jelbft. Er habe dann dem Petrus befohlen, 
ohne jegliche Zögerung Waffen und Geräthe zu beihaffen und die 
Schaaren der Fürften und Edlen des Reiches auszurüften. Cine 
ähnliche Freude, wie die, welche dieſe Botjchaft bei den Guelfen 
von ganz Tuscien fand, entfinnt fi unſer Zeitalter nicht erlebt 
zu haben. Es war ald ob nah Sturm und Negenwetter der 
Himmel in heiterer Klarheit ftrahle; ſchon glaubte man die deutſche 
Peft vertilgt, Schon den Kaifer befiegt. Die allgemeine Betrübnis 
wandelte ſich in Frohſinn und Scherz, bei Tage erfcholl Feftesjubel, 
bei Nacht aber 

„sell erglänzt das fladernde Licht von der Höhe der Thürme.“ 
8. Der Kaiſer richtet feine Genoffen auf. Auf 

der Burg von Podium Bonici reſidirend, trug der Katjer fürft- 
lichen Sinnes den Tod der Gefährten, welche bei Spogna gefallen 
waren, unterdrücte ftandhaft feinen Schmerz und mahnte in wieder— 
holter Rede die Genofjen gutes Muthes zu jein und, da fie jelbft 
zu glücklicheren Dingen vom Geſchick aufgefpart ſeien, auf eine 
günftige Zufunft zu hoffen; ſobald nur der Frühling das Yaub 
wiederbringe, werde auf Antrieb des neuen Schmagers des Herzogs 
von Deftereich 1) ganz Deutſchland zu Hilfe fommen; fein ältefter 
Sohn, der Böhmenkönig, werde mit Hilfe der Schäße und Kleinodien 
des reichften Landes die väterlichen Streitkräfte mehren; ſchon 
fammle König Friedrich von Sicilien als Bundesgenofje feine’ 


1) Der Kaifer hatte damals für fih um die Schweiter der öfterreihiichen Herzöge, 
Katharina, Tochter König Albrechts, werben laſſen; eben in Poggibonfi traf ihn die 
Nachricht, daß ſeine Werbung von den Brüdern freudig aufgenommen worden war. — 
Gleichzeitig befiirwortete König Johann von Böhmen auf einem Reichstage zu Regens— 
burg eine nachdrückliche Unterftütung des Kaiſers durch das Reich und bereitete ſich vor, 
jelbft nad) Stalien zu ziehen. 









| 


König Friedrid) von Sicilien jendet den Grafen x. 361 


Schaaren; die Italiker aber des kaiſerlichen Anhangs, welche das 
Winterlager verlaffen hatten, die Brüder und Genoſſen aus Arezzo 


piſa und den übrigen großen und feinen Städten, würden geftärft 


mit neugelammelten Mitteln ind Lager zurüdfehren; der Fromme 
Vater Clemens aber, der heiligfte Priefter, der fich fein Unter— 
nehmen wie ſeinen Augapfel angelegen jein laſſe, werde in heiligen 
Mahnungen die Gunft und die Hilfsmittel der Kirche darreichen; 
auch fer ihm der unfterblihe Gott gewogen, mit defien Hilfe und 


unter deſſen Führung er die Lombarden unterworfen habe und, 


bon den Bewohnern der Küfte zu Lande und zur See gefördert, 


nah Rom, feinem Nom gefommen ſei, wo er das Capitol und 


die Katjerfrone gewonnen habe, welche Krönung überdies bereits 


in feierlichen Erlaſſe der Papft gutgeheigen habe; auch jeten dieſe 


aufrührerifchen treulojen Tuscter und die Lombarden (wenn es aud) 
Dort Rebellen gebe) mit Feuer und Schwert von Gott und ihm 
beftraft, vertrieben, verkommen, wie es ſich gezieme daß Die, welche 
die Gebote Gotte8 und des geiftlichen und weltlichen Richters auf 
Erden verlachten, geftraft und zerjchmettert würden. 

9, König Friedrich von GSicilien jendet den 
Grafen von Claramonte dem Kaiſer zu Hilfe Durch 
ſolche und ähnliche Reden richtet der Hochfinnige Kaifer ven Muth 
jener Fürften und Ritter auf. Etwa in denfelben Tagen, am 


1313 


22. Februar, erfchten im Lager ber ihm der Graf von Claramonte Febr.22 


aus Sieilien mit etwa zweihundert Rittern, dreihundert Schleuderern 
und zweihundert Laften an Getreide und Leder, welche König Friedrich 
von Sicilien ſandte. Inzwifchen vernahm man in Tuscien und 
der Lombardei aus Kampanien folgende Nachrichten: Riciardus 
Johannis de Cecano habe, von den Ghibellinen Campaniens kräftig 
unterftügt, Ceperanum, eine Stadt König Roberts von Apulien, 
erobert umd einen hartnädigen Krieg gegen die Guelfen Campaniens 
begonnen lediglich in der Abficht die Truppen Roberts nad) Cam- 
panten zu ziehen und fie von dem Kampfe gegen den Kaiſer abzu- 
lenfen. Gegen ihn aber hätten die Pfalzgrafen, die Nepoten Des 
ehemaligen Papſtes Bonifacius VIII. ruhmvollen Angedenfens, mit 


1313 


Fbr. 12 


62 Eiftes Bud). 


den vereinten Kräften der Guelfen ihre Truppen nach Ceperanum 
geführt, wo es zu einer Feldſchlacht gefommen jet; bier hätten bie 
Grafen den Sieg, der taufend Männern das Leben gefoftet habe, 
erfochten; denn als die Eroberer der Stadt fich fliehend in dieſelbe 
zurückgewandt hätten, ſeien fie bei der jteinernen Brüde, welche 
ihnen den einzigen Rückweg bot, ereilt und jählings in den Fluß 
geftürzt worden, während zugleid) mit den Befiegten die Schlacht— 
haufen der Grafen in die Stadt gedrungen ſeien. In Folge diefer 
Schlacht feien die Anhänger der ghibelliniichen Partei unterlegen, 
getöptet und ertränft worden, und die ganze Provinz Kampanien 
huldige allein dem Namen Roberts, | 

10. König Robert von Apulien jendet Don 
Srenandus nad Tuscien. Am 12. Februar erfchten in 
Tuscien Don Frenandus mit zweihundert berittenen Gatalanen, von 
König Aobert vorausgefandt, um dem Kaifer den Weg zu verlegen, 
wenn derjelbe fein Lager wechile und fortziehe. Es ſcheint an diefer 
Stelle unjerer Erzählung nicht unangebracht, die Herkunft des hocher— 
lauten Don Frenandus zu berichten. König Nanfost) (jener gute 
König Nanfos von Spanien, welcher durch feine Rührigkeit und feine 
Macht unter den Trefflichiten dieſer Welt glänzte und deſſen leuchtende 
Tugenden ihm unvergänglichen Ruhm erworben haben) zeugte fünf 
Söhne, als erften Don Trenandus, welcher Frau Blanca, die Tochter 
König Ludwigs?) von Frankreich, des Vaters des gegenmärtig in 
Frankreich regierenden Königs Philipp zur Gattin hatte, der zweite 
ift Santius?), welchem der Vater die Infantula von Molina *) 
(einer Stadt in Spanien) zur Gattin gab. Mit diefer zeugte”er 


‘den Pitetus, welcher jest das ſpaniſche Reich inne hat). Der 


dritte ift Don Jannes 6), den man mit der Tochter des Mark: 


1) d. i. Mlfons X der Weife König von Caftilien, der von 1252 his 1284 regierte. — 
2) d. i. Ludwig IX., der Heilige 7 1270. Philipp IV., welcher zur Zeit da Muffatus 
ſchrieb in Frankreich regierte, war übrigens ein Enkel, nit ein Sohn des heiligen Lud- 
wig, j. u. — 3) d. i. Sandho IV., 1284—1295 König von Caftilien. — 4) Eine Heine 
Herrſchaft mit gleihnamiger Hauptftadt in Neucaftilien nahe der aragonifhen Grenze. — 
5) Sancho's Sohn und Nachfolger Fernando IV. ftarb bereit$ 1312; worauf Alfons XL, 
defjen zmweijähriger Sohn, König ward. — 6) d. i. Juan. 





Geichlehtstafel der Könige von Aragonien und Franfrid. 263 


grafen Wilhelm von Montferrat vermählte; deren Sohn ift der 1513 
gegenwärtige Herrfher von Galizien. Der vierte, Don Petrus, 
nahm die Tochter des Aimericus von Narbonne zum Weibe. Der 
fünfte ift der noch minderjährige Yacobus. Jener Don Frenandus 
nun, welcher nad) Tuscien geſchickt wurde, ıft der Sohn des Don 
Frenandus, des Erftgebornen des Königs Alfons von Spanien und 
der Blanka, der Tochter König Ludwigs von Frankreich. 

11. Gejhlehtstafel der Könige von Aragonien 
und Frankreich. Und weil in unferer Erzählung vielleicht auch 
der Könige von Aragonien gedacht werden muß, jo will ih die 
Abftammung des gegenwärtigen Geſchlechtes erläutern und meine 
Leſer davon in Kenntnis jegen. Don Jacobus König von Ara— 
gonien ), derjelbe, deſſen Genie in gewaltigem Kriege das Reich 
von Majorica unterwarf ?), hatte drei Söhne Der erfte ıft Don 
Petrus, König von Catalonien und Aragonien ?), welcher die Tochter 
Manfreds t), des Sohnes des ſchwäbiſchen Friedrich) zur Ge— 
mahlin hatte. Mit ihr zeugte er drei Söhne: erftend Don Nanfos, 
welcher ihm unmittelbar in feiner Herrſchaft nachfolgte ©) ; zweitens 
Don Jacobus ”), welchen die Gegenwart als König fennt, drittens 
Don Fridericus, welcher das Königreich Sieilien beherrſcht. Der 
zweite Sohn des obenermwähnten Königs Iacobus, des Eroberers 
von Majorica, trägt den väterlichen Namen; es ift Don Jacobus, 
welcher jetst in ebendemfelben Reiche von Majorica herrſcht, zu- 
gleih auch Graf von Auffigno und Herr von Mons Pefulanus ®) 
ft. Der dritte Sohn des Yacobus, der Bruder der beiden er- 
wähnten, war Erzbiſchof von Toledo ?); dieſer überzog die Sara= 
cenen mit gemaltigem Kriege und gewann durch den Tod im Kampfe 
gegen fie das ewige Leben. — 

Was endlid) die Könige von Frankreich betrifft, fo willen 
wir — (um nicht ihre ganze Reihe aufzuzählen) — daß ihr er- 





1) Sayme I, regierte 1213—1276. — 2) Die Unterwerfung der Balearen erfolgte in 
vierjährigem Kriege 1229—1233. — 3) Pedro III. 1276—1285, der Eroberer Siciliens. — 
4) Conſtantia. — 5) d. i. Kaiſer Friedrih I. — 6) Alfons IT. 12855 —1291, — 
7) Sayme I. 1291—1327. — 8) d. i. Rouffilon und Montpellier. — 9) Sando II, 
fiel 1275. 


1313 


264 Eiftes Bud). 


lauchtes Gejchlecht, welches auf flüchtige Trojaner zurüdgeht, nad 
Ausfterben des Mannesftammest) ſich durch Ugo Capeta, einen 
Ligurier von geringer Herkunft, welcher der Sohn eines meiblichen 
Sprofjes des alten Geſchlechtes mar 2), fortgepflanzt hat. Der 
achte König von ihm an gerechnet war Sanct Ludwig, welchen 
die heilige Kirche in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen 
hat. Diefer Ludwig hatte fünf Söhne: erftens Philipp ?), zweitens 
Carl, denfelben, welcher nad der Väter Sitte!) Conradin von 
Staufen zum Tode verurtheilted); drittens Graf Philipp von 
Atrebas 6), welcher im flandrijchen Kriege fiel; wiertend den Grafen 
von LYanzone ); fünftens endlih den Grafen von Claramonte 8). 
Philipp, der erftgeborne Sohn des heiligen Ludwig hatte drei Söhne: 
Philipp, den gegenwärtigen König von Frankreid) ), und Carl!) 
von derielben Mutter, und Ludwig 11) von der zweiten Gattin. 
Carl, der zweite Sohn des heiligen Ludwig hatte nur einen Sohn 
Carl; dieſer aber zeugte fieben Söhne, als älteften den Erzbiſchof 
von Zouloufe 12); jodann Carl Martell, den Bater des gegenwärtigen 
Königs von Ungarn?3); Nobert, welcher jest König von Apulien 
it 1%); Philipp, Fürften von Tarent, Raimund Belzerius, Johannes 
und Petrus Victorioſus. Philipp, der jetzige König von Frankreich, 
der Sohn Philipps, hat zum älteften Sohn König Ludwig von 
Navarra, den er mit einer Tochter des Herzogd von Burgund 19) 
vermählt hat; die Schweſter dieſer Prinzeffin aber ift mit dem 
jüngften, dritten Sohne Philipps, Carl, vermählt. Der zweite 
Sohn, Philipp, hat eine Tochter des Königs von Britannien zur 
Gattin 16). 


1) Nämlich der Karolinger, 987. — 2) Hugo Eapet war der Sohn des Hugo 
Magnus Grafen von Paris; deffen Mutter ftammte von Karl den Großen ab. — 
3) König Philipp II., regierte 1270—1285. — 4) „more majorum“, ein dem römifchen 
Altertum entlehnter Ausdrud, welcher auf die Strenge und Rauheit der älteften Zeiten 
der römischen Republik hinweiſt. — 5) Hier irrt Muffato; Carl von Anjou war ein 
Bruder, nicht ein Sohn Ludwigs IX. — 6) d. i. Artois. — 7) d. i. Alencon. — 8) d. i. 
Elermont. — 9) Philipp IV. der Schöne 1285 —1314. — 10) Graf von Valois. — 
11) Graf von Evreux, Stammvater der Könige von Navarra. — 12) Ludwig 1296—1297. — 
13) Karl Robert. — 14) 1309—1343,. — 15) Margaretha. — 16) Das ift falſch. Lud— 
wig X. war mit einer Tochter Herzog Roberts II. von Burgund, Philipp V. und 
Karl IV. aber mit zwei Töchtern des Grafen Otto IV. (Othelinus) von der Franche 





Spaltungen und unruhige Auftritte in Rom. 2365 


Kehren wir endlich zu unferer Erzählung zurüd. 

12. Spaltungen und unrubhige Auftritte in 
Kom. O Gott! wie überrajchend den Sterblichen vollziehen ſich 
die Wandlungen auf diefer Welt, oder, um ein Dichterwort zu 
gebrauchen : 

„Kundig ift nimmer der Menſch des Geſchicks, des Loſes der Zukunft 1?) 

Ja, wahrhaftig, der Menſch fieht die zufünftige Entwidlung 
der Dinge nicht voraus! So lächelte das Glück dem Kaiſer und 
fein Geſchick jchien eine Wandlung zum Befferen zu nehmen und 
ihn (falls es nur nicht ſich tückiſch erwies) zum Gipfel ferner 
Kaiſermacht geleiten zu wollen, aber, ſchon im Begriff an's Ziel 
zu kommen, brach es zufammen und vwereitelte jede Hoffnung auf 
Erreihung des Begehrten ?). Wohlan! Wie in Folge deſſen, mas 
oben erzählt wurde, die Dinge in Rom lagen — indem der Kaiſer 
die Stadt verlafien und ſich jchlieglih aus freiem Entſchluß nad 
Tuscien begeben hatte, König Robert von Apulien aber von den 
Bürgern jeiner Partei lange vergebens erwartet wurde — jo 
machten die römiſchen Adligen beider PBarteten dem Sriege, welcher 
ſich jeßt nur gegen fie jelbft richtete, durch Stilftände ein Ende, 

bis Zeit und Bedingungen ſich günftiger geftalten und ihnen neue 
Urſachen an die Hand geben würden, um für fid) und die Ihrigen 
anderweite Maßregeln zu ergreifen. Sie ftimmten daher ihre Pläne 
herab und Tießen es gejchehen, daß Boten zwifchen ihnen bin und 
ber gingen, um über ven Frieden zu verhandeln. In der That 
hatte die Unterhandlung beijeren Fortgang, als man noch furz 
zuvor hätte für möglich halten follen, und führte zur Aenderung 
der Sachlage: übereinftimmend zeigten beide Parteien ſich willig 
den öffentlichen und perſönlichen Fehden ein Ende zu machen, die 
Waffen aus der Hand zu legen, den Frieden herbeizuführen, zwiſchen 


Eomte vermählt. — Dieje drei Söhne Philipps IV., Ludwig, Philipp V. und Karl be- 
ftiegen nad) einander den franzöfifhen Thron. Mit ihnen erloſch 1328 die Hauptlinie 
der Capetinger im Mannsftamme. — 1) Birg. Aen. 10, 501. — 2) Dies fcheint etwa der 
Sinn de3 überaus ſchwerfällig gebauten, kaum verftändlichen Paſſus zu fein. 


1313 


1313 


266 Elftes Bud). 


den hervorragendften und erlauchteften Familien Eheverbindungen 
zu geloben und einzugehen, in friedlich-bürgerlicher Weife mit einan= 
der zu leben, endlich je einen Senator von Seite der Urfint und 
der Columna zu wählen. Died alle8 wurde in furzem unter 
großer Freudigfeit ins Werk geſetzt. Von Seite der Urſini wählte 
man Franciseus, Sohn de8 Matthäus a Monte, von Seite der 
Columna Iacobus de Sarra!) Joannis de Columna zu Se— 
natoren, und jo ward nach den Anorbnungen und Wünjchen der 
Adligen das Gemeinweien eingerichtet ?). Das römiſche Volk jedoch 
glaubte unter jeder Herrichaft, wie beichaffen dieſelbe auch jein 
mochte, knechtiſch bedrückt zu werben; überbrüffig diefer bald durch 
Könige, bald durch Adlige herbeigeführten Ummwälzungen und Un— 
ruhen, wurde e8 unter mancherlei Klagen aufſäſſig, und ſchon 
ichienen die Neigungen und Abfichten des furz zuvor noch in ſich 
geipaltenen Volkes, unter dem Einfluß verjchtevener Triebe ums 
gewandelt, fid) einmüthtg zufammenzufchliegen. Dieſe Könige, Dieje 
Adligen, meinten fie, gingen mit dem Volke, den römischen Bürgern, 
nur wie mit ihren Sklaven um; ihre Sorge jet lediglich, die 
eigenen Abfichten zu erreichen. Auf der einen Seite habe Kobert 
die Römer und Tuscter in Stich gelaffen und mit Verſprechungen 
die Zeit Hingezogen; der Kaiſer andererjeitS habe nur die Gelegen- 
heit zur Krönung wahrgenommen, um dann die Stadt wieder zu 
verlaffen. Auch dieſe ihre Adligen hätten nur für ſich felbft ge— 
jorgt und jeien nur auf ihre eigenen Bortheile und Wünfche, 
nicht auf die des Volkes bedacht. Das Bolt jelbft müfje fich da— 
her ſeines Gemeinweſens annehmen, und e8 fer heutzutage eriprieß- 
licher ſich nad) Volksbeſchlüſſen als nad) Gelesen fein Recht zu 
geben. Das Anfehen der tribunicifchen Gewalt ſei noch nicht fo 
veraltet, daß das mißhandelte Volf ein unerträgliches Joch tragen 
und in unmürdiger Unterthänigfeit erliegen ſollte. Mit jolchen 
Keven erfüllten fie die Märkte und Gafjen und ſchon ward Die 
Bewegung übermädhtig und ihr Gefchrei drang offen zu den Ohren 


1) d. i. Sciarra. — 2) Eine der erften Folgen der Annäherung der Gegner war 
die Vertreibung des faiferlichen Befehlshabers, Johann von Sapigney, aus Rom. 








Spaltungen und umruhige Auftritte in Rom. 367 


der Erften der Urfint und Columna. Dieſe beſchickten einander, 
unterichätten die Bedeutung des aufrühreriichen Gebahrens des 
erregten Volkes zwar feineswegs, glaubten aber nicht nachgeben zu 
dürfen, jondern bejchlofjen ſich zu widerjegen. Als jo die Erbitte— 
ınng bei den Adligen wie beim Bolfe immer ftärfer gemorden war, 
fuchten beide Theile ſich des Capitol zu bemädhtigen. Hierbei kam 
es zu einem Zujammenftoß, in welchem der Adel, nachdem die 
Maſſen des muthentbrannten Bolfes alle Zugänge zum Capitol 
erfüllt hatten, gebrochen und zurüdgeworfen wurde und fi in 
jeine Paläſte retten mußte. Das fiegreiche Volk, voller Freude und 
durch eine Berfammlung, zu der die Mafjen zufammentraten, nur 
noch mehr erregt, einem bewegten ſtürmiſchen Meer gleich, bejetste ſchnell 
die Feftungen der Stadt, nämlid, die Engeldburg, die Milizen und 
die Tiberinfel, und ſicherte diejelben durch Beſatzungen. Zugleich 
wurde beichloffen, einen Einzigen zum oberften Lenfer zu erwählen 
(den das römiſche Alterthum Dietator, unſere Zeit aber Capitän 
nennt), dem man das ganze öffentliche und private Recht anheim— 


gebe und gegen deſſen Ausſpruch auch nur mit einem Worte Bes. 


rufung einzulegen unzuläfjig je. Zu diefer Würde wurde fofort 
Sacobus der Sohn des Joannis Arloti aus dem Haufe der Ste— 
fanisct erhoben und auf das Capitol geführt. Er Jollte alles 
anordnen, und was er verfüge, follte vechtsfräftig fein. Jacobus, 
ein Mann von ungewöhnlicher Begabung, der die Verwegenheit der 
Römer aus Erfahrung kannte, jah voraus, daß man ihn gering 
achten werde, wenn er, durch eine fo ausnehmende Gunft des Volkes 
emporgehoben, feine Macht weniger zur Geltung bringe, als die, 
welche ihn erhoben, hofiten; andererſeits aber erfannte er, Daß, 
wenn er ſich den Großen furchtbar mache und fie niederwerfe, das 
Bolt, welches in den Städten ſtets den Vorrang der Großen un— 
willig erträgt, ſich um fo eifriger und fefter ihm anſchließen würde; 
auch mußte ex fehr wohl, daß es dem Volke gefällt, wenn die 
Vornehmen, auf welche der große Haufe ſtets eiferfüchtig ıft, vor 
Gericht gezogen werden. Mit finfterer Miene und drohenden Ge— 
berden nahm er daher den Nichterftuhl ein, ließ die Vornehmen 


1313 


1313 


268 Eiftes Bud). 


herbeiholen und diefelben, ſobald fie erſchienen, gefangen nehmen 
und in Ketten werfen; nämlich von den Söhnen des Bären (fo 
nannte man dieſes Gejchlecht 1) Gentilis Poncelus Urfint, Ponce— 
letu8 den Sohn des Matthäus de Monte, Franciscus (denjelben, 
den kurz vorher die Adligen zum Senator gewählt hatten, melches 
Amt er gezwungen niederlegte); ferner Stephanus de Columna, 
defjen Bruder Sarra, Jordanus des Agapıtus Sohn, Johannes und 
Petrus de Sabellis, Annibal de Annibalis und eine große Zahl 
anderer Glieder der erlauchten Geſchlechter. Kaum ließ fich der 
Volkskapitän erbitten diejelben unter vielen Vorfihtsmaßregeln aus 
dem Kerker zu entlafen und auf ihre Güter zu verbannen, unter 
Androhung der Todesitrafe, wenn fie diefe verließen. Hierbei 
aber blieb die herbe Strenge des verwegenen Mannes nicht ftehen, 
der (gleihjam um den Branchaleo aus Bologna, welcher die feit 
der Gründung der Stadt dur viele Jahrhunderte erhaltenen 
Paläſte, Thürme, Tempel und Säulen der Könige und Fürften 
zertrümmert hatte, Durch noch Jchredlichere Thaten zu übertreffen 2) 
ji) dazu verftieg und fich vermaß, alle hervorragenden Werfe alte 
und neue zu zerftöven und den Monzo d. h. den feften Thurm 
neben der Marienbrüde nebft dem am gegenüberliegenden Ufer be- 
findlihen Brüdenfopf in einem Augenblid der Zerftörungswuth 
des Volkes preisgab; hier nämlich bot ſich für die Zukunft ein 
Weg über den Tiber zu größeren Entwürfen, und aud für das 
Bol ward jo ein Ausweg aus der Stadt gemonnen?). Und ſchon 
jollte auf gleiche Weife alles, was Branchaleo noch übergelaffen 
hatte, die erhabene Engelsburg, die Bauten der Tiberinfel und 
alle Prachtwerke zur Schmad der ehrwirdigen Stadt dem Haß 
des Jacobus gegen die Großen, gegen melche er unter Benutzung 


1) Bon dem Yateinifchen ursus, der Bär, von welchem Worte man den Namen der 
Orfini (Ursini) herleitet. — 2) Brancaleone di Andalo aus Bologna, ein durch Sitten- 
ftrenge und Seelengröße ausgezeichneter Mann, der, von 1252 bis an jeinen Tod 1258 
Senator der Römer, der Willfürherrfchaft der Adelsfamilien entgegentrat und die Be— 
fejtigungen derfelben niederreißen lief. — 3) Es handelte fih auch damals darum, die 
Befeitigungen, welche in den Händen des Adels das Volk gefährdet und den freien Ver— 
fehr gehemmt hatten, zu bejeitigen. — Die Marienbrücke ift der jegige Ponte Rotto. 





Der Kaifer zieht von Podium Bonici nad) Pifa. 369 


jedes beliebigen Vorwandes einzufchreiten gedachte, wenn nur erſt 1318 
nad Verdrängung des Adels die tribunicische Gewalt in feinen Händen 
zur vollen Entfaltung gelangen würde zum Opfer fallen. Auch erfuhr 
man daß die Ergreifung der Macht dur ihn und das Volk, und 
beſonders die Vertreibung des Adels, dem Kaifer zu gute kommen 
jolle; ihn beabfichtige man herbeizurufen und im Triumph auf das 
Capitol zu führen, damit er dort vom DVolfe allein die Herrichaft 
entgegennehme. Aber das Geſchick und ver Berlauf der Dinge 
freuzte diefe Pläne und machte folche Wünſche zu nichte. Die Ge- 
ſchlechter nämlich und die Häupter des Adel, deren Verderben 
bereits befiegelt zu ſein jchten, wenn fie dem Bolfe Zeit ließen 
fih in der Macht zu befeftigen, beſchloſſen, nachdem fie Durch Ver— 
traute aus den Plebejern jelbft erkundet hatten, was im Werke 
war, insgeheim, Widerftand zu verſuchen, und nachdem fie zur 
Beichleunigung der Sache einen der nächſten Tage für das Unter- 
nehmen feftgefest hatten, famen fie am. frühen Morgen in die 
Stadt und beftürmten mit ihren Schaaren in gemaltigem Anprall 
das Capitol. Der Volkskapitän, der vollſtändig ahnungslos über- 
raſcht wurde, verſuchte das durch die Stadt zerftreute ebenfalls 
nichts ahnende Volk durch Glodenjignale zu ſammeln; vergebens! 
man fam ihm zuvor und ein Trupp Söldner nahm ihn gefangen. 
Auf Befehl ver Adligen wurde er in das Gefängnis gemorfen. 
Das Volk aber, Durch den Tumult in Furcht gejett, hielt ſich in 
den Häufern verſteckt und verfuchte nirgends eine Anſammlung. 
So zerrann, da ein ungünftiges Geſchick es jo mit fich brachte, 
dem Kaiſer jene meitausfehende Hoffnung. 

13. Der Kaifer zieht von Podium Bontci nad 
Piſa. Da im Lager des Kaiſers bei Podium Bonici eine Seuche 
um fich griff, welche mit jehleunigem Tode die Kranfen hinmeg- 
raffte, und es auch an Nahrung gebrad),. jo ficherte der Kaiſer 
das Klofter und die feften Bauten des Ortes durch eine Beſatzung 
und gelangte, nachdem er eilenden Marjches in einem Tage bis 
zur Feſte Bezole !) marjchtert war, am nächiten Tage, dem 10 März, März 10 


1) d. i. Peccioli an der mittleren Era. 





1313 


370 Elftes Buch. Der Kaifer zieht von Podium Bonici nad Pifa. 


nah Piſa. Diefer Schritt verjegte die italiſchen Völker in große 
Erregung und mannichfache Aeuferungen wurden laut. Die Lom— 
barden, deren Wünſche freilih aufeinandergingen, ließen hören; 
falls es dazu käme daß ver Kaifer in die Lombardei zurückkehre, 
jo müßten zwar die Guelfen für fi fürchten; aber auch mande 
Shibellinen — und zwar fein geringer Theil derjelben — müßten 
beforgen, daß der Kaifer ihnen zur Laſt fallen würde, wenn er, 
mittello8 und erfchöpft, fie, die unter den beftindigen Kriegen be— 
reits auf das fchmerfte litten, duch dringende Noth gezwungen 
mit Auflagen drüden werde. Die Tuscier dagegen jubelten und 
gaben fich der feften Hoffnung hin, daß der Kaifer, von Truppen 
entblößt befiegt und durch fein eigenes Gewicht zu Boden gezogen, 
bei dem verzweifelten Stande feiner Angelegenheiten nach Teutich- 
land zurücfehren werde. Andere freilich waren ihrer Furcht noch 
nicht enthoben: der Kaiſer, bejorgten fie, habe fid) in das getreue 
Pila zurückgezogen, um jegt in der Frühlingszeit neue Kräfte zu 
fammeln und die durch Krankheit geſchwächten Genofjen ſich pflegen 
zu laſſen; er begeiftere fi) an der glühenden Hoffnung den Krieg 
zu erneuern und werde dann Tuscien um jo verberblicher fein, 
weil er die Apulier, welche nunmehr vergebens zur Unterſtützung 
von Tuscien gekommen ſeien, gleihjfam an der Naſe herum geführt 
und der Sache überbrüflig gemacht habe. So äußerten fi) durch 
ganz Italien hin die Einen jo, die Andern fo. Die Florentiner, 
wie ein von den Nachitellungen des Jagdhundes befreites Wild, 
zerftreuten fich über die Orte, melde der Kaiſer beſetzt gehalten 
hatte, und nahmen fie, ſobald diefer fie aufgab, wieder ein, mit 


Ausnahme von Podium Bonici, welches die Befatung Fräftig bes 


hauptete. Denn der Kaifer hatte hier trefflihe Krieger in die 
ſtarken Befeftigungen gelegt. 


_ 





Zwölftes Sud. 


1. Beabjihtigter Angriff der Paduaner gegen 1313 
Lucium; Vormarſch derjelben gegen Leniaticum?) 
und das Veroneſiſche Gebiet jenjeits des Athejis2). 
Durh die Empörung von Lucium gleihlam im innerften Herzen 
getroffen, überdies durch die Nieverbrennung aller Sleden von 
Pedevenda verwundet und verlegt, marfchterten die Paduaner, mit 
fünftlihen Schöpfungen ihrer Kriedshaumeifter verjehen, nad Eit. 
Doch Liegen fie nod immer voll Eifer Belagerungsthirme, Sturm— 
böde, Schugdäher, Mauerbrecher und Mafchinen jeder Art zur 
Belagerung der Veſte anfertigen und waren entjchloffen, mit 
Schleuderern und Pfeilihügen, gedeckt durch ihre zu Waffer und 
zu Lande benugbaren Schutdädher, den Ort in diefen Tagen zu 
beftürmen. Canis aber jandte unabläffig Beſatzungstruppen aus 
Verona und Bicenza jowte Söldner und die paduanischen Ver: 
bannten dorthin, um alle Zugänge zu befegen; ex ſelbſt aber blieb 
in Bicenza, um die Stadt durd alle Mafregeln, die in feinen 
Kräften ftanden, zu fhügen, da er fid) auf die Einwohner wenig 
verließ. Weil nun die Anhäufung jo großer Maſſen von Be: 
jagungstruppen und die unzugängliche Schroffheit des Ortes den 
Paduanern jeden Anfturm unmöglih machte, ſannen diefe darauf, 
den Borfichtmaßregeln der Feinde zum Trotz, ihren Angriff un= 
vermuthet auf irgend eine andere Stelle zu richten. Sie machten 





1) j. Legnago an der Etſch. — 2) Etſch. 


272 Zwölftes Bud). 


daher kehrt und gelangten nad) eiligem Marie um die Mittags- 
zeit nad) der Abtei Vangadicta !). Hier ruhten fie ſich aus, kochten 
ab und blieben während des Abends Liegen; nach der dritten Stunde 
der Nacht?) jedoch brachen fie auf, und gingen, während fie ihre 
Belagerungsmaſchinen auf Schiffen den Athefis aufwärts Ichafften, 
jelbft in Reihe und Glied unter Borausfendung von Kundfchaftern 
auf der direften Straße nad) Yentatium vor. Bei Sonnenaufgang 
ftiegen fie in die Ebene unterhalb diefer Stadt hinab, Tiefen ihre 
Zinken und Trompeten jehmettern und zwangen die überrajchten und 
erfchreeften Einwohner der Umgegend, ihre außerhalb der Feftungs- 
gräben gelegenen Häufer zu verlaffen und fi) in den Schuß ver 
Befte zurücdzuziehen. Ningsum wurden dann ohne Zeitwerluft die 
Häuſer niedergebrannt und eine ausnehmend reihe Beute, welche 
des plötzlichen Ueberfalls wegen nicht hatte in Sicherheit gebracht 
werden fünnen, fortgeführt. Außerhalb der Wälle ward nichts 
verſchont gelaffen. Dann zerftreuten jie fih, um abtheilungsmeife 
die einzelnen Flecken zu plünderm und Alles mit Feuer und Schwert 
zu vermüften, von dem überaus wohlhabenden Städtchen Anglaria 
aus, wo man fette Beute machte, nebſt den ſüdlich davon gelege- 
nen Dörfern, ſowie St. Petri und Billa Bartolommea ?). Mit 
der Beute jchleppte man auch die Bauern gebunden herbei und 
machte auch auf die Heerden derjelben an Groß- und Kleinvieh, 
welche auf den Wiefen zerftreut waren, Jagd. Den ganzen Lauf 
des Athefis entlang wurden ferner die Mühlen, melde von der 
umliegenden Landſchaft benutzt wurden, niedergebranni oder in den 
Fluß geworfen; bei einem Theil derjelben fappte man die Anfer- 
taue und führte fie zur Abter*) hinab. Als e8 Abend wurde, fehrten 
die Sieger unter Vorausfendung der Beute und der Heerden und 
Gefangenen in großer Heiterfeit unter lautem Klange der Zinfen 
und Trompeten nad) der Abtei zurüd. Dies geihah am Tage 


1) Bangadizza, 11u—2 Miglien ſüdlich von Legnago. — 2) 9 Uhr Abends. — 3) An— 
gari 2 Miglien ftromaufwärts von Legnago, ©. Pietro Moruzia weſtlich (an der Straße 
nad Mantua), Billa Bartolomea ſüdöſtlich (ſtromabwärts) von Legnago; alle drei auf 
dem rechten Etſchufer. — 4) d. i. Spogna. 





Empörung des Sublimanus. 273 


| der Reinigung Martä, am 2. Februar 1313. Am nädjten Tage Sn 
; gingen fie nad Montagnana und braden, nachdem fie die bier a 
ftehenden Truppen mit ſich vereinigt hatten, am frühen Morgen 

des folgenden Tages auf, um fi) über die Felder der Vicentiner For. 4 
zu zerftreuen. Als fie aber mit einander jenſeits der Grenzen Des 
paduaniichen Gebietes im Diftrift von Cologna ') marſchirten, wur— 

den fie durch Schnee und Kegengüfje zurücgetrieben und wandten 

fih wieder nad) Montagnana, ihrem Ausgangspunfte, von wo fie 

nod an demfelben Tage nad) Eft heimfehrten. Da überdies die 
Ihredlihe Witterung ihnen nicht erlaubte Yuctum zu belagern, ſo 
Iparten fie fi ihre Mafchinen und Geräthe für eine gelegenere 

Zeit auf und eilten wieder nadı Padua. Canis hielt ſich nod) 
immer ſpähend in Bicenza auf, da er auf günftige Nachrichten aus 
Lucium wartete; als er fi) aber in diefer Hoffnung betrogen jah 

und anftatt deſſen Lediglich von Schäden, welche feine eigenen Ge— 

biete erlitten hatten, hörte, ließ er, im höchſten Grade ver- 
wundert und befümmert, alle Angriffspläne fallen und blieb in 
Bicenza. 

2. Empörung des Sublimanus In eben dieſen 
Tagen fam es in Padua zu entjeglihen Auftritten. Im Often 
der Stadt, in den vom Kriege wenig in Mitleivenfchaft gezogenen 
Gebietötheilen lebte ein eben fo veiher als vornehmer Bürger, 
Namens Sublimanus de Aubeis ?), welcher fich der ghibellinijchen 
Partei angefchlofien hatte, obwohl er aus einer guelfiihen Familie 
ftammte. Er war ein verwegener, unbefonnener Menſch, welcher 
ſich auf fein Genie verließ und mit der bürgerlichen Berfajjung 
und Regierung des Staated nicht einverftanden war. Schon als 
Süngling hatte er fih in dem Dorfe Braciolum, jeinem mütter- 
lichen Erbe, ein feſtes Schloß erbaut und dieſes nad) und nad) 
mit größtem Eifer durd Mauern, Zinnen und breite Gräben 
ringsum befeftigt, indem fein Verlangen darauf ausging und er 





1) Cologna Beneta im PVeronefifhen, nahe der Grenze der Gebiete von Berona, 
PVicenza und Padua. — 2) Sulimano dei Roffi, val. ob. Buch 6 Kap. 6. 
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VII. 15 


1313 


x A Zwölftes Bud). 


ſich verwegen anmaßte, fi) Hier nicht nur vor feinen perjünlichen 
Feinden zu fchügen, ſondern auch der Stadt fich zu entziehen, wenn 
diejelbe durch Kriegsunruhen erjchüttert würde. Als e8 in der 
That hierzu fam, weigerte er fi) zu den Auflagen zu Gunften 
der dringenden Bedürfniſſe des Gemeinmwejens beizufteuern, ließ es 
ruhig geichehen, daß man in der Stadt fein Haus niederriß, hielt 
fic) allen Ladungen Trotz bietend auf feinem Yandgute zu Bracio- 
(um gleichſam verſteckt und zog auch nicht mit den übrigen wider 
die Feinde aus. Als man ihn mehrfach zu Geldbußen verur- 
teilte, achtete er Died gering umd ließ fich Die Strafen nichts an- 
fechten. Nachdem die Gemeinde es lange verſäumt hatte dieſem 
Manne entgegenzutreten, entjchloß man ſich endlich doc auf Antrieb 
des Volkes, welches, wie auch die Vornehmen, die Pläne des Wis 
derfpenftigen ahnte, gegen ihn einzujchreiten. Die act Erſten, 
welche die wichtigften Angelegenheiten des Staates bejorgen t), be 
ichlofjen, ihn durch feine Angehörigen zur Stadt zu laden und fi 
mit ihm auseinander zu jegen. Sublimanus — einerlet, was ihn 
dazu bewog — begab fich in Folge hiervon zur Gualpertinus, dem 
Abt des in der Stadt belegenen Kloſters der heil. Yuftina, ver— 
pfändete ihm als einem Mitglied des Rathes wie auch al einem 
Privatmann fein Wort, daß er der Gemeinde wohlgefinnt jet und 
gegen Diejelbe weder etwas geplant noch ind Werk geſetzt habe, 
und erklärte fich bereit, ihm feinen bereits erwachjenen Sohn un= 
geſäumt zu überliefern, um venjelben zu geigeln und zu tödten, 
wofern es fich herausftellen jollte, daß er an Empörung gegen das 
Gemeinwesen denke. Er bat indeß und beſchwor den Vater Abt, 
ihn gegen feine perfönlichen Feinde in Schug zu nehmen, damit 
ihm namentlid) nicht auf das Drängen einiger jein Schloß in 
Braciolum zerftört würde. Voller Freude umarmte der Abt den 
Sublimanus und deſſen Sohn und führte fie auf Das Rathhaus 
zu den Borftehern. Nachdem man fidy hier unter einander ver- 
ftändigt hatte, ſchien die Sache beigelegt und Sublimanus eilte 


1) Die Savii. 








Empörung des Sublimanus. 275 


nad) zmweitägigem Verfehr mit feinen Mitbürgern mit Hinterlafjung 
feines Sohnes in den Händen des Abtes nad) Braciolum zurüd. 
Als aber der Podeſtà Bornius mit feinen Kriegern und den Bür— 
gern von der Unternehmung gegen Legnago nad Padua zurücd- 
fehrte, erklärte er e8 für unwürdig und unerträglich, daß ein ein= 
zelner Bürger unter Stellung von Geiſeln gegen die Sitten und 
Einrichtungen der Gemeinde nach feinem eigenen Geſetz lebe und 
ließ daher den Sublimanus jofort vorladen, der jedoch Krankheit 
vorſchützte. Alsbald ſandte Bornius auf Grund eines Beſchluſſes 
der acht Vorſteher, welche. beſorgten daß Sublimanus nad) deu 
Vorgang des Nicolaus de Lucio fid) ungeftört zur Empörung vor= 
bereiten könne, in der Stille der Nacht gegen Braciolum bie 
Mannſchaft des Quartiers Turriſelle aus nebft dem Sohne des 
Sublimanus, der in der Abtei als Geiſel zurücdgeblieben war, 
und zwei Töchtern defjelben im Alter von fünf und drei Jahren, 
um diefelben im Angeficht des Vaters aufzuhängen oder den Speeren 
deſſelben entgegenzuwerfen, falls er nicht ſich und ſein Schloß über— 
liefere. Wenngleich durch den erſten unerwarteten Anprall über— 
raſcht, verharrte Sublimanus dennoch, auf die Bauern von Bra— 
ciolum, welche er gewaltſam in ſein Schloß geführt hatte, auf eine 
Anzahl von verbannten Paduanern und ſeine Vettern aus dem 
Geſchlecht der Piteti (ſo nannte ſich ihre Familie) geſtützt, in ſeinem 
Trotz und ließ die paduaniſchen Truppen nicht nur nicht ein, ſon— 
dern zwang ſie durch Speerwürfe zum Weichen. Als dies nach 
Padua gemeldet wurde, erregte es kein geringes Aufſehen; und 
durch Venedig, Vicenza, Verona und die übrigen umliegenden Städte 
ging das Gerücht, daß die Paduaner im Herzen ihres Staates 
gegen einander in den Waffen ſtänden, ein Gerücht, welches bei 
Canisgrandis große Freude hervorrief, da die durch innere Un— 
ruhen bedrängten Feinde um ſo leichter und ſicherer zu beſiegen 
ſchienen. Bornius ließ ohne Zeitverluſt die Belagerungsmaſchinen 
und Material zur Erbauung von Schutzdächern vorausſenden und 
eilte dann ſelbſt nach Braciolum. Da begehrte Sublimanus ſchlau 
und pfiffig, wie er war, ſich mit ſeinem geiſtlichen Vater dem Abt 
18 


1313 


276 Zwölftes Bud. 


1313 von St. Juſtina, feinem Better Zambonetus de Capitevaccae, Mar- 
tinus Canis und feinem Schwager Raynaldus Verlatus zu berathen; 
als fie heranfamen ließ er die Brüde nieder, trat mit feinen Be— 
gleitern, Die in jeinen Plan eingeweiht waren, heran, warf fi) 
mit freundlicher Miene dem Abt in die Arme, riß ihn nebft Zam— 
bonetus mit fich fort und ließ Hinter fi) die Zugbrüde wieder 
aufziehen. Durd den glänzenden Erfolg viefer Lift in Staunen 
und Schrecken verjest, brachen die Paduaner in Verwünſchungen 
aus, denn fie jahen ſich in Betrübnis verjegt und verhöhnt und 
ihre Pläne gefreuzt. Sublimanus Dagegen, voller Zuverficht iiber 
feinen Erfolg rief ihnen zu, er werde den Tod feiner Kinder durch 
die Ermordung diefer Männer rächen. Obwohl nun die Paduaner 
ihre einflußreichften, ihnen wertheften Mitbürger in Lebensgefahr 
laben, beichlofien fie doch das Wohl des Staates allen anderen 
Erwägungen vorangehen zu lafjen und ließen ihre Mafchinen ſowie 
die Reihen des Fußvolkes mit Schleudern und Pfeilen verjehen 
zur Meberjchreitung des Grabens vorgehen. Hierdurch erjchredt, 
forderte Sublimanus für ſich und die Seinen zu unterhandeln; 
andernfalls drohte er in Verzweiflung gebracht den Abt und Zam— 
bonetus zum Sühnopfer für feine Kinder den Schwertern und Ge— 
ſchoſſen der Paduaner jelbft auszufegen. Bornius und die Führer 
der Paduaner traten zur Berathung zufammen; bei der Ueberle— 
gung aber, wofür man fi in dieſer Jchredlichen Gefahr entjcheiden 
jolle, gingen ihre Anfichten und Reden auseinander. Einerſeits 
nämlich ſchien es jchimpflih und zum Schaden der Stadt zu fein, 
wenn man die Vermeljenheit des Schändlichen ungeftraft laſſe, 
und durch dies Beijpiel falſcher Nachſicht jeden, der verbrecheriſche 
Pläne gegen die Kepublif im Schilde führe, ermuthige; anderer— 
jeit8 erwog man, daß, wenn man fi) an die Beftürmung des 
fteilgelegenen, von tiefen Gräben umgürteten und mit hoben Thür— 
men verjehenen Schloſſes und der überragenden Zinnen made, 
leiht manche, wie es zu gefchehen pflegt, ihren Tod finden würden; 
und daß es auch ein großer Verluſt für den Staat fern würde, 
wenn der Abt, defien Umficht und Einfluß denfelben in Krieg und 





Empörung des Sublimanıs. 201 


Gefahr vertheidigt hatten, und der edle Bürger Zambonetus bet 1313 
dem Unternehmen zu Grunde gingen. Es fam hinzu, daß Alber- 
tinus Mufjatus, der Bruder des Abtes, bei den Bürgern und 
dem Adel überaus beliebt war, obwohl derſelbe laut erklärte, das 
Wohl des Staates müfje unter allen Umftänden vorgehen. End— 
lich machte man aus, Sublimanus jolle am Leben bleiben und mit 
den Seinen abziehen. Nachdem man daraufhin den Abt und 
Zambonetus unverjehrt ausgeliefert erhalten hatte und das Schloß 
übergeben worden war, zogen bei Sonnenuntergang Bornius und 
die übrigen Nitter und Fußtruppen in das Lager ab. Als dann 
Ihon bei völliger Dunfelheit Sublimanus durch einen Boten von 
Bornius freied ©eleit erbeten hatte, fuchte der vorgenannte Zam- 
bonetus um die Erlaubnis nad, ihn zu geleiten, erlangte fie aber 
nur injomweit, als Sublimanus damit einverftanden wäre. Als nun 
ein vitterlicher Genofje aus der Umgebung des Podefta fi) zu Sub- 
limanus begab, jhloß ſich Jambonetus mit einer Schaar Bewaff- 
neter an und trat zu Sublimanus, indem er verficherte, er habe 
aller Unbilven vergeffen und werde ihm, mit dem ihn das Band 
der DVerwandtichaft vereine, nichts deſto weniger zu Willen fein. 
Darauf entlieg Sublimanus den Nitter de8 Podeſtà und die Eei- 
nen und vertraute ſich und jeine Habe dem Jambonetus und defjen 
Begleitern an. Als man nun aus dem Schloffe trat und Su— 
blimanus bereit jein Roß beftieg, gab Zambonetus, von wilden 
Zorn über die Falſchheit und Hartherzigkeit des Sublimanus er- 
griffen, der ihn, als er ſich für fein Leben und Beftes verwandte, 
dem Tode hatte ausſetzen wollen, den Mahnungen feiner ihn be- 
gleitenden Freunde nad, welche Darauf drangen daß Sublimanus 
getödtet würde. So ſank diefer, von vielen Stichen durchbohrt, auf 
demjelben Plage zu Boden, wo er den Abt und Zambonetus hin- 
tergangen hatte. Sein Leihnam ward von Jambonetus und des: 
jen Genoſſen in den Schloßgraben geftürzt. Sp hatte merfwür- 
diger Weiſe jener, den man häufig jagen hörte, er werde nirgends 
ander als in den Gräben von Bratiolum fein Leben beichliegen, 
ſich jelbit jene Todesart beftimmt! Als man dem Bornius un— 





1313 


278 Zwölftes Bud). 


gefäumt die Ermordung des Sublimanus meldete, gerieth er in 
die äußerte Beitürzung und Erbitterung und hätte den Mörder 
zur Rechenſchaft gezogen, wenn verjelbe jich nicht fliehend verborgen 
hätte. Die Bürger und das Bolf Padua’ dagegen nahmen ven 
Flüchtigen freudig auf, hinderten Bornius gegen denſelben einzu- 
Ichreiten und billigen e8 durch Bolfsbeihluß, daß man Be— 
trug durch Betrug räche. 

3. Canisgrandis verbrennt Schloß Lucium aus 
freien Stücken und wider den Willen des Ver— 
räthers Nicolaus de Lucio. Um dieſe Zeit, Mitte März, 
ward Canisgrandis, der unter Benugung des günftigen Umftandes 
daß ihm die Berräther durch die Ueberlieferung von Lucium einen 
Stützpunkt in nächſter Nähe von Padua gegeben, überall die reichen 
Colonien der Paduaner, diesſeits und jenfeits von Vende, nieder: 
gebrannt hatte, der Dientleiftungen jener Verräther überbrüffig, 
weil er einfah, daß fie nicht aus Liebe und Zuneigung zu ihm, 
jo gehandelt hatten, jondern lediglich bejtrebt gemejen waren, jo 
ſchnell als möglich die Sache von ihren Schultern abzumälzen, 
und befahl daher, das Schloß Lucium nebſt den Paläſten des 
Verräthers niederzubrennen. Eine zwiefahe Erwägung rieth ihm 
dies und ließ e8 ihn ausführen; einerjeitS die unerjchwinglichen 
Koſten, zweitend aber die nicht ungegründete Beſorgnis vor einer 
bevorftehenden Belagerung, auf welche ſich die Paduaner durch Er— 
bauung von Majchinen nnd durch große Veranftaltungen vorberei- 
teten. So janf die Veſte und alles, was über dem Erdboden er— 
richtet war, in Aſche. Und auf daß dem PVerräther eine Pein, 
bitterer al8 das Bemußtjein des von ihm ausgeführten Verbrechens 
am Herzen nage, jo verlegten einige dem Canisgrandis treu er= 
gebene Veroneſen, früherer Feindſchaft und ſchwerer Mishelligfeiten 
eingedenf, welche weiland Guido de Lucio, den Bater des Nicolaus 
mit Maftino und Albertus della Scala ſchwerer Beleidigungen 
wegen entzweit hätten, und in dem feften Glauben daß Guido ſelbſt 
bei der Ermordung des Maftinus betheiligt geweſen jei und die 








Lage der Dinge in den lombardiichen Städten. 2379 


Mörder beaünftigt habe, das Grab des Guido, welches fich Dort !) 
befand, und ließen den Leichnam und die umhergeftreuten Knochen, 
den Bliden Aller ausgefest, Liegen, ſodaß die Strafe für feinen 
Berrath nicht nur den DVerräther felbft und feine Nachkommen, 
jondern ſogar den Schatten ſeines Vaters traf. 

4. Lage der Dinge in den lombardiſchen Städ- 
ten. Inzwiſchen liefen die Lombarden nicht ab, in unerbittlichem 
Kampfe einander zu zerfleiichen, wobei fie fich jedoch, wie ſchon ſeit 
langem, in ihren Städten im Welentlihen ohne Veränderung be- 
baupteten. Vercelli nämlich Hefand fi in den Händen des An- 
hangs der Advokati, während die Titiont verbannt waren, fih aber 
in Salizolum und Crafentinum hielten; in Novara herrſchte, auf 
die Tornielli geftügt, ein Eatferlicher Bifar, mährend die Brufjatı 
und Cavalacii?) fat das ganze Landgebiet der Stadt innehatten; 
in Bergamo behaupteten fich die Soardi und Coglont unter dem 
föniglichen Vikar; die Bunghi Rivoli und einzelne Coglont waren 
vertrieben. In Como hatten die dem Kaiſer anhängenden Ros— 
ones ?) das Mebergewicht, während die Vitani die Stadt meiden 
mußten, Lodi befand fi) in Der Gewalt der Viſterini, welche 
unter dem Schilde des Reiches die Guergani und Fifiraticht ſowie 
den Fanus de Drifimo aus der Stadt trieben und fern hielten. 
Albertus Scotug mit den Gonfalonerit in Piacenza ſchloß im Na— 
men des Kaiſers die Fontani Anditt und Furgoſii von der Staatö- 
gemeinschaft aus. Modena gewann der Anhang der Mirandıla 
unter dem Schutze des füniglihen Statthalters; die Sapignant 
Buscheti Rangoni und Saroli wurden verjagt. Die Canoſſi umd 
Roberti mit den Fogliani und den übrigen Guelfen behaupteten, 
unter Ausſchluß des adligen Geſchlechtes de Seſſo, Reggio. In 
Cremona und Parma ſtand die Macht bei dem reichsfeindlichen 
Kapitän Gibertus de Corrigia. Brescia ſtand unter der Obhut 
der Partei der Mazii, die, von den Verbannten, welche die übrigen 
Städte innehatten, ſchwer bedrängt, kaum die Haupſtadt ſelbſt be— 


1) d. h. in Lozzo. — 2) Cavalacchi. — 3) Rusconi. 


1313 


1313 


März 6 


280 Zmölftes Buch, 


haupteten. Zwiſchen Canisgrandis endlih, dem Reichsvikar von 
Verona und Bicenza, und den Paduanern nahm der erbitterte 
Kampf unter bejtändigen Berheerungen und ohne Paufe feinen 
Fortgang. 

5. Parma wird von Gibertug de Eorrigia dem 
König Robert von Apulien äbergeben. Durd den 
langen Krieg erihöpft und von den verbannten Rubei, welche das 
Dorf St. Dionys einnahmen, und mit Hilfe des Maphäus Vice 
comes und der übrigen Glieder der kaiſerlichen Partei in beftän- 
digen Einfällen da8 Gebiet von Barma in Aufruhr verjetten, be— 
drängt, unterftellte Gitbertus de Corrigia die Stadt dem Schute 
König Nobertd von Apulien, nahm eine füniglihe Beſatzung in 
Parma auf und übertrug am 6. März dem König die Signorie. 
Auf dieſes Beiſpiel hin beichloffen, des widerwärtigen Krieges müde, 
auch Die Cremoneſen jowie die Verbannten von Brescia Bergamo 
Lodi und Crema auf einer zu Parma abgehaltenen gemeinjamen 
Belprehung der Herrichaft deſſelben Robert fich zu unterwerfen. 


6. Ankunft des Erzbiihofs von Trier, Deß 
Bruders des Kaiſers, in der Lombardei. Inzwiſchen 
verließ der Biſchof von Trier, des Kaijer Bruder, auf deſſen Be— 
fehl Piſa und ging nad) der Yombardei, wo er zunädft in Piacenza 
feinen Aufenthalt nahm. Seine Ankunft gab zu verjchtedenartigen 
Erwägungen und Gerichten Anlaß. Einige Jagten, fein Zweck jet, 
bier Die erwarteten Truppen aus Deutichland bequemer an fich zu 
ziehen, und fie dann über Genua nad Piſa zu geleiten; Andere 
meinten, er wolle fih an die römiſche Curie begeben, um die 
Krönung des Kaiſers, welche, wie man hörte, ſeitens der Partet 
König Roberts verdächtigt wurde, in Schu zu nehmen; noch 
andere, die bereits glaubten, daß die Macht des Kaiſers gänzlich 
erichöpft fei, Sprachen, man löſe nach und nad) das Hoflager auf, 
Damit der Kaiſer felbft ficherer und bequemer, möglicherweife ganz 
in der Stille, jobald ſich Gelegenheit biete, nach Deutjchland ge— 
langen fünne. Ob diejelben Recht hatten oder nicht, wird der Ver— 





Treffen des Vorſtehers Werner mit Ugo de Albafto ꝛc. 281 


lauf meiner Erzählung !) jeiner Zeit fundthun. — Zugleih fam 
in Stalten auch das Gerücht auf, der heilige Vater, erichüttert durch 
die abicheulihe Ermordung des Markgrafen von Ancona, feines 
Berwandten, habe den Kardinal Franciscus Gajetanıs als Special- 
legaten mit der Beltrafung Modena's beauftragt, um die Mörder 
und deren Helfer zu Achten, die Stadt aber durch apoftoltichen 
Richtſpruch der Plünderung und Zerftörung anheimzugeben, damit 
die verlegte hochheilige römische Kirche den Mord eines fo hoch— 
geftellten Mannes durch nahdrüdliche Strafe räche; hierzu ſollten 
ſich der geiftlihe und der weltliche Arm unter der Fahne des 
Kreuzes zur Ausübung zeitlicher und ewiger Gerechtigkeit vereinigen. 
Unter dem Eindrud diefer aufregenden Nachricht fanden im März 
und April mehrere Zufammenfünfte in der Lombardei ftatt. 

7. Treffen des Borftehers Werner mit Ugo de 
Albafio im Gebiet von Felicianum. Um dieje Zeit begab 
fih Werner von Homburg, der Borfteher der Provinz, vereint 
mit dem Markgrafen von Montferrat und Luchinus dem Sohne des 
Maphäus Bicecomes mit Soldtruppen und einem Theil der Mai— 
ländiſchen Bürgerwehr, eilenden Fußes nad) Montferrat, um die 
verbannten Aftefanen zu unterftügen, welche die Stadt hart be 
drängten. Bon jeinem Marſch benachrichtigt, ſammelte Ugo de 
Albafio, der Senejhall König Roberts, welcher in Alefjandria be- 
fehligte, die Streitkräfte der Aleffandriner und der verbannten Mai- 
(ander ſowie andere ringsum, welche ihm anhingen, und eilte jenem 
entgegen, um ſich ihm in den Weg zu ftellen. Al e8 nun der 
Zufall mit fi brachte, daß Werner, nachdem er die Befte Luvium?) 
verlafjen hatte, nadı Mond Calvus ?) ritt, um von dort nad) dem 
Schloß Mafium *) zu kommen, führte Ugo, der den Marich des 
Gegners aufmerkſam beobachtete, feine Truppen in das Yandgebiet 
von Felictanum 3), durdy welches Werner ziehen mußte. Er hatte 


1) Statt seribenti ift offenbar scribendi zu lejen. — 2) vielleicht Lugo, wenig weſt— 
lid von Balenza, im NR. W. von Aleffandria, gemeint. — 3) Montecalvo weftlid von 
Lugo, ebenfall3 in Montferrat. — 4) Mafio am Tanaro, ſüdweſtlich von Aleffandria. — 
5) Felizzano nördlich von Mafio an der Straße zwiſchen Aſti und Mleffandria. 


1313 


März 
April 


1313 


282 Zmwölftes Bud. 


ſich noch nicht lange dort aufgeftellt, als die Adler Werners in 
Sicht famen. Zugleich erblicten auch Werner und die Seinen die 
königlichen Feldzeihen in der ‚offen vor ihnen liegenden Ebene. Bon 
beiden Seiten wurden jofort Herolde gefandt und unter beiderſeitiger 
Auftimmung die Schlacht angefagt. Die Gegner ordneten ihre 
Kitter und ihr Fußvolk und ftürzten fih auf das Zeichen zur 
Schlacht gegen einander, als die Sonne etwa die zehnte Stunde 
zeigte. Laut krachten die Lanzen und ziichten Die Wurfgejchofie, 
und im Ringen der einzelnen ertönte die Luft von den auf einander 
treffenden Schilden, bis endlih, als ſchon alle in gleicher Weife 
ermattet waren, zuerft die jogenannten Feritored, melde größten- 
theils aus Alefjandrinern beftanden, befiegt wichen und die geſammte 
Mannschaft aus Aleffandria fich zur Flucht wandte. Der Marſchall 
Ugo folgte ihnen, ermahnte fie das Treffen wieder aufzunehmen, 
richtete aber nicht8 aus, da jene, die den Muth zur Schlacht ver- 
loren hatten, ohne Ordnung, zerftreut und geichlagen, theils auf 
dem Schlachtfelde Lagen, theils unwiederbringlich flohen. Die Deutichen, 
welche allzufchnell den Sieg in den Händen zu haben glaubten, 
zerftreuten fich bereits um ſich der Stegesbeute zu bemächtigen und 
verließen ihre Neihen, wurden aber alöbald von Ugo, der ſich mit 
Franzofen und auserlefener Mannihaft auf dem rechten Flügel 
bei feiner Hauptmacht befand, angegriffen, hielten, da ein Theil 
von ihnen bereit zum Beutemachen von den ‘Pferden geftiegen war, 
dem Angriff nicht fand, ſondern ergriffen beftürzt die Flucht. 
Werner mit Hilfsmannſchaft aus den Kerntruppen jeiner Streit- 
macht verluchte lange fie wieder zu menden; vergebens, fie ftürzten 
fi vielmehr gegen ihn und die Seinen, ſodaß die Schladht nicht 
berzuftellen war; ja, beim gewaltigen Zuſammenſtoß zwiſchen den 
Seinen und den Feinden wurde er jelbft verwundet und mußte 
weichen. So wandte ſich das Glück auf die Seite des Marſchall 
Ugo, deſſen Kriegsvolk gegen die anſtürmenden Ritter feine Speere 
fchleuderte und die Weichen der Pferde durchbohrte. Als Werner 
die Berlufte der Seinen genauer zu überbliden vermochte, raffte er, in 
der Beſorgnis daß die Fortſetzung des verlorenen Treffens für 









Anmarſch des Bailardinus de Nogarolis gegen Cajale ꝛc 2383 


| ihn und die Seinen verhängnisooll werden könnte, die Truppen 
des Markgrafen und des Luchinus, ſoweit er vermochte, zufammen, 
‚verließ, als jchon Die Sonne dem Untergange zuneigte, da8 Schlacht- 
feld und entfloh mit dem Reſt feiner Mannſchaft eilends nad) der 
Veſte Duatuordecim!). Ugo Dagegen, der das Schlachtfeld und 
den Sieg behauptete, geftattete den Seinen das Beutemachen. Auf 
Seite des Vorfteherd wurden hundert und zwei und fechzig Mann, 
darunter vierzig vornehme Deutſche erjchlagen, zwei und meunzig 
| gefangen. Auf Seite Ugone’3 fielen zwei und fünfzig, zehn Feld— 
| zeichen wurden im Triumphe nad Mefjandria und Pavia gebracht. 
Eifrig bemüht den Steg auszunusen, übernachtete Ugone auf dem 
Schlachtfelde und zog die flüchtigen Mefjandriner unter Androhung 
von Strafen und Bußen wieder an fih, um dann beim erften 
Schein der Morgenröthe Werner zu folgen und feine Truppen um 
Die Veſte Ouatuordecim, in welche jener fi, eingejchloffen hatte, 
zu legen. 

8. Anmarih des DBailardınus de Nogarolis 
gegen Caſale und Abweifung desjelben. Der Reidhs- 
vikar von Bergamo, Batlardinus de Nogarolis aus Verona, drang 
auf Nath des Corradinus und Gulielmus de Confaloneris 2) von 
Brescia, welche fi) von der Partei Der vertriebenen Brescianer 
zu denen, die die Stadt behaupteten, gewandt hatten, bei Nacht 
heimlich mit den Bürgern von Brescta in den Fleden Caſalis 
Major ein, deſſen Burg dur eine Beſatzung der Berbannten ge— 
halten wurde. Als fih nun Lärm und Kampfgetümmel erhob, 
eilte die Beſatzung beim Schall der Glode zur DVertheidigung der 
Burg auf die Zinnen und gab den Bresctanen von Ajula von 
der Spige des Thurmes aus das verabredete Flammenzeichen. 
Auf diejes Hin eilten ſofort die Neifigen mit Fußvolk gen Cafalis, 
um den Ihrigen zu Hilfe zu fommen. Bailardinus, der die günftige 
Gelegenheit zum Sturm auf die Burg verfäumt hatte, traf beim 
Rückmarſch auf die Ankommenden und ward mit ihnen handgemein ; 








1) Quatorde3 wenig mweitlih von Felizzano. — 2) de’ Gonfalonieri. 


1313 


1313 


284 Zwölftes Bud). 


durch den unerwarteten Zufammenftoß jedoch erjchredt mar er mehr 
auf das Entfommen, als auf den Kampf bedacht. Er verlor zwei 
und vierzig Gefangene, zwanzig Todte. — Um dieſe Zeit ver 
bargen ſich die Erulanten oder Verbannten von Pavia nächtlicher 
Weile in einem Hinterhalt bei Gravalonum nahe Cava Pontis ?), 
etwa drei Miglien von Pavia, um jenes Ortes ſich zu bemächtigen. 
Graf Philippo de Yangusco aber von diefem Anfchlage benach— 
richtigt, rüdte mit den Bürgern der Stadt, um die erſte Stunde 
in der Nacht heimlih aus und überfiel und zevftreute jene, von 
denen etwa fünfzig getödtet oder gefangen, die übrigen in die 
Flucht getrieben wurden. 

9. Unfall des Canisgrandis. Canis, der Reichs— 
vifar von Verona und Bicenza, wurde, ald er in feiner Verwegen— 
heit mit nur wenigen Begleitern durch die paduaniſchen Gefilve 
ftreifte und einft jelbftoritt fich bi8 über die Brentellabrüde ?) zwei 
Miglien von Padua vorgewagt hatte, von drei Bauern aus der 
Umgegend umringt, fein Pferd getödtet und er jelbft zu Boden 
geftredt; doch kamen auf jeinen Hilferuf die beiden Begleiter heran, 
hoben ihn auf und entriffen ıhn den Händen der Bauern. 

10. Kampf der Paduaner bei den Borftädten 
von Bicenza. Durch Canis' Tollfühnheit zu der Hoffnung 
verleitet, ihn, falls er fih etwa in feinem Ungeftüm von den 
Mauern Bicenza’3 entfernt hätte und verwegen umberftreife, abzu= 
fangen, brachen die Paduaner am Abend auf, gingen die Nacht 
hindurh auf dem Wege von Canfredulum vor, an Sandricum 
vorüber und verftedten fi) bi8 zum Tagesanbruch in den Büſchen 
von Theupefis, unter PVorausfendung leichter Truppen die jenen 
reizen jollten. In Anbetraht des zahlreichen feindlichen Haufens 
aber, den ihm, als es heller Tag geworben war, die herbeieilenden 
Bauern anfagten, blieb Canis fern und hielt fi) in der Stadt. 


1) Wohl Cava Marana, im Siden der Stadt, gemeint. — 2) Der Brentellacanal 
verbindet die Brenta mit dem Bachiglione. Er wird furz vor Padua von der PVicentiner 
Strafe überſchritten. 





Kampf bei Soncinum Verbrennung des Fleckens. 285 


1313 


11. Wunderzeihen. In Diefem Jahre, am 19. April „y. 19 


‚ereignete fih) ın Mailand eine wunderfame CErſcheinung. 

Im Vorraum des Haufes des Maphäus PVicecomes nämlich) 
warb ſpät in der Dämmerung von vielen Die Erſcheinung eines 
bewaffneten, auf einem Pferde figenden Mannes wahrgenommen. 
Das Maß des Keiterd wie des Roſſes ragte über das gewöhnliche 
menschliche Maß hinaus. Eine Stunde etwa blieb die Geftalt 
fihtbar, dann verihwand fie. Drei Tage darauf aber erblidte 
man an derſelben Stelle zu Anfang der Nacht zwei Bewaffnete Apr. 23 
von derfelben Größe, welche in erbittertem Ringen mit einander 
fampften, bis fie nach etwa einer Stunde, gleihjam ermattet, den 
Rampf aufgaben und gleichzeitig verſchwanden. — Am 24. Mat Mai 24 
endlich ſah man bei Elarer Luft einen Kreis, einem Regenbogen 
ähnlich, Hoc am Himmel ſich um die Sonne herumztehen. 

m 12. Rampf bei Soncinum, Berbrennung Des 
Sledens Als um diefelbe Zeit Ponzinus de Ponzonibus aus 
Gremona, der Anführer der Guelfen der Yombarder im Kriege 
gegen die ©hibellinen, mit einer Schaar Keifiger nach Urcei unter- 
wegs war, griffen ihn Bernardinus de Mazonibus und Corradinus 
de Confaloneriis mit einer deutſchen Abtheilung, welche bei Soncinum 
als Schuß dieſes Ortes Yag, an; Ponzinus aber trat ihnen auf 
offenem Felde entgegen, ſtellte die Seinen in Schlachtordnung, hielt 
den Anprall aus und, ſchlug, da er ſtärker war, jene in die Flucht, 
mit einem Verluſt von hundert und ſechszig Todten, da keiner für 
die Gefangenſchaft aufgeſpart wurde. Nachdem er dann noch die 
Vorſtädte von Soncinum verbrannt hatte, kehrte er mit den Seinen 
nach Cremona heim. — Ferner nahmen am 27. April die ver= Apr. 97 
bannten Brescianer, melche, ihren Mitbürgern auflälfig, in Ajula 
verweilten, ihre Macht gegen diefe zuſammen und eroberten das 
Schloß von Ceguli, welches etwa acht Miglien von Brescia ent- 
fernt if. Nachdem fie hier eine Belastung hinterlaffen, zogen fie 
mit ungeheurer Beute an Vieh wieder nad Ajula zurüd. Kurze 
Zeit nachher bemächtigten fich eben diejelben in Folge einer Parteiung 
unter den Einwohnern der Veſte Pavo und bracten fie zur Ems 





286 Zwölftes Bud. Kampf bei Soncinum x. 


1313 pörung gegen die Stadt. Nach diefen Glüdsfällen wurden die 
verbannten Brescianer jchleunigft nad) Cremona gerufen, von wo 
aus fie mit den Verbannten von Bergamo Lodi und Cremona bis 
in das Gebiet von Bergamo ftreiften und bier das Schloß von 
Colontum !) eroberten, von mo aus fie, nachdem die übrigen 
Bergamasfen zur Empörung gebradjt waren und hinreichende Bes 

Mai 13 fagung erhalten hatten, am 13. Mat heimfehrten. Die Einnahme 
dieſes Schloſſes war denen von Bergamo, Mailand, Brescia und 
den übrigen Lombarden des faiferlihen Anhangs im höchften Grade 
nadtheilig, weil von hier aus die ganze Ebene jüdlich von Bergamo 
der Verwüſtung und Verheerung ausgejegt war und feine Kolonie 
der Mailänder diesſeits?) ver Adda vor jener Befte ficher mar, 
deren leichten Truppen bi8 an die Mauern von Brescia heran bie 
Landſchaft offen lag. 


1) wohl Colognola del Piano, wenig füdlih von Bergamo. — 2) d. i. öftlid), näm— 
lid vom paduaniſchen Standpunft aus angefehen. 








Dreizehntes Bud). 


1. Zweiter Einzug des Kaiſers in Pifa; Ber ısı 

heerung der Ländereien von Yucca. Nachdem ver Kater 

in Pija eingetroffen und von den getreuen Piſanern freudig auf märzlo 
genommen worden war, jandte er ohne Verzug jeine Truppen zur 
Berheerung der Gefilde von Lucca aus. Eilig ſprengten diefelben 

bis zu der Brüde von Tectum, etwa eine Miglie von der Stadt, 
vor, und fehrten, nachdem fie vielen Schaden angerichtet, mit 
Beute beladen heim. In derjelben Art jchmeiften von nun an 

die Kaiſerlichen unabläfjig durch die luccheſiſchen Colonten und ver- 
heerten alle8 mit Feuer und Schwert. Im den erften Tagen dieſer 
Streifzüge, um die Mitte des März, gingen auch die Söhne des märz ı5 
Ceppus und Gucciatus de Manzatoribus zum Kaifer über, über- 
lieferten ihm die Befte Camporena, welche fie bejest hielten, und 
begaben fih dann mit den füniglihen Truppen zufammen nad) 
Piſa. Sofort wurden fie von den Florentinern für Hochverräther 
erklärt, ihre Häufer zerftört und alle ihre Güter zum Staatseigen- 

thum geichlagen. Sp bradte das vielgeftaltige Glüf den März März 
und April hindurch beiden Theilen in gleicher Weile Verlufte, in- Aprit 
dem einerjeitS die Lucchefen unter Don Frenandus, andererſeits Die 
Königlichen unter Borangang des Marſchalls ) und mit den 


1) Heinrich von Flandern. 


288 Dreizehntes Bud). 


1313 Pifanern vereint, die Gegend zwiſchen den beiden Städten dem 
Feuer preisgaben. Unter zahlreihen Zuſammenſtößen verbient 
bejonders der folgende Erwähnung. Nachdem der Marjchall des 

Aprir Königs im April mehrere Tage hindurch die Yucchefen zum Aus- 
fall zu reizen verſucht hatte, indem er nur wenige Mannſchaft aus- 
fandte, um jene zu veranlafjen unvorfihtig aus ihren Befeftigungen 
beroorzubrechen, feine Bemühungen aber erfolglos geblieben waren, 
da die Luccheſen, durch die vielen Kämpfe erichöpft, ſich nicht 
leicht herauswagten: fo zog der Marſchall einftmals heimlich ohne 
Trompeten- und Hörnerfhall bei Nacht mit feinen Genoffen aus 
Piſa aus, indem er feine Schaaren aus verfchtedenen Thoren aus- 
rüden ließ, damit die Luccheſen nicht dur Späher über den Um— 
fang feiner Streitkräfte unterrichtet werden könnten. Nach ver— 

Apr. 23 borgenen Ritt gelangte er beim erſten Frühroth des 23. April 
nad Vicum). Als er von dort in das Thal von Buttum ?) 
vordrang, ſahen ihn die Wächter des Thurmes Nota und fignali= 
firten fein Nahen von der Spite des Thurmes aus nad) Lucca. 
Trotz dieſes mohlbefannten Zeichens eines feindlichen Anmarjches 
ließen ſich die Luccheſen nur widerwillig herbei, den Lutti de Opi- 
cengis nebft piſaniſchen Verbannten und einer kleinen Schaar Bez 
rittener auf Kundſchaft auszufenden. Als dieſe das Thal von 
Buttum erreichten, fanden fie die Feinde, welche dort einige Häufer 
niedergebrannt hatten, ſchon auf dem Rückmarſche. Dem ftatt- 
lichen Neiterhaufen derſelben mit ungleihen Kräften zu folgen, 
ihien dem Lutti nicht rathſam, vielmehr beichloß und befahl er 
den Eeinigen das Vorrüden zu wehren. Aber er vermochte die 
durch die erlittenen Unbilden erbitterten Einwohner von Buttum 
umjoweniger zu verhindern namentlich die von Vicum, welche die 
Königlichen bei dem Einfall geführt hatten, zur Vergeltung anzu— 
greifen, als zwiſchen den Buttenjern und ihren Nachbaren von 
Vicum ein gegenfeitiger Haß beftand. Bandus Duartefanus aljo, 
ein luccheſer Nitter, der im Namen Lucca's Buttum als Podefta 


1) d, i. Vico Pifano, öftlih von Pifa. — 2) d. i. Buti, nördlid von Vico Pifano. 





\ 
Verbrennung der Inſeln Capraria und Gorgona. 289 


verwaltete, rief, voll Neid auf jeinen Mitbürger Lutti, welder das 
Heer befehligte und deſſen Einfluß, wie er wahrnahm, jo weit 
ging, dar alles nad, feiner Anordnung geſchah: e8 ſei unwürdig, 
Daß er, der eben jo gut Bürger von Yucca jei wie Luttt, und dem 
noch dazu die Herrichaft über das Thal und feine Bewohner an- 
vertraut jei, die Feinde ungeftraft abziehen laffe. Wer fein Freund 
jei, möge ihm folgen! Sofort fpornte er fein Roß und fprengte 
mit etwa ſechs und zwanzig Yanzenreitern aus der Zahl feiner 
näheren Bekannten, begleitet von der Bewölferung von Buttum und 
Compitum !), bi8 zu den Gräben von Vicum vor. Sobald die 
Bewohner von Vicum und die Späher auf den Zinnen die Heine 
Feindesſchaar erblidten, fielen fie gegen viefelbe aus. Duartefanus, 
welcher, nicht ım Stande dem Anprall zu widerſtehen, ſich zur 


Flucht wandte, ward abgejchnitten und ſank durchbohrt vom Roß. 


Bon nambafteren Männern fielen unter den Berittenen außer ihm 
etwa zwanzig, darunter Vanni Bachini, Angelus Negocci, Colucius 
Malataca, der Baſtard des Zarius de Fondo, Arigus Quarteſani; 
von denen von Buttum und Compitum zwei und ſechszig. Ein 
Feldzeichen und ſieben Fähnchen der Landbevölkerung wurden im 
Triumph nach Piſa gebracht. Doch wurden mehrere Deutſche, die 
im übergroßen Eifer der Verfolgung ſich bis zu den Befeſtigungen 
des Serra ?) vorwagten, von denen von Buttum, die ſich wieder 
umwandten, mit einem Verluſte von zwölf Mann, unter denen 
ſich der Sohn des königlichen Oberkoches befand zurückgeworfen. 

2. Verbrennung der Inſeln Capraria und Gor— 
gona. Gegen Ende April fuhr der Admiral König Roberts von 
Apulien mit vier Galeeren bei Portus Piſanus vorbei, griff die 
dort ſtreifenden, überraſchten Piſaner als gute Beute auf und ver— 
brannte und verheerte am nächſten Tage die Inſeln Capraria und 
Gorgona 3); noch größeren Verluſt aber brachte den Gegnern die 
Fahrt des dritten Tages, an welchem ver Admiral ein Laftichiff 


1) Eompito, Gegend im Luchefifhen. — 2) Monte Serra, einer der hödhften Gipfel 
der Hügelgruppe nördlich) vom unteren Arno. — 3) Capraja und Gorgona Heine zu Pifa 
gehörige Inſeln an der toskaniſchen Weftfüfte. 

Geſchichtſchreiber. fg. 67. Leben Heinrichs VII. 19 


1313 


Apr. 


290 Dreizehntes Bud). 


isis zufammen mit fiebenzehn Heinen Schiffen enterte und auf erfterem 
außer den ſämmtlichen Ruderern vierzehn taufend Gulden genuefiichen 
Geldes erbeutete, welches in Sardinien erhoben war und dem 
Kaiſer überſchickt werden ſollte. Die Ueberbringer wurden in das 
Meer geworfen. Außerdem erfuhr der Kaiſer etwa gleichzeitig, 
daß der Pilaner Gaducius Gallus, der Statthalter von Sardinien, 
welcher die Sarden im Gebirge von Gallura durch ſchwere Auf- 
lagen bedrückt hatte, von ihnen mit dreißig Begleitern erichlagen 
jet, und daß die Sarden überhaupt durch die Gemwaltthätigfeiten 
bei der Eintreibung der Auflage zur Empörung gebracht mor- 
den Seien. 
3. Tumult in Fanum. Im der Provinz Romandiola 
Mei fam e8 um die Mitte des Mat zu erwähnenswerthen häßlichen 
Tumulten. ME nämlich der Podefta von Fanum, Rodulfus aus 
Sammintato, merkte, daß Graf Friedrih von Montefeltro T) neue 
Anschläge plane, verwied er die Häupter beider Parteien an be= 
ftimmte Pläge außerhalb Fanum. Auch den Gejanellus und deſſen 
Brüder, die Baftardjöhne des verftorbenen Jacobus de Caflaro, 
hieß er bis zu einem beftimmten Termin die Stadt verlaffen. 
Diefe Ichtenen dem Befehl nahfommen zu wollen und trafen Ans 
ftalten um nad ihrem Gute zu reiten. Die Freunde ihrer 
Bartet jedoch fürchteten ber Diefem Anlafle der Stadt verluftig zu 
gehen, gaben ihren Unwillen über den Ausweiſungsbefehl durch 
tumultuariiche Bewegungen fund und machten jenen Vorwürfe, daß 
fie dergeftalt ohne Borfihtsmaßregeln ſich blindlings in die Ver— 
bannung begäben und fo ſich felbft, die Stadt und ihre Freunde 
im Stiche Tiefen. Die Ohibellinen der Gegenpartei erjchrafen 
hierüber und geriethen in Beforgnis; da fie fid aber in der Ueber: 
zahl ſahen, jo liefen fie bewaffnet in größter Eile auf das Rath— 
haus und die Straßen und riefen in machjender Leidenschaft: es 
Yeben die Ghibellinen, e8 Yebe die Partei des Kaiſers! Bol Schred 
über den Auflauf zeigten fich die Guelfen zerftreut auf den Straßen, 


1) Einer der mächtigſten und furdhtbarften Gegner der Curie in jener Zeit. 





Urtheilsipruch des Kaiſers gegen König Robert von Apulien. 291 


wurden aber, fobald fie erichtenen, Hundert und vierzig am der 1313 
Zahl, ohne weitere niedergemadt. Endlich ftürzten Ceſanellus 
und feine Brüder mit einer größeren Schaar auf den Markt, wo 
es zwiſchen ihnen und den Ghibellinen zu einem erbitterten, unent- 
jchtedenen Kampfe kam. Doch waren die Guelfen in der Minder- 
zahl, bis der Podeſtaà Aodulfus mit dem Gefolge feiner Trabanten 
und feiner bewaffneten Begleitung zu Pferde und zu Fuß unter 
dem Ruf: „ES Leben die Guelfen und die Gemeinde von Fanum“ 
in den Kampf eingriff und die Ghibellinen aus den Straßen heraus- 
ſchlug. In Folge diefer mächtigen Unterftügung jahen ſich Ceſa— 
nellus umd die Guelfen in der Uebermacht und richteten unter Den 
Ghibellinen ein Blutbad an. Diele derjelben wurden aus ben 
höchſten Fenſtern des Rathhauſes jählings herabgeftürzt; alle übrigen 
Ghibellinen aber fanden in den Gaffen und Winkeln der Stadt 
und in den Häufern felbft den Tod, da nad der Schliegung der 
Stadtthore fein Entrinnen möglid war. Sp wurde Fanum für 
die Guelfen gewonnen. 

4. Rönig Robert von Apulien fendet einen 
Statthalter nad Florenz. Um dieſelbe Zeit kam Riciardus 
Gambateſa als Statthalter König Nobertd von Apulien nad 
Florenz, welches fi) auf fünf Jahre der Signorie des Königs 
unterftellt hatte. Als faft gleichzeitig in Folge einer Parteiung 
unter den Einwohnern die Veſte Enorlum ſich gegen Florenz empört 
hatte, wurden zur Belagerung derſelben zwei von den ſechs Stadt- 
theilen unter dem Oberbefehl des Marſchall Dego des Söldner— 
führer8 ausgefandt. 

5. Urtheilsfpruh des Kaiſers gegen König 
Robert von Apulien. Nicht Länger willend die Unbilven zu 
ertragen, welche König Robert von Apulien ihm und den Seinen 
zu Lande und zur See, ſchon als offener Feind, zufügte, ließ Der 
Kaifer zu Piſa gegen ihn einen Gerichtöhof zujfammentreten und 
fallte, nachdem in feierliher Verſammlung die Beichwerdepunfte 
geprüft und erörtert waren, vom Richterftuhl aus folgenden Ur- 
theilsſpruch: 


1313 


Sei. 14, 
14. 


292 | Dreizehntes Bud). 


„Heinrich der Siebente, von Gottes Gnaden Kaiſer der 
Römer und allezeit ein Mehrer des Reichs. Zur Kenntnis der 
Gegenwart und zur Erinnerung in der Zukunft.“ 

„Gott, der gerechte, ftarfe und langmüthige Richter, welcher 
einen jeden nach feinen Berdienften belohnt, hat jenen Uebermüthigen, 
der, vor dem Thron feiner Milde durch Ruhm und Ehre fich er— 
böht jehend, feinen Sig nad) dem Norden zu verlegen gedachte, auf 
daß er dem Höchſten ähnlich jet, won den erhabenen Gipfelm der 
Himmel in die Tiefen der Erde zu ewigem Schimpfe hinabgeftürzt, 
ihn mit Recht jeglicher Gnade und Hoffnung auf Barmherzigkeit 
beraubt und ihn den ewigen Strafen zugeführt, gleichwie er aud) 
jet der Billigfeit Acht hat und Gerechtes urtheilt. Er jelbft der 
Herr des Himmeld der Erde und der Hölle, welcher die Geheim— 
nifje der Herzen fennt, vor defjen Richterſtuhl jegliche Verlemndung 
ſchweigt und die Wahrheit durch Feine Nacht der Nichtswürdigkeit 
verdunfelt wird, möge jest vom Herriherfige den Mächtigen herab— 
ſtoßen, welcher ihn verfuht, ihn erbittert und zum Zorne gereizt 
hat; er möge den verderben, der auf Uebles finnt; er gebe den, 
welcher verjtodten Sinne den Weg der Unſchuld flieht und ſich 
feiner Boshett rühmt, ewigem Schimpfe anheim; er verhänge gegen 
ihn Anklage und Geriht, und Ruhm fer allen feinen Heiligen. 
Der Nichtswürdigkeit nämlich und der Verderbtheit Zögling, Robert, 
der Sohn Karls des Zweiten rühmlichen Angevenfens, welcher ſich 
König von Sicilien nennt, von dem Fett des römiſchen Reiches 
genährt und ftarf geworden, fpeit gegen denjenigen, dem er auch 
ſchon aus Anlaß der vielen Lehen und Ehren eben jenes Neicheg, 
die er bis jest inne gehabt hat und noch in diefem Augenblid 
ungerechter Weife in Belig nimmt, demüthig gehorjamen müßte, 
das Gift der Unbiligfeit, übt zur Vergeltung Haß, Lift und Trug 
an Stelle der Treue, maßt fi in feinem verabjcheuungsmwürdigen 
Lafter der Undankbarfeit an das Banner der Empörung zu erheben, 
und hört nicht auf in verhärteter Bosheit gegen den Stachel zu Löden, 
bemüht fi, von abſcheulichem Uebermuth geſchwellt, im Norden, 
der kaiſerlichen Majeftät, welche er als feine Herrin und Meifterin 








Urtheilsipruch des Kaifers gegen König Robert von Apulien. 293 


werth halten und ehren ſollte, entgegen, fich feftzufegen, und hat 1313 


diefe kaiſerliche Majeſtät jelbft dur‘ Schmähungen und Unbilven 
gereizt und fich herausgenommen dieſelbe bis jest tüdiichen Sinnes 
unablälfig zu reizen. Außer den übrigen Beftrebungen feiner Bos— 
heit hat er nämlich, obwohl er, bevor wir zur Entgegennahme 
des kaiſerlichen Diadems gen Kom eilten, in bejonderen Briefen 
mehrmals unſerer Erhabenheit gejchrieben Hatte daß er jelbft — 
gleichwie e8 ihm aus* der jchon erwähnten Urfache zufam und wir, 
die wir ihm, ſoweit wir mußten, weder durch Wort noch Werk 
Anſtoß zu geben beabfihtigten, vielmehr ihn in der Reinheit unferes 
Gewiſſens huldvoll behandeln zu jollen glaubten, nicht anders er— 
warteten — bemüht jer und ſich nach feinen Kräften rüfte und bei 
der Krönung ſelbſt wie auch jonft die ſchuldige Ehrfurcht zu erweiſen, 
trogdem Bündniſſe und Verſchwörungen, Einigungen und Genofjen- 
Ihaften zur Erſchwerung und Verhinderung des kaiſerlichen Vor— 
marjche8 mit den Florentinern, Luccheſen, Saneſen und anderen 
unjeren und des Reiches Unterthanen in Lombardien und Tuscien, 
auf daß er fie in unheilvoller Blindheit zu tollföpfiger Empörung 
erhige, wie man ficher weiß, ſelbſt oder durch feine Bevollmächtigten 
Boten und Gejandten zur Schädigung unſerer Majeftät, zur Er: 
ſchwerung und Verhinderung des Fatjerlihen Vormarſches betrieben 
und gejchlofjen, und ſogar e8 darauf angelegt und ins Werk gejett, 
daß die Städte Cremona Neggio und Parma, welche ſich uns unter” 
worjen hatten, gegen und und das Reich aufftanden, indem er die 
Gemeinden dieſer Städte ſowohl als auch andere unjerer genannten 
Unterthanen zu einer derartigen Empörung verführte und ihnen 
dabei feinen Kath, feine Hilfe und Gunft zuficherte; ja jogar haben 
die Mannen des genannten Kobert, im Vertrauen auf feine Gunft 
und als Mitwifjer und Werkzeuge feiner Nichtswürdigfeit, die Stabt 
Aſti und die Velten Valencia und Caſale St. Evaſii und einige 
andere Städte und Veſten der lombardiſchen Provinz, weldye unjere 
Gebote beihmoren und uns als ihren Herren anerfannt, unfere 
Beamten aufgenommen und nod) bei fi) hatten, nachdem fie Dieje 
Beamten jelbft gewaltfam vertrieben, ſchändlich in Befig genommen 


294 Dreizehntes Buch). 


1313 und behaupten fie nod) für den obenerwähnten Robert. Eben der- 
jelbe Robert hat ferner feinen Bruder Johannes und feine Söldner 
nad) Rom gejandt, in der Abficht womöglich die Stadt fich Telbft 
liſtig zu unterwerfen oder wenigftend die Flammen ſchändlichen 
Aufruhrs anzufachen und dadurch die Feierlichkeiten der genannten 
Krönung zu ftören, gleichwie denn jener Johannes und jene Söldner 
bei unferem Einzug in die genannte Stadt und jolange wir ung 
in jener Gegend aufgehalten haben, e8 durch die That deutlich be— 
wiejen und — verbunden mit einer zahlreichen Menge unferer Unter- 
thanen, welche, durch den genannten Nobert, der ihnen feine Hilfe 
und jeinen Schutz verſprach und fie mit Zuverſicht erfüllte, auf— 
gereizt, fih mit Johannes und deſſen Söldnern zufammenthat, um 
mit Pferden und Waffen ſich uns zu widerjegen und geflifjentlich 
Bosheit auszuüben — dort gegen und und unfere Schaaren feind- 
lihe Hinterhalte gelegt, Angriffe gemacht, Aäubereien, Gemalt- 
thätigfeiten, Morde ausgeführt, die öffentlichen Strafen und Pläge, 
dur) welche von der Stadt aus allen, die fi) zur chriftlichen 
Religion befennen, freier Zugang zu der verehrungsmwürdigen Hoch— 
firche des Apoftelfürften hätte gewährt jein müfjen, mit Aufgebot 
ihrer ganzen Macht gejperrt und auch jonft dafür gejorgt haben, 
auf jede Weife, ſoweit fie vermochten, unſere Majeftät zu ſchädigen. 
Dazu trieb der erwähnte Nobert auch anderes, und war ohne 
Unterlaß thätig alles zu betreiben, was und und dem Xeiche 
Schaden und Berluft bringen fonnte, denn darauf war er auf 
jede Weife, ſoweit feine Kräfte reichten, bedacht. Auf dieſes alles 
bin, welches uns der offenfundige Auf entgegenbrachte, wovon ung 
in vielen Fällen auch eigene Erfahrung überzeugte (obwohl es 
auch an fich jelbft jo allgemein befannt war, daß feine Verftellung 
es verleugnen könnte), haben wir, mwenngleid wir als über den 
Gejegen ftehend wegen des VBorerwähnten gegen den genannten 
Robert einjchreiten fonnten, ohne ihn vorzuladen, dennoch aus 
fatferlicher Milde, welche die Vergehungen der Unterthanen lieber 
gut macht als ftraft, und weldye die Schneide des Schwerted gegen 
ſolche Krankheiten, die eine janft lindernde Arzenei heilen fann, 


Urtheilsipruch des Kaiferd gegen König Robert von Apulien. 295 


nicht in Anwendung bringt, nad) unferem Abzug von der erwähnten 
Stadt und herabgelafjen, über die erwähnten notoriſchen Vergehen 
und über alles Vorgenannte, was Robert wider unfere Majeftät 
fih hat zu Schulden kommen lafjen, eine Unterfuhung anzuftellen, 
die wir, auf daß er, wenn ein Funke von Treue oder Liebe vielleicht 
noch in ihm zurüdgeblieben wäre, in fich gehe und inzwiſchen Ge— 
legenheit fände ſich zu befjern, bis jegt in gnadenvoller Verzögerung 
hinauszuſchieben befunden haben, indem wir nämlidy den vorer— 
wähnten Robert vorladen liegen!) nad den Formen des Gefeges, 
daß er Sorge trage vor und zu erjcheinen, um ım diefen Sachen, 
fall8 er vermöchte, feine Sculolofigfeit darzuthun. Aber eben 
dieſer Robert, in feiner Bosheit verharrend, hat nicht Sorge ge- 
tragen an den ihm Dazu angejegten Terminen oder aud nur an 
irgend einem derjelben in Perfon oder durch Vertretung zu erjcheinen. 


Deshalb haben wir, nachdem wir hierüber in Betreff der’ bös— 


willigen Berweigerung feines Erſcheinens glaubmwürdige und hin— 
reichende Zeugen vorgenommen und geprüft haben, deren Ausjagen 
niederfchreiben und in unſerem Namen feierlich veröffentlichen, ſo— 
dann auf unjeren Befehl von den Rechtskundigen unſeres Palaftes 
fleißig prüfen und uns von ebendenjelben genauen Bericht ab- 
ftatten lafjen, und erſt darauf hin nad) Erfordernis der Geredhtig- 
feit und auf das, was erwiefen worden war, geftügt in einer eigenen 
Nebenerflärung 2) ausgeſprochen und die Erklärung abgegeben, daß 
alles und jedes Vorerwähnte offenfundig und notorijch je. Aber 
auch jpäter noch haben wir unter Erfüllung aller Rechtsbräuche 
ihm einen legten Termin gejest und ihn vorladen lafien, daß er 
Sorge trage, an einem beftimmten jet ſchon verfloffenen Termin 
vor und, wo wir auch fein möchten, zu erjcheinen, um dieſen unjeren 
Urtheilsipruc zu vernehmen. Er aber, von alle dem unterrichtet, 
mistrauiſch wegen feiner Uebelthaten und Unbilden, in feiner Hart- 
nädigfeit verftgdt und immer verderblider in Lug und Trug ver- 


1) Bgl. ob. Buch 9 Kap. 1. — 2) „in scriptis interloquendo.* Interlocutio ift die 
technische Bezeichnung einer noch vor Abſchluß des Proceffes erlaffenen richterlichen Sen— 
tenz, welche irgend ein Nebenmoment erledigt. 


1313 


1313 


296- Dreizehntes Bud). 


härtet, hat e8 verfäumt jener Aufforderung nachzukommen. Weil 
wir nun über alles und jedes Vorerwähnte, gleichwie e8 auch in 
der genannten Unterſuchungsakte enthalten ift, durch die genannten 
Zeugen volljtändig und bi8 in das einzelnfte unterrichtet find, und 
indem wir die erwähnten und andere abſcheuliche Verbrechen des 
genannten Robert und feine niederträchtigen Handlungen in reif- 
liher und gerehter Schäßung abwägen und aud) jene weit befannte 
Thatſache nicht außer Acht lafien, daß eben dieſer Robert zu der 
Zeit, da wir unferer erwähnten Krönung halber in der vorgedachten 
Stadt Kom meilten und unfere innig geliebten Getreuen die Piſaner, 
welche unter unferen übrigen Unterthanen durch die Aufrichtigfeit 
ihrer durch die That bewährten Treue hervorglänzen, Schiffe und 
Dolf gen Rom Jandten für unjeren Dienft und zu unferer Ehre, 
eben dieſe Schiffe zum Schimpfe unjerer Erhabenheit feindlich an= 
fallen und plündern, das Kriegsvolf aber aufgreifen, in den Kerker 
werfen und dort fefthalten ließ, und daß er ferner um nichts weniger 
bei ſolchen Vergehen beharrend, Böſes zu Böſen fügend und täg- 
lich Ihändlichere Thaten begehend, zu der Zeit da wir gegen die 
Rebellen Tusciens die kaiſerlichen Feldzeichen wandten, denjelben 
Rebellen, wie offenkundig und notoriſch iſt und die Sache ſelbſt 
lehrte und noch lehrt, mehrfach bewaffnete Hilfe geſandt hat, um 
ſie deſto länger auf den Irrwegen der Empörung zu begünſtigen: 
weiter in der Erwägung, daß jener, als es ihm frei ſtand Ruhe 
und Frieden zu haben, und als es ſeine Schuldigkeit geweſen wäre 
ſich bei uns Ruhe zu erbitten und unſere wohlwollende Zuneigung, 
die wir in aufrichtigſter Geſinnung ihm zuzuwenden bereit waren, 
zu erlangen, dies nicht wollte, vielmehr den Krieg ſuchte, Unrecht 
ausübte und nach ſeinen Kräften anſtiftete, wie er auch heute noch 
nicht aufhört Unrecht anzuſtiften, bei den Völkern des Reichs Un— 
kraut zu ſäen, Haß und Zwietracht zu fördern, und wie er ohne 
Unterlaß fortgeſetzt beſchäftigt iſt alles was in ſeinen Kräften ſteht 
gegen uns in den Kampf zu werfen, und zwar dies alles nicht 
nur zur Schmach unſerer Perſon und unſeres Reiches und zum 
Nachtheil des gemeinen Weſens, ſondern auch zur Störung des 





Urtheilsipruch des Kaifers gegen König Robert von Apulien. 297 


Gedeihens der Kirche, welches, wie man weiß, für das genannte 1513 
Reich von größtem Belang iſt, und zur Verzögerung der Angelegen- 
heit des heiligen Landes, dem wir — der Allwiffende ſei Zeuge — 
mit dem innerften Triebe des Herzens uns hingeben möchten: 
weiter aber in der immer deutlicheren Einficht, daß der genannte 
Robert unwiederbringlich auf den Abweg des Irrthums gerathen 
und verſtockt ift in Lug und Trug, den Weg der Wahrheit aber 
erachtet und fein Ohr verftopft, ſodaß er weder, einer tauben 
Natter vergleichbar, unjere Gebote hört noch Die Buße des Geſetzes, 
in welche er mie ihm bekannt durch feine Vergehen verfallen tft 
und noch verfällt, noch auch jelbft die Fülle der kaiſerlichen Macht 
ſcheut, jondern täglich fich fteiferen Nackens erweift, und während 
wir ihn zur Buße erwarten, nur um fo vermwegener in feiner Bos— 
heit wird: indem wir jodann nicht außer Acht laſſen, daß Robert, 
vom Fette des Reiches gemäftet, nachdem ihm die Zügel gelodert, 
in toller Ungebundenheit vaft und uns an Stelle des Gehorſams 
Empörung und an Stelle der Treue Unbilden Darbietet und uns und 
alle uns gehorſamen Getreuen des Reiches nad feinen Kräften zu 
befämpfen unternimmt, und, wie jeder. einfieht, feine Macht nicht zur 
Erbauung jondern zur Zerftörung, nicht zur erfolgreihen Hilfe, 
wie es fein ſollte, ſondern zum Berderben anmendet, wir aber 
Willens find den Gefahren und Unbilden, mit denen ung jene 
Verwegenheit bedroht, entgegenzutreten und, der Lehre des Evangelii 
gehorjam, welches und mahnt, jeden Baum, der feine gute Frucht 
trägt, zu fällen und ins Feuer zu werfen: — fo haben wir, in Er— 
wägung aller diefer Punkte, während wir getreuen Königen und 
Fürſten der Erlauchtheit ihrer Würde wegen gern die ihnen zu= 
fommenden Ehren und gefällige Gunft erweifen, uns dennoch, auf 
daß das Verbrechen die Strafe fürchte und die Tugend ihres Lohnes 
harre, entſchloſſen den Uebermuth Roberts zu züchtigen und feine 
Anmaßung zu nichte zu machen und ihn jelbft von feinen Stand— 
punkt, wie hoch derſelbe auch fein möge, herabzuftürzen, da er 
wegen feiner oben geſchilderten Thaten des Verbrechens Der bes 
leidigten Majeftät ſchuldig iſt. Wir ſprechen ihm demgemäß alle 


1313 


298 Dreizehntes Buch. 


und jede Würden ab, unter welchem Namen viejelben begriffen 
jein mögen, alle Poften, mit deren Titel er ſich ſchmückt, alle 
Ehrenftelen, Freiheiten, Befreiungen, Borrechte, Provinzen, Land— 
Ihaften, Städte, Schlöffer, Yänbereien, Dörfer, Lehen, Bafallen, 
Güter, Befigungen, Rechte und gerichtliche Befugniſſe zeitweilige 
ſowohl wie dauernde, welche er hat verwaltet und befitt, over 
dergleichen oder welche er oder feine Vorgänger in irgend einer 
Weiſe bisher gehabt innegehabt und beſeſſen haben, und meifen 
denjelben Robert, als Empörer Verräther und Feind des Reichs 
und als der beleidigten Majeftät Ueberführten, aus dem ganzen 
Umfang des genannten Reiches und machen ihn friedlos, und ver- 
urtheilen ihn, wenn er irgend wann in unfere und des Reiches 
Gewalt fällt, durch diefe Schrift in aller Form dazu, fein Leben 
durch Enthauptung zu verlieren, und verfügen und fegen feft, daß 
feine Perſon, von welchem Adel, welchem Range, in welchem Stande, 
welchem Verhältnis und welcher Lage fie fein möge, und feine 
Stadt, fein Schloß, Dorf, feine Gemeinde ihm gegen und und das 
Reich heimlich oder öffentlih Hilfe, Rath oder Gunft ermeife, bei 
einer Buße von hundert Pfund Golves für jede Stadt und fünfzig 
Pfund Goldes für jedes Schloß und Dorf, jowie für jeden Mark— 
grafen, Herzog, Grafen, Baron oder jeden Adligen, und zwanzig 
Pfund Goldes für jede andere einzelne Perſon für jedes einzelne 
Mal daf fie diefe Vorſchrift übertreten; beftimmen auch, daß es 
einem Jeglichen erlaubt fein fol, ungeftraft die Bürger und Be— 
wohner der Stadt, Felten, Dörfer und jede beliebige andere einzelne 
Perſon, welden Standes fie jei oder unter welchen Verhältniſſen 
fie lebe, melche jenem uns zur Schmach gehorche oder ihm Hilfe 
Rath oder Gunft öffentlich oder insgeheim angedeihen laſſen jollte, 
an ihrer Perjon, ihrem Befis und ihren Rechten zu ſchädigen und 
jie jelbft mit Hab und Gut zu ergreifen und gefangen zu halten, 
wobei wir auch ausdrücklich betonen und einſchärfen, daß nicht etwa 
irgendwelche Schuldner des nämlichen Robert ihren Verpflichtungen 
gegen ihn irgendwie nachzukommen fid herausnehmen, widrigenfalls: 
jie unferer Kammer eine gleihe Summe zu bezahlen haben, wozu 


Urtheilsfpruch des Kaifers gegen König Robert von Apulien. 299 


fie ohne viel Aufhebens und ohne ein gerichtliche Verfahren ge- 
ziwungen jein ſollen. Die Gemeinichaften ferner und die Provinzen, 
die Städte, Schlöffer, Dörfer und alle Geſellſchaften und einzelnen 
Perjonen, meld’ hohen und erlauchten Ranges fie fein mögen, 
jelbft wenn fie durch eine fünigliche Würde hervorleuchten jollten, 
und welchen Adels fie ſonſt oder welchen Standes fie jeten, welche 
auf Grund irgend eines Vertrages, Verſprechens oder Abkommens, 
das fie mit dem genannten Robert oder feinen Vorfahren getroffen, 
jenem verpflichtet find, ſelbſt wenn eine Strafe dabei aus— 
gemacht worden ift, unter welcher Formel ein ſolches Abkommen 
‚begriffen jet oder auf welchem Grunde oder Titel e8 beruhe, nament= 
lich falls es fih darum handelt ihm einen Dienft zu leiften oder 
ihm Bewaffnete zu liefern oder irgend eine andere Hilfe zu Wafler 
oder zu Lande zu gewähren, erklären wir ſolcher Verträge Ver— 
Ipredhen und Abkommen und der darin ausgemachten Straflummen 
für erledigt, und jprechen jelbft feine Vaſallen und Yehnsträger 
jowie alle und jede, die ihm auf Grund eines Treueided oder eines 
Lehend oder aus irgend einem anderen Grunde verpflichtet find 
perjönliche oder fachliche Dienfte zu leiften, von jedem Bande der 
Treue, der Unterwerfung und des Gehorfams gegen ihn und feine 
Erben gänzlich und alljeitig los, verart, daß weder eine Stadt 
noch Schlöſſer, Dörfer und Gemeinfchaften nody einzelne Perjonen 
der vorhin erwähnten Art dur) irgend einen der vorhin erwähnten 
Derträge oder Abkommen, noch feine Vaſallen und Lehnsträger 
auf Grund irgend eines Treuverhältnifjes, Unterwürfigfeitsverjprecheng 
oder Gehorſamkeitsgelübdes fich ihm oder feinen Erben gegenüber 
irgendivie verpflichtet halten follen. Die Provinzen nämlich, die 
Städte, Schlöffer, Güter, Dörfer, Lehen, Vaſallen, Beſitzungen, 
Gerichtsbarkeiten, Rechte, Dienfte und alle8 andere, was in unlerer 
derartigen Aberfennung und Losiprehung mit begriffen ift, ziehen 
wir ein; allen und jeglichen Rittern aber, allen Auditoren, Richtern, 
Rechtskundigen und Notaren, melde die Hausgenoffen oder Ver— 
trauten deſſelben Robert find oder fonft in feinem Dienfte ſich be- 
finden, und allen feinen übrigen Untergebenen befehlen und fünden 


1313 


1313 


300 Dreizehntes Bud. 


wir mit Ernft, daß fie innerhalb zweier Monde von heute ab 
gerechnet, aus ihrer vertrauten Stellung zu Aobert, aus jeinem 
Rath, feiner Leitung und jeglihem Unterthäntgfeitsverhältnig zu 
ihm thatfächlich ſcheiden und ſich nicht herausnehmen jemals wieder 
heimlich) over Hffentlih in feinen Rath und zum Gehorjam gegen 
ihn zurüczutreten; andernfall® erklären wir die Nitter der ritter- 
lichen Ehre und Würde, die Auditoren, Richter und Rechtskundigen 
jeglicher Befugnis zu vichten und beizufigen ſowie aller und jeder 
Privilegien und Befreiungen, und Die Notare des Niotariatd — 
Diejenigen nämlich von den erwähnten Rittern, Auditoren, Kıichtern, 
Rechtskundigen und Notaren, melde unjerem derartigen Gebote 
nicht folgen werden — für jest wie für alle Zeit verluftig und 
machen fie überhaupt Hierzu unfähtg und benehmen ihnen ihre 
bürgerlichen Chrenrechte vergeftalt daß fie nad) Ablauf der ge- 
nannten zwet Monde niemals wieder zur Vornahme irgendwelcher 
gerichtlichen Handlungen zugelaffen werden jollen. — Derartige 
Sentenzen der Aberfennungen , der Confiscation, der Aechtung, der 
Berfehdung, der Verurtheilung und der Loslöſung haben wir in 
diefer Urkunde erlaffen und erlaffen alle und jede Feſtſetzungen der— 
jelben auf Erfordernis der Gerechtigkeit und des Beſten des Ge— 
meinweſens ſowie aus ficherer Kenntnis heraus und aus der Fülle 
unſerer Macht, und fegen uns über jeden Mangel hinweg, wenn 
etwa ein ſolcher in dem vorftehenden Verfahren bei irgendwelchen 
auf Grund defjelben «angeftrengten Prozeſſen wegen Ueberjehung 
irgend einer rechtlichen Form gefunden werden follte, ſehen auch 
von allen beliebigen Geſetzen oder Feſtſetzungen, Verträgen oder 
Vorrechten ab, unter welchem Wortlaut Diejelben auch gemährt fein 
mögen, jelbft wenn e8 auf Grund defjelben nöthig wäre fie behufs 
Außerfraftjegung von Wort zu Wort in diefer Urkunde zu wieder— 
holen, jo viele au gegen das Vorſtehende insgeſammt oder gegen 
irgend einen Punkt defjelben irgendwie vorgebracht oder demfelben 
entgegengejett werben fünnten, die wir hiermit ausdrücklich außer 
Wirkſamkeit ſetzen.“ 

„Gegeben zu Piſa in Gegenwart unſerer Fürſten und Barone 





Rüſtungen des Katfers zu Lande ꝛc. 301 


und einer zahlreihen Volksmenge, am 25. April im fünften Jahre * 


unſeres Königthums, unſerer kaiſerlichen Herrſchaft aber im erſten 
Yahre 1).‘ 

6. TreffenbeiMaffa Mardhionum Malaſpinä. — 
ALS nun der Sommer heranfam und die Frucht anf den Feldern 
überall der Reife entgegenführte, erfüllten fi) die Genoſſen des 
Kaiſers mit neuem Eifer die Empörer zu befriegen und mußten 
aud den Kaiſer ſelbſt zu Friegerifhen Unternehmungen mächtig zu 
entflammen. Sie rtethen ihm durch die befreundeten Städte und 
Flecken Tusciend und der Lombardei ferne Boten zu jenden ?). Auf 
des Herrichers Befehl wurde dies auf das pünflichfte beſorgt. ALS 
aber zweihundert von Ganisgrandis und Paffarinus de Bonacofis 
gefandte Keifige unter Anführung des Markgrafen Franceschinug 
de Dallo, des Grafen Paganıcus de Panico und des Guidinellug 
de Monte Cuculo durch Lunefana zogen, begegnete ihnen ein 
widriges Geſchick. Vanni Scornezanus nämlich, ein verbannter 
Planer, traf nebft berittenen Sölonern, welche die Lucchefen feinem 
Befehl anvertraut hatten, unverjehens bei Maſſa Marchionum 9) 
auf die Ankommenden, trieb Die Ueberrafchten aus einander und 
Ihlug fie in die Flucht, wober von ihnen ſechsundachtzig fielen und 
jechSundvierzig gefangen genommen wurden, während Die übrigen 
fi, flüchteten. Unter den Gefallenen war der erwähnte Markgraf 
Franceschinus; deſſen Bruder Ottolinus ward zum ©efangenen 
gemacht. Drei Feldzeichen, nämlich ein Eatferlicher Adler, ein Banner 
des Canisgrandis und eins des Paffarinus, des Vikars von 


Mantua, wurden am 22. Mat als Schauftücde nach Yucca gebracht. Mai 22 


7. Rüftungen des Kaifers zu Lande und zur See 
wider König Robert von Apulien. Im eine große Fülle 
von Sorgen und Geſchäften geftürzt, erwog der Katfer in feinem 
gewaltigen Sinne gar viele Dinge. Es galt einmal mit hin— 


1) Die Ueberſetzung diefer Faiferlichen Urkunde beruht auf dem Abdrude derjelben in 
den Mon Germ. hist. Legg. II, 545 ff., von dem freilich der Tert bei Muffato nur in 
Einzelheiten abweicht. — 2) Nämlih um die Mannihaft zur Hilfe zu entbieten. — 
3) d. i. Maſſa (dei Marcheſi di Malafpina) in Lunigiana, ſüdlich von Carrara. 


r. 25 


302 Dreizehntes Buch. 


1313 veichenden Kräften zum Landfrieg die eingefchüchterten und durch 
die vielen in der legten Zeit erlittenen Schäden geſchwächten Floren— 
tiner abermals anzugreifen und zu beunruhigen, ſodann die Lucs 
chefen welche ihn gleichlam vor feiner Thür befämpften, in ihrer 
Stadt zu berrängen und fie zugleich ringsum ihrer Veſten und 
Kolonien zu berauben und von allen Hülfsmitteln zu entblößen ; 
vielleicht wurde er auch veranlaßt zur Niederwerfung der anderen 
Städte Tusciens vorzurüden, wozu e8 dann nöthig wurde die zer— 
ftreute Truppenmacht der Getreuen nad) Piſa zu entbieten. Auch 
zur See ftand man im Begriff das Kriegsglück zu verſuchen, indem 
man nämlich, falls die Gelegenheit günftig wäre, zu Schiff ſich nad) 
Apulien zu begeben gedachte, weswegen König Friedrich von Siecilien 
damals bereits durch öffentlichen Erlaß und Befehl einen Ober- 
Admiral ernannte und denjelben anwies eine Flotte von vierund— 
zwanzig Galeeren mit der zugehörigen Bemannung aufzubringen. 
Auch die Genueſen ſäumten nicht zur Vermehrung der kaiſerlichen 
Flotte fünfundzwanzig Galeeren mit völliger Ausftattung unter 
Lamba de Auria als Admiral zur Verfügung zu ftellen, während 
die Piſaner unter erheblihem Koftenaufwand zwölf Galeeren zu 
dem großen Unternehmen aufbrachten. Der Kaiſer war feit ent- 
ſchloſſen mit diefer Macht Robert, nach deſſen Befiegung e8 ihm 
nicht fehlen konnte ganz Italien zu feinen Füßen zu fehen, in 
Apulien felbft anzugreifen. 

8. Einnahme von Petrafancta durch den Mar— 
ſchall des Kaiſers, Belagerung des Ortes durch die 
Luchejen und verjdhiedene Kämpfe im Gebiete von 
Lucca. Während dergeftalt der Krieg immer mehr anzujchmellen 

Sunil umd um fich zu greifen drohte, führte am erſten Juni der Mar- 
ichall des Kaiferd mit deſſen Truppen der pifanifchen Miliz und 
Fußoolf feine Adler durch das Gebiet von Yucca nad) der reichen 
Kolonie Petraſancta 1), melde, innerhalb des Gebieted von Piſa 
belegen, fi) doch ſchon feit Yange im Befis von Lucca befand. 


1) An der Straße von Spezzia nad Lucca, nicht weit von dem früher erwähnten 
Gamajore. 





Einnahme von Petrafancta xc. 303 


Als der Marihall diefen Ort von allen Ceiten beftürmen und 
beſchießen ließ, wurde derſelbe nach vergeblihem Widerſtand ver 
Einwohner und unter Mithülfe einiger kaiſerlich Gefinnten alsbald 
gewonnen. Die Sieger bemädhtigten ſich der Schäge der mwohl- 
habenvden Einwohner und machten reiche Beute. Hundert Luchefiiche 
Söldner, welche die Beſatzung bildeten, brachen mitten im heißeften 
Kampfe durch die öftlihe Pforte aus und vetteten ſich durch die 
Flucht. Der Marſchall und die übrigen kaiſerlichen Ritter ſowie 
die Piſaner brachten ſogleich die gefangenen Eingeborenen nebſt 
großen Laſten an Raub und Beute auf dem Wege, der zum Meere 
führt, nach der Gegend von Motrone t) und luden dort alles auf 
zwei piſaniſche Galeeren und mehrere Eleine Schiffe, ſoviele zur 
Unterbringung der Waaren erforderlich waren, um die Beute nad) 
Pija zu befördern. Als fie bereit3 die Segel entfaltet und fich 
auf das Meer begeben hatten da traf fie ein unerwarteter Unfall. 
Piraten König Roberts von Apulien nämlich, welche unabläffig 
in dieſer Gegend Freuzten, um unvorfichtige Pifaner oder umher⸗ 
ftreifende kaiſerliche Fahrzeuge aufzugreifen, nahmen dieſe beiden 
Schiffe mit den kleinen Böten aller Beute und der ganzen Be- 
mannung weg und erbeuteten Alles im leichten Erfolge. Die 
Luccheſen ferner, durch Signale benadjrichtigt, eilten ſchleunigſt mit 
auserlefenen Reiter⸗ und Fußgängerihaaren bis nad) dem Dorfe 
Camajore, etwa zwei Miglien von Petrafancta, mo fie auf die 
Kunde von dem Siege der Feinde halt machten. Nachdem fie hier 
übernachtet, brachen ‘fie vor Tage auf, marſchirten nad Rotara, 
anderthalb Miglien von Petrafancta, und ſchickten fofort Boten 
nad Lucca, mit der Bitte die florentinifhen Hülfstruppen, melche 
am Tage vorher angelangt waren, ihnen dorthin zu enden. Sie 
jelbft nahmen fi nody hundert Mann leichter Fußtruppen aus 
der genannten Befte zu Hülfee So auf ihre vereinten „Kräfte ver— 
trauend, brachen fie die Brüden ab und zerftörten die Wege, melde 
zwiichen den Burgen und den Sümpfen binführten und den Feinden 


1) ſüdweſtlich von Pietrafanta, an der Küſte. 


1313 


1313 


304 Dreizehntes Buch. 


zum Rückzug dienen mußten, ſodaß dieſe fich nur mit dem Schwerte 
den Rückweg bahnen konnten, während von Geiten des Kaifers 
feine Hülfe heranzufommen vermochte, außer wenn bdiefelbe fich 
mitten durch die Truppen der Luccheſen hindurchſchlug. Im Lager 
ver Tetsteren befanden ſich nach Verlauf von drei Tagen zmeitaufend 
Berittene und zwanzigtaufend Fußtruppen; die Katferlichen aber 
zählten zwölfhundert Netter und zehntaufend Mann Fußvolk. 
Während man auf beiven Eeiten mit jo großen Vorbereitungen 
beihäftigt war, fam den Lucchefen eine unerwartete Nachricht zu. 
Sie vernahmen nämlich daß Johannes de Porticu, der Tuccheftfche 
Podeftä von Bal d' Arno, Fusceslum eine fehr ftarfe Veſte dieſes 
TIhales!) in heimlichen Einverftändnis mit den Führern der Be— 
lagung daſelbſt dem Kaiſer verrathen molle und daß die Sade 
Ihon faft bis zum Bollzuge gediehen jei, indem bereit8 der Graf 
von Savoyen mit königlicher Mannſchaft und allen Veranftaltungen, 
um in der Nacht die Thore zu Iprengen, herbeteile. Nachdem aber 
gegen Abend die Verſchwörung verrathen worden und mehrere der 
Verſchworenen entflohen waren, ließ Johannes deren Sade im 
Stih?) und befahl dem Robertus Rubeus mit verboppelter 
Mannihaft das Bernharböthor zu bejegen. So ließen die Ber: 
ſchworenen, nachdem fi) das Glück von ihnen gewandt, wider ihre 
Abficht 3) fi von dem Grafen vergebens erwarten, wurden aber 
nichts deftomeniger ihres Vergehens überführt, nach Lucca gebracht 
und mit dem Strange beftraft. Zwei Fahnen wurden, nachdem 
man die Adler, welche jene fich zu ihrem Berrath beichafft hatten, 
umgewandt *) auf dem Giebel des Rathhauſes won Yucca aufge: 
ftedt. Der Savoyer indeß verheerte bei jeinem Abzuge von 
Fusceclum jene ganze Gegend mit allen ihren Städtchen. Vom 
Schreden überwältigt, verharrten die Einwohner diefer Ortichaften, 
obgleich fich bei ihnen auch die verbannten Pifaner zufammenge- 


1) Fucechio am Arno, halbwegs zwifchen Florenz und der Mündung des Fluffes. — 
2) Hier ift eine Liide im Text, weldhe nur vermuthungsweife ausgefüllt werden kann. — 
3) Zert: haud aliter quam meditati fuerant. — 4) Text: versis aquilis.. Was da= 
runter gemeint, ift nidht klar. 





Einnahme von Petrafancta ꝛc. 305 


funden hatten, faum noch im Gehorfam gegen Lucca und felbft 
die Feſte Bufianım?) vollzog die Befehle der Luccheſen nur mit 
hochmüthigem Widerftreben. In vdenjelben Tagen eroberten die 
Shibellinen Aranım 2), welches furz hernach jedoch von Gräcus 
Bernaducius, den Statthalter diefer Gegend, wiedergewonnen und 
von den Guelfen in Befis genommen wurde. In Graphagnana ?) 
war der lange jchlummernde Parteihaß zu offenem Ausbruch ge— 
fommen und die Einwohner lagen mit einander im Streite, bis 
eined Tages, am 5. Juni, die Guelfen den Sieg gewannen, nad)- 
- dem von den Öhibellinen vierzig durch das Schwert gefallen waren, 
während fie jelbft nur fünfzehn verloren. Bet Ddiefem Kampfe 
famen, durch das Gerücht aufgeſchreckt, die Luccheſen des Quartieres 
von St. Peter, welche fi) Damals in jener Gegend befanden, den 
Guelfen zu Hülfe. Durch diefe Kämpfe und Bewegungen gehoben, 
machten die Ghibellinen in Graphagnana nnd Terelium *) von nun 
an den Guelfen mehr zu ſchaffen. Bartholomäus Paſſarelli, 
welder in diefer Gegend im Namen Lucca's als Bodefta gebt, 
drückte, wie e8 die Sache erforderte, ein Auge zu und ließ e8 ge- 
ſchehen, nur darauf bedacht, jene an offener Empörung zu ver- 
hindern, ſodaß fein Nefidieren al8 Rektor in Bictanum ) ohne 
alle Bedeutung war. Im Lager der Lucchefen waren inzwijchen 
die Anfichten getheilt. Die Luccheſen felbft, welche jehr wohl mußten, 
daß Das Heer ſich bald wieder verlaufen würde und vor Furt 
zitterten, daß die Auflöfung der Unternehmung fie den Feinden 
wehrlos preisgeben wirde, forderten mit dem größten Nachdruck 
eine Schlacht. Ihnen ftimmten Dego, der Führer der florentinifchen 
Söldner, und die Hülfstruppen aus Bologna bei. Nur die Floren— 
tiner, welche in der Meinung dag die eingefchloffenen Feinde ohne 
ihr Zuthun zu Grunde gehen würden, e8 gern fahen, daß fich die 
Sache Hinzögerte, wollten von einer Schlacht nichts wifjen. So 
wurde die Entjheidung von Tag zu Tage hinausgefchoben. Die 


1) Borgo a Buggiano im Val di Nievole, 13 Miglien öftlih von Lucca. — 2) wohl 
Aramo im Balle Ariana. — 3) Grafagnana, Gegend am oberen Serdiothal. — 
4) Tereglio, im Thal des Serchio. — 5) Pitiano im Bal d' Elſa? 

Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VIT. 20 


1313 


Sunid 


306 Dreizehntes Bud). 


1313 Planer andererſeits, voll Belorgnis für Die Ihrigen, welche ſich 
durch Die Feinde ringsum jeden Ausweg abgejchnitten jahen und 
auch bereitd Mangel litten, bauten, um, ſoweit fie vermöchten, jene 
zu entjegen, Mafchinen, Schutzdächer, Mauerbrecher, ſowie Laſt— 
ichiffe, die f. g. Barbotten, nebſt Getreidefahrzeugen und verfahen 
diefelben mit allem mas zur Ausrüftung zu Yande und zur See 
gehört, in der Abficht fich jo gerüftet dem Schwerte der feind- 
lichen Streitkräfte entgegenzumwerfen, und ſchworen einander zu, an 

Suni14 einem beftimmten Tage, nämlid am 14. Juni, aufzubrechen. Da 
aber erblicten fie auf dem höchſten Gipfel von Gorgona ein Feuer— 
zeichen, welches bei ihnen Fald genannt wird. Dieſes Signal be- 
nadhrichtigte fie, daß Galeeren des Königs Robert von Apulien 
nad) Elba gefommen jeien, dort die Einwohner gejhädigt hatten und 
bereit3 nach Portus Pifanus weiter gefahren ſeien. Auf dies Fald 
von Gorgona hin brachten die Pifaner ihre Flotten in Sicherheit und 
wußten fie aud) vor jedem Schaden zu bewahren, die feindlichen Öaleeren 
aber legten fid) am nächſten Tage bei dem Felſen von Motrone 
vor Anker. Ihr Vicendmiral der Calabrefe Aldemarius (Corra— 
dinus Spinola aus Genua nämlid) war des Königs Oberadmitral) 
ließ die Flotte bei Motrone und begab fih auf dem Wege von 
Camajore zum Heere der Luckhefen. Er begrüßte ſich mit den 
Erften de8 Heeres und erflärte, er werde ihnen an Stelle König 
Koberts Hülfe Leiften; er jei von demfelben mit dem Auftrage 
gejandt, um von den dreitaufendjiebenhundert Bogenſchützen, die er 
mitgebracht und auf feinen Schiffen habe, fiebenhundert in ihr 
Lager zu führen; die übrigen ftänden ihnen zur Verfügung, ſobald 
fich eine befjere Verwendung für fie finde. Ste würden zu Lande 
den befreundeten Tusciern behilflich fein; auf dem Meere aber 
Yägen feine Galeeren an den Punkten der Küften vor Anker, wohin 
die Feinde ihren Nüczug oder ihre Flucht richten fünnten. Dod) 
ſei der König Hiermit nicht zufrieden und halte dies in Anbetracht 
der jo günftigen Sachlage für ungenügend; es ſei Daher überdies 
Corradinus beauftragt worden, ſechs andere Galeeren den feinen 
binzuzubringen. Ex jelbft habe ferner die Ausrüftung von dreißig 





Einnahme von Petraſancta ꝛc. 307 


anderen befohlen, um mit fünfzig Schiffen der Nothdurft Der 
Freunde entgegen zu kommen. Durch dieſe Vorgänge erjchredt 
und aufgehalten, verzehrten die Piſaner inzwiſchen ihre Lebens- 
mittel, Tiefen das Werk, welches fie begonnen hatten, Tiegen und 
mußten vergebens und ungenütt die Zeit verftreichen laſſen. Auch 
konnten fie ihre erſchöpften Vorräthe nicht vernollftändigen, da das 
durch den ambauernden Krieg arg "heimgefuchte Gebiet von Lucca 
für die Verproviantirung nichts Tiefern fonnte. Das gleihe war 
mit der Riviera von Genua der Fall, welde faft garnichtd trug. 
Auch erblidten fie weder zu Lande nody zur See eine Möglichkeit, 
den Ihren zu Hülfe zu fommen. Jeder Landweg zu venjelben war 
abgejchnitten und das Meer wurde durch die feindlichen Galeeren 
ihnen verſchloſſen. Es vermehrte die Verlegenheit des Kaiſers und 
der Piſaner der Umftand, daß fie ſchon unter einem faft unerträg- 
then Mangel an Lebensbedarf Kitten, namentlich fehlte e8 an 
Wein, ſodaß das Ffleinfte Maß, welches dort zu Lande Metadella 
heißt, in Folge des Steigeng der Preife mit zwei Solidi piſaniſcher Münze 
bezahlt wurde. Der kaiſerliche Marſchall hielt tro& der größten 
Rührigkeit und Sorgfalt die Seinen, welche gerne entlaufen wären, 
nur mit Mühe beilammen, obwohl er gegen die Deferteure Ver: 
ſtümmlung der Glieder verhängte, während die eifrige Sorge der 
Luccheſen bei Tage und bet Nacht geichäftig war die ©egner im 
höchſten Maße zu bedrängen. Kingsherum ftellten fie ihre Wacht 
poften auf und hielten es, in dem Wunfche jenen in ihrer ſchlimmen 
Lage durch eine Schlacht noch weiteren Abbruch zu thun, kaum 
aus im Lager zu liegen. 


Vierzehntes Bud). 


1. Die lombardifhen Guelfen gewinnen die 
Beften Romanum und Giſalba. Nachdem die verbannten 
Bergamasfen, mie oben erzählt wurde, das Schloß Colonium ge: 
wonnen hatten !), festen fie Die Bürger der Stadt und ringsum 
die Einwohner der Orte, welche fi) zu derjelben hielten, in 
Schreden. Hierbei geihah es, daß Fridericus Coglonus, welcher 
bis dahın dem kaiſerlichen Vikar gehorcht hatte, die Stadt verließ 
und nad Martinengum ?) flüchtete, wo er fich den Berbannten an— 
Ihloß und mit feinen Getreuen vereint die Stadt befriegte, worauf 
auch, da es das Geſchick jo fügte, die Feſte Romanum ?) fich dem 
Sifelbertus Carpionus, einem der werbannten Bergamasfen, über- 
lieferte. Auch die Obrigkeit von Giſalba) ftellte fih und das 
Schloß den Siegern zur Verfügung. So trat in kurzem ein Um: 
Ihwung der Dinge ein und alle von Bergamo abhängigen Land— 
ftädte trafen, ohne erſt die bedrohlichen Anfälle der Gegner abzu— 
warten, ihre Maßregeln und ergaben fic) den Guelfen. Im Ber 
lauf diefer Dinge braden das Kriegsvolk und die Bürger von 
Bergamo mit geeinten Kräften durch die zerftreuten Schaaren der 
Gegner hindurch und marſchierten nach Vezanega, einem etwa vier 
Miglien von Colonium entfernten Orte. Als nun zufällig an dem 


1) ſ. 0. Bud) 12 Kap. 12. — 2) 8 Miglien ſüdſüdöſtlich von Bergamo. — 3) Romano 
di Lombardi, 21/2 Migiien füdlid) von Martinengo. — 4) Ghifalba, anderthalb Miglien 
nördlih von Martinengo. 


Kampf des Catalanen Cozo x. 309 


nämlihen Tage, am 16. Mat, die vertriebenen Bergamasten, 17 
welche mit denen von Lodi Crema und Brescia, etwa zweihundert 
Ranzenreiter ftarf, zur Verheerung des Landes ausgerüdt waren, 
Kunde erhalten, daß das erwähnte Kriegsvolk und die Bürger in 
Bezanega eingetroffen ſeien, verbargen fie fid) in geringer Entfer- 
nung von diefem Orte im Gebüſch und fchieten Leichte Truppen 
voraus, um die in Vezanega befindlichen herauszuloden. Letztere 
ftürzten fid) denn auch jofort, in ihrer verwegenheit alle Vorficht 
außer Acht ſetzend, ungeordnet auf die leichten Truppen und liegen 
ſich mit denfelben in einen Kampf ein, bis fie auf ein gegebenes 
Zeichen won den in der Nähe verborgenen angegriffen wurden. 
Dhne deren erften Anſturm auszuhalten, flohen fie unter großen 
Berluften nad) Vezanega zurüd. Nur um jo häufiger verheerten 
von nun an aud im diefer Gegend die Berbannten das Gebiet 
von Bergamo mit Feuer und Schwert und hieben alle nieder, Die 
fie unvorfichtig außerhalb der Wälle und Befeftigungen fanden. 
In Elujum!) wurden von den Verbannten falt fünfzig von der 
Gegenpartei, darunter Matthäus della Bora und Morus Alertt, 
getödtet, wodurch erjchredt die Einwohner der ganzen Gebirgsland- 
ihaft von Bergamo zu den Guelfen abfielen. 

2. Abfall der Beten Irmignanum Spiranım 
Salcinatum und Cifaranım zu den Guelfen der 
Lombardei. Aud von den Veſten der Ebene fielen mehrere den 
Suelfen in die Hände, darunter Irmignanum Spiranım Calcina— 
tum Gifaranım 2). Die Wafjerleitungen aber aus dem Gebirge, 
welche Bergamo mit Waffer verforgten, wurden zerjtört und Die 
Duellen abgelenkt. Mit Mühe behauptete fih in der umlagerten 
Stadt der failerlihe Vikar mit den Bürgern. 

3. Kampf des Eatalanen Cozo, des Statthal— 
ters König Roberts, bei Caffinae Im dem gleichen 
Monat Mat fam es zu einer Feldſchlacht zwiſchen dem Gatalanen Mai 
Cozo, dem Statthalter König Roberts von Apulien in Aleffandria, 


1) Elufone im Gebirge, 12 Miglien nordöftlich von Bergamo. — 2) Kleine Ortſchaften 
de3 bergamasfiichen Gebietes. 





1313 


310 Vierzehntes Buch. 


und den verbannten Mleffandrinern, denen von Piemont und ven 
übrigen Kaiferlichen, welche Caſſinä innehatten. Letztere wurden 
geihlagen und erlitten eine }o vollftändige Niederlage, daß von 
fünfhundert Fußſoldaten und etwa dreißig Yanzenreitern, welche 
zum Kampfe gefommen waren, hundert und fünfzig nad Caffink 
heimfehrten, während alle übrigen erſchlagen oder gefangen wurden, 
darunter Naimondus Markgraf von Ancıfa, Romäus Yanzavegla, 
Galvagnus Merlanus, Yanzalotus Bictatus. Galvagnus Lanza— 
vegla und die übrigen Angejehenen, welde die Beranlafjung zum 
Abfall von Caſſinä gegeben hatten, wurden nad Alefjandria in 
Gefangenschaft geführt; im ganzen machte man zmeihundert und 
fünfzig Gefangene. Viele wurden in den Fluß Brumida geftürzt. 

4. Die Guelfen der Lombardei erobern Ser— 
matia. Um diefelbe Zeit nahm Paganız Raina der Podeft& 
von St. Ealvator mit feinen Untergebenen in Folge einer günfti= 
gen Gelegenheit die Feſte Sermatia durch Ueberfall und machte die 
Bejatung nieder, während die Einwohner mit ihrer ganzen Mann— 
Ichaft ausgezogen waren um die Feſte Gezanum zu überwinden. 
Hierbei wurde auch Franciscus Canis, der Damald dad Haupt der 
Partei der Canes von Cafale und der anderen Kaiſerlichen daſelbſt 
war, niedergemacht. Mehrere wurden auch von dem jchnell ange= 
legten Feuer überrafht und ftarben ın den Flammen. Die Zer- 
ftörung diefer Veſte war ein großer Verluſt für die Kaiſerlichen, 
da bier die unftätt umherjchweifenden Anhänger des Kaiſers aus 
Alefjandria Caſale Bercelli und Pavia eine Zufluchtsftätte fanden. 
Auch war die Veſte denen, die zwiſchen Gafale und Bercelli ver— 
fehrten, jehr Läftig, da fie den freien Verkehr zwiſchen diefen Orten 
hemmte. 

5. BZufammenftoß der Cavalacii und der Bru— 
riadi von Novara. Haft gleichzeitig mit den eben geſchilderten 
Begebenheiten trafen bei den Damm von Waftos!) auf offenem 
Felde ſchlachtgerüſtet die Bruriadi und Cavalacci, Verbannte aus 


1) Vaſto zwiſchen Novara und Bercelli. 





Einnahme von Zribulum. | 311 


Novara, mit der Gegenpartei dieſer Stadt und den Berbannten 
von Vercelli zuſammen. Letztere wurden befiegt und in die Flucht 
geihlagen: dreihundert und jechzig fielen, die übrigen vetteten fich 
nad) Novara, wo die Bürger auf die Kunde von der Niederlage 
der Ihren von gewaltigen Schreden ergriffen wurden und faum 
nod der Feftigfeit der Thore vertrauten, 

6. Einnahme von Tribulum Auch Cremona hatte 
in diefen Tagen einen frohen Erfolg zu verzeichnen. Die Veſte 
ZTribulum !) nämlich, bisher im Aufruhr gegen die Stadt und 
derjelben aufs äuferfte verfeindet, wurde von den Einwohnern 
dem Paſſarinus della Turre, dem Statthalter König Roberts von 
Apulien, überliefert. 

Durch alle diefe in einem und demjelben Monat jchnell auf 
einander folgenden DVerlufte und Einbußen im Sriege wurde die 
fatjerliche Partei in der Lombardei arg geſchädigt und in große 
Beſorgnis verlegt, jodag man jeine Hoffnung nur noch auf die 
Ankunft der Deutjchen jeßte, zu deren Herbeiführung der Erzbiſchof 
von Trier, des Kaiſers Bruder, über die Alpen gegangen war. 
Bon dem Herzogthum Baiern aus verbreitete fid) jedoch — jehr 
wider die Erwartung jener — die Nachricht in Italien, daß Jo— 
hann der Böhmenfönig, des Katjerd Sohn, durch die Behauptung 
jeines Königreichs völig in Anſpruch genommen jei, da ihm einige 
der böhmischen Großen Widerftand leifteten im Intereſſe Heinrichs 
von Kärnthen, welcher fich gleichfall® einen König von Böhmen 
betitelte, jodaß er, faum im Stande ſich jelbft zu behaupten, dem 
Bater feine Hilfe zu bringen vermöchte. Solche und andere Ge— 
rüchte durchſchwirrten alle Staaten Italiens, indem jeder das, mas 
jeinen Wünſchen entſprach, verbreitete; inzwilchen aber hatten die 
Bürger feine Ruhe und mußten erwarten, von Norden wie von 
Süden das Kriegsvolk über fich herfallen zu fehen. Schon gab 
e8 zwei erflärte Häupter Italiens, von denen eines die Herrichaft 
gewinnen mußte, entweder der Kaifer oder König Robert von 


1) Zrigolo, ſüdlich von Soncino, im Cremonefifdhen. 


1313 


1313 


312 Bierzehntes Buch. 


Apulien. Dieſe beiden ftanden im Mittelpunfte der Erwägungen 
eines jeden; die einen ließen hören: da alles menfchliche und gött- 
liche Necht jenen höchften Ausdruck im Kaiſer finde, fo ſei e8 in 
der Ordnung, daß diefer die Herrſchaft erlange; die andern leug- 
neten das zwar nicht, wandten aber ein, der Kaifer habe fein Hecht 
verwirft, indem er parteiiſch gefinnt die eine Hälfte der Bevölke— 
rung begünftigt, Die andere mit Füßen getreten habe. 

7. Urtheilsfprud des Kaifers gegen die Pa= 
duaner. Um diefe Zeit faßte der Kaifer, nachdem er, lange Zeit 
hindurch von den Verbannten mit Klagen über die Hartnädigfeit 
der Paduaner beftürmt, Die Sahe von Tag zu Tage hinausge— 
Ihoben hatte, die Verurtheilung derjelben ins Auge, ſaß über fie 
zu Gericht und fällte ohne ihnen die Bertheidigung zu ermöglichen 
auf die Angaben der Ankläger bin aus Gründen, welche von nie 
mandem widerlegt wurden, folgenden Urtheilsſpruch: 

„Heinrich ) von Gottes Gnaden römischer Kaifer allezeit ein 
Mehrer des Reichs. Zu ficherer Kenntnis der Gegenwart und 
zum Angedenfen für alle Zufunft. Nachdem Gottes Geheiß ven 
Schub des Gemeinweſens ung anzuvertrauen beliebt hat, haben 
wir, fobald wir die in Deutjhland unter dem Einfluß des Feindes 
des Friedens entftandenen Wirren beigelegt, e8 für nöthig erachtet 
den Berhältnifien Italiens aufzuhelfen, woſelbſt in der Zeit, da der 
Kaiſerthron unbefegt war, ſämmtliche Gemeinden und Städte Die 
Rechte des Reiches in Befis genommen hatten und durch Bürger- 
friege ſchwer beläftigt bei zunehmender Yeidenjchaftlichfeit Der Be— 
wohner, Die jogar nicht wenige ihrer Mitbürger unter verruchten 
Vorwänden verjagten, tyranniſch gelenkt wurden, während unzählige 
ihrer Bürger, verftoßen und ihrer Güter durch die Gegenpartet 
wider alles Necht beraubt, gezwungen waren mit dem Bettelftabe 
fremde Städte zu durchwandern und durch die Yande zerftreut ihr 
Leben in der Verbannung zu friften. Da wir aber Italien be= 
traten und unfere und des römischen Reiches Getreue aus der Lom— 


1) Ich lege den von Dönnige Acta H. VII, II ©. 202—209 gegebenen Tert zu 
Grunde, von dem Muffato jedoch meift nur in Kleinigkeiten abweicht. 








Urtheilsipruch des Kaijers gegen die Badıraner. 313 


Harder, welche ung die Treue gebrochen, insgefammt wiedergeivan- 
nen, und wir jchon unjere Vorbereitungen getroffen hatten um den 
Weg nah Rom zu betreten, auf daß wir das Diadem der Kater: 
Hoheit entgegenzunehmen vermöchten, da begingen die Stadt und 
die Gemeinde von Padua und die unten aufgezählten Bürger die- 
fer Stadt und jeder einzelne unter denſelben, auf ſchändliche Fre— 
velthat hartnäckig bedacht, nachdem fie ung zuoor freiwillig aner- 
fannt, und Treue erzeigt und und einen feierlichen Eidſchwur ges 
Teiftet, außer anderen Frevelthbaten — wie es der offenfundige Auf 
zu und. bringt und durch feine Ausfluht der Verborgenheit anheim 
gegeben werden fonnte noch kann — gegen unfere damals königliche, 
ſpäter kaiſerliche Majeftät folgende Verbrechen und Unthaten: näm— 
lich die Stadt und Gemeinde von Padua und die unten aufgezähl- 
ten Bürger und Diftriftsangehörige der Stadt und jeder einzelne 
von ihnen bemirkten nad) ernftlichem und wohlüberlegtem Entſchluß, 
daß gewiſſe Städte der Lombardet und der Marf von Trevifo mit 
gewilfen Bürgern diefer Städte und ſogar tusciſche Städte und 
Beften als Nebellen gegen und und das römiſche Reich fid) wider 
uns auflehnten und verftodten Gemüths in der Rebellion verblieben. 
Ferner haben fie den Statthalter, welchen wir daſelbſt einſetzten, 
aus feinem Statthalteramte entfernt, ihn gegen unjeren Willen 
Später zu ihrem Nector gewählt gegen unjere und des gefammten 
römischen Reiches Ehre !), und KRathöperjonen Beamte und andere 


Einwohner der Stadt Padua dazu gebracht und verführt, Die 


Getreuen und Untergebenen oder Freunde des römiſchen Reiches zu 
vertreiben, zu verbannen und einige zu tödten, anderen den Auf— 


enthalt. in der vorerwähnten Stadt Padua zu unterjagen. Und 


ebenfo haben fie mit den obenerwähnten vebelliihen Städten Ver: 
ſchwörungen und Vereinigungen gegen und und das römische Neich 
einzugehen ſich unterfangen; ferner, ihre Ichlimmen Thaten durch 
ſchlimmere überbietend, fich mit den vorerwähnten rebellifchen Städten 
und deren Einwohnern ind Einvernehmen geſetzt und ſich verab- 


1) Diefer Satz fehlt bei Muffato. 


1313 


1313 


314 Bierzehntes Bud). 


redet nad) Rom eine bewaffnete Macht zu entjenden, um zu ver= 
hindern daß wir das kaiſerliche Diadem entgegenzunehmen ver= 
möchten. Ferner haben fie nad Verabredung verhandelt und ver: 
einbart die Etadt Vicenza der Herrichaft des Kaiſerthums zu ent= 
reißen und fie der erwähnten vebelliichen Stadt Padua zu unter- 
ftellen, in Folge welcher Vereinbarungen und der Daraus hervor— 
gehenden Handlungen unzählige Menjchen dem Tode preisgegeben 
worden find. Ferner haben nadbenannte Bürger derjelben Stadt 
ſich mit den erwähnten rebelliihen Städten der genannten Yand- 


ichaften ins Einvernehmen gejett und die Stadt Padua, welche 


bisher und und dem römischen Reid) unterworfen und in That 
und Wahrheit unferer Herrihaft unterftellt war, verführt und und 
dem römiſchen Reiche aufjäffig zu werden, in welcher Rebellion fie 
von da an verblieben find und noch verbleiben, wie fie fich denn 
auch den anderen rebelliichen Städten angejchlofjen haben. Und 
als das Diadem der Kaiſerhoheit unfer Haupt zierte und wir mit 
unferem Heere ung im Xager vor Florenz befanden, beeilten fie 
fi) den Florentinern Hilfe zu jenden. — Wir aber, in dem 
Wunſche zu erfahren ob jener offenfundige Ruf, der jo abjcheuliche 
Ihaten kündete, begründet wäre, beſchloſſen, wie e8 unfere Pflicht 
ift, der Wahrheit defjelben nachzuforſchen. Und nachdem die Wahr- 
heit der vorftehenden Anjhuldigungen durch Zeugen ausnahmslos 
erwiefen worden, wurde nad) dem Kath unſerer Richter feierlich 
verfündigt, die obengedachten Anſchuldigungen, auf welde ſich die 
Nachforſchung erftredt hatte, und jede einzelne derſelben, ſeien 
notoriſch und alle diefe Verbrechen jeien ausgeführt und begangen 
durch die Gemeinde und die Stadt Padua und die Paduaner, auf 
welche ſich die Nachforſchung erftredte, und jeven einzelnen derjelben, 
und jo ofjenfundig fer die Evidenz derſelben Verbrechen und dag 
Vollbringen der Gegenftände jener Anfchuldigungen jo notoriſch 
geweſen und jet e8 noch, daß feine Ausflucht fie werheimlichen oder 
ableugnen könne; und man fünne oder müfje, wie gegen ſolche Die 
bisher notoriſche Verbrecher geweſen und in Zufunft keineswegs 
ablafjen würden ähnliches zu vollführen, einjchreiten gegen Die Ge— 


Eng — 


— — 





Urtheilsſpruch des Kaifers gegen die Paduaner. 315 


meinde und Stadt Padua und die nachbenannten Einwohner von 
Padua, gegen melde die Unterfuchung bereits vorausgegangen ift, 
und fie und jeden einzelnen von ihnen endgültig verurtheilen und 
beftrafen ob des Verbrechens und der Schuld des Hocverrathes 


nad) Juliſchem Gejeg !), deſſen fic) Die Gemeinde und die Männer 


von Padua und jeder einzelne derſelben notoriſch ſchuldig gemacht 
haben, nad) den verjchtedenen Punkten, auf die fih die Unterfuhung 
erftredft hat, und jedem einzelnen derſelben. Schließlich haben wir 
dann Diefelbe Stadt und Gemeinde von Padua und die nad 
benannten Männer und jeden einzelnen von ihnen zu einem lebten 
Termin vorgefordert und geladen in aller Form, nämlich: fie follten 
an einem beftimmten, jett beveitS vergangenen Tage vor und, wo 
immer wir fein und unfer Hoflager halten möchten, erfcheinen um 
dieſen unferen endgültigen Nichterfprud) zu vernehmen. Dies haben 
fie, ihrer Unthaten und Frevel bewußt und ftörrifch in ihrer Wider- 
Ipenftigfeit und in Zug und Trug verderblich verhärtet, zu thun 
nicht gewagt. Weil demgemäß wir ficher und auf Grund eines 
rechtlichen Verfahrens wilfen, daß die erwähnten Verbrechen und 
Frevel von der vorgenannten Semeinde und den unten aufgezählten 
Männern vollbracht worden find, und wir, indem wir die genannten 
und viele andere nichtswürdige Nuchlofigfeiten und abjcheuliche 
TIhaten der erwähnten Stadt und Gemeinde und der Einwohner 
auf der Wange des gerechten Gericht abwägen, beachten, Daß, 
während fie in Ruhe vom faiferlihen Wohlmollen begünftigt Frieden 
haben fonnten, fie verrätherifcher Weiſe ven Krieg erwählt, Unbilliges 
nah ihren Kräften vollführt und ind Werk gejett, wie fie auch 
jetzt noch nicht aufhören gegen Die Mannen des Reiches Unkraut 
zu ſäen, Haß zu erregen, Aergernis ins Leben zu rufen, Aufftände 
zu bemirfen und Zwietracht zu begünftigen mit Verachtung unfer 
und des römilchen Reiches und zum Nachtheil des gefammten Ges 


1) Die lex Julia de majestate, Geſetz des Dictator3 Cäfar vom J. 46 v. Chr., 
bildete unter den römischen Kaiſern die Grundlage für die Beitrafung derjenigen Ver 
brechen, welche fich gegen die Perfon des Monarchen richteten oder Yandesverrath zum 
Gegenftand hatten. 


1313 


316 Bierzehntes Bud). 


meinwejens, jo ſprechen wir der Gemeinde Padua und jeder einzelnen 
Perfon diefer Gemeinde, der Stadt und den nadhbenannten Männern 
und jedem einzelnen derjelben, fintemalen fie des Hochverrathes 
Ihuldig und durch Die mwuchtige Yaft vieler Ihändlichen Verräthereien 
in den Abgrund des Böſen geftürzt find, in ihrer böswilligen Ab— 
weſenheit, welche durch Gottes Anmwefenheit ausgeglichen werben 
möge, nad) allem Recht, jo gut und vollftändig wir fünnen, nad) 
ficherer Wiffenihaft auf Grund jowohl unferer Mactvollfommen- 
heit al8 nad) jedem beliebigen anderen Recht hier zu Gericht fitend 
durch endgültigen in dieſer Urkunde verzeichneten Urtheilsſpruch als 
Kebellen und Verräthern und Feinden des römiſchen Reichs und 
des Hochverraths Ueberführten jede getheilte und ungetheilte Herr— 
lichkeit und jede weltliche Nechtsiprehung ab, jegliches Recht einen 
Podefta, Rector oder Herren auf die Dauer oder zeitweilig zur 
Lenkung der Stadt Padıra oder ihres DiftriftS zu wählen und zu 
behalten. Auch erkennen wir der Stadt ab und erklären für 
aberfannt ihre Univerfität, die Erlaubnis den Doctorgrad zu er— 
theilen, ſowie jegliche Privilegien, Befretungen, Ehren und Lehen 
und alle und jegliche Nechte, welche ihnen won und oder von den 
römiſchen Kaiſern oder Königen, unferen Vorfahren, gewährt worden 
oder die fie auf irgend eine Weife erworben, und widerrufen Die 
felben wifjentlich und heben fie auf, vernichten fie und machen fie 
ungültig, und macden fund und erflären, daß Die gedachte Gemeinde 
in Padua, die Stadt und die Gefammtheit der Gemeinde und 
jede einzelne Perjon diefer Gelammtheit und alle und jede nach— 
benannte Männer und jeder einzelne unter ihnen ſich durch die er— 
wähnten Unthaten der Felonie, des Verrathes und des Verbrechen 
der beleidigten Majeftät nad; Juliſchem Geſetz gegen unfere ehemals 
öniglihe nnd jodann kaiſerliche Majeftät und das ganze römiſche 
Reich Ihuldig gemacht und ſich audy) gegen ihren eigenen Treueid, 
den uns die Gemeinde felbft, ihre Rathöperfonen, Beamten und 
die Einwohner der Stadt geleiftet, und gegen das Treuverſprechen, 
das fie und gethan, vergangen haben. Und befehlen nicht minder, 
daß die Stadt Padua als des Hochverraths ſchuldig jeglicher 


b 
j 
3 
& 
4 





ET ir RT 








Urtheilsipruc des Kaifers gegen die Paduaner. 317 


Mauern und Befeftigungen beraubt und dermaßen herabgewürbigt 
werde, daß den Boden, auf dem fie jett fteht, die Pflugichaar durch— 
furche umd jeder auf allen Seiten freien Zugang und freien Abzug 
finde. Ueberdies verurtheilen wir die Gemeinde und die Geſammt— 
heit der Gemeinde von Padua, weil fie ſich unterfangen die vor— 
benannten abjcheulichen Frevelthaten zu begehen, dazu zehntaufend 
Pfund Goldes dem Fiscus und unferer oder des römischen Neiches 
Kammer zu zahlen, und erklären auch die einzelnen Perſonen ver 
Gemeinde im ganzen römiſchen Reich für geächtet und friedlog, 
indem wir entjcheiden, Daß jede einzelne Perſon jener Gemeinde 
frei und ungeftraft mit unjerer Erlaubnis verlegt, gefangen ge= 
nommen und zum Sklaven derjenigen welche fie ergreifen gemad)t 


werden fann, und daß die nachbenannten Männer und jeder einzelne 


von ihnen, als von Hochverrath triefend, den Tod erleiden ſollen, 


indem fie, wenn irgend einmal fie oder einige von ihnen in unfere 


und des römiſchen Reichs Gewalt gerathen, am Galgen aufgehängt 
werden jollen, bi8 der Tod erfolgt. — Durch dieſen Urtheilsfprud) 


verurtheilen wir aud die Anzianen und Rathsverwandten oder 


Weiſen oder Nectoren der vorbenannten Stadt und jeden einzelnen 


von ihnen, ſoviele es zur Zeit der gedachten Rebellion waren oder 


es ın der Folge geweſen find oder in Zukunft fein merden, folange 
diefe Rebellion dauert, verbannen fie aus dem ganzen römiſchen 
Reid) und hängen ihnen ewige Ehrlofigfeit an, berauben fie aud) 
und jeden einzelnen unter ihnen aller Privilegien, Ehren, Freiheiten 
und Befreiungen, die fie von und oder von römiſchen Kaifern, 
unjeren Vorfahren, erhalten oder auf andere Weife erworben haben, 
und beftimmen, daß fie untauglich ſeien Richterſtellen oder ſonſtige 
Ehrenämter zu befleiven. Auch die Podefta Nichter und Notare, 
welche zur Zeit der gedachten Empörung und jpäter in Betreff der 
erwähnten Punkte ung aufſäſſig gewefen und von jenem Zeitpunft 
an die Stadt regiert haben und ohne unfere oder unferer Nach— 
folger Erlaubnis in Zufunft die Stadt regieren werden, berauben 
wir und erflären fie für verluftig jeder rihterlichen Befugnis, des 
Notariats und jedes Amtes, und beftimmen, daß fie beftändiger 


1313 


21313 


318 Vierzehntes Bud). 


Ehrlofigfeit unterliegen, indem wir ihnen zugleich alle ihre Privi- 
legien, Freiheiten und Befreiungen, Ehren und Rechte, die fie von 
ung oder unferen Vorgängern erworben oder anders gewonnen haben, 
abſprechen und die Privilegien und Berleihungen aus ſicherem Wiſſen 
widerrufen; fie jelbft aber verbannen wir und beftimmen, daß fie 
als Rebellen des römiſchen Reiches von allen unjeren und des ge— 
nannten Reiches Getreuen in ihrem Befis und an ihrer Perjon 
verletst merden dürfen. Die Richter ferner, die Anwälte und 


Notarien der genannten Stadt Padua, fie jeien Bürger, Diftrikts- 


bemohner oder Anwohner, berauben wir der Befugnis zuzuerkennen, 
beizufigen und als Anwälte oder Notare zu fungieren, und wollen 
aud daß fie beftändiger Ehrlofigfeit unterliegen, in der Erwägung 
daß die vorermähnte Stadt und Gemeinde und die Menſchen der 
Gemeinde in der offenkundigen Verftodtheit der erwähnten Empörung 
und fo abjeheulicher Verbrechen nicht jo lange Zeit hätten verbleiben 
fönnen, wenn nicht die Bürger und Einwohner ſelbſt e8 geduldet 
und gebilligt hätten, und auf daß fie aus Furcht vor der Strafe 
fi) und die genannte Gemeinde aus den gedachten ſchändlichen 
Berivrungen herausziehen und zur jchuldigen Ehrerbietung gegen 
ung und das römiſche Reich zurüdbringen mögen. Alle und jede 
Bürger und Einwohner aber der genannten Stadt und ihres 
Diftrikte8 verbannen wir aus dem ganzen römijchen Reich, ent= 
ſcheiden auc und verordnen, daß feine Perfon, unter welchen Ver— 
hältnifjen es ſei, noch irgend eine Stadt, Vefte, Dorf oder irgend 
ein Verband der Stadt oder Gemeinde von Padua over einem 
Angehörigen diefer Gemeinde oder den nahbenannten Männern oder 
irgend einem derjelben öffentlich oder insgeheim Hilfe Rath oder 
Gunſt angeveihen lafje, bei einer Strafe von hundert Pfund Golves 
für jede Stadt, fünfzig Pfund Goldes für jedes Schloß oder Dorf 
ſowie für jeven Baron, Grafen, Markgrafen oder jede andere vor— 
nehme Perſon, und zwanzig Pfund Goldes für jede Privatperfon, 
für jedes einzelne Mal daß fie dieſem Befehle zumiderhandeln ; 
und daß es einem jeden ohne Strafe zu bejorgen erlaubt ſein ſoll 
Bürger oder Einwohner der Städte, Schlöjfer, Dörfer und jede 


—— en — 








Urtheilsipruch des Kaiſers gegen die Padıraner. 319 


andere Perfon, melden Standes und in welder Lage fie fet, 
welche jenen oder irgend einem von ihmen zu Willen fein oder 
ihnen Hilfe Rath und Gunft offen oder geheim angedeihen laſſen 
ſollte, zu verlegen an ihrer Perfon und ihrem Beſitz und fie ſelbſt 
oder ihren Beſitz zu ergreifen, anzuhalten und feitzunehmen. Auch 
befehlen wir ausdrüdlich, dag fein Schuldner der genannten Stadt 
oder der Glieder der genannten Gemeinde von Padua oder irgend 
eined von ihnen oder der nacdhbennnten Männer oder irgend eines 
von ihnen die Schulden, mit welchen er denjelben oder einem von 
ihnen verpflichtet ift, irgendwie zu berichtigen oder ihnen Genüge 
zu thun fich erdreiſte, widrigenfall® er ebenfo viel unferer Kammer 
bezahlen und dazu ſummariſch und ohne Umftände und gerichtliches 
Berfahren gezwungen werben fol. Die gefammten Städte, Beften 
und Dörfer aber des gefammten römijhen Reiches und jegliche 
einzelne ‘Perfon, welchen Ranges und Standes fie fein mögen, 
welde gehalten find, der nämlichen Gemeinde von Padua oder 
einer Perfon aus diefer Stadt oder den nachbenannten Männern 
oder einem von ihmen eine Yeiftung an Geld oder Sachen, eine 
Wiedererftattung oder irgend melchen Dienft oder Hilfe zu gewähren 
auf Grund irgend eined Vertrages oder einer Verpflichtung unter 
Feftfegung von Bußen, auf melden Grund oder Titel hin eine 
ſolche Berpflihtung mit ihnen oder einem von ihnen oder ihren 
Borfahren eingegangen fer, Sprechen wir von folder Verſprechung 
Berpflihtung und Vereinbarung oder Vereinbarungen und von Der 
feſtgeſetzten Buße, ſoweit fie jenen oder einem derjelben oder deren 
Erben verpflichtet find, frei, und beftimmen daß fie ohne weiteres 
davon frei feien, derart, daß fie in feiner Weiſe gehalten find 
folches ihnen oder einem von ihnen oder ihren Erben zur Leiften. 
Die vorgenannten Güter der erwähnten Stadt aber und ihrer An- 
gehörigen und der nachbenannten Männer ſowie auch der anderen 
Perfonen, deren wir oben Erwähnung thaten, welden Standes fie 
jeien, und nicht minder ihre fachlichen und perſönlichen Rechte und 
Leiftungen, aus welher Urjache, auf melden Titel und Vertrag 
bin diejelben der nämlichen Stadt Padua, der Gemeinde oder den 


1313 


320 Vierzehntes Bud). 


Gliedern der genannten Gemeinde oder gar den nacdbenannten 
Männern oder einem von ihnen oder auch den vorher erwähnten 
Beamten irgendwie zuftehen, ziehen wir ein und fügen fie durch 
dieſen unſeren Richterfprudy dem Fiscus des römiſchen Neiches hin— 
zur). Bon allen im Vorſtehenden erwähnten Strafen aber nehmen 
wir alle Diejenigen aus, welche zu unferer Dienerichaft gehören, 
und alle Getreuen des Reichs, welche von der genannten Stadt 
vertrieben waren und noch find, nebft ihren Angehörigen und ihrem 
Beſitz. Dieſe, unfere Diener und unfere verbannten Getreuen und 
deren Angehörige und Beſitz ſchließen wir von dem genannten 
Urtheilsſpruch und den Strafen und Nechtungen defjelben aus und 
erhalten fie unter unjerem und des römischen Reiches Schirm und 
Schuß, deögleichen alle diejenigen, welche ſich uns bereits unter- 
worfen haben oder ſich uns jest unterwerfen oder ſich beftreben 
werden innerhalb der beiden nächften Monate fih uns und dem 
römischen Reiche in Wahrheit und in herzlicher und treuer Zus 
neigung zu unterwerfen. 

Ale dieſe Beſtimmungen und jede einzelne derſelben erlaſſen 
wir auf Erfordernis der Gerechtigkeit und des Beften des Gemein- 
weſens ſowie aus ficherer Kenntnis heraus und aus der Fülle 
unjerer Macht, und jegen uns über jeden Mangel hinweg, falls 
etwa ein joldher in dem vworftehenden Verfahren, bei irgend melchen 
auf Grund deſſelben angeftrengten Prozeſſen wegen Weberjehung 
irgend einer rechtlichen Form gefunden werden follte, jehen auch 
von allen beliebigen Gefegen, Privilegien und Bergünftigungen ab, 
unter welchem Wortlaut diefelben auch gewährt fein mögen, jelbft 
wenn e8 auf Grund vefjelben nöthig wäre fie behufs Außerfraft- 
jegung von Wort zu Wort in diefer Urkunde zu wiederholen, jo 
viele aud, gegen das DVorftehende insgeſammt oder gegen irgend 
einen Punkt dejjelben irgendwie vorgebracht oder entgegengejeßt 
werden fönnte 2) 


1) Sier folgt bei Dönniges ein, von Muffato ausgelafjener, verftimmelter Sat, nady 
welhem gewiſſen Perfonen ein Antheil an den einzuziehenden Gütern der Geäcdhteten 
verſprochen wird. — 2) Hier endet der Tert bei Muffato; bei Dönniges folgt, den in 





Die Paduaner beſchweren ſich ꝛc. 321 


„Gefällt, erlaſſen und verkündet ward vorſtehendes Urtheil 1313 
durch den allergnädigſten Herrn Kaiſer, als welcher zu Gericht ſaß; 
verleſen aber und veröffentlicht auf Befehl und in Gegenwart des 
Herrn Kaiſers durch mich Paulus Ser Ranuccini von Monte 
imperiale, Notar des Herrn Kaiſers, auch in Gegenwart des Leo—⸗ 
pardus Frenectus aus Piſa, ebenfalls eines Notars des Herrn 
Kaiſers. Uns Notaren befahl dann der Herr Kaiſer, wir ſollten 
über alles Vorſtehende öffentliche Inſtrumente abfaſſen und nieder— 
ſetzen. Und alle dieſe Handlungen fanden ſtatt zu Piſa im großen 
Saale der Wohnung des erlauchten Grafen Raynerius de Dono— 
raticho, in welcher der Herr Kaiſer wohnt, nachdem hier auf Be— 
fehl des Herrn Kaiſers eine unzählige Menge von Menſchen ſo— 
wohl von diesſeit als von jenſeit der Berge, ſowohl von Großen 
und Edeln als von Männern aus dem Bürgerſtande, als Parla— 
ment berufen und-verjammelt worden war, um das Vorſtehende 
entgegenzunehmen ?) ......... Im Jahre nad) der Geburt des 
Herrn 1313, in der elften Imdiction, am 16. Tage des Monats Mai 16 
Mat, ver Herrihaft des Herrn Kaiſers im fünften, feines Kaifer- 
thums aber im erften Jahre.” 

8. Die Paduaner befjhweren fih über den Ur— 

theilsſpruch des Kaiſers. Diefe Strenge des Kaiſers, dieſe 
Härte des grimmen Ausſpruches erſchütterte die Paduaner; nament— 
lich die Greiſe, bei denen die Erinnerung an den Schaden, welcher 
ihnen aus der abſcheulichen Tyrannei Friedrichs von Staufen er— 
wachſen war, noch fortlebte, glaubten das alte Schreckbild erneut 
vor ſich aufſteigen zu ſehen; aber auch die Söhne und Enkel 
ſtimmten in die Klage der Väter ein, gedachten der Ueberlieferungen 
der Ahnen und waren überzeugt, daß ſie dies nur dem Umſtande 
zu verdanken hätten, daß ſie Canisgrandis, der nach dem Beiſpiel 


der Urkunde gegebenen Andeutungen gemäß, die lange Namensreihe derjenigen Paduaner, 
welche ſpeziell von der Acht betroffen wurden. Unter ihnen wird genannt: „Albertinus 
dictus Musactus“, dann: „Petrobonus dictus Musactus* (Bruder unſeres Autors). Wir 
laffen die Namen fort, geben aber daS bei Muffato ebenfalls fehlende Datum nad) Dön— 
niges. — 1) Es folgen die Zeugen, an ihrer Spite Graf Amadeus von Savoyen, außer 
ihm fein befannterer Name. 


Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 21 





131 


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322 Bierzehntes Bud). 


des verabicheuungswirdigen Eccerinus von Romano fie verfchlingen 
wolle, den Eintritt verwehrt hätten, ihm, der vom Kaifer zu dem 
Zwede nad) Vicenza, vor ihre Thüre, geſetzt worden fei, um, fo- 
bald die Hirten die nöthige Vorſicht außer Acht Yieken, in die 
Heerde einzubrechen. Das Geſchick ſcheine zu wollen, dag Padua, 
welches in Folge ded lange anhaltenden Friedens nur eben erft 
wieder zu Kräften gefommen fei, unter dem Herricherftab des Reiches 
abwechſelnd bald aufblühe, bald verdorre. Um letzteres herbeizu- 
führen, ſei Canisgrandis als Vikar von Bicenza gerade der rechte 
Mann, er, ein Jüngling von maßlojem Ehrgeiz, der in der Tyrannis 
geboren und erzogen fei, der jegt erwachlen von ihrem Wohlftand 
fi) mäften folle. Auch beflagten fie fi) daß die Gründe, welche 
der Urtheilsſpruch anführe, nad beliebigen Angaben ihrer Feinde 
aufgegriffen worden jeien und der Wahrheit vurdaus nicht ent= 
Iprächen, indem fie nämlich zwar dem habgierigen Cants, nicht aber 
dem Keihe auffällig geworden feien, da e8 ihr Tod gemejen wäre, 
wenn fie aus nachbarlicher Langmüthigkeit es ſich hätten gefallen 
lafien, daß Canis in ihrer Nähe Die Oberhand gewinne. Denn 
diefer werde, gleichwie er ihnen ſelbſt widerwärtig ſei, ſeinerſeits 
dur Altes und Neues zum Haß wider fie getrieben. Ebenjowenig 
hätten fie fi) mit den Lombarden zu dem Verbrechen der Empörung 
verſchworen, jondern erjchredt durch Canis Unbarmberzigfeit hätten 
fie fi) unter dem Eindrud der fie drängenden Furcht zu ihrem 
eigenen Schute aufgerafft, nachdem Padua anfangs unterwürfig 
gefinnt Hunderttaufend Gulden, mit deren Hülfe Brescia gemonnen 
worden, bezahlt hätte, um vom Kaiſer den Frieden zu erfaufen. 
Dies aber hätten fie trogdem nicht erreicht. Wäre Canis meniger 
hartnädig gewefen, jo hätte er die Veſten und Befigungen der 
Paduaner, von denen ein erheblicher Theil in Vicenza und deſſen 
Gebiet belegen war, aus freien Stüden den Paduanern heraus- 
geben müfjen. Aber er fei ja lediglich der Henker im Gerichtshofe 
des Kaifers, der dazu beftimmt worden, an den Paduanern, den 
Mitbürgern von Vicenza, das Todesurtheil zu vollziehen. Wenn 
die Langobarden derartige Beiſpiele vor Augen ſähen, ſo würden 


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Berbrennung der Ländereien Verona's x, 323 


fie ficherlich jolchen, aus einer jo großen Menge von Unterthanen 1313 
augerlefenen Vikaren gehorchen! Unwürdig ei dies, unmenjchlich, 
unerträglich für Chriften! 

9. Berbrennung der Ländereien Verona's von 
den Stadtthoren an bis an die paduanifhe Grenze 
im DOften und Süden. Dur diefe und andere Drangjale 
erbittert, beichloß der Senat der taufend Männer zu Padua in 
zahlreich befuchter Sitzung mit gefammter Macht über Canis her- 
zufallen, um durch das Schwert zu erproben, welche Partei der 
anderen an Macht überlegen fei, ob Canis, welchem drei Städte 
ihre Mittel zur Verfügung ftellten, oder die paduaniſche Gemeinde, 
wenn fie — ohne irgend Jemandes Hülfe — ſich bis aufs äußerſte 
anfpanne. Man berief daher die Bauern in die Stadt, Iegte ihnen 
die Beihaffung von Fahrzeugen, ſowie die Stellung von Schleuderern 
und leichtbemaffneter Bedienungsmannſchaft für die Geſchütze auf, 
und führte endlich unter großem Lärm und Waffengeflivr die 
wohlgeordneten Schaaren der Ritter, Bürger und Söldner am 
21. Juni nad, Efte, von wo aus fie am ſpäten Abend des zweiten Juni 21 
Tages insgefammt in der Fefte Montagnana eintrafen, am dritten Juni2e 
Tage das Gebiet von Berona durchſtrichen, und Ichon gegen Abend Juni 23 
das Dorf Arcole mit großem Nachdruck und unter wilden Kriegs- 
gejchret angriffen. Als aber die Beſatzung, welcher der Schub des 
Ortes anvertraut war, durch Pfeilfchüffe da8 die Damme erklimmende 
und gegen die Mauern anftürmende Fußvolk zum Weichen brachte, 
ftiegen die Ritter von ihren Roffen, ſprangen in die Gräben hinab 
und ſuchten den Wall zu erflimmen, indem fie ihre Schwerter in 
die Böſchung deſſelben ftießen, wobei fie jogleich bei dem Walle 
jelbft mit der Bejagung ins Handgemenge kommen. Die von 
Arcole aber, durch den Hartnädigen Angriff erichredt, ließen auf 
ein von dem Kapitän des Ortes ertheiltes Zeichen zum Rückzug 
hin das Kaftell im Stich, zündeten die Brüden über ven Alpo an 
und ergriffen die Flucht; dod kamen zweiunddreißig von ihnen um, 
melche von der jchnellen Verfolgung der Paduaner überrajcht zum 
Stehen gebracht wurden, und etwa eben fo wiele geriethen in Ge— 

21* 


324 Bierzehntes Bud). 


1313 fangenfchaft. Froh im Gefühle des erſten Erfolges richteten jich 
die Paduaner ihr Lager in den Häufern von Arcole ein. Aber 
Juni 2a Sobald die Nacht zu Ende ging, nod vor Tagesanbruch brachen 
fie unermüdet auf und durchzogen auf der Hauptftraße die reiche 
Gegend von Blundä Poreillis?) und die beiden Billa 2) dieſſeits 
der Etſch, wo die Einwohner lange Zeit feinen Feind gejehen hatten, 
wandten fi) dann in die meiten Gefilde herab und famen nad) 
St. Martint Bonalbergt?), von wo aus fie, ohne ſich unterwegs 
auf Verwüſtungen einzulafien, gegen die Stadt Verona ſelbſt in 
freudig erregter Stimmung anrüdten. Nachdem fie die Vorſtadt, 
in der die Baſilika St. Michael liegt, erreicht hatten, machten fie 
im Angefihte von Berona halt und geftatteten dem Grafen Vin— 
ciguerra von St. Bonifacio mit einer Söldnerſchaar die Thore der 
Stadt zu berennen. Diefer war ein verbannter Veroneſe, deſſen 
Bater und Großvater ſchon von der Heimath ausgeftogen unftätt 
durch Länder und Städte geirrt waren. Im Innern der Stadt 
herrichte großes Entjegen-und faum ernannte fid) Fridericus della 
Scala, mwelder bier für feinen Vetter Canis als Podefta waltete, 
dazu Die Thore Schließen zu laſſen, während die Bewohner des 
Stadttheiles dieſſeit der Etſch, melde die Stadt durchjchneidet, 
fliehend über die Brüden eilten und das SKoftbarfte, was Der 
heimiſche Heerd barg, die zarten Sprößlinge und ihre jonftigen 
Schätze mit fich jchleppten, um alles in Sicherheit zu bringen. 
Jedoch war ſich Fridericus feiner großen Berantwortung bemußt und 
traf feine Vorkehrungen: an den Thoren hatte er bereit umge— 
ftürzte Wagen aufhäufen laſſen und einigen Abtheilungen des 
Sölonerfußvolfes vor die Thore gefhicdt, um, einem fo gut wie 
fiheren Tode geweiht, mit ihren langen Yanzen und ihren Baliften 
die Verſuche der Paduaner, Feuer an die Thore zu legen, zu ver= 
eiteln. In der That hielten dieſe, wenngleich umbrängt und nicht 
ohne Verluſte, jo gut fie vermochten, den Anfturm aus, bis Graf Vinci— 
guerra fie angriff und dem Drängen der Anftürmenden zu weichen 





1) Belfiore di Porcile auf dem nördlichen Ufer der Etſch. — 2) Billa Nova öſtlich 
und Billa Bella weftlih vom Alpone. — 3) San Martino buon albergo, höchſtens 4 
Miglien weftlih von Verona. 





Verbrennung der Ländereien Verona's x. 335 


zwang. Sie fprangen zum Theil über die aufgefchichteten Wagen, 
fiebenundzwanzig von ihnen aber wurden niedergemacht. Bornius 
de Samaritanid aus Bologna indeß, der Podefta von Padua, 
Tieß, da die Stunde des Sonnenuntergangd den Nüdzug zu ge 
bieten ſchien und man, weil von vorne herein gar nicht geplant 
war die Stadt anzugreifen, das für einen längeren Aufenthalt 
nöthige Gepäf und Geräth nicht hatte herbeiichaffen laſſen, das 
Zeihen zum Rückmarſch geben. Eine ganze Stunde hindurch 
fonnte man in der Stadt den mahnenden Trompetenſchall verneh— 
men, welcher die Streiter ſich ſammeln hieß und den Grafen Vinci— 
guerra, der ſehnlichſt eine Schlacht wünjchte, mit der zum Kampf 
drängenden jungen paduaniſchen Mannſchaft zurüdrief. Dieſer er: 
folgreihe und für die Paduaner bedeutfame Tag war der Fefttag 
des Täufers Johannes, der 24. Juni im Jahre des Herrn 1313. 
In der Folge fengten und raubten fie im weiteften Umfang und 
nahmen gefangen oder tödteten, was ihnen außerhalb der Mauern 
begegnete. Drei Tage hindurch vertheilten ſich nämlich die Paduaner 
über Weg und Steg, über Berg und Thal und vermwüfteten mit 
Teuer und Schwert den ganzen Yandftrich öftlic) von den Mauern 
Verona's — mit Ausnahme der beiden Burgen auf den Höhen 
des Suavius und Ilaſius) — bis an die Grenze von Padua 
und Vicenza. Die herrlihen Paläfte Canisgrandis dagegen auf 
dem Mond Aureus ?), in Calverius 3), am Suavius und Slafius 
fielen der Plünderung und den Flammen zum Opfer. An den 
meiften Stellen, namentlihd am Mons Aureus und am Suaviug, 
wurden aud die Einwohner, melde Widerftand verjuchten, elend 
niedergemacht und die Heerden von Klein und Großvieh mit den 
gefangenen Bauern in das Lager bei Arcole geführt. Das übrige 
Gebiet der Feinde vertheidigte Lediglidy die Breite der Etſch. End— 
lich fteten die Sieger ihr Lager in Brand und kehrten Yaut jubelnd 
nad Montagnana zurüd. 


1) Soave und Ylafi, öftlih von Verona, in den Testen Ausläufern des Gebirges. — 
2) Montorio Beronefe, etwa 3 Miglien öftlih von Verona. — 3) Caldiero weftlich von 
Soave. 





1313 


2 


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1313 


Fünfzehntes Bud). 


1. ShladhtzwijhendemÖrafernpon Ödrzeiner- 
und den Paduanern und Trevifanern andererjeits 
am Fluſſe Monteganus jenjeits des Plavis. Kurz 
darauf erhielten die Entwürfe der Paduaner eine andere Richtung 
durch die ihnen von Trevifo her zukommende Kunde, daß in Folge eines 
Bertrages, welchen Canisgrandis ſchon vor längerer Zeit um 
ſchweres Geld und unter Verwendung des Kaiferd zu Stande ge- 
bracht hatte, Graf Heinrich von Aquilicia!), durch kaiſerliche Ge— 
jandte entboten und nad) Empfang einer bedeutenden Geldſumme 
von Canis jelbft, mit einem großen Heere aus Slaven Deutſchen 
und Friaulern die Trevifaner um freien Durchzug erfucht, um dem 
Canis als Bundesgenofje zuzuziehen, und bereits feine Truppen in 
Sacilum ?) zufammengezogen babe. In feiner Begleitung waren, 
theil8 gegen Geld theild aus Ergebenheit und Freundichaft gegen 
ihn, folgende Fürften und Herren aus den ſlaviſchen Grenzländern 
Zirol und Friaul erſchienen: Ex felbft der Graf von Aquilicia 
zählte zmweiundachtzig vollgerüftete Nitter und jechsundfünfzig be— 
vittene Armbruſtſchützen; der! Graf von Wouciburg 3) erſchien mit 
ahtundzwanzig Kittern und zwölf Armbruftfchügen, der Graf von 


1) gewöhnlich Graf von Görz genannt. Die Grafen von Görz hatten auch die Vogtei 
über Aquileja inne. — 2) Sacile an der Strafe von Udine nad) Trevifo, nördlid von 
legterer Stadt. — 3) Leider erfcheinen die Namen diejer öſterrelchiſch-friauliſchen Herren 
hier in fo entftellter Form, daß fie ſich hiſtoriſch kaum vermwerthen Yaffen. 





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Schlacht zwifchen dem Grafen von Görz xc. 327 


Aufembore mit ſechszehn Nittern acht Schüsen, der Herr von 
Ratimbore mit fünfzig Nittern und neunundzwanzig Schügen, der 
Herr von Saffenbore mit achtzehn Nittern ſechzehn Schüten, der 
Herr von Guiſinich mit zweiundzwanzig Rittern und achtzehn 
Shügen; der Herr von Oveftam und der Herr von Stofembore 
mit bundertundfiebenzwanzig Nittern und ſechzig Schüten, ver 
Herr von Clanic mit vierzehn Tanzenveitern; der Graf von Didimo 
Doymo hatte funfzig, der Graf von Babanicum fiebenzig Lanzen- 
veiter gefandt. Aus Friaul waren fiebenumdfiebzig Aitter ſechzig 
Lanzenreiter und jechstaufend Männer auf geringeren Pferden dabei, 
Gemeine, welche in jenen Gegenden aufgebracht waren. ALS die 
Paduaner ſeitens der Gemeinde Trevifo hiervon brieflich in Kenntnis 
gejegt wurden, verfammelten fie ſogleich ihr Heer, ſchlugen den 
Weg nad Trevifo ein und entjandten vierhundert ihrer berittenen 
Söldner über den Fluß Plavis!) an das Ufer des Fluſſes Monte- 
ganus, den die Feinde überjchreiten mußten. Sie felbft ficherten 
mit großen Mafjen an Fußvolk und Keiterei die Feten Baſſianum 
und Cittadella jenſeits der Brenta, damit diejelben fid) mit Canis— 
grandis nicht einlaffen jollten, ebenjo trafen fie alle Vorkehrungen 
um die Stadt?) und die übrigen abhängigen Orte zu fichern. Die 
Stadt Trevifo war nad) dem Sturz der Herrichaft des Vecilus 
de Camino ein Gemeinwejen geworden, wurde aber durch Zwiſtig— 
feiten zwiſchen den Vornehmen und dem Volke erſchüttert und hatte 
mande Stürme zu beftehen. Das Volk war gegen die VBornehmen 
erbittert, weil dieſe von den Zeiten der geftürzten Herrichaft her, 
welcher fie nocy im Herzen anbingen, gewohnt waren den gemeinen 
Mann verächtlich zu behandeln, und gerieth in immer größere Leiden- 
Ihaft und juchte die Vornehmen durch ftrenge und bejchmwerliche 
Volksbeſchlüſſe zu beläftigen. Unter dem Bolfe nun waren manche 
ehrgeizige Menjchen, die, von Alter her der Eaiferlichen Partei 
ergeben, fich mehr und mehr zu dem Gedanken der Austreibung 
der Edlen erhigten und hierfür die übrigen zu gewinnen fuchten. 


1) die Piave. — 2) nämlih Treviſo. 


1313 


1313 


328 Fünfzehntes Bud). 


Die Vornehmen ihrerjeits, gegen die ihnen beftändig entgegentretende 
Feindſchaft des Volkes empfindlich, gingen, um eine geachtetere 
Stellung wieder zu erringen, Darauf aus, durch herablafiendes 
freundliches Gebahren in den Zulammenfünften und Volksver— 
jammlungen Vertrauen zu gewinnen, doch legten die argwöhniſchen 
Plebejer ihnen Died ganz entgegengejegt aus und liefen nur um fo 
mehr ihrem Haſſe die Zügel hießen. Der Adel aber war von 
Alters her mit der Firchlichen oder guelfiſchen Sache aufs engfte 
verwachſen und hing derjelben mit voller Entfchiedenheit an. Im 
diefev Lage hatte die Gemeinde von Trevifo ſchon vielfach bei 
früheren Streitigkeiten die Unterftügung der Paduaner in Anſpruch 
genommen. Das Volf aber beichuldigte insgeheim und auch öffent- 
[ih die Edlen, dieje hätten die Paduaner entboten, um die Herr- 
haft der Stadt für fih zu erlangen und die Ghibellinen und 
Gemeinen zu verjagen, feineswegsd aber, um vor dem rafen 
von Aquilicia oder den Feinden bei ihnen Schuß zu finden. So 
wurde Das aufgeregte Volt von Zweifel und Mistrauen beunruhigt, 
warf feinen Haß aud auf die Paduaner und hätte faft für beſſer 
erachtet Diefelben von feinem Gebiet fernzuhalten als ihre gefähr- 
liche Hilfe in Anfprudy zu nehmen. Doc hatte die Energie des 
Adeld und die Furt vor dem Grafen von Aquilicia, deſſen Ges 
waltherrſchaft Alle verabjcheuten, obgefiegt; indeß wollte man bie 
Paduaner nur unter der Bedingung zur Hilfe zulalien, daß jie 
acht Miglien von der Stadt fern blieben und daß fie aud) in den 
Feftungsmwerfen der abhängigen Orte feinen Einlaß fänden, jondern 


ihr Lager auf dem Wege, auf dem der Graf heranziehen mußte,- 


aufihlügen; wollten fie ſich hierin nicht fügen, jo möchten fie fie 
unbehelligt laſſen. So fanden die Pabuaner eine wenig freund- 
liche Aufnahme, als fie, wie berichtet, ihre Söldnerreiterei und ihr 
Fußvolk jenſeits des Plavis längs des Monteganus!) aufftellten. 


1) Diefer Fluß entipringt nahe Ceneda, fließt dann, an Conegliano vorüber, der 
Piave parallel, bis er fid) bei Oderzo öftlich wendet und bei Motta in den Lianza mündet. 
Das bier befhriebene Treffen fand in der Gegend von Conegliano ftatt, wo die Straße 
von Sacile (Mdine) nad) Trevifo den Fluß paffirt. 





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Schlacht zwiſchen dem Grafen von Görz ꝛc. 329 


Die zubeſetzende Strecke belief ſich auf ſechs Miglien und mußte 
durch fünf Heerhaufen vertheidigt werden, da an fünf Orten der 
Uebergang bewerkſtelligt werden konnte, während im übrigen das 
Ufer durch ſeine natürliche Beſchaffenheit den Uebergang der Feinde 
nicht zuließ. Die Heere theilten die fünf Punkte unter ſich, ſodaß 
die von Treviſo zwei, die Paduaner drei beſetzten, und zwar ge— 
ſchah dies auf Anordnnng des Heerführers und beſonders der 
Adligen von Treviſo, denen die Gemeinde der beſtehenden Spal- 
tung megen feine Truppen aus der Stadt ſchickte. Damit aber 
die den Feinden zugänglichen Furten nicht erfüllt würden’), fo 
Ihicdte man aus Padua hundert, aus Baffianum?) zweihundert Berittene 
von der dortigen Beſatzung über den Fluß; die von den Paduanern 
ausgeſchickten langten Schon am folgenden Tage im Lager an, die 
Beſatzung von Bafjianum dagegen wurde aufgehalten und verzog 
drei Tage. In der durch diefe zufällige Verzögerung verlorenen 
Zeit fand die Schlacht ftatt. Nachdem man ſchon von der Warte 
von uniglanum?) aus Rauch erblickt hatte, erfuhr man am 


1313 


18. Juli, daß die Heerhaufen des Grafen vor Sonnenaufgang Zuti 18 


heranfommen würden, um die Furten zu ftürmen. Da verließen 
die jämmtlihen Abtheilungen der Paduaner und Trevifaner das 
Lager und ftellten fi) mit den Waffen in der Hand beritten bei 
den Furten auf. Faft den halben Tag braditen fie in Ddiejer 
Stellung zu, endlid durch das lange Warten ermüdet, kehrten fie 
in das Lager zurücd und Liegen fid) dafelbft nieder. ALS fie nun 
die Waffen abgelegt hatten und ſich zerftreut hatten, um nad; Ein- 
nehmung der Mahlzeit der Ruhe zu pflegen, da griffen im ge- 
waltigen Anprall die Feinde eine Furt an, welde man inzwiſchen 
der Obhut einiger treviſaniſcher Landleute anvertraut hatte, und 
überfchritten in Einem Augenblik den Fluß. Als man in der 
Nähe des Lagers den Lärm vernahm, erſcholl ver Auf: „Zu den 


1) Zert: non (dafiir emendiert et ne) complerentur facilia hostibus vada; was da— 
mit befagt jein ſoll, ift nicht deutlich; vielleicht ift der Tert corrumpiert. — 2) So hat 
der Text; follte aber nicht ftatt des mweitabliegenden Baſſano Conegliano zu leſen jein? 
Der weitere Verlauf der Erzählung läßt das jehr wahrjcheinlich erjcheinen. — 3) Coneg= 
liano. 


1313 


330 Fünfzehntes Buch. 


Waffen.” Sofort erhoben fid Graf Cortefin de Cajalolto aus 
Mantua, welcher die Söldner und die paduanifchen Keifigen, die 
fi) in demfelben Lager befanden, befehligte, Matthäus de Cole, 
der Apulier Donico und ein anderer Namens Burgundio jowie 
der Paduaner Antonius de Sangonaciis mit etwa jechzig Lanzen⸗ 
veitern der Söldner und der Paduaner, ordneten diefelben und 
griffen diejenigen Deutſchen und Slaven, welche hinübergefommen 
waren, an, ohne die Reihen der Genofjen zu erwarten. Nur die 
Schwerter famen ein wenig in Anwendung, denn die Deutjchen 
und Slaven wandten fi jofort zur Flucht. Es waren etwa drei 
hundert, welche ven Fluß überjchritten hatten, und die nun, durch 
eine jo kleine Schaar in Schreden gejett, gleich als ob ein viel 
größerer Heerhaufe auf fie eingeftürmt wäre, ſich zufammendrängten 
und in Folge der unter ihnen ausbrechenden Verwirrung ſchwere 
Berlufte erlitten; denn mehr noch als das Schwert der Teinde, 
richtete die eilige Flucht in den Reihen der eine halbe Miglie 
weit fliehenden Deutſchen eine gewaltige Verheerung an. Und diefer 
Erfolg zeigte, wie zufällig oft der Ausgang einer Schlacht ift, 
indem jechzig Inteinifche Neiter dreihundert Gegner theil® nieder— 
warfen, theils tödteten, theils vor fich hertrieben. Als nun das 
durchbrochene Treffen zur Furt des Monteganustam, ſperrte ihnen 
das wüſte Getümmel der finfenden Männer und Pferde den Weg, 
ſodaß fie, außer Stande vorwärts zu kommen, wenngleich voller 
Furcht, nothgedrungen wieder ummenden mußten. Sobald fie aber 
den Kopf gewandt und die Pferde herinngerifien hatten, erblidten 
jie al8 Verfolger faum vierzig Mann unter einem einzigen Feld— 
zeichen und machten voll Staunen und Zweifel, ungewiß was fie 
thun follten, halt, indem fie ſich allmählich ſammelten. Noch über- 
legten fie, ob nicht noch verſteckte Kerntruppen fie bedrohten, als 
Cortefia als Kriegsoberfter und Anführer der paduaniſchen und 
fremden Miliz, da er fich won den übrigen Truppen, die, wie er- 
wähnt, fich verzögert hatten und im Lager noch nicht eingetroffen 
waren, im Stich gelaffen jah, überdies durch den Kampf ermüdet 
und an der rechten Hand verwundet, das Zeichen zum Rückzug 


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Schlacht zwifchen dem Grafen von Görz x. 331 


gab und fo ſich und die Seinen der Gefahr entzog. Die übrigen 1313 
Schlachthaufen der Paduaner und der Söldner, welche ſich jett 
zerftreut dem Kampfplatz näherten, ergriffen, jobald fie das zurüd- 
mweichende Feldzeichen des Corteſia gewahr wurden, die Flucht und 
juchten fi) in völliger Auflöfung zu retten. Die Truppen von 
Treviſo ihrerfeits, welche auch das zeriprengte Treffen der Deutſchen 
im Rücken angegriffen hatten, zogen fi) unter Anführung des 
Grafen Rambaldus de Eollealto in die Feſte St. Salvator !) 
zurüd, wo fie auch die flüchtigen Paduaner aufnahmen. Einige 
flüchten ſich auch in die benachbarten Flecken; nod andere warfen 
die Waffen fort und durchſchwammen den Plavid. Die Deutjchen 
Dagegen, ohne noch den Umfang ihres Sieges, den ihnen ohne 
Kampf und Verfolgung das Glück felbft in den Schooß geworfen 
hatte, zu kennen, fetten fich endlich über ihren Erfolg ver: 
wundert gegen die Feinde in Bewegung. Indeß hatten dieſe das 
Schlachtfeld jchon geräumt und nur die Jünglinge Zambonetus de 
Gapitevaccae und Ugo de Macharuffis, melde im Kampfe mit 
ihren Pferden geftürzt waren und deshalb mit einander zur Fuß 
gingen, wurden nebjt fünf Gemeinen von den Deutjchen gefangen 
genommen; Marinus de Zacchis aber, der ſich ohne die Tiefe des 
Waſſers zur fennen, mit feinem Roß in den Plavıs geftürzt hatte, 
ertranf. Bon Seiten der Deutjchen wurde Dagegen der Graf von 
Guiſinich einer ihrer erften Männer als Gefangener im Schlofie 
St. Salvator eingebradt. Im diefem Kampfe fielen auf Seite 
der Deutjchen und Slaven zweiunddreißig Edle, deren Leichen auf 
Wagen in ihre Heimath gefhafft wurden, und von den übrigen 
Streitern fechzig, welche der Graf von Aquilicia beerdigen ließ. 
Nachdem diefer dergeftalt durch Zufall einen blutigen Sieg ges 
mwonnen, hob er das Lager diefjeit3 des Monteganus auf, ließ es 
über den Fluß Ichaffen, theilte feine Truppen und jandte fie auf 
drei Tage zur Berheerung der Ländereien zwiſchen Monteganus 
und Plavis aus. Er verließ dieſe Gegend nicht eher, bis er durch 


1) San Salvatore, weſtlich von der Strafe nad) Trevifo. 


1313 


332 Fünfzehntes Bud). 


leichte Truppen, die er über den Plavıs warf, ſechs Tage lang auch 
die Colonien und Ländereien von Trevifo hatte niederbrennen laſſen. 
Ohne Widerftand zu finden verbreiteten ſich diefe Streifſchaaren 
bis nach dem Dorfe Spineda, nur eine Miglie von Trevifo ent- 
fernt, und verheerten die ganze Gegend. Durch dieſen entjetslichen 
Einfall geängftigt flehten jet die Trevifaner die von Padua 
an, fie nicht im Stiche zu lafjen. Letztere aber nicht faul, jandten, 
mit Rückſicht nit nur auf die Bedrängnis von Treviſo jondern 
auch auf ihre eigene Lage, jofort dreihundert Yanzenreiter nad) 
Trivillium !) und fodann mit Erlaubniß der durch Die Noth be— 
zwungenen Treviſaner nad) der Vorftadt St. Thomafius, um mit 
ihnen vereint das Gebiet von Treviſo umd die faft ſchon umlagerte 
Stadt felbft vor den Zügen der Feinde zu beſchirmen. Sofort 
aber verfchmanden die Deutfhen und Slaven und wagten nicht 
mehr den Plavis zu überfchreiten. Auch gedachte der Graf von 
Aquilicia nicht länger im Felde zu bleiben, da nachdem er Das ganze 
Gebiet, in dem er die Oberhand hatte, durchzogen, er wahrnehmen 
mußte, daß jeine Kriegsgefährten der Sache überdrüffig wurden, weil 
nämlich) die Expedition bereit8 länger dauerte als fie vermuthet und 


er jelbft ihnen zugefichert hatte. Auch hatten fie nicht immer voll. 


auf zu eſſen und überdied hatte das Heer in Folge der Hite und 
der Ermüdung fomohl als aud in Folge einer plöglich auftretenden 
Krankheit, die auch die Häupter nicht verfchonte, Verluſte. Solchen 
Uebelftänden weichend, verbrannten fie das Lager und fehrten am 
28. Juli des Jahres 1313 nad Sacılum zurüd, wo Das Heer 
aufgelöft wurde und jeder der erlauchten Genofjen die Heimath 
wieder auffuchte. Inzwiſchen hatten die kaiſerlichen Gejandten, 
welche unter Schmeicheleien und Verſprechungen die Trevifaner zur 
Uebergabe der Stadt und zur Aufrechterhaltung des Friedens be- 
redeten, menigftens infomeit Erfolg, als die Stadt erklärte, beim 
Reiche zu bleiben, wenn fie weder durch Beftimmungen über eine 
andere Erhebung ihrer Rectoren als durd eigene freie Wahl be= 


1) Zwifchen Eittadella uud Trevifo ; feheint nicht mehr unter dem Namen zu eriftie= 
ren (jest Campojampiero?). 


u u Ze ee 


König Robert jendet den Lombarden Hilfstruppen. 333 


einträchtigt noc mit Auflagen behelligt würde. Hiermit nur eben 1313 
zufrieden, entfernten fid) die Geſandten. 

2. Bündnis zwifben Padua und Trevijo. Ehe 
nun aber die Paduaner, welche noch in der Vorfiadt St. Tho- 
mafius als Beſatzung Yagerten, heimfehrten, begann man über ein 
Bündnis zwilchen den beiden Gemeinden zu verhandeln. Der Abel 
juchte das Volk hierfür zu gewinnen, indem er ihm vorftellte, wie 
erſprießlich es jei, wenn die beiden Nachbarftanten einander gleich 
mäßig unterftügten, gemeinfam die Feinde fernhielten, in einem und 
demfelben Freundſchaftsbündnis verharrten. Nachdem die Ange— 
legenheit zuerft von Einzelnen angeregt und beſprochen worden, 
brachte man fie in Trevifo und in Padua vor die Gemeindever- 
jammlung und bier wurde folgendes vorgejchlagen, beſchloſſen und 
beihmoren: die beiden Gemeinden jollten Ein Ganzes bilden, dies 
jelben Freunde und diefelben Feinde haben und eine gleiche Politik, 
auf der einen Seite dem Grafen von Aquilicta, auf der andern 
Canisgrandis und ebenfo allen anderen Widerſachern, mer fie 
auch jein möchten, gegenüber verfolgen, wobei man nur, um die 
Trevifaner, welche joeben geſchworen hatten dem Kaiſer zu gehorchen, 
nicht eidbrüchig ericheinen zu laſſen, eine Clauſel hinzufügte, wonach, 
wie der Wortlaut bejagte, die Perfon des Kaiſers ausgenommen 
jein jollte. Die Paduaner, die mehr Gewicht auf Thaten als auf 
Worte legten, waren hiermit einverftanden und hielten die Sache 
für gleihgültig, jo lange nur gegen Canisgrandis und jegliche 
andere Widerfacher das Bündnis in Wirffamfeit bliebe. So wurde 
daſſelbe von beiden Theilen unter großen Feierlichkeiten am 7. Auguft Aug. 7 
beſchworen. 

3. König Robert ſendet den Lombarden Hilfs— 
truppen. In der Lombardei zog Simon de Villa mit zwei— 
hundert von König Robert von Apulien überſandten Reiſigen zur 
Unterſtützung von Parma herbei. Ugo de Albaſio, an Stelle 
Roberts Seneſchall von Aleſſandria und Piemont, durchzog mit 
königlicher Mannſchaft und der Miliz von Aleſſandria und Piemont 





1313 


334 Fünfzehntes Buch), 


das Lomellin!) und belagerte Garlascum ?), wo er von allen Seiten 
Truppen zufammenzog und, unter der Zuficherung Mailand über- 
ziehen zu wollen, die von Bologna, Cremona, Reggio, Parma und 
die übrigen befreundeten Lombarden berief. Die Partei der Turrianen 
erhob fich, entbot ihre Anhänger aus den Staaten der Lombardei, 
und 309 aus den Städten und Flecken des mailändiſchen Gebiets 
ja ſogar aus dem Herzen der Stadt jelbft Streitkräfte an fich, 
um Maphäus Vicecomes zu befämpfen. Auch von den Bifaren 
König Roberts von Apulien und den Fürften ringsum wurde Hilfe 
erbeten und bewilligt und mit ſämmtlichen guelfilchen Partei= 
genoffen der Provinz der Aufftand worbereitet und auf beftummte 
Zeitpunfte verabredet, damit fie Maphäus und die Getreuen des 
Kaiſer möglichft unvorbereitet überrajchen fünnten. Indem man 
fi Ddergeftalt fir eine gewaltige Erhebung rüftete und nur noch 
des günftigen Augenblid® harrte, erflang die ganze lombardiſche 
Provinz vom Klirren der Waffen. 

4. Wunderzeihen. Im eben diefem Jahre, 1313, trafen 
am 16. April Jupiter und Venus im Zeichen der Zwillinge zu= 
fammen; vier Tage jpäter gegen Abend zeigte fi) unter unjerem 
Himmelsſtrich ein Comet, zuerft an der Stelle, wo die Sonne 
abendlich zum Ocean binabtaudt. Sein Haarſchweif erſtreckte fich, 
wie ein weißlicher Dampf anzujehen, zwanzig Fuß weit nad) Welten. 
Nah zwanzig Tagen verfchwand der Komet, nachdem er täglich 
fleiner geworden war. 

5. Einnahme von Suncinum und St. Baſſianum 
durch die Gremonejen und die Öuelfen der Lombardei. 
Durch ihre günftigen Erfolge ermuthigt, verheerten und verbrannten 
die Cremonejen mit denen von Reggio jowie die Vertriebenen von 
Brescia nebft vielen Verbannten von Bergamo Lodi und Crema 
die Ländereien der reichstreuen Städte und errangen beftändige 
Siege. Zu ihnen ſchlugen fi) auch die Bürger von Suncnum, 
welche diefe Stadt, nicht aber die Burg, inne hatten. Der Podejta 


1) Landichaft nördlich vom Po und weſtlich vom Ticin. — 2) Garlasco weſtlich von 
Pavia an der Straße nad) Mortara. 











Abermalige Unruhen in Piacenza. 335 


von Reggio Paſſarinus della Turre Iegte fi) ſogleich nebft den 1313 
Schaaren von Cremona und Reggio in die Stadt und belagerte 
die Burg, deren kaiſerliche Beſatzung ſchließlich am ſechſten Tage 
darauf, nämlich am 9. Mai, ihre Sache wegen Mangeld an Lebens⸗ Mai 9 
mitteln verloren gab und, nachdem fie fi) Sicherheit an Leib und 
Leben ausbedungen, die Burg dem Pafjarinus einräumte, in deſſen 
Hände aud die gefangenen Guelfen, die dort lange geichmachtet, 
fielen. Unter diefen befanden fid) von namhaften Männern Georgius 
de Zoppo aus Bergamo und ein zweiter Bruder des Sandrinus 
de Rivola, Iohanninus de Ponzonibus aus Crema und andere, 
mweldye, von Werner von Homberg dem kaiſerlichen Borfteher der 
Lombardei gefangen genommen, in die Burg gebradt und am 
Leben geblieben waren. In Folge dieſes Sieges fielen überraſchend 
ſchnell auch die übrigen Landſtädte, welche die Einwohner aus freien 
Stüden übergaben, zu den Siegern ab, unter andern aud) die 
Veſte St. Balfianım. 

6. Abermaligelinruben in Piacenza. Im Piacenza Juli 
fam es um den Anfang des Juli zu neuen Wirren. Al nämlich 
Diejenigen Bürger, welche in der Veſte St. Johannis!) als Be— 
fagung gelegen, in der Stadt erjchtenen um ihre Mitbürger wegen 
der in ihrer Abweſenheit ausgebrochenen Parteizwiftigfeiten zu ver- 
fühnen, da ergriffen, fei e8 weil von Anfang an ihre Abficht dahin 
ging eine Umwälzung ins Werk zu ſetzen (man erfuhr nämlich 
nichts Sicheres), ſei e8 auch weil der Anblick der Stadt fie be— 
geifterte, Diejenigen, welche fich zur kaiſerlichen Partei hielten, die 
Waffen. ALS hierdurd) die ganze Stadt in Aufruhr gerieth, flüchteten 
fid) die ſchwächeren Guelfen plöglic zu dem Schlofje St. Johannis. 
Sofort erfhien Galaaz, des Maphäus Erftgeborener, in Piacenza 
und verwies, um der Stadt ſicher zu fein, zwölf VBornehme, ſechs 
von der Partei des Albertus Scotus und ebenjoviel von den An— 
hängern des Ubertinus de Lando (diefe beiden waren Die Häupter), 
nah Mailand. Da er überbied dem wanfelmüthigen Albertus 


‘ 1) Eaftel S. Giovanni einige Miglien weſtlich von Piacenza. 


336 Fünfzehntes Bud). 


13138 Scotus felbft mistraute, obwohl derſelbe längere Zeit jein Partei— 
genofje geweſen war, fo mußte auch diefer nebft dem älteften Sohne 
des Rolandus Scotus, Zaninus Scotus, deſſen Sohne Gelfus und 
Petrus de Anzipegis die Stadt verlaffen. Durch dieje Verweiſungen 
erfchreckt, verließen viele Guelfen von Piacenza die Stadt und 
juchten in Florentiola, Arquardum !) und den übrigen Landſtädten 
eine Zuflucht, wo fie zugleich) Vorkehrungen für eine Erhebung 
trafen. Die Stadt Piacenza felbft aber ftand von nun an um 
ſo entſchiedener auf der Seite des Kaiſers. 

7. Freude der Guelfen der Lombardei über die 
Ankunft eines Kriegsoberſten König Roberts von 
Apulien. Um dieſe Zeit erfüllte Freude und Fröhlichkeit die 
Herzen der lombardiſchen Guelfen, als Thomas de Marzano aus 
Apulien, der Seneſchall König Roberts und deſſen Statthalter für 
Piemont, mit einem Geleite von fünfhundert Rittern und zahl 
reihem Fußvolk in der Lombardei erjchten, den Mapheus Vicecomes 
und die übrigen Genofjen der faiferlihen Parteı mit Berderben 
bedrohte und die Guelfen zu ſich nach Pavia entbieten ließ. Diejes 
freudige Ereignis ftärkte die Cremonefen, die Vertriebenen von 
Brescia und die übrigen Glieder dieſes Anhanges nicht wenig, Die 
Shibellinen aber erjchredte der Auf, fintemal den Guelfen das 
Glück fowohl als auch die Fuge Benutzung der Sachlage günftige 
Erfolge zumies, die fie fich aber auch durch ihre Uebermacht gewannen. 

8. Abfallvon Pons-Vicus zu den Öuelfen und 

Zus Erftürmung von Terenzanum Am 8. Juli nämlich fiel 
die Veſte Pons-Vicus?) in ihre Hände, indem Lotorengus de Marti— 
nengo, welcher hier die kaiſerliche Bejatung befehligte, die Veſte 





EEE. a 





1) Fiorenzuola an der SHeerftraße von Piacenza nah Parma, etwa halbwegs 
zwiſchen beiden Städten; Caſtell Arquato füdlih davon. In den Iekteren Ort hatte 
fi), wie Ferreto von Bicenza erzählt (Buch 4 am Ende, Muratori 1. c. IX 1082—1084) 
Albertus Scotus geworfen und befämpfte don hier aus Piacenza und den Bisconte, 
bis Ddiejer ihn dur Lift zur Uebergabe bewog. Er Iebte dann in Mailand in der 
Hoffnung, daß Maffeo, fein ehemaliger Bundesgenoffe, ihm wieder zu einer jelbftändigen 
Herrſchaft verhelfen werde. Als er endlich einjah, daß Maffeo ihn trügerifch hinhalte, 
entwich er nach Cremona, wo er aber alsbald erfranfte und ftarb. — 2) Pontevico, 
jüdfih von Brescia, am Oglio. 





Paternum, Paſſiranum zc. jchliegen fi) den Guelfen ar. 337 


überlieferte. Diejer Glüdsfall ermuthigte die Sieger zu einem 
Angriff auf die ftarfbefeftigte, reihe Kolonie Terenzanum !), welche 
fie nad) großer Anftrengung und nachdem fie die Einwohner unter 
großem,Blutvergießen gänzlich befiegt und hundert Mann berittener 
Hlfstruppen, die als Bejagung den Ort vertheidigt und gegen die 
benachbarten Orte einen erbitterten Krieg geführt, getüdtet hatten, 
gewannen. Unter der Bejasung trafen fie auch auf einige Brescianer 
von der herrichenden Partei, von denen einige wenige gefangen 
genommen wurden, die übrigen aber im Kampfe fielen. Die ſieben— 
hundert Einwohner von Terenzanum, welche bisher von Brescia 
abhängig geweſen, wurden dazu vermocht den Verbannten Gehor- 
Jam zu leiften. 

9. BPaternum, Paſſiranum, Boadum, Cocalium, 
Bornadum, Salinum, Herbuscum, Tremadum, Zi- 
zagum ſchließen fih den Öuelfen an. Indem aber ein 
gleiches Glück die Sieger mit noch mehreren Erfolgen überhäufte, 
unterwarfen ſich in ebendenjelben Tagen folgende Feften des Yand- 
gebietes theild gezwungen theils freiwillig den Berbannten, melde 
mit großer Wucht auf fie einftürmten: Paternum, Paſſiranum, 
Boadum, Cocalium, Bornadum, Calinum, Herbuscum, Tremadum, 
Zizagum und faft Das ganze meftlich gelegene bresctanijche Gebiet. 

10. Salaaz der Sohn des Mapheus Vicecomes 
beunruhigt die Gegend um Parma. Andererſeits erſchien 
Galaaz mit einer zahlreihen und trefflihen Schaar von Mai: 
ländern und Deutichen beim Tleden St. Doninus und marjchierte 
von dort nad) dem Dorfe St. Slarius ?), meldyes nahe bei Parma 
liegt. Hier drang er ein und verweilte etwa zwei Stunden zum 
größten Schrefen und zur größten Beunruhigung ver Stadt. 
Gibertus de Eorrigia aber erihien auf dem Marfte, nahm dort 
Stellung und verftärkte die Beſatzung des Thores, meldes den 
Feinden am nächſten lag, bis Galaaz nachdem er St. Ilarius 
vermüftet, abzog. Um indeß ven Abzug der Feinde zu ftören und 


1) Zrenzano, etwa 10 Miglien fitdweftlich von Brescia. — 2) Sant Ilario füdöftlich 
bon Parma, an der Straße nad) Reagio. 
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VII. 22 


338 Fünfzehntes Bud). 


1313 ihren Weg unficher zu machen, verfolgte Gibert fie mit einer Reiter- 
Ihaar. In der That glüdte e8 fünf und zwanzig Nachzügler auf- 
zugreifen, die al8bald niedergemadht wurden. 

Aug. 2 11. Einnahme von Trivilatum Am 22. Auguft 
eroberten Die vertriebenen Brescianen die Veſte Trivilatum !), legten 
hier zu um jo fiherem Schutze eine Bejagung ein und ftürzten 
fi dann unter gewaltigem Lärm und Getöſe gegen die Thore von 
Gaftrum Urceorum ?), wo fie die außerhalb der Befeftigung ge- 
legenen Häufer verbrannten und Menſchen und Vieh hinweg— 
Ihleppten. Während fie nun ohne Unterlaß die Feinde zu ermüden 
beftrebt waren und ihre Schlachtreihen durch die Felder von Brescia 
führten, wurde der Bortrupp der verbannten Brescianer und der 
Cremoneſiſchen Miliz plöglich einer ihnen entgegentommenden Keiter- 

- patroutlle der Brescianer, welche auf Befehl diefer gegen Bradum 
vorgehen jollte, anfihtig. Es entipann fih ein Kampf, bei dem 
die Brescianer der in der Stadt herrichenden Partei den Fürzeren 
zogen und zwei der ihrigen verloren, während ebenfall8 zwei, näm— 
lich Bonus de Prando und Rambaldinus de Buciis, in Gefangen- 
ſchaft fielen. 

12. Klagen der Brescianer in der Stadt. Die 
üble Lage der Stadt, welche durch die von den Vertriebenen über 
die Yandereien von Brescia hin immer und immer wiederholten 
läftigen und verheerenden Streifzuge gleichſam blockirt gehalten 
wurde, veranlaßte das niedere Volk unter fich zu Hagen: ſchlimmer 
ſei jest ihre Lage als da der Kaifer vor den Mauern lag, wo 
die Todesfälle unter den Eingeſchloſſenen feltener geweſen ſeien und 
der Schmerz um Berlufte unter den Ihrigen häufigere Unterbrechungen 
erfahren habe denn jest. Damals habe ferner jedes einzelne Treffen 
in ihrem Belieben geftanden und es jei Doch nur gegen die Deutjchen 
gegangen; jett hätten fie ununterbrochen zu kämpfen und zwar 
gegen ihre Mitbürger und BlutSverwandte. Auch hätten fie Damals 
alles vorbereiten und fid) jo gut es möglic war in Bertheidigungs- 


1) Travagliato, etwa 6 Miglien meftlih von Brescia. — 2) wohl Orzingvi ganz 
im Wefien des brescianijchen Gebietes, nahe Soncino. 


Klagen der Brescianer in der Stadt. 339 


zuftand ſetzen können, ſodaß einzig und allein der ihnen bevorftehende 
Hungertod fie unfeliger Weife zu überwinden vermodht habe; jekt 
beuge fie täglich der Tod derer, welche die ſchützenden Mauern ver- 
liegen und hinauszögen um die unentbehrlichften Lebensbedürfniffe 
zu erwerben; jest müßten jie Rettung erhoffen vom fernen Tuscien 
her von dem Kaiſer, den rings feine Gegner umgäben, oder von 
Alemannien her jenjeit8 der himmelhohen Alpen von den Deutjchen, 
die fi) im der verzmeifeltften Yage befänden und Brescia verab- 
ſcheuten. Schlimm ſei e8 ihnen befommen, daß fie diefem Kaifer 
widerftrebt hätten; noch jchlimmer ergehe es ihnen jet, da fie fid) ihm 
gebeugt. Sie jchalten auf die Adligen und warfen venfelben vor, 
Daß fie durch den Bürgerkrieg das ganze brescianiiche Gefchlecht 
unwiderbringlich für alle Zeiten zu Grunde richteten und der Ver— 
nihtung Preis gäben. „Ueberhaupt”, fügten fie hinzu, „während 
zur Zeit jenes Krieges gegen den Kaifer ein herrlicher Auf von 
der Tapferkeit der Brescianer die ftaunende Welt erfüllte, jo fchändet 
jegt der Fleinliche Hader, der und den Hunden gleichſetzt, die ſich 
ankläffen und jchier einander verzehren möchten, unfere herrlichen 
Thaten, und unfere Tapferkeit hat fid) in tolle Wuth verwandelt.“ 
Während fie jo klagten, vernahmen fie das Gerücht welches fich 
alsbald bewahrheitete, daß Nizolinus de Cazago und Benturinus 
Rivoli, zwei Kaufleute, die ihre Waaren zur Stadt bringen wollten, 
von den Auswärtigen mit einigen Waaren aufgegriffen worden jeien. 

13. BorfehrungendesMaphaeusPBicecomesgegen 
feindlihe Regungen unter den Mailändern. Mailand 
dagegen beharrte unter der umfichtigen Verwaltung des Maphäus 
Vicecomes und bei den herrlichen Eigenihaften feiner Söhne in 
unerjchütterter Treue auf der Seite des Kaiſers, wiemohl die Feind- 
jeligfeiten ver lombardiſchen Guelfen und deren ſich immer mehrende 
Erfolge die alten Anhänger der Turrianenpartei, wenn fie gleid) 
nichts zu unternehmen wagten, doc, ſchon fo jehr ermuthigt hatten, 
daß, als Maphäus das Volk verfammeite und die Mailänder 
mahnte, fie möchten fi ihm gegen diejenigen, melde die Stadt, 
mit allem mas derfelben gehöre, zu ufurpieren fich unterftänden, zur 

22 * 


1313 


Juli 23 


340 Fünfzehntes Bud). 


Verfügung ftellen, einige anzudeuten wagten, er jelbft ſei ein Uſur— 
pator, und in dieſem Sinne öffentli und unter fid) rebeten. 
Maphäus blieb dieſer Kühnheit gegenüber nicht gleichgültig, fondern 
ließ, Damit dieſelbe nicht etwa bei günftigerer Gelegenheit Boden 
gewinne, aus Bergamo vierhundert Neiter der Bundesgenofien und 
ebenjoviele Fußſoldaten fommen, indem er anftatt ihrer einſtweilen 
Bauern aus den an der Adda liegenden Ortichaften Bergamo zur 
Beſatzung gab. Dies gefhah um ven 23. Juli. So liefen e8 
Maphäus und feine Söhne nit an wachlamer Sorge fehlen, um 
den Staat zu behüten und den Feind fernzuhalten ſowie die Stadt 
im Innern zu fäubern und die fühne Verwegenheit der Wider: 
jacher durch Schreden oder Milde, je nachdem es angebracht war, 
ım Saum zu halten und zu unterdrüden. Es ging ihnen weder 
die nöthige Vorſicht ab, Die fie auch Berftellung: und Lift in Anz 
wendung bringen hieß, noch ließen fie einen hochherzigen auf alles 
gefagten Sinn vermiſſen; aud) waren fie geidhäftig die Freunde 
in Bergamo, Piacenza, Lodi, Crema, Berona, Mantua und Brescta 
durch Briefe zu ermuthigen und zu mahnen, fie möchten fid) einft- 
weilen auf den Echuß ihrer Mauern verlafien und gutes Muthes 
jein: dem erlaucdten Kaiſer lächle bereit$ wieder das Glüd, 
alles gehe nad) Wunſch und jene Verbannten würden, jo jchnell 
wie fie emporgewachſen, in Bälde ebenfojchnell wieder verihminden 
als machtlofe Glieder, denen das Haupt fehle. 

14. Die Öuelfen gewinnen Dezanega. Dem gegen- 
über blieben die Cremoneſen nicht unthätig; fie fammelten vielmehr 
Ihre Truppen in dem Dorfe Conum im Gebiet von Cremona und 
zogen dann nebft den Schaaren der befreundeten Verbannten von 
Brescia und Bergamo und den quelfiichen Genofjen ringsum auf 
Vezanega, welches vier Miglien von Bergamo entfernt ift und von 
der herrichenden Partei von Bergamo mit fiebenzig gemorbenen 


, Sanzenveitern, deren jeder zwei Pferde befaß, und Hundert und 


ſechszig mit Yanzen bewaffneten Fußgängern bejest gehalten wurde. 
Gegen diefen Ort ließ Paffarinus della Turre als Kriegsoberft 
einen ftürmifchen Angriff auf die Gräben und Mauern unter großer 


u ——— 


Abfall von Florentiola und Caſtrum Arquadi zc. 341 


Kraftaufbietung unternehmen, und brady nad) einem hartnädigem 
Kampfe, der die Beſatzung in große Bedrängnis brachte, in den 
Ort ein, wobei etwa fünfzig Mann umfamen, während die übrigen 
jammt den Einwohnern der ganzen Gegend in Gefangenihaft ge— 
riethen. Nachdem die Sieger eine fette Beute an Scladhtvieh 
jeglicher Art unter fi) vertheilt und die Gefangenen öffentlich ver- 
fauft, die Häufer aber und alles, was ficy auf dem Erdboden 
befand, niedergebrannt hatten, zogen fie am nächſten Tage gegen 
Stezanum, welches, ſolchem Angriff nicht gewachſen, nad) furzem 
Kampfe von den Siegen genommen wurde, die e8 niederbrannten 
und dann verließen, indem fie Menjchen und Vieh mit fich fortführten, 

15. Abfall von Slorentiolaund&aftrum Arguadı 
zu den Eremonefen. Um diejelbe Zeit überlieferten fich bie 
Guelfen, welche ſich nach Florentiola CaſtrumArquadi und anderen 
piacentinifchen Fleden geflüchtet hatten und won bier aus die Haupt- 
ſtadt befriegten, und unterftellten fi) der Herrihaft von Cremona, 
welchen fie huldigten. Auch die jehr ftarfe Veſte NAubechum !) 
wurde, indem die Einwohner fi) den Siegern anſchloſſen, der 
Herrichaft von Cremona einverleibt. 

16. Abfalldes Sigibaldus-Thurmes zu Gibertus 
de Corrigia. Aber noch größere Triumphe harrten der Sieger, 
indem Girardus de Sancto Michaele, ein vertriebener Parmeſane, 
welcher zur Partei der Rubei, die damals Parma aufſäſſig waren, 
gehörte und auf ihren Befehl und in ihrem Namen gelobt hatte 
den fünf Meilen von Padua gelegenen Sigibaldus-Thurm zu be- 
wachen, den Seinigen die Treue brach und den Thurm dem 
Gibertus de Eorrigia verrätheriicher Weile überlieferte. In diefem 
Thurm hatten die Nubert fiebenzig Genofjen und Freunde des 
Gibertus gefangen gehalten, von welchem man jett nod fünf und 
dreißig Edlere am Leben fand, während die übrigen wenigſtens nicht 
zu den unterften Schichten der Bevölkerung Parma's gehörten. 
Koh kurz zuvor waren die Herren der Gefangenen nicht geneigt 


1) Robecco nördlih von Eremona am Dglio, an der Straße nad) Brescia. 


1313 


1313 


342 Fünfzehntes Bud). 


geweſen, Ddiefelben für vierzehn taufend Goldgulden in Freiheit zu 
jegen. Auch erbeutete man hier eine beträditlihe Menge von 
Pferden und Waffen. Nach diefem Erfolg marſchierten die Sieger 
gegen Herbuftum. — Im Verlauf diefer Begebenheit hatte Nicolaus 
de Lucio aus Padua nur infoweit Erfolg, als e8, nachdem er 
Mantua verlafjen hatte, um das ihm dur Canisgrandis verſchaffte 
Vicariat von Bergamo anzutreten, ihm gelang allmählich fich durch 
die brescianiſchen Ortichaften nah Bergamo Hindurchzuftehlen. 

17. Das Heer der Guelfen bedroht Piacenza; 
Kämpfe daſelbſt; GSefangennahme des Örafen Phi- 
lipponu8 de Langusco. Nach fo zahlreihen Stegen brachte 
die guelfiſche Partei Yombardiens größere Heeresmafjen zufammen, 
entbot auch den Grafen Philipponus de Langusco zu fi) und 
marjchierte mit bedeutenden Streitfräften an Reitern und Fußtruppen 
gegen das ſchon wankende Piacenza. In unmittelbarer Nähe der 
Borftädte machten fie Halt und begannen die Belagerung mit 
großem Eifer. Da aber wandte ihnen das Glück den Rüden. 
Es geihah nämlich, daß, als emft Philipponus das Hauptheer 
auf eine größere Unternehmung ausfandte und felbft mit einem 
fleinen Keitertrupp die Vorjtadt betrat, Dort jorglos die Waffen 
ablegte und feine Schaar in die Häufer einquartierte, die Belagerten 
dur ihre Beobadhtungspoften auf den Thürmen wahrnahmen, daß 
das Heer ſich von der Stadt entfernt habe und andere Truppen 
nit in der Nähe jeren. Sofort machte Galaaz der Sohn des 
Maphäus, welder am Tage zuvor zur Bertheidigung der Stadt 
erſchienen war, mit den belagerten Piacentinern einen Ausfall auf 
die Unbejonnenen und befiegte fie nach feiner oder dod) nur gering- 
fügiger Gegenwehr. Philipponus felbft ohne Roß und Waffen 
fiel mit etwa fünfzig verbannten Piacentinern, welche der Stadt 
auffällig vom Schloſſe St. Johannis aus das Banner der Empörung 
gegen dieſelbe erhoben und ſich Philipponus angeſchloſſen hatten, 
in Gefangenſchaft; etma ebenfo viele aus der Begleitung des Grafen 
und der Bundeögenofien von Pavia wurden erjchlagen, ein Feld— 
zeichen des Philipponus erobert und als Stegesbeute nah Mai: 


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Das Heer der Guelfen bedroht Piacenza ꝛc. 343 


Yand gebracht. Als Simon della Turre und die übrigen, welche 
fih an dieſem Unternehmen betheiligt hatten, die von Cremona, 
Bergamo und Brescia, diefen Unfall erfuhren, erſchraken fie heftig 
und konnten nicht fafjen, wie ein folder Schlag fie fo plötlich habe 


treffen können: fie entliegen ihre Truppen und fehrten in die 


Heimath zurüd. Co ſchob die Niederlage des Philipponus ihren 
Plan, gemeinfam Mailand anzugreifen, in eine ungewifje Ferne 
und befreite Maphäus Vicecomes, welcher einer Belagerung feiner 
Stadt entgegenjah, von diefer Sorge. Auch ſahen fi) die Guelfen 
umjomehr bewogen ihre Pläne gegen Mailand zur vertagen, da fie 
Damals durch brieflihe Mittheilungen erfuhren, daß die Sene— 
ihalle König Nobert darauf bedacht feien, den Markgrafen von 
Saluzzo, welchen fie ſchon faft gänzlich befiegt Hatten und in feinen 
piemontefiichen Schlöfjern beprohten, zu vernichten, und nicht eher 
ablaffen würden, bis fie jeine Macht vollftändig gebroden, ihn 
jelbft gefangen genommen und als Hochverräther an der Majeftät 
ihres Königs Aobert mit dem Tode beftraft haben würden. — In— 
zwilchen behaupteten ſich die Guelfen in den kleineren Städten und 
Beiten und beharrten im ſchonungsloſen Kriege, ſodaß niemand 
jiher durch die Lombardei reifen konnte; vielmehr ſchädigten fie in 
unaufhörlichen Streifzügen unermüdlih alle, welche im Laufe des 
Auguft und September hindurchzuziehen wagten, nahmen fie gefangen, 
beraubten oder töbteten fie, wie e8 gerade fam. Don dem vene= 
tianiſchen Meere an durch Ligurien und die Aemilia, von den 
luniſchen Bergen bis zu den Alpen, welche nad Alemannien führen, 
joweit fid) der Name der Lombardei erftredt, war fein Pfad vor 
ihnen ficher. — Um diefe Zeit ſchloß ſich das Schloß Bercedum !), 
welches die dem Kaifer aus Deutſchland zuziehenden Deutjchen ein- 
genommen hatten, voll Erbitterung gegen dieſe, welche in ihrer 
gewohnten Brutalität die Weiber jchändeten und fich mancherlei 
andere Gemaltthaten zu Schulven fommen ließen, und nid 
gejonnen dies länger zu ertragen, den Guelfen an, mober von den 
Deutſchen etwa fünfzig erjchlagen wurden, während die übrigen 


1) Berceto in der Nemilia, im Gebiet von Parma. 


1313 


- 1313 


344 Fünfzehntes Buch. Das Heer der Guelfen x. 


ſich durch die Flucht retteten. — Im Jahre 1313 erhoben die 
Paveſen auf die Kunde von der Gefangennehmung des Philipponus 
defjen dritten Sohn Gherardinus zum Vorſteher ihrer Stadt, in- 
dein fie nur um jo mehr brannten die Mailänder, Piacentiner 
und die übrigen Anhänger der fatjerlihen Partei mit Krieg zu 
überziehen. — Ferner ereignete es ſich in eben diefen Tagen, daß 
die Einwohner von Vogaria !) nebit den Berbannten von Pavia 
in ftarfem Zuge gegen die Tefte Pezedum ?) ausrüdten, um die— 
jelbe mit Hilfe einer geheimen Partet unter den Angejeheneren in 
Befis zu nehmen; die Guelfen von Bajegnana 3) aber, welchen 
der Plan durch Angeberei verrathen war, griffen fie in wohlüber— 
legtem Anfturm mit großem Nachdruck an. Die überrafchten Gegner 
warfen fich Jogleich in die Flucht, wurden aber bon den Siegern 
bi8 zum Geftade des Tanarus*) verfolgt, wo fie in Die größte 
Verwirrung geriethen, zweihundert Todte und etwa ebenjo viele 
Gefangene verloren. Unter letteren befand fih ein Sohn des 
Manfrevus de Beccaria, Muscetus, welchen man nad) Pavia bradite. 

1) Voghera nördlich von Terdona. — 2) jonft Picetum nordöftlih von Aleſſandria 


zwiſchen Tanaro und Po. — 3) Baflegnana nördlih von Picetum, nahe dem Po. — 
4) Tanaro, fiidlicher Nebenflug des Po; an ihm Mfeffandria. 











Serhzehntes Bud). 


1. Entfommen des königlichen Kriegsvolfes aus 
Petra Sancta. Als die kaiſerlichen Schaaren in Petra Sancta !) 
feine Hoffnung auf Zufuhr oder Entſatz mehr hatten, zwang fie 
der Hunger den Ort aufzugeben und fi) allen Gefahren der ©ee 
wie des Schwertes der Feinde und jeglichem Ungemach auszuſetzen. 
Der Marihall zog daher nur Diejenigen, deren ZJuverläffigfeit er- 
probt war, in das Geheimnis, während er alle übrigen fern hielt, 
verließ dann zur Zeit des erften Schlafe8 ohne Trompeten- und 
Hörnerfhal den Drt, zu deſſen Schutze Simon Philippi aus 
Piſtoja zurüdblieb, marjchterte lautlos durch die jchweigende Nacht 
und eilte in nächtlihen Marfche, feine hurtigen Schaaren mit fid) 
fortreißend, gerades Weges auf Piſa zu. Die Lucchefen indeß, 
welche in Camajore lagen, wurden durch das ungemohnte Geräufch 
und das Gewieher der Pferde, welches fie vernahmen, aufmerkſam 
gemacht und griffen Jofort zu den Waffen. Jedoch verzogen fie 
mit der Ordnung ihrer Schaaren jolange, daß das kaiſerliche Kriegs- 
volf die Brüde von Moneta, bei welcher nur eine kleine Schaar 
Catalanen zur Bewachung aufgeftellt geweſen war, bereits über- 
ſchritten. Dod folgten die Luccheſen raſchen Laufes, fielen am 
fumpfigen Flußufer über die aus Reitern und Fußtruppen bunt 
zufammengemwürfelte Nachhut her, während die übrigen ſich Schon 


1) Dal. ob. Buch 13 Kap. 8. 


1313 


346 Sechzehntes Bud). 


1313 auf ficheren Grund und Boden gerettet hatten, und richteten unter 
jenen, die im Dunkel der Nacht und in dem jumpfigen Terram ſich 
der Wuth der grimmen Feinde preißgegeben jahen, ein großes 
Blutbad an. Es fielen von ihnen dreihundert, ebenfo viele ertranfen 
und zwei Feldzeichen wurden nad) Yucca gebracht. Mit den übrigen 
aber gelangte der Marfchall, zufrieden daß er feinen größeren 
Schaden genommen, zum Kaifer. Der ın Petra Sancta ſtationierte 
Simon Philippi von Piftoja, auf den der Kaiſer große Stüde hielt, 
machte um dieje Zeit, kurz vor Anfang Mat, mit einem Theil 
jeiner Reiter und Fußtruppen, einen Ritt gegen VBajatoria, einen 
von Lucca abhängigen Ort. Einen anderen Theil feiner Truppen 
ließ er, um die Befagung von Camajore zu jchreden und in Schach 
zu halten, die Thore des Ortes berennen, ohne zu willen daß zu= 
fallıg an demjelben Tage Vanni de Scornezanis, ein verbannter 
Pifaner, mit der Miliz eines Duartiere8 der Stadt Lucca in 
Camajore eingetroffen jet. Sobald nun der Angriff geihah, fiel 
Vanni, ein unerichrodener Mann, auf die Angreifer aus, welche 
ihm nit Stand hielten, fondern ſogleich unter großen Berluften 
die Flucht ergriffen. Diefer Verluſt that dem Kaifer mehr Ab— 
bruch, als derjenige, welchen die Seinen auf dem Rückmarſche von 
Petra- Santa durch die Gefangennahme und die Niedermegelung 
einer größeren Anzahl von Menſchen erlitten hatten. Es fielen hier 
vier und fiebenzig Yanzenreiter und hundert und achtzig Fußfolvaten. 
Unter den Erſchlagenen befand fi) Ritter Strupha ein genauer 
Freund des füniglihen Marſchalls mit zwanzig Zeltgenofien, Graf 
Fredus von Gangalandi, Berlingerius Nicolat de Groſſezo, Bertinus 
Philippi de Vercellenfibus aus Piftoja, Buegatus de Orlandis aus 
Pija; die übrigen waren Deutjche oder Flandrer; unter den Fuß- 
loldaten aber gehörten die meiften zu der Mannſchaft des Mark- 
grafen Spinetus Malafpina. . 

2. Rüftungen des Kaiſers gegen Robert zur See. 
Durd die Erfolge feiner Gegner zu Lande in Tuscien beengt, be= 
ſchloß der Kaiſer unerfchroden fi auf die See zu begeben, wie 
groß die Gefahr auch jein mochte. Nachdem er nämlich feine 


König Philipp von Frankreich ꝛc. 347 


Streitkräfte hatte zerreißen müfjen, indem fein Bruder der Erz- 
bifhof von Trier um Verftärfungen zu holen nach Deutichland 
entjandt worden war, während ein Theil der Ghibellinen und 
Weißen ihn der unerſchwinglichen Koften wegen verlaffen und fich 
über ihre Städte und Länder zerftreut hatte, beruhte feine Hoffnung 
Berftärfungen zu erlangen allein auf König Friedrich von Sicilien. 
Doch Liegen auc die Genuejen und feine treuen Pilaner nicht nad) 
ihn zu ftügen, zu ermuthigen und ihm eindringlich vorzuftellen, daß, 
wenn er nur ſich als Kaifer an den Grenzen des Herzogthums 
Apulien bliden und feine Gegenwart merken laſſen werde, ohne 
allen Zweifel im ganzen Königreich alle8 drüber und drunter gehen 
und eine allgemeine Erhebung gegen den verhaften Kobert aus— 
brechen werde. Denn diefer jet bei den Fürften feiner Herrichaft, 
deren hervorragenpfte dem Reiche entftammten, nichts weniger als 
beliebt. Außerdem mar felbft der in ſich geipaltene römiſche Adel 
beiver Parteien dem Könige durchaus abgeneigt, die Ghibellinen, 
weil er im vergangenen Jahre ihre Partei faft zu Grunde gerichtet, 
die Guelfen aber, weil der Glanz feines Auftretens ihren Aufwand 
in Schatten ftelle. Durch diefe günftigen Umſtände gelodt ließ ver 
Kaiſer hoffnungsvoll und friſchen Muthes es ſich angelegen ſein 
Tag und Nacht Boten nach allen Seiten hin auszuſenden, um ſich 
mit Allen und Jeden ins Einvernehmen zu ſetzen, wobei er es 
weder an Verſprechungen noch an Drohungen fehlen ließ. Schon 
konnte er auf vier und zwanzig Galeeren zählen, welche ihm Genua, 
auf zwölf, welche ihm Piſa ohne Zeitverluſt zu liefern verſprochen, 
damit er dieſelben mit ſeinen Truppen beſetze. Ueberdies bot ihm 
König Friedrich von Sicilien in willfährigſtem Eifer acht und 
zwanzig Schiffe an. Schon erſcholl in den Städten Italiens weit 
und breit das Gerücht, und drang ſelbſt über die Alpen nach 
Gallien, daß König Robert in Apulien von einer gewaltigen Flotte 
bedroht werden und ſeine Städte vor derſelben erzittern würden. 

3. König Philipp von Franfreih zieht Die 
Angelegenheit König Robert in Berathung und 
Ihreibt zu deſſen Gunften an den Papft; Erlaf des 


1313 


1313 


348 Sechzehntes Bud). 


legteren Daraufhin. Durd König Robert erfuhr aud Philipp 
der König von Frankreich von diefer Yage der Dinge. Philipp 
hatte bis dahin die Fortſchritte des Kaiſers ziemlich gleichgültig 
mit angejehen, da ihm diefer Heinrich, den er wegen feiner Herkunft 
und Erziehung für feinen getreuen Lehnsmann anjah, dem er 
perjönlih wohlmollte und deſſen Zuneigung er zu befigen glaubte, 
durchaus nicht gefährlich erfchtenen war und er nichts weniger ge= 
dacht hatte, als daß derjelbe ihm gegenüber fich irgend einer Ber: 
mefjenheit jchuldig machen würde. Sp traf ihn diefe Nachricht 
wie ein Donnerjchlag. Er berief ſogleich die Großen jenes Reichs 
zur Berathung und hieß fie vorbringen was fein Interefje hierbei 
zu erfordern jcheine. Nachdem diejelben erjchienen waren und die 
Sachlage nach allen Seiten hin erwogen und betrachtet hatten, er= 
flärten fie: allerdings betreffe Die Angelegenheit den König und er 
dürfe fie nicht länger unbeachtet laſſen; diefer Funke ſei nicht jo 
unbedeutend, daß er nicht, falls man ihm nicht rechtzeitig auslöſche, 
eine Flamme erzeugen fünne, melche vielleicht niemal3 wieder aus- 
gelöjcht werden fünne. Der gegenwärtigen Generation jelbft fer es 
ja nur allzu befannt, wie ſolche Spaltungen zum größten Nach- 
theil der Chriftgläubigen ungeheure Gefahren für Reich und Kirche 
heraufbeſchworen und, wenn man fie habe Wurzel Ichlagen laſſen, 
nur durch tiefe Einfchnitte unter großem Schaden für Leib und 
Seele hätten entfernt werden fünnen?). Deshalb müffe man, wie 
es auch der allermildeſte Bapit worjchreibe, ſogleich den unheilvollen 
Anfängen entgegentreten. Ueberdies berühre den erlauchten König 
die Angelegenheit wegen des verwandtichaftlichen Bandes, melches 
ihn an das föniglihe Haus von Apulien fefjele, und nach dem 
Nechte der Natur ſei e8 jeine Sache, um die e8 ſich handele. Auf 
diefe Aeußerung der Großen hin wurde bejchloffen, Geſandte mit 
einem füniglichen Schreiben folgenden Inhalts an die Curie zu 
ſchicken: 

„Dem allerheiligſten Vater in Chriſto Herrn Clemens durch 


1) Dies iſt wohl eine Anſpielung auf die Conflikte und Kämpfe zwiſchen den Stau— 
fern und der mit Frankreich (Anjou) verbiindeten Curie. 


König Philipp von Frankreich ꝛc. 349 


die göttliche Vorſehung der hochheiligen allgemeinen Kirche höchften 
Priefter küßt Philipp von Gottes Gnaden König von Frankreich 
in Demuth die gejegneten Füße.‘ 

„Zu unjerem Obhre drang zuerft mitteld des Berichtes ge- 
wiſſer Magifter und jest in Folge der Mittheilung unſeres theuren 
Betterd des Fürften von Adaja die Mähre, daß ver erhabene 
Fürft Heinrih, Kaiſer der Nömer, fich vorgefest habe Apulien 
Sicilien und die übrigen Lande unſeres theuren Vetters des er= 
Yauchten Fürften Robert, Königs von Sicilien, einzunehmen und 
ſich beftrebt alles zu deſſen Entthronung aufzubteten, wodurch er 
den allgemeinen Frieden der Chriftenheit ftört und die Ueberfahrt 
in das heilige Land behindert, zu allgemeinem Schaden, ganz be- 
ſonders aber zu unermeßlichem Nachtheil ver römiſchem Kirche, 
welcher, wie Jedermann weiß, der Beſitz dev genannten Yande zu= 
fteht. Weil daher wir die Entthronung des vorerwähnten Königs 
von Sieilien, in deſſen Adern unfer Blut fließt, der aus unjerem 
föniglihem Haufe hervorgegangen tft, nicht gleichgültig anſehen 
fönnen, jo haben wir jchon früher eurer Glückſeligkeit über dieſe 
Angelegenheit geichrieben und gebeten, eure Heiligkeit wolle die 
achtheile, melde aus den gejchilderten Plänen, wenn fie (was 
der Himmel verhüte!) verwirklicht würden, jich ergeben müßten, in 
Erwägung ziehen und jchleunigit geeignete Vorkehrungen treffen, um 
folden und fo umfaljenden Gefahren widerftehen zu fünnen, auf 
daß nicht wegen dieſer Misftände die Angelegenheit des heiligen 
Landes in den Hintergrund gerüdt oder gar gänzlich verabjäumt 
werden möge. Jetzt aber, nachdem wir und überzeugt haben, daß 
der Kaiſer in der erwähnten Sache feinen Sinn nicht geändert hat, 
daß er im Gegentheil täglich) ſich dazu rüftet, flehen wir eure Milde 
mit wiederholter Bitte an, daß ihr, wie es eure Pflicht erfordert, 
den drohenden Gefahren entgegentreten und ohne Zeitverluft ein 
geeignetes Mittel in Anmendung bringen möget, auf daß die An- 
muth des Friedens gewahrt bleibe und die Angelegenheit der Weber: 
fahrt in das heilige Land (mas unſeres Erachtens auf feinem 
anderen Wege zur bewirken ift) nicht gehindert oder gejtört werde. 


1313 


350 Sechzehntes Bud. 


1313 Auch forget wohl, daß, wenn ihr vielleicht jpäter der Sache ent- 
gegentreten wollt, ihr nicht etwa euch dazu außer Stande jehet, 
vielmehr geruhe eure Heiligkeit den gedachten König und feine 
Unterthanen ſich angelegentlichft empfohlen fein zu lafjen.“ 

Mai 12 „Gegeben zu Paris am 12. Mai.“ 

Ueberdies follten die Gefandten auch den Papſt erjuchen, das 
von dem Kaiſer gegen Robert erlafjene Strafurtheil aufzuheben ; 
und zwar werde es befjer fein, wenn der Papſt daſſelbe widerrufe, 
als wenn er anordne, daß derjenige, welcher e8 erlaſſen, es jelbft 
zurüdinehme. Die Geſandten — e8 waren der Herr von Marigny!) 
und defien hochangejehene Genofjen — begrüßten in würdiger feierlicher 
Weiſe den Papft, übergaben die Briefe der Füniglihen Majeftät 
und fügten Hinzu was ihnen mündlich vorzubringen befohlen war. 
Erfreut fette der Papft für die Ertheilung der Antwort einen 
Termin an, nahm die Gefandten feſtlich auf, bewies ihnen in 
liebenswürdigſter Leutſeligkeit väterliche Sorge und vertraute Freund— 
Yichkett und überhäufte fie mit Ehren. Am feſtgeſetzten Tage er= 
theilte er ihmen feine Antwort: ihm liege, erklärte er, alles was 
feinem Sohne dem erlauchten Könige erwünfcht fei, jehr am Herzen 
und er wolle daher vefjen Bitten gewähren, indem er von jeiner 
Seite drei Cardinäle an den Kaiſer jchiden werde, welche Died und 
alles was jonft in Betracht fomme dem Belieben des Königs gemäß 
anordnen und einrichten jollten. Doc ftelle dieſe allgemein ge= 
haltene Antwort die Gefandten nicht zufrieden, welde vielmehr 
darauf drangen, er folle feine Entjeheidung über die einzelnen Punkte 
öffentlich auseinanderſetzen und fundthun, ſodaß fich der Papft 
endlich bereit erklärte folgende Urkunde ausgehen und mit ber 
apoftolichen Bulle verjehen zu laſſen. Den Wortlaut diejer 
Urkunde habe id) als grumdlegend für die meitere Entwidelung 
meiner Erzählung für gut erachtet hier einzufügen: 

„Clemens ?) Biſchof, Knecht der Knechte Gottes. Zu ewigen 
Angedenken.“ 





1) dominus Marigensis d. i. Enguerrand de Marigny (aus altnormänniſchem Ge— 
ſchlecht), der einflußreichfte Miniſter Philipps IV. — 2) Wir geben die Ueberſetzung auf 


König Philipp von Frankreich ꝛc. 351 


„Unter allen Dingen, um welche wir ſorgen, beichäftigt unſeren 
Sinn insbejondere die Erwägung und quält und die Bejorgnis, 
daß die Güter und Rechte der römischen Kirche in ihrem Beftande 
verbleiben und fie jelbft vor Schaden bewahrt werde und unter 
der Verwaltung unjerer Knechtſchaft ſich mehre in friedlichem Wohl: 
ftand. Kürzlich nun Haben wir von verjchtedenen zuverläffigen Män- 
nern, die davon wohl unterrichtet waren, erfahren, daß an verfchte- 
denen Orten und in verſchiedenen Gegenden eine Flottenausrüftung 
vorbereitet und andere Friegeriiche Anftalten getroffen würden, und 
dag man aus mannigfachen Anzeichen vermuthe, dieje Slottenrüftung 
bezwede (mas wir freilid kaum glauben fünnen) das Reich von 
Sicilien oder das Land diefjeit des Pharus, welches, wie man weiß, 
zu dem Königreich 1) jelbft gehört und von uns und der römifchen 
Kirche rechtlich abhängt, und welches unfer Lieber Sohn in Chrifto 
Robert der erlaudte König von Sicilien, unſer und der genannten 
Kirche Bafall, von und und eben diefer Kirche zu Lehen trägt, 
feindlich zu überfallen und zu befriegen. In dem Beftreben, die 
vorerwähnte Kirche und und ſelbſt und das genannte Reich und 
Land, welches wir gleihfam al8 den Garten unferer Erholung 
ergöglich betrachten und aus befonderer Liebe in unferem apoftolifchen 
Herzen tragen, gegen derartige Veranftaltungen zu ſchützen und den 
Gefahren der Seelen, den Schädigungen der Xeiber, den Beein- 
trächtigungen der Güter, den ſchwerwiegenden Aergernifien und den 
unwiederbringlichen Verluften des heiligen Landes — welche, wenn 
es (mad der Himmel verhüte) dazu kommen follte, man befürchten 
müßte — wirkſam entgegenzutveten, verbieten wir, während wir 
und zugleich bereit erklären Allen, welche fi) über den König von 
Sicilien zu beflagen haben, Gerechtigkeit zu Theil werben zu laſſen, 
allen und jeden Geiftlihen und Laien, welches Standes und Ranges, 
welcher Stellung und Würde fie fein und wie hoch fie ftehen mögen, 
jelbft wenn Hoher priefterlicher, kaiferlicher oder königlicher Rang 
oder welch' anderer immer fie zieren follte, ſowie allen Gemein- 


Grund des Abdrudes bei Dönniges a. a. O. II ©. 87—88 (aus den Aften der Faifer- 
lichen Kanzlei). — 1) d. i. dem päpftlichen Lehnskönigreich beider Sicilien. 


1313 


1313 


352 Sechzehntes Bud). 


ſchaften, Gemeinten und Staaten, fraft apoftoliiher Machtvoll- 
fommenheit und jchreiben ihnen ausdrüdlich vor, daß fie es fich 
nicht herausnehmen mögen, das genannte Reich oder Yand oder 
einen Theil oder einige Gegenden vejjelben zu Lande oder zu Waſſer, 
unter welchem Vorwand auc immer e8 gejchehe, zu überziehen oder 
zu befriegen oder deswegen Sold zu empfangen oder zu gewähren 
oder dazu Galeeren oder andere Fahrzeuge des Meeres zu liefern, 
zu miethen, zu leihen oder unter irgendwelchem Namen herzugeben 
oder auf denjelben als Ruderer zu dienen oder ſolche Galeeren oder 
andere Fahrzeuge auf irgend eine Weile zufammenzubringen ober 
auch denen, Die fich deſſen trogdem unterfangen, Hilfe Rath oder 
Gunſt diveft oder indireft, öffentlich oder verborgen zufommen zu 
laſſen. Denn alle und jede, welche e8 magen jollten, diejes unfer 
ftrenge8 Berbot zu übertreten, ſelbſt wenn fie, wie oben gejagt, 
von hohem priefterlichen oder königlichen oder irgend anderem hohen 
Rang jein jollten, erklären wir nad) dem Kath unferer Brüder in 
den Bann, den fie ohne weiteres verwirken, und belegen ihre Länder 
und Städte und jegliche andere Gemeinden und Gemeinschaften und 


Staaten, melde gegen das DVorftehende oder einen Theil vejjelben 


zu handeln wagen, mit dem firchlichen Interdift, werden aber darum 
nicht8 weniger gegen fie auch mit Vernichtung aller Vorrechte, Ver- 
günftigungen und Gnaden, welche fie von der römiſchen Kirche 
empfangen haben, ſowie auch mit Aberfennung ihrer ſämmtlichen 
Lehen, Güter, Ehren, Aemter und Rechte, welche fie von derjelben 
oder irgend welchen anderen Kirchen in Befig haben, fowie fonft 
mit ſchweren firchlichen und weltlichen Strafen vorgehen, wie es 
ihr Ungehorfam erfordern und die Beſchaffenheit ihres Vergehens 
empfehlen und wie es uns angemefjen erfcheinen wird. — Damit?) 
aber diefer unfer Prozeß fiher zur Kenntnis Aller gelange, fo 
wollen wir an die Thür der Kirche zu Avignon Karten oder Mem— 
branen anbeften laſſen, melche diefen Prozeß enthalten und ihn 
gewiffermaßen mit weitfchallender Stimme und durch den offenen 


1) Dieſer Schluffat wird von Muffato ausgelaffen. 


8 Te er 


Die Fürften in der Umgebung des Kaifers x. 353 


Augenschein hinlänglich fund machen werden, ſodaß alle und jebe, 
die der nämliche Prozeß angeht oder in Zukunft angehen wird, 
hinterher feinerlei Entjhuldigung vorihüsen fünnen, daß er zu 
ihnen nicht gebrungen, ſondern ihnen unbefannt geblieben jet, da 
es nicht anzunehmen ift, daß, was jo offenkundig einem jeden mit- 
getheilt wird, ihnen unbefannt oder verborgen geblieben jein fünne. 

„Gegeben bei Caftrum Novum in der Diöcefe von Avignon 
am 12. Juni!) im achten Jahre unferes Pontififats ?). 

4. Die Fürften in der Umgebung des Kaijers 
bejhweren fih über den päpftliden Erlaf. Dem 
Kaiſer blieb nichts hiervon verborgen; da er aber glaubte, ver 
Papſt ſei von den Freunden Roberts beeinflußt worden und thue 
diefen Schritt zu jene Gunften nur widerwillig, jo verſäumte er 
nicht, denjelben Weg zu wählen, und ſchickte eine feierliche Gejandt- 
ſchaft nad Frankreich), beftehend aus Graf Ameus von Sapoyen, 
dem Patriarchen von Antiohia, dem Erzbiihof von Genua, dem 
Biſchof von Butrinto ?) und anderen VBornehmen, welche alsbald 
Piſa verliegen, ſich einfchifften und ven ihnen von den Lucchejen 
freiwillig eingeräumten Weg über Motrone einjchlugen. Die Ge— 
meinde von Piſa gab der Gejandtichaft ven Lippus de Caprona, 
Lemutius Balia, Jakobus Fagarola und Meſius de Vico bei. 
Zugleich aber waren die Piſaner ununterbrochen beſchäftigt, Galeeren, 
Laſtſchiffe und Fahrzeuge aller Art im Hafen zu beſchaffen und 
auszurüſten. In denſelben Tagen begab ſich auch der Cardinal 
de Flesco von Piſa aus zur Curie. — Als der päpſtliche Brief, 
welcher jenen gewichtigen Erlaß enthielt, in Gegenwart der Fürſten 
verleſen wurde, heftete der Kaiſer den Blick an den Boden und 
ſchien verwundert, äußerte aber feine Silbe. Der Erzbiſchof von 
Pia dagegen erging ſich in gereizten Worten gegen den Papft: 


1) Muffato: am 2. Juni (die II. Junii) ftatt II Id. Junii bei Dönniges. — 2) Muf- 
fato fett Hinzu: „und präfentirt zu Genua am 9. Juli“. — 3) Tert episcopum Abo- 
thontenensem. Gemeint ift Bifhof Nikolaus von Butrinto (in Epirus, Erzdiöcefe Ja— 
nina), welcher in feiner Relation iiber Kaifer Heinrihs Romzug diefer Gefandtfchaft aus- 
führliher gedenft. Die für diefelbe aufgejegte Inftruftion ift abgedrucdt bei Dünniges 
a.a. ©. I ©. 81—86. 

Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 23 


1313 


Suni 


12 


1313, 


354 Sechszehntes Bud. 


weder redlich noch auch Flug fer Clemens berathen worden und habe 
ſich jelbjt berathen, da er von feiner priefterlichen Höhe herab einen 
jolden Erlaß habe ausgehen laſſen, der feine eigene Schöpfung 
beeinträchtige; er jolle Lieber das menjchlihe Geſchlecht auf den 
Weg des Heiles führen und die Berirrungen deſſelben verhüten ; 
ftatt deſſen verzögere er die Wiebereroberung des heiligen Landes, 
wozu fid) bereits Vorbereitungen bemerkbar machten, und erfticde 
die Sache im Keime, indem er die Feinde des Unternehmens be— 
günftige, die Aergerniffe auf Erden zum Nachtheil der Heiligen 
Kirche Gotted und der hrijtlichen Keligion vermehre.. Der Abt 
von Podium Bonici, welcher dabeiftand, äußerte ſich in Worten, 
Die mehr einem Laien als einem Geiftlihen anftanden, und ſchmähte 
ohne Scheu auf die Politit des Papftes, die er für durchaus ver- 
werflich erflärte. 

5. Der Kaiſer fegt fih zu Lande und zur See 
gegen König Robert von Apulien in Bewegung. In— 
zwiichen brachte der Kaiſer feine Tage nicht mülfig in Pila hin, 
fondern war bei angefpanntefter Thätigfeit mit größtem Eifer darauf 
bedacht, mit Apulien, Calabrejen und Römern durd) Boten Bes 
ziehungen anzufnüpfen, um fie durch Verſprechungen und in Güte 
zu gewinnen. Als endlich, jomeit es in feiner Macht ftand, alle 
Borfehrungen getroffen waren, gab er Befehl, daß die Schiffe aus 
den Häfen von Genua und Pifa auslaufen follten, und ließ die 
ganze Flotte, welche das geſammte Gepäck des Heeres mit ſich 
führte, gleich als ob der Kaiſer jelbft fih an Bord begeben werbe, 
unter mächtigem Irompetengejchmetter und großem Lärm die Segel 
ausbreiten und in See ftehen. Als Führer und Admiräle dienten 
auf der Flotte die Grafen von Camerarium und von Claramonte, 
welche dem Kaifer die größte Hoffnung gemacht hatten, daß das 
unteritalifche Reich ihnen zufallen werbe, jobald fie nur an den 
calabrefiihen Küften erjcheinen würden. Auch ftellte ſich Friedrich 
der Herrſcher Siciliens hilfreich bei der Flotte ein. Alsbald er 
ſcholl durch ganz Stalten der Auf, der Kaifer, durch den Landkrieg 
aus Tuscien vertrieben, eile mit einer gemaltigen Flotte zum 





Erſchütterung Siena's durch den Vorbeimarſch des Kaiferd. 355 


apuliichen Reiche, um fich mit Nobert zu meſſen. Insgeheim aber 1313 
war mit der Flotte verabredet worden, dieſelbe jolle, ſobald fie 
Terracina, welches etwa fieben und zwanzig!) Miglten von Rom 
entfernt ift, erreicht Haben würde, dort bleiben und den Kaifer er— 
warten. Diefer ſelbſt verlieg am 5. Auguft in Begleitung von Aug. 5 
hundert Keifigen lateiniſcher und deutſcher Nationalität Piſa und 
lagerte nad) einem eiligen Marſch — venn fein Gepäd und Geräth 
verzögerte jett das Vorrücken — zwilhen Fusceclum 2) und Sammi- 
niato. Am folgenden Morgen marjchierte er weiter und gelangte 
Abends bis ın die Gegend von Caſtrum Florentinum, wo er in 
Bergeltung für Beläftigungen, die er durch die Einwohner erfuhr, 

die Häufer der Umgegend niederbrennen ließ. Dody hielt er ſich 

auch Hier nicht länger auf, ſondern durcheilte im ununterbrochenen 
Mariche, ohne ſich einen Raſttag zu gönnen, den Bezirk von Cole, 

hieß die Abtei Spogna bei Seite und gelangte am 15. Auguft, Aus. 15 
dem Tage der Himmelfahrt der jeligen Jungfrau Maria, in das 
Gebiet von Siena. 


6. Erjhütterung Siena's durch den Vorbeimarſch 
des Kaiſers. Die plötzliche Ankunft des Kaiſers überraſchte 
die Einwohner von Siena und verurſachte bei ihnen einen ſo ge— 
waltigen Schrecken, daß Volk wie Adel den Ausbruch eines Auf— 
ſtandes im Innern der Stadt fürchteten. Von einem und dem— 
ſelben Gefühle beſeelt griff alles in größter Erregung unter dem 
einmüthigen Rufe: „Es lebe die Gemeinde und die Volksfreiheit“ 
zu den Waffen; raſch füllte ſich das Rathhaus und der Markt; 
man ermunterte den Podefta die Stadt zu ſchützen und beſetzte und 
befeftigte jo gut e8 in der Eile ging die Thore. Diefer Tag und 
die darauf folgende Nacht wurden in —— Schweigen unter den 
Waffen zugebracht. 


1) In Wirklichkeit beträgt die Entfernung faſt doppelt fo viel Miglien. — 2) Fu— 
cechio, nördlih vom Arno. Der Kaifer blieb natürlich füdlih von diefem Fluffe und 
bewegte fich auf der Straße, die am jüdlichen Ufer flußaufwärts bis zum Thal der Elſa 
führt und dann diefen Fluß aufwärts, an Caſtel Fiorentino vorbei, bis an's ſaneſiſche 
Gebiet verfolgt. 


23* 


1313 


356 Sechzehntes Bud. 


7. Bertreibung der Öhibellinen aus Orvieto. 
In eben dieſem Augenblide unternahmen die Ghibellinen von 
Orvieto, in der Abfiht dem anfommenden Kaifer ihre Stadt von 
jeinen Feinden gefäubert zu überliefern mit Hilfe der zu ihnen 
entbotenen Parteigenofien des Bezirfes einen Angriff auf die Guelfen. 
Zwei Tage lang wurde in hisiger Schlacht hartnädig geftritten, 
bis ſich das Glück auf die Seite der Guelfen neigte umd Die 
Ghibellinen, nachdem etwa zweihundert erjchlagen waren, aus der 
Stadt getrieben wurden. Unter den Erſchlagenen, befand ſich 
Bindus de Bashio, eined der Häupter der Verſchwörung, und 
mehrere von den Bornehmften der Partei. So gerieth die ganze 
Gemeinde ausſchließlich in die Hände der Guelfen. 

8. Tod des Kaiſers und was jih darauf bezieht; 
Schluß des Werkes Nachdem der Kaiſer bei Siena nichts 
ausgerichtet hatte, wandte er fi) won der Straße, melde nad) 
Nom führt, ab und ſchlug einen Weg ein, der ihn jenſeits Siena 
nah Iſpianum führte). Er gelangte bis zum Flüßchen Orgia 
zwölf Miglien von- Siena, wo er, von der Hige und der An— 
ftrengung des langen und fchnellen Marſches ermattet, abftieg und 
ein Lager auffchlagen ließ um fid) mit den Seinen von der aus— 
geftandenen Mühſal zu erholen. Nachdem er gefpeift, unternahm 
er einen furzen Spaziergang, ließ ſich endlih am Ufer des Fluſſes 
nieder und ftredte jeine Beine in venjelben, bi8 er, nachdem er 
fi) längere Zeit an der Kälte des Waſſers erfriſcht, eine gewiſſe 
Mattiofeit empfand, melde ihn veranlafte vor der gewohnten 
Stunde des Sonnenuntergangs das Lager aufzufuchen, auf welchem 
er aber feine Ruhe fand; vielmehr entdeckte er alsbald ein Geſchwür 
unter dem rechten Knie, welches ihm viele Schmerzen verurjachte 
und den Schlaf verfcheuchte. Ehe noch die Finſternis ſchwand und 
die Morgenröthe erfchten, gab er, nicht willens ſich länger \chlaflos 

1) Etwa bei Poggibonfi, wo er mehrere Tage lagerte, lenkte der Kaifer von der 
Hauptitraße, die über Siena Radicofano Acquapendente und Orvieto nad Rom führt, 
öftlih ab und gelangte in das Thal der Arbia, eines Nebenflußes des Ombrone. So 


umging er Siena und traf ſüdlich davon wieder auf die römische Straße, an der u. a. 
auch Buonconvento liegt. 








Tod des Kaiſers ac. 35% 


auf dem Lager zu mwälzen, das Zeichen zum Aufbrud, erhob fic 
und gelangte bi8 nad) Bonconventum, einem Dorfe, welches etwa 
zwölf Miglien von Siena entfernt ift. Hier verfchlimmerte fich 
die Krankheit: drei Tage lag er frank in der Bartholomäuskirche 
und ftarb hier am 24. Auguft, dem Bartholomäustage, in der 
neunten Stunde, ein und fünfzig Yahre, einen Monat und zwölf 
Tage alt, nachdem er fünf Jahre regiert, ein Jahr einen Monat 
und vier und zwanzig Tage Kaiſer gemwejen mar. Als Urſache 
feines HintrittS ftellte fich dreierlei heraus: zunächſt ein tödtliches 
Geſchwür am Unterfchenfel unterhalb des Knies von der Art, 
welche die Aerzte Anthrar !) nennen, ſodann eine Verlegung ber 
Blafe in Folge der Harnbeſchwerden, an welchen er beftändig litt; 
endlich drittens ein Geſchwür zwiſchen den Nippen, welches er, wie 
man erfuhr, nad) dem Tode ausgefpien hat. Wunderbar erichien 
den Sterbliden und wurde gleihjam als vom Schickſal verhängt 
angejehen die Gleichheit des Ortes und des Tages; noch mehr 
aber verwunderte man fich, wenn man daran dachte, daß aud) für 
Conradinus von Staufen der Bartholomäustag verhängnisooll ge= 
worden war, der an diefem Tage in Italien von König Karl be 
fiegt wurde ?), worauf er jpäter den Tod erlitt. Gar jehr zu 
meiden ift den Chriften, der hochheiligen Mutter, der Kirche, Anz 
ftoß zu geben; fie hat durch apoftolifhen Sprud den Vorgänger 
Heinrichs, Friedrich, geftürzt, dem diefer Spruch wie ein Blitzſtrahl 
mit feinem ganzen Geſchlecht unwiederbringlichen Untergang brachte; 
und auch diefer Heinrich, der unter dem Banner des fegensreichen 
Friedens von der Hand der Kirche gehalten nad) Italien kam, er= 
reichte, vom Glück begünftigt, was er erftrebte, als er aber die 
Segel drehte und das Steuer wandte, da zerjchellte die unter dem 
Unglüdöftern jegelnde Flotte. Denn, wenn auch jelbft nur in 
Gedanken ein Uebertreter des apoftoliichen Verbotes, welches ihm 
unterjagte das Neid) König Roberts zu überziehen (während doch 


1) griechiſcher Ausdruck für das Yateinifche carbunculus. — 2) in der Schladht bei 
Skurkola, am 23. (wohl nicht 24.) Auguſt 1268. Konradins Hinrichtung erfolgte am 
29. Dftober deffelben Jahres. 


1313 


Aug. 24 


1311 


358 Sechzehntes Buch. Tod des Kaifers x. 


fein Sinn ihn dazu antrieb und er nur verhindert wurde feinen 
Borfat zur That werden zu lafjen), hatte er doch bereit8 den ihm 
ergebenen Friedrich den Herrſcher Siciliend vorausgefandt, um 
Cathona, eine calabrifche Inſel, einzunehmen und ihm dadurch den 
Zugang zu dem Reiche zu eröffnen. So aber wurde diejer ver— 
derbliche Kampf, der dem ganzen Erdkreis zum Aergernis gereicht 
haben würde, als er ſchon eröffnet war, allein durch das Straf- 
urtheil des allumfafjenden Gottes abgewandt. — Die deutjchen 
Genoſſen des Kaiferd hoben den Leichnam auf, fetten ihn auf eine 
Sänfte und gaben vor, er ſei frank, nicht aber tobt. Da aber 
die Leiche einen unerträglichen Geruch verbreitete, jo übergaben fie 
diefelbe nächtlicher Weile in Paganicum, einem Eleinen Orte im 
Gebiet von Siena, den Flammen; die Meberrefte aber legten fie 
einbalfamirt in einen Schlaud und führten fie auf dem Küften- 
wege eilenden Marjches nach ihrem Piſa, mo die Gebeine unter 
tiefer Traver der Seinen neben dem Altar der Hauptfirche bei= 
geſetzt wurden. 











Il, 


Aus des Gulielmus Cortufins 


Grzählung von den Ereigniffen in Padua 


und der Lombardei. 








Erſtes Bud. 


11. Friedliche Entwidlung und Blüthe des pa- 
duaniſchen Gemeinweſens. Wie allzugroße Kürze der Dar- 
ftellung Vieles im Unflaren laßt, fo ruft Weitſchweifigkeit und 
großer Wortſchwall bei den Lejern Langeweile hervor. Deshalb 
will ih) in meiner Darftellung die Mitte einhalten. Zunächſt magſt 
du zum befjeren Verſtändnis der Ereigniffe, die ſich vor meinen 
Augen in ver Mark von Treviſo vollzogen, und damit du ven 
Niedergang deutlich erfennft, erfahren, daß Padua als einziges freies 
Gemeinweſen in der ganzen Mark die Oberhand hatte. Fürfien 
und Könige zogen Die Paduaner allen übrigen vor; Tuscien und 
Lombardien erbaten fih aus Padua ihre Rektoren. Der Herr— 
Ihaft von Padua waren PVicenza mit jeinem ganzen Gebiete, 
Rhodigium) mit feinem Bezirk, Lendenaria und Abbatia 2) unter- 
ftelt. Padua war voll von Waffen und Roſſen und unermefilichen 
Keichthümern, mit Thürmen befeftigt und durch Prachtbauten aus- 
gezeichnet. Don allen Seiten famen die Berbannten nad) Padua 
ald einem rettenden Zufluchtsort. Ferner glänzte Padua durd) 
Gelehrte, Doktoren in jeder freien Kunft?) und Mönche. Endlich 
find aud viele Heilige in Padua begraben, auf deren Fürbitie 


1) = Rovigo. — 2) Badia an der Etijh, Lendinaria ſüdöſtlich davon. — 3) die 
Univerfität zu Padua ward 1222 gegründet. 


1310 


Juli 


1311 
Ja 


362 Erſtes Buch. 


Gott Padua lange Zeit, nämlich funfzig Jahre und länger, vom 
Tode des Herezinus!) an gerechnet, im Frieden beließ. Während 
diefer Epoche des Friedens blühte der Paduaner Yovatus, der als 
Krieger wie ald Staatsmann alle feine Zeitgenoffen überragte. 

12.1310 Juli. Antınft Katjer Heinzrae. 
Während Padua fich dergeftalt im Frieden befand, erſchien dajelbft 
der Biſchof von Conftanz und verfündete, daß Heinrich, Graf von 
Luremburg, erwählter Kaifer, im Einverftändnis mit dem heiligen 
Bater fih rüfte, Italien zu betreten, um in Rom die fatferliche 
Krone zu empfangen. Während aber diefe Nachricht alle anderen 
Städte der Lombardei in die größte Beftürzung verjegte, blieb 
Padua allein völig ruhig, in der Zuverfiht, daß feine Macht- 
ftellung durch fein Misgeſchick erihüttert werben könne. Uebrigens 
nahm man den ermähnten Gejandten ehrenvoll auf. Diefe An- 
fündigung erfolgte im Monat Juli des Jahres 1310. 

Als nun Kaiſer Heinrih in Afte erſchien, empfingen ihn 
mehrere Edle der Lombardei, da fie mußten, daß jeine Ankunft 
ven Wünfchen des Papftes Clemens entſpreche, mit allen Ehren, 
nämlich Herr Guido de la Turre, welcher Mailand beherrichte, 
Herr Philipponus, der Herricher in Pavia, Herr Antonius und 
Bafjaninus von Fıfiraga 2), die Herren von Lodt, und andere edle 
und mächtige Männer. Herr Maphäus Vicecomes, welcher nebft 
jeinen Söhnen von den Turrianen aus Mailand vertrieben worden 
war, z0g mit dem Kaifer zugleich in Mailand ein, und auf feinen 
Kath gab der Kaiſer am meiften unter allen Lombarden, denn 
Maphäus war ein erfahrener, kluger Mann. Während der Kaifer 
in Mailand vermeilte, ſchickte er nad) allen Seiten hin Briefe, in 
welchen er verfündete, daß er in Modoecia von den Legaten des 
Papfte8 die eiferne Krone empfangen werde, Dieſes Schreiben 
wurde in Padua am 1. Sanuar 1311 (al8 Herr Albertus de 
Caſtello Podefta war) vorgelegt; die Krönung aber ſollte ſchon am 
Epiphaniastage ftattfinden. Ihr wohnten ehrenhalber als Abge- 


1) 2. i. Ezzelino IV. von Romano + 1259. — 2) Im Tert fälfchlich de Susiraga. 





Ankunft Kaifer Heinrichs. 363 


ordnete Padua's folgende Männer bei: die Ritter Henricus Sero— 
vegnus, Rolandus de Guarnarinis, Johannes de VBigontia und Petrus 
de Murfis, der Richter Johannes Henricus de Capite-Vaccae, der 
Doctor Legum Baricus de Lengua de Dacca und der Dichter 
Muſatus ). — Kurze Zeit nachher warf ver Kailer die oben 
genannten lombardiſchen Edlen in den Kerfer, vertrieb Herrn Guido 
und feste Herrn Maphäus Vicecomes zu Mailand als feinen 
Statthalter ein. 

13. 1311 April 15. DBerluft Picenza’8 und 
andere Ereigniffe. Der Kaifer hatte die Abficht die Stadt 
Padua im Genufje ihrer Freiheiten zu belaffen und ihr für jechzig 
taufend Gulden Bicenza zu unterftellen. Aber die Paduaner woll- 
ten hierauf nicht eingehen, da fie den Kaiſer für ohnmächtig hielten. 
Bon nun an fann der Kaifer darauf, den Paduanern Bicenza zu 
entziehen, Tieß fich insgeheim mit den Bicentinern in Verhandlungen 
ein und ſandte den Biſchof von Genf nad) Verona, wo fi) derſelbe 
mit Herın Canis de la Scala ind Einvernehmen Jette. Beide 
zogen dann vor Bicenza und gewannen die Stadt mit Hilfe Ver— 
rath8 der Einwohner. Die Paduaner aber, welche dort ald Be— 
ſatzung lagen, wurden nach Verona gebracht und eingeferfert. Sie 
verdienten alle den Tod, weil durch ihre Feigheit Vicenza verloren 
gegangen war. Damals verliegen Herr Morandus de Treſſano 
und Bonmaffarus a Collo Vicenza; ebenſo der Richter Henricus 
de Ravaſino, ein kluger Greis, welcher beftändig den Paduanern 
abrieth Vicenza mit Krieg !zu überziehen, damit dieſes ſich nicht 
den Beronefen in die Arme werfe; zugleich jchilverte er ihnen, wie 
die Zwietracht in Vicenza immer mehr zunehmen und ficherlid Dazu 
führen werde, daß fie ihr Ziel, die Wiederberitellung ihrer Herr= 
Ihaft über Vicenza, ohne Schwierigkeit erreichen würden. Anderer— 
jeit8 führten die Vicentiner zu ihrer Rechtfertigung an, fie hätten 
die Unbilden der Paduaner, namentlich) derer aus dem Geſchlecht 
Dente, de8 Demitrius de Comitibus, des Martinus Canis und 


1) ». i. Albertino Muffato. 


1312 


564 Erſtes Bud). 


1311 der übrigen, welche im Vicentiniſchen Befigungen hätten, nicht länger 
Apr. 15 ertragen fünnen. — Dies geihah am 15. April 1311, während 
zu Bicenza Herr Johannes de Vigontia Podefta war, der, obgleich 
er es nur an Energie, nicht aber an gutem Willen hatte fehlen 
Yofien, von den Paduanern nebft den Seinen ausgeftoßen ward, 
fodaß er an den Bettelftab Fam. — Einige Zeit nachher ftarben 
einige der vicentiniſchen DBerräther am Galgen, weil fie darauf 
auzgingen Herrn Canis zu verrathen; viele wurden vertrieben und 
begaben fih nach Padua, wo man fie aufnahm. 
14. 1311 IJunti20. Padua unterwirft jih dem 
Reih und empört ſich. Durch Vicenza's Anſchluß an das 
Keich in Furcht verſetzt, ſandten die Paduaner auf die Borftellungen 
des Biſchofs von Genf, der ſich in Vicenza befand, den Dichter 
Mufatus und Antonius de Vico-Argeris zum Kaifer. Diejer ver- 
ſprach, Padua in feiner Freiheit zu belalien, wenn die Paduaner 
drei Männer erwählen würden, aus denen er jelbft einen zum 
Podefta ernennen werde, damit diefer dann Padua dem Herfonmen 
gemäß regiere. Ferner jolle die Gemeinde ihm ein außerordentliches 
Geſchenk von Hundert taufend Gulden machen, wie es auch früher 
geichehen war, und endlich ihm jedes Jahr zwanzig taufend zahlen. 
Nachdem dies vereinbart worden erſchien der Biſchof von Genf an 
Sunizo Stelle des Kaiſers am 20. Juni des gleichen Jahres in Padua. { 
Juli Im folgenden Monat trat der Podeſta von Padua, Herr 
Rodulphus aus Sanctum Miniatum zurüf und Herr Gerardus 
de Mola aus Parma befhwor als kaiſerlicher Statthalter die Ver: 
faffung der Stadt. In Verona und Bicenza ernannte der Kaiſer 
zu feinen GStatthaltern die Herren Albuinus und Canisgrandis 
de la Scala und unterftellte denjelben alles, was fie den Empörern 
gegen das Reich an Gütern mit Gewalt abgewinnen könnten. 
Herrn Rizardus de Camino fegte er ferner in Treviſo, Herrn 
Gibertus de Corrigio in Parına und Herrn Paſſarinus de Bona— 
cofis in Mantua ein und zwar gegen Geld. Go erhöhte er die— 
jenigen, melde er hätte erniedrigen ſollen. — Als nun der Kaiſer 
fi) in Genua befand, verließen die paduaniichen Abgeordneten ins— 








Tod des Gulielmus Novellus ıc. 365 


geheim feinen Hof. In Padua angefommen, berichteten fie im 
Senat unter anderm: der Kaiſer habe in Vicenza als Statthalter 
Herrn Ganis de la Scala, den Todfeind der Paduaner, beitellt. 
Die Macht des Kaiſers aber ſei gering und erwede feine Beſorg— 
niffe. Schon flüftere man ſich bei Hofe zu, Herr Canis habe 
aud) das PVicariat über Padua erhalten. Unter diefen Umftänden 
war es nicht rathſam, beim Neiche zu bleiben; der Nichter Ro: 
landus de Plazola ſprach ſich denn aud in diefem Sinne aus, 
und obwohl der Richter Johannes de Vigontia und der Dichter 
Mufatus aus Beſorgnis vor der Macht des Kaiſers dringend ab- 
riethen, fo ging Roland's Antrag durd. Noch in derjelben Raths— 
jitung legte Gerardus de Dzola das Bifariat nieder und empfing 
anftatt deifen dem Katfer zum Trotz die Würde des Porefta. In 
der Folge wurde diefer Mann auf feinem eigenen Schlofje von 
feinen Anverwandten ermordet. — Die erwähnte Rathsſitzung fand 
im Februar 1312 ftatt. 

15. 1312. Tod des GulielmusNovellus, Ver— 
bannungen und Anderes. Antonius de Carmagnano tödtete 
mit einigen Meuchelmördern Herrn Gulielmus Novelus de Palta- 
neriis aus Mons-Silicis im Saale des Gerichtöpalaftes von Padua. 
Trotzdem fonnte er ungehindert die Stadt verlaffen. So groß war 
die Macht der Vornehmen. Der Zwed diefer Blutthat war, Die 
faiferliche Partei in Schreden zu ſetzen. Doch blieb der Frevel 
nicht ungerächt, denn zur Vergeltung wurden Herr Antonius, Cla— 
vellus de Buglis und deffen Cohn von Aycardinus de Capite— 
Vaccae getödtet. 

Auf die Runde vom Tode des Gulielmus ritt Nenaldus de 
Scrovegnis nad Vicenza und bot fih und feine Burg Trabade 
Herrn Canis an. Diefer aber wies ihn aus Beſorgnis vor Der 
Macht der Paduaner ab, worauf Renaldus ſich letzteren ſtellte 
und von ihnen nad Caput- Iftriae in die Verbannung gefchiet 
wurde. 

In der Folge traten einige reiche und mächtige Bürger, als 
die Macaruffi, die a Ponte, de Polafrixana, de Altechinis, de 


1312 


Ibr. 


1312 


März 


Apr. 


Apr. 


366 Erftes Bud). 


Maliciis, de Terradura, de Villa-Comitis, der Dichter Mufatus 
und einige andere, welche die Etadt weniger nad) den Geboten der 
Gerechtigkeit als nad ihren Parteiintereſſen lenkten, zufammen und 
verbannten Marcus de Forzate, Gaboardus den Bruder des Re— 
naldu8 Scerovegnus, Traverſus de Delesmaninis und nad und 
nad) noch viele andere, unter dem Vorgeben, fie träfen dieſe Maß— 
regeln gegen die Freunde des Herrn Canis und feien darauf be— 
dacht die Stadt vor jener Herrichaft zu bewahren. In der That 
aber vermehrten fie durch ıhre üblen Maßnahmen nur die Macht 
ihres Gegner®. 

Im März deffelben Jahres, 1312, zogen die Paduaner aus 
und verbrannten Montagnana und Cologna mit der ganzen Um: 
gegend. Im April rüdten fie gegen Bicenza aus, fanden aber 
die Brüde von Quartefolum unzugänglicd gemacht, weshalb Mar— 
tinus Canis an der Spige einiger Bürger und Söldner den Fluß 
durchmatete. Es fam zur Schladht, in der die Vicentiner unter 
großen Berluften an Gefangenen und Todten gejchlagen wurden. 
Hierauf erſchien Herr Canis in Bicenza und ließ alle, die er in 
diefer Sache ſchuldig befand, Hinrichten, andere einferfern. Manche 
flüchteten auch nad) Padua. Jener Auszug der Paduaner nämlich 
hatte im Einverftändnid mit einigen Vicentinern ftattgefunden. — 
In demfelben Monat griffen die Paduaner ven Flecken Maroftica 
an und gewannen denfelben durch Die ausgezeichnete Tapferkeit derer 
von Bartanım!). Der Flecken wurde nebft dem umliegenden 
vicentinifchen Gebiet verbrannt. Hierdurch wurden die Paduaner 
übermüthig und achteten Herrn Canis für nidts. 

16. 1312. Gejpräd der Öreije mit den Jüng— 
Lingen; prophetiſche Blide in die Zukunft. MS zu 
Padua einft einige Nachbarn verfammelt waren, fagte ein jüngerer 
Mann: „Das Gebiet von Bicenza, welches ſchon dem Teuer über: 
geben ijt, wird Padua vettungslos unterliegen. Schon verläßt fich 
Herr Canis mehr auf feine Veften al8 auf den Waffengang, und 


1) Baffano. 





Geſpräch der Greife mit den Jünglingen x. 367 


wagt fich nicht mehr öffentlich blicken zu laſſen; jo groß ift unfere 
Mannhaftigkeit. Im kurzem werden wir Vicenza wieder gewonnen 
haben. Und wer zweifelt, daß dann aud Verona und Rombar- 
dien!) unferen Geboten gehorchen werden? Darum forget, ihr 
Greife, die ihr ein langes und erfahrungsreiches Leben hinter euch 
habt, daß wir gen PVicenza ziehen und daß feiner heimzufehren 
wage, ehe es befiegt iſt. Denn euch ift e8 befannt, daß, gleichwie 
man erhittes Eiſen beſſer bearbeiten fann als kaltes, jo auch der 
Menſch nad) friſch empfangener Beleidigung um fo befjer ſich zu 
rächen weiß!“ 

Hierauf entgegnete der erfte Greis: „Ich wünſchte, die Pa- 
duaner hätten, nachdem fie ehemals Bicenza ficd unterworfen, dafür 
gejorgt und dazu geholfen, daß die Vicentiner bei ihren Freiheiten 
verblieben wären; denn dann hätten wir jett Frieden und nimmer 
wäre der Gebieter von Berona vom Kaifer in Bicenza eingejett 
worden, was zu gänzlicher Auflöfung der Mark Trevifo führen 
fann. Denn aus einem fleinen Funfen entfteht oft eine gewaltige 
Flamme.“ 

Ein zweiter Greis aber ſagte: „Es iſt nicht rathſam, Anderen 
das zu thun, was man ſelbſt von Anderen nicht dulden möchte. 
Deshalb freut euch nicht, daß jetzt Verona und Vicenza durch 
Sengen und Brennen Schaden erleiden; denn leicht mag es euch 
nächſtens ebenſo ergehen. Möchte es vielmehr Frieden werden, nach 
dem ſich ſchließlich jeder Menſch ſehnt, denn ohne den Frieden kann 
nichts gedeihen!“ 

Hierauf äußerte ſich ein dritter Greis folgendermaßen: „Ich 
babe noch die Zeiten des Hegerinus?) de Romano geſehen, welcher 
ſich die Kriegszeiten zu Nutze machte, um erft Mons-Silicis, dann 
auch Padua zu nehmen, welches er faft gänzlich zu Grunde rich— 
tete, wo er Adel und Volk durch Hunger und Durft, durch Feuer 
und Schwert umkommen oder in dumpfen Kerfern verfaulen ließ 
und unjchuldige Knaben entmannte! Wer zittert nicht bei dem 


1) hier fo viel als die Mark von Trevifo. — 2) d. i. Ezzelino. 


1312 


1312 


Apr. 


368 Erftes Bud). 


Gedanken, daß ein Krieg ung abermals einen derartigen Herricher 
bringen könnte? Großmächtig fteht der Kaifer in der Lombardei 
da und ift Herrn Canis und deſſen Partei gewogen. Deshalb, 
ihr Jünglinge, welche ihr in Friedengzeiten groß geworden und 
der Kriegskunſt unfundig jeid, bemüht euch, den Frieden wieder- 
herzuftellen. Denn leicht fönnte im Kriege euer jugendlicher Feuer: 
eifer ung zu runde richten!“ 

Als fie Died vernommen, lachten die Yünglinge der reife 


und ſprachen: „Kindiſch find fie, da fie fein Verlangen haben, fich 


an Padua's Feinden zu rächen. Deshalb wollen wir lieber bei 
den Jüngeren Rath juchen, die danach brennen Bicenza wiederzu— 
gewinnen und mit Ehren zu leben.” 

Bon diefer Zeit an war jeder, der es mwagte in Padua von 
Frieden zu reden, feines Lebens nicht mehr ficher. 

17. 1312. Tod des Herrn Rizardus de Camino. 
AL der edle Mann Herr. Rizardu8 de Camino, ver faijerliche 
Statthalter in Treviſo, einft, wie e8 bei adligen Herrn Sitte ift, 
zum Zeitvertreib beim Schach jaß, nahte fih ihm ein Bauer, zog 
unverjehens unter jeinem grauen Kittel ein Beil hervor und fpal- 
tete dem Edelmann das Haupt. Die Umftehenden rifjen ven 


Thäter jogleih graufam in Stüde. Dem Tode nahe, rief ver 


Edelmann: „Wo ift der, welcher mich jo tückiſch verwundet hat?“ 
„Er it todt*, antwortete man ihm. „Kann man nicht vermuthen“, 
fragte der Wunde weiter, „mer ihn zum Morde angeftiftet hat?“ 
Einer jeiner Ritter entgegnete: „Kein Geheimnis bleibt unaufges 
klärt! Schon raunt man fi zu, die That jet auf Anftıften einiger 
Edlen von Trevifo gejchehen, die euch vor Anderen nahe ftanden!” 
Da wandte fid) der Edelmann zu Gott und rief: „Ganz Trevifo, 
fürdte ih, wird für die Schandthat Einzelner büßen müſſen“, 
neigte da8 Haupt und gab feinen Geift auf. Auf allgemeinen 
Wunſch warb nad feinem Tode fein Bruder Guezilus Herr in 
Treviſo. Solches geſchah im April des Jahres 1312. 

18. 1312. Einnahme von Mota, Kämpfe bei 
Duartefolum und Anderes. — Stattlich zu ſchauen, zog 


Einnahme von Mota x. 369 


Herr Canis mit den Mantuanern, Beronefen, Bicentinern und 
Anderen nach Cervarefiumt), belagerte und erftürmte die Burg 
Mota und fchidte Herrn Demitrius, den Befiter der Burg, als 
Gefangenen nach) Vicenza, wo derjelbe im Kerfer ftarb. Auf diefe 
Kunde eilte Herr Guezilus de Camino ohne Säumen nad) Padıra 
und bot ſich zum Bundesgenofien an. Herr Canis aber ging, 
nachdem ev Mota und Alles, mas dazu gehörte, verbrannt hatte, 
nad) PVicenza. Später zerjtörten die Paduaner noch die letzten 
Reſte der Burg. — Dies geſchah im Mai vefjelben Jahres. 

Am eriten Juni nahmen die Baduaner, mit Herrn Frances- 
chinus, dem Markgrafen von Ejte, und Herrin Guezilus von Ca— 
mino vereint, bei Quarteſolum Stellung. Als von hier aus ein 
Ritter aus der Umgebung des Podefta mit einigen Berittenen und 
Fußtruppen auszog, um die Feinde zu ſchädigen und die Befefti- 
gungen von Longare angriff, Iprengte plöglic Herr Canis von 
Bicenza aus herbei, ließ die Brüde, welche dazu eingerichtet war 
in die Höhe gezogen zu werden, nieder und ftürzte fi auf die 
Feinde, die er ſogleich in die Flucht warf. In dieſem Scharmüsßel 
fiel jener Ritter au der Begleitung des Podefta Namens Trondus 
de Eapite Baccae; Bartholomäus a Palatio aus Berona gerieth 


1312 


Mai 


Junil 


in Gefangenſchaft und ſtarb im Kerker, während Johannes de Kau= 


dalonga, welcher auch gefangen wurde, von Canis ohne Löſegeld 
in Freiheit gejegt ward, weil der Vater des Johannes ihm einft 
einen Dienft erwieſen hatte. Don den Fußfampfern ertranfen un— 
zählige im Fluſſe, während fie ſich über die Brüde von Sacoli?) 
zu vetten verjuchten. Plötzlich aber traten die Paduaner, die mit 
dem Hauptheer den fliehenden Ihrigen zu Hilfe famen, den Feinden 
entgegen und zwangen diefelben zu jchimpflichem Nüdzug. Hierbei 


fiel Pancetta de Schinellis, ein paduanischer Nebel. Die Paduaner 


nahmen darauf am Fluſſe bei Longare Stellung, in der Abficht 
hinüberzugehen, was ihnen aber nicht gelang, weil Herr Canis 


1) Cervarefe Santa Eroce am Bachiglione auf der Grenze zwiſchen dem Paduanifchen 
und Bicentinifchen Gebiet. — 2) wohl Secula am linken Ufer. de3 Bacdhiglione Longare 
gegenüber. 


Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 24 


1312 


Juni 


Aug. 


Sept. 


370 Erſtes Buch. 


mit feinen Truppen am anderen Ufer ſtand. Deshalb zogen fie 
nach Padua zurüd, nachdem fie noch den Gipfel von Mons Galdae 
befeftigt hatten. — Died geſchah im Yun. 

Nach diefer Heimkehr wurden viele reihe Bürger, unter der 
Beihuldigung Anhänger Herrn Canis zu fein, in die Verbannung 
geſchickt. Ihre Neichthümer trugen einige gemifjenlofe Bürger un— 
gerechter Weile davon. — Hierauf begaben ſich die Paduaner aufs 
neue unvermerft nad) Longare, ſchlugen jehnell eine hölzerne Brüde, 
überfchritten den Fluß und nahmen in Longare Stellung. Beim 
Flufübergang traten ihnen einige vicentiniſche Berittene entgegen, 
welche von ihnen ſchmählich zurüdgemorfen, zum Theil auch getödtet 
oder gefangen wurden. Hierauf verbrannten die Paduaner alle 
Dörfer der Beregat) bis Lontcum ?). 

In dem gleichen Jahre und Monat eroberten die Paduaner 
Pojana und belagerten die Burg, melde fich, ohne Hoffnung auf 
Erſatz, ergab, nachdem der Beſatzung Sicherheit des Lebens zuge- 
ftanden worden war. Doch fam ihr dies nicht zu gute und auch 
die Burg ward verbrannt. Das geihah im Auguft 1312, als 
Herr Jacobus de Rubeis aus Florenz Podeſtà war. 

Im näcften Monat ritten die Paduaner gegen Billa-Verla 
aus und verbrannten Alles bi8 an die Thore von Vicenza. End» 
lich kam Herr Canis aus diefer Stadt heraus, ging aber nicht 
weit vor. Herr Guecilus de Camino hätte ihn gern angegriffen; 
nad dem Kath der Savit aber gab er megen der Nähe von Vi— 
cenza fein Vorhaben auf. Um Herrn Guecilus de Camino eine 
ehrenvolle Aufmerkſamkeit zu ermeijen, übertrugen ihm die Padua— 
ner die Befugnis ihren Podefta zu wählen. Seine Wahl fiel auf 
Herrn Bornius de Samaritanid, einen ehrenwerthen Bürger aus 
Bologna. 

Im Monat December des nämlichen Jahres ergriffen die 
Edlen von Terbirium 3), nämlich Graf Rambaldus t), Guido Ad— 
vofatus, Alterinus de Azzonibus, Petrus de la Parte, Tolbertus 


1) d. i. der Monti Berici. — 2) Lonigo in den fildweftlichen Ausläufern des Ge— 
birges. — 3) d. i. Treviſo. — 4) von Eollalto. 








Einnahme von Mota x. 371 


de Scalzonibus und Andere die Waffen unter dem Ruf: „Fort 1312 
mit Herrn Guecilus de Camino, auf daß unfere Sadt ein freies 
Gemeinwejen bleibe.” Die Paduaner braden zwar, in dem 
Wunſche dem Bedrohten beizuftehen, nach Treville auf, doch hatten 

fie feinen Erfolg, denn jener war bereits vertrieben. 

19. Ueberlieferung von Lucium an Herrn Canis 
und andere Unternehmungen im Gebirge Noch in 
demfelben Yahre und Monat, während Herr Bornius de Sama= Der. 
ritanis aus Bologna Podefta war, überlieferte Herr Nicolaus de 
Lucio fih und feine Veſte Herren Canis. Died war der Anlaf 
zur Verheerung aller Dörfer von Pedevenda. Auch Lucium ſelbſt 
ward auf Herrn Canis Befehl zerftört, während Nicolaus fammt 
feinem Freunde Antonius de Curterodulo in Padua geächtet, fein 
Haus zerftört und fein Vermögen eingezogen ward. Das padua—⸗ 
niſche Heer aber z0g auf die Kunde vom Abfall von Lucium fofort 
nah Eft, ariff das Kriegsvolk des Herrn Canis, melches in den 
Bergen ftreifte, an und warf dafjelbe in die Flucht. Einige Ge— 
fangene wurden aufgehängt. Da jedoch die Paduaner einfahen, 
daß fie Lucium gewaltſam nicht wiedergeminuen fünnten, vitten fie 
insgeheim über die Abtei) nach Portum Lignacum?). Als dieſer 
Flecken ſich hartnäckig wehrte, verbrannten fie viele prächtige Ort— 
Ihaften und fehrten dann beutebeladen nach Eft heim. — Dies 1313 
geihah am 2. Februar 1313. hr. 2 

In dem gleihen Monat machte die Kegierung von Padua Hr. 
einen Anjchlag auf die Vefte Brazolum, welche ihnen der Befiter, 
Sulimanus de Rojfis, nicht überliefern wollte, ſodaß fie gezwungen 
waren, diejelbe ald Feinde zu belageın. Da Sulimanus die Ueber- 
macht der Belagerer erkannte, überlieferte er, nachdem er ſich aus- 
bedungen an Perfon und Habe ungefränft zu bleiben, fein Schloß. 
Obwohl man ihm dies zugeftanden, wurde er getöbtet, Das 
Schloß aber zerftört, jein Vermögen eingezogen, feine Söhne ge- 
achtet. 


1) Gemeint ift die Abtei PVangadicia, wie Muffato Buch 12 Kap. 1 zeigt. — 
2) Legnago. 


24* 


1313 
Juni 


Juli 


372 Erſtes Buch. Tod des Kaiſers. 


Im Juni deſſelben Jahres zogen die Paduaner gegen Archole 
aus und gewannen nach einem glücklichen Treffen den Ort. Bei 
dem Heere befand ſich der Graf von Sanct Bonifacius, welcher, 
von dem Wunſch beſeelt in ſeine Heimath zurückzukehren, die Pa— 
duaner lebhaft vorwärts drängte. 

Am nächſten Tage ſtand das Heer vor den Thoren von 
Verona, verbrannte Montorium!), Bonalbergum?), Illartum ?) 
und Suavium 9, Archole, Villanova und viele andere Ortſchaften 
und kehrte dann nach Montagnana zurück; von hier aus aber be— 
gab man ſich wieder nach Padua aus Beſorgnis vor dem Grafen 
von Görz, welcher ſich rüſtete, Herrn Canis gegen Tarviſium zu 
Hilfe zu kommen. 

20. 1313 Juli. Der Graf von Görz ſchlägt Die 
Trevifanen. Weil die bevorftehende Anfunft des Grafen von 
Görz als Bundesgenofjen Herrn Canis' allgemein befannt war, jo 
zogen die Paduaner nad) Baſſanum, die Trevifanen aber in die 
Gegend des Monteganus?), und zwar nad Marum 6). Ihnen 
jandten die Paduaner Hundert ihrer trefflichften Ritter zu Hilfe. 
Als nun der Graf von Görz fid) ihrer Aufitellung näherte, befahl 
er Conrad de Ovenftagno und einem anderen Edelmann Namens 
von Guaſame7) mit ihren Fähnlein den Monteganus zu durch— 
ſchreiten. Zwar traten denjelben bier die Pabuaner und Treviſanen 
mannhaft entgegen, jchlieglich aber gewann das trefflich bewaffnete 
Heer des Grafen die Oberhand und marf die Gegner ſämmtlich 
in die Flucht, wobei eine große Zahl derjelben den Tod fand 
oder in Gefangenschaft gerieth. Viele ertranfen auch im Plavis. 
Unter den Erjchlagenen befanden ſich Martinus de Zacchis und 
Ugo de Madaruffis. UWebrigens fielen auch einige deutiche Edle 
in der Burg von Sanct Salvator in die Gefangenſchaft des Grafen 


1) Montorio Beronefe — 2) San Martino buon Albergo. — 3) Illaſi — 4) Soave. — 
5) Montigano r. Nebenfluß der Livenza; fo richtig eine von Muratori verglichene Hſ.; 
der Tert fäljchlich Montagnana (Tiegt bei Legnago). — 6) Andere Handidrift: Maroni 
und Marini; gemeint ift wohl das Oertchen Maron wenig ſüdöſtlich von Conegliano. — 
7) Gemeint ift wohl Ulrich von Waldjee, welcher noch nad) Kaifer Heinrihs Tode in 
den Wirren der Marf Trevifo neben dem Grafen von Görz eine Rolle fpielte. 





Der Graf von Görz jchlägt die Trevifanen. 373 


Kambaldus. Herr Canis verftieg fih in Folge des Sieges zu den 
fühnften Hoffnungen und ſah Padua jchon zu feinen Füßen Liegen; 
aber der Graf von Görz, welcher behauptete, Herr Canis habe 
jeinen Deutſchen nicht in jeder Werfe das, was ihnen zufam, ges 
leiſtet, zog, da überdies feine Pferde faft fammtlih von einer 
Seude, melde PBevane!) heißt, ergriffen wurden, nachdem er in 
der Gegend von Treviſo vielen Schaden angerichtet hatte, nad) 
Görz heim. Solches gefhah im Juli des Jahres 1313. 

21. 1313 am Bartholomäustage, im Auguft: 
Tod des Kaijerd. — Als die Paduaner mit einem ftattlichen 
Heere bei Monsbellus im Gebiet von Vicenza lagen, trat ein Bote 
zu ihnen und meldete: „Der Kaiſer hat Florenz belagert, deſſen 
Bewohner fih in ihrem Mauernring verborgen gehalten haben. 
Nachdem er aber die Belagerung aufgehoben, ift er von einer 
Krankheit befallen worden und bat der Natur feinen Tribut gezollt. 
Seine Leiche Liegt in Bonconventum”. Dieſe Nachricht erregte bei 
ven Paduanern ungeheuren Jubel und man beging in Padua ein 
Freudenfeſt. Der Kaiſer ftarb aber im erwähnten Jahre im 
Monat Auguft am Feſttage des heiligen Bartholomäus. 

1) So iſt zweifellos zu leſen ftatt pejane und prune, was die von Muratori be= 


nutsten Hſſ. bieten. Pedana ift eine Pferdefrankheit, welche zunächit die Füße der Thiere 
befält. 





1313 


Juli 


Aug. 24 











III. 


Aus der Geſchichte des Ferreto von Vicenza. 





Aus der Vorrede zum ganzen Werk. 


.... Nachdem wir bislang uns Lediglich der Poeſie befleigigt und 
in dieſer Kunft, wie e8 unfere Art ift, auch etwas geleiftet, haben 
wir jegt diejelbe verlafien, weil fie wegen der Silbenmefjung und 
des Rhythmus die ſchwierigſte von allen ıft, und und nad) kurzer 
Pauſe zu derjenigen Kunft gewandt, welche nad) Aller Urtheil zu= 
oleich ergöglih und leicht ift. Das ift die Hiſtorie, welche nicht 
nur den Gefchiehtichreiber, fondern auch den Leer und Hörer wun— 
derbar anzieht. Hier kommt es nur darauf an, auf die rühm- 
lichen Thaten edler Menſchen hinzuweiſen und diefelben der Wahr- 
heit gemäß zur Darftellung zu bringen. So bat 3. B. der pa- 
duaniſche Dichter und Geſchichtſchreiber Albertinus Muſſatus, in- 
dem er den leichteren Theil unferer Kunft auf fi nahm, Die denk— 
würdigen Ereigniffe feiner Zeit, von dem römischen König Hein- 
ri) VII an, aufgezeichnet. Vielleicht haben fich mit demfelben 
Stoffe auch Andere abgegeben, deren Werfe noch nicht herausge— 
geben worden find, weil noch täglich die mannihfachflen Ereigniſſe 
ſich wollziehen und es nicht rathſam iſt dem Publikum Dinge, 
welche noch in der Entwidlung find, zu jchildern. Albertinus da— 
gegen hat, von Ruhmſucht getrieben, fein Werk, nachdem er e8 
faum begonnen, wenn auch nicht herausgegeben, jo doch vielen ge- 
zeigt. Trotzdem bat er nicht nachgelafjen dieſem feinem Werk feine 
Aufmerkſamkeit ganz und ungetheilt zuzuwenden, bis er, etwa 
ſechzig ) Jahre alt, zu Clugia?) um Benettanifchen fein Leben 
bejhlofien hat. Meiner Anficht nad) war diefer Mann zur Ge: 
ſchichtſchreibung ganz bejonders befähigt, zunächft wegen jenes be- 
jonnenen, verftändigen Wefens, ſodann auch wegen feiner fleigigen 


1) richtiger: fiebenzig. — 2) Chioggia. 


378 | Borrede. 


Vectüre vieler Schriftwerfe und endlich weil er, der im Rathe 
ſeines Gemeinweſens ſaß und daſſelbe heilfam berieth, vieles jah 
und erfuhr, was nicht Jeder hätte in Erfahrung bringen fönnen. 
Weil er nun aber feine Augen gejchlofjen hat und e8 nicht mehr 
als billig ift daß den mannhaften Thaten unferer Tage ein rüh— 
mendes Denkmal gejegt werde, jo haben wir beichlofien, ſoweit 
uns der heilige ©eift begnadigen und fürdern wird, diefelben aufs 
neue zu beleuchten, damit es nicht den Anjchein gewinne, als ob 
wir in unfruchtbarer träger Muße und von den Werfen der hehren 
Tugend Losgefagt hätten. _ Denn wozu nügt das Talent, wenn es 
nicht öfter zur Bethätiqung fommt? Es ſchwindet dahin, während 
es nie fi) abnugt, wenn wir thätig find. Wir werden aber, damit 
unſer Geſchichtswerk um jo zuverläffiger werte, nicht nur den Vers 
(auf der Dinge ſelbſt der Wahrheit gemäß ſchildern, ſondern auch 
die Zeitumftände und die örtlichen Verhältniſſe nicht außer Acht 
laſſen. Vor allem aber jol Misgunft und Abneigung uns fern 
bleiben und ebenjowenig jollen Gunft oder Furcht und bewegen die 
Wahrheit zu fälihen. Denn wer herrlihe Thaten in ihrem Ver— 
lauf zu ſchildern unternimmt, dem fteht e8 nicht an die Pfade der 
Wahrheit zu verlaſſen; die Geſchichte verabſcheut Erdihtung und 
feige Abſchwächung ver TIhatjachen und verlangt untadlige Treue. 
Berleihe uns daher Muth, o Göttin der Weisheit, vericheuche Die 
Nebel der Unmifjenheit und erleuchte unferen Geiſt mit dem Strahl 
veines Glanzes. Und du, trefflichiter der DVicentiner, deſſen Mah— 
nung und angetvieben hat dies Werf zu unternegmen !), an deſſen 
emfige Ausarbeitung wir viel Schweiß und Nachtwachen verwendet 
zu haben vermeinen, laß in berebten verftändigen Worten verlauten, 
was du von den Zeiten Friedrichs ded Zweiten an vernommen 
und der MUeberlieferung werth erachtet haft. Denn, wenn dem 
Schriftfteller Lob gebührt, jo wird dir und mir gemeinfam dieſes 
Werk unermefjlichen Ruhm einbringen. 


1) Wer gemeint ift läßt ſich nicht erfennen. 





Ta u — 





Viertes Bud). 


1. Borrede, — Wahl König Heinrichs; ſeine Reichs— 
verwaltung und ſein Eintritt in Italien. 


Haben wir bisher ſolche der Erwähnung werthe, rühmliche 
wie unrühmliche Ereigniſſe aufgezeichnet, welche ſich theils in frühe— 
ren Zeiten, ehe wir noch das Licht der Welt erblickt, theils auch 
nach unſerer Geburt in unſeren Knabenjahren zugetragen haben, 
ſo wollen wir von jetzt an dasjenige, was in unſeren reiferen Jah— 
ren dem Geſetze des Schickſals gemäß unter den Italiern ſich er— 
eignet hat, fleißig und gewiſſenhaft zur Darſtellung bringen. Und 
damit dieſen unſeren Aufzeichnungen als wahrhaften ein um ſo 
größeres Maß von Glauben entgegengebracht werde, ſo geſtehen 
wir hier, daß wir nichts Erdichtetes niedergeſchrieben noch auch zu 
Gunſten irgend Jemandes oder in dem Beſtreben Wohlgefallen bei 
den Leſern zu erwecken die Wahrheit gefälſcht haben. Denn die 
Geſchichte darf nicht verſchleiert werden. Das kommt vielmehr dem 
Dichter zu, welcher um Beifall zu finden Wahrheit und Dichtung 
vermiſchen muß; der Geſchichtſchreiber großartiger Begebenheiten 
dagegen muß der reinen Wahrheit nachgehen und ſich weder durch 
Liebe noch durch Haß ablenken laſſen, um nicht das Zutrauen der 
Leſer thöricht zu verſcherzen. Weshalb freilich der Geſchichtſchreiber 
zuweilen die Wahrheit fälſcht, iſt mir nicht unbekannt 1); denn bei 


1) Das ‚nit‘ glaube ich des Sinnes halber einſchieben zu müſſen. 


1308 


1308 


350 Viertes Bud. 


unferen Fürften gilt tugendhafte Weisheit nicht viel: anftatt den 
eg der Tugend zu wandeln und fi) Ruhmeskränze um das 
Haupt zu flehten, gehen fie nur ihren Lüften nah, haſſen und 
unterdrüden die Gerechten, hegen und pflegen dagegen Die Gott: 
loſen. Würden auch gelehrte Studien belohnt werden, jo wäre die 
Zahl der Schriftfteller größer; aber heutzutage trachtet man nur 
nad) den Ehren melche der Reichthum befcheert. Daher treten wir 
mannhaft an das Werf heran, welches wir in unferem Inneren 
bereits geplant haben, und nehmen einzig die Wahrheit der That- 
jahen zur Richtſchnur, ohne ung von Leivenichaften irre machen 
zu laſſen. Allerdings iſt in unferem Lande die Zahl derer nicht 
flein, welche dazu gejchritten find dieſe Laft auf fih zu nehmen, 
aber durch ihre praftifche Thätigkeit allzufehr in Anſpruch genom- 
men haben fie den dornenvollen Weg verlaffen und ſich Lieber da— 
vauf gelegt, in ängftlicher Haft Schäte zu erwerben und zu be- 
wahren, Aber wahrhaftig, wahnwitzig ift der Ehrgeiz, welcher es 
verſchmäht Durch ein tugendhaftes Streben unauslöſchlichen Ruhm 
zu erwerben. Freilich rühmt jedermann die Rechtlichfeit und felbft 
der Unredliche jchlägt die Gerechtigkeit nicht gering an, aber nur 
der Früchte wegen, welche auf ihrem Boden reifen: die Hungernden 
ſoll fie fpeifen, die Dürftenden tränfen, die Nadten befleiven. So 
fann weile Mäßigung keine Wurzeln ſchlagen und verſchwindet bald 
wieder. Wer Dagegen aus innerem Triebe ſich dem Studium zu: 
wendet und von ihnen nichts außer Ruhm erwartet, der findet feine 
Luft in dem Werk felbft; fein Lohn ift das Lob, melches dieſes 
erwirbt, und die aus löblichem Streben erwachſene Hoffnung, einen 
gefeierten Namen zu erwerben. Wie anders der Auf, welcher Durch 
Zrug und Verbrechen erworben die Welt durhftrömt zur immer 
neuen Schande des Verbrechers, deſſen Namen er mit der Erinne 
rung an bfutige Thaten verknüpft. Sollte aber unfer Mühen, 
welches das allerftärkite ift, weil Körper und Geift gleihmäßig in 
Mitleidenſchaft gezogen werden, überhaupt Keinen Lohn in ſich tra= 
gen, dann könnte man nicht umhin die gefammte Werfftatt geiftiger 
Arbeit gänzlich zu ſchließen. Doch foll man den, der in einem 














Vorrede. — Wahl König Heinrichs ac. 381 


folhen Werke nicht weit vorzujchreiten vermag, nicht tadeln: «8 
genügt auch nur verfucht zu haben die Bürde eines jolden Ger 
wichtes zu fchleppen. — Sp wollen wir denn, wenn Gott uns auf 
unferem Wege geleitet, jetzt Jo jchnell wir vermögen rückblickend be= 
richten, wer von den Fürften nach Albrechts Ermordung zum Cä— 
far erwählt kraftvoll Stalten betreten und was derſelbe zuerft in 
Lombardien und ſodann voll Sehnjucht nach dem Site der Kaiſer— 
hoheit in Kom und auf dem Rückwege ausgerichtet hat und welcher 
Ausgang ihm beichteden geweſen tft. — 

Nach der Ermordung Albrechts treten diejenigen Yürften Ger: 
mantens, denen die Befugnis übertragen ift einen König zu wählen, 
zu dieſem Zwede zufammen. Indem fie ſich nun, angetrieben von 
den übrigen Fürften und in dem eifrigen Beftreben einen gerechten 
und waderen Fürften zu erheben, welcher es fich angelegen jein 
ließe das Scepter des Reiches freudig und fräftig zu handhaben, 
mit der peinlichften Sorgfalt diefer jo überaus ſchwierigen Ange 
legenheit unterziehen, findet endlich, nachdem fie mehrfach zur Bes 
rathung zufammengefommen und, um ja nichts zu verfäumen, eine 
große Reihe deutſcher Fürften im Geifte an ſich haben vorüber— 
ziehen Lafjen, Graf Heinrid) von Tügelburg allgemeine gern ertheilte 
Zuftimmung. Freilich bemühten fi ſowohl Friedrich, der Sohn 
König Albrechts, als auch der Baiernherzog Audolf den königlichen 
Titel zu gewinnen; als e8 aber zur Entſcheidung fam, erfannten 
die Wähler falt einftimmig Heinrich die Krone zu, auf daß feiner 
von jenen beiden den anderen beneide. Und wenngleich beiden an 
Macht nicht gewachſen, nahm Heinrich es mit venjelben an Kraft 
des Körpers und des Geiftes auf. Einem nicht ruhmlofen Ges 
ichlechte entiprofjen, ftand Heinrich) vor Allen im Rufe eines kriegs— 
tüchtigen und zugleich Elugen, wol berathenen Mannes. In früher 
Jugend vermählte ihm ver Herzog von Brabant feine Tochter 
Margaretha; derſelbe trug auch nicht wenig dazu bei, daß Heinrid) 
zum Gipfel der Katferhoheit emporftieg ). Wir können uns hier 


1) Dies foll fih wohl auf die vermeintliche Theilnahme des Brabanter8 an der 
NRomfahrt beziehen ; vgl. unten. 


1308 


1308 
— 1309 


WE 


- 


22 = Biertes Bud). 


jedoch durz faſſen, weil dieſe Verhältniſſe von Albertinus Muſſatus, 
dem Dichter und Geſchichtſchreiber Padua's, eingehend beſchrieben 
worden find. Dieſer nämlich ging als Geſandter ſeiner Vaterſtadt 
an den Hof des römiſchen Königs und konnte deshalb die Vorge— 
ſchichte deſſelben, welche uns unbekannt iſt, bis ins einzelne erfahren 
und auf Grund ſeiner Erkundigungen dann wahrheitsgemäß nieder— 
ſchreiben. Seine Arbeit nämlich beginnt bei der Herkunft des 
Königs mit ven Worten: „Lützelburg iſt eine Stadt an der Grenz— 
ſcheide zmifchen den Franken und Germanen” etc.), wie mir 
wenigftens gehört haben, denn vor die Augen gefommen ift und der 
Anfang feines Werkes nicht 2). — Zunächſt begab ſich nun der neu 
erwählte Cäſar der Sitte gemäß nad) Aachen, um als erjten den 
Schmud der filbernen Krone?) entgegen zu nehmen; als dieje feit- 
liche Handlung, der fich der erlauchte Herrſcher nicht entziehen darf, 
vollzogen war, wandte er, von den Fürſten umbdrängt, feine volle 
Sorgfalt auf die Heilung aller Schäden in der Regierung und 
Verwaltung des Reiches. Bei diefer Gelegenheit ergeht wider den 
oben erwähnten Johannes #) ein VBerdammungsurtheil, welches ihn 
als des Verbrechens der beleidigten Majeftät ſchuldig aus feinem 
Baterlande verbannt und feiner ganzen Habe beraubt. Daß der 
König aber diefe Habe, wie ferne Abficht mar, zum Staatseigen- 
thum ſchlage, Titten Friedrich und Lipold die beiden älteften Söhne 
Albrechts nicht, indem fie das für ungeſetzlich erklärten, da Parri- 
cida von Rechtswegen feinen Anſpruch auf Theile des Beſitzes 
ſeines Großvaters und feines Oheims 5) gehabt habe. Da e3 den 
Brüdern auch nicht an Fürſprechern fehlte, jo wurde die wichtige 
Angelegenheit einftweilen unerledigt gelafjen und meiterer unpartet= 


iſcher Erwägung anheimgeftellt. Hierauf Liegen die Yürften die 


1) ©. o. Alb. Muff. Buch I Kap. 1 (Statt dividens des Muſſ. hat Ferreto diri- 
mens). — 2) Ueber dieſe Stelle vgl. die Einleitung. — 3) Bezeihnung der römischen 
Königstrone im Gegenſatz zu der „goldenen“ Kaiferfrone. Webrigens ift „filbern” bildlich 
zu nehmen, denn auch die Königskrone war golden. — 4) d. i. Johannes Parricida, der 
Mörder König Albrehts I, von dem am Ende des dritten Buches die Rede war, — 
5) d. i. der Könige Rudolf und Albrecht; welchen Theil der habsburgifchen Erblande 
Johann beanspruchte, ift nicht mit Sicherheit auszumachen. 











Borrede. — Wahl Königs Heinrichs ꝛc. 383 


Ueberrefte Adolf, welcher fern von den Grabmälern der erlauchten 1309 
Cäſaren an dem Orte, wo ihn fein Geſchick ereilt hattet), ſchmuck— 
[08 beftattet war, zum kaiſerlichen Tempel von St. Dionys ?) 
bringen. Ste jelbft nahmen den filbernen Sarg, der feine Gebeine 
barg, nachdem eine Todtenfeier ftattgefunden hatte, auf ihre 
Schultern und trugen ihn bis zum Sarkophag, woſelbſt fie ihn der 
Erde übergaben. Alsbald bitten Lipold und feine Brüder, voll 
Eiferſucht, inftändig daß gleiche Ehre den Keften ihres Vaters zu 
Theil werde, der doc ebenfalls Cäſar geweſen und als römischer 
König geftorben ſei. Der neu erwählte König aber jchlug es ihnen 
anfangs ab, daß AlbertS Leiche in die Gruft der felgen Herricher 
gebracht werde, weil er ungerechter Weife mit den Waffen feinen 
Herrn überwunden habe; jchließlich ließ er fich, während er dabei 
blieb, Albert die unverdiente Ehre einer erneuten Beifegung zu ver— 
lagen, wenigftend erbitten, die Kinder Albrechts zu alleinigen Erben 
des großväterlichen und väterlichen Nachlaſſes einzujegen, womit er 
ihnen das größte Geſchenk, welches die königliche Freigiebigfeit zu 
verleihen hat, gefpendet zu haben glaubte. Dennoch Liegen Die 
Sünglinge nicht ab ihn mit Bitten zu beftürmen, bi8 er ſich über- 
reden ließ und erlaubte daß die faulende ſchon der Verweſung an: 
heimgefallene Leiche Albrechts in die Kaiſergruft geichafft werde; 
doch ließ er derſelben nicht gleiche Ehre wie derjenigen Adolfs 
widerfahren: denn fein anderes Metall als Blei durfte ven Leichnam 
einjchliegen; auch hob er den Sarg nicht auf die eigene Schulter 
und ließ ſich nur herbei der Todtenfeter jeine Gegenwart zu ſchenken. 
Inzwiſchen entbietet der König alle Großen bis zum Rhodanus 
im fränfiichen Lande ſowie in Germanen felbft zu fih, faßt im 
Einvernehmen mit dem verjammelten Senat der Fürften?) feine 
Beihlüffe und erwägt die Nothdurft des Reichs in emfiger Sorg- 


1) Adolf fiel am 2. Zuli 1298 in der Schlacht am Hafenbühl bei Gölfheim (zwiſchen 
Worms und Kaiferslautern); er ward in der dem Schlachtfeld benachbarten Abtei Rofen= 
thal beigejegt. — 2) Gemeint ift der Dom zu Speyer, melden Ferretus hier mit der 
Begräbnisftätte der franzöfiihen Könige in der Abtei Saint Denis bei Paris zu ver. 
wechſeln ſcheint. — 3) patres conscripti, eigentlih der techniſche Ausdruck für den rö— 
miſchen Senat des Alterthums. 


1310 


384 Viertes Bud). 


falt. Zunächſt beſchloß man, in geheimem Schreiben dem Inhaber 
des apoftoliichen Sitzes Clemens, welcher damald zu Avignon ve 
fivierte, „die Königswahl anzuzeigen, und zu erfunden mie weit er 
Willens ſei vdiefelbe zu genehmigen. Zuvor aber mar bereits 
König Philipp von Frankreich unterrichtet worden, und biejer, bei 
dem Heinrich in feinen Sünglingsjahren in hoher Gunft gejtanven 
hatte, ftimmte auch den apoftoltiichen Stnhl günftig für denjelden. 
Sodann ernennen die Fürften Geſandte, welche fih nah Italien 
begeben jollen, um den Völfern Die Ankunft des Cäſars, welcher 
dem Unfrieven in der Lombardei ein Ende zu machen und dann 
zum Site der Kaiſerhoheit zu eilen Willens jet, zu melden und 
zu Gehorfam und geziemenden Dienjtleiftungen gegen ihn aufzu— 
fordern. Acht Männer, namlih die Biſchöfe von Conftanz und 
Bajel und durch treffliche Begabung und edle Abfunft hervorragende 
Kehtsgelehrte und Kitter, wurden für diese Gejandtichaft aus— 
erlefen, empfingen ihre Weifungen in öffentlichen Urkunden, be= 
gaben ſich ungeſäumt und ohne Aufenthalt zunächft in die Lombardei 
und bejuchten von dort aus die Städte Liguriend und der Aemilia 
und die Site, melche von den Berggipfeln Galliend an die Ebene 
zwilchen dem Apenninus und den illyriichen Golf bededen, um 
überall zu melden, der Cäfar nahe, und in öffentlihen Exlafjen 
Ale zu ehrerbietigem Empfang ihres Herrn aufzufordern. Ge— 
waltige8 Staunen ergriff ganz Lombardien, melches ſeit Friedrichs 
Zeiten von feinem Kaiſer gehört noch einem folchen gehorcht hatte. 
Insbeſondere aber regte ſich bei den Gewaltherrſcherrn, deren 
tyranniſches Walten ganz Italien verlette und yeinigte, Die Sorge. 
Denn damald gebot der gewaltthätige Guido de la Zurre über 
Mailand, welches bereits etwa act Jahre lang (jeit dem Tall 
des Maphäus) feine grimme drückende Tyrannei ertrug, Die neuer- 
dings auch Pergamum fi) unterworfen hatte. In ähnlicher Weife 
berrfchte über Bercelli und Novara Simeon de Colubiano, über 
Piacenza Albertus Scottus, über Pavia Philipponus, über Como 
Martinus Lavetarius, über Barma Guibertus de Corrigia, über 
Mantua Raynaldus Pafjarinıs, über Verona Albuinus Canıs, in 








r se —— 








Wahl König Heinrichs ꝛc. 385 


Bicenza hatten die Paduaner die Herrihaft; über Tarviſium 
waltete al8 milder Herricher Rizzardus de Camino; in Brixia 
übernahm Maphäus de Mazii nad) dem Tode feines Bruders 
des ruhmvollen Biſchofs Beraldus!) die Herrihaft; in Cremona 
ftand zeitweilig die Gewalt beim Volfe, doch war der Einfluß, den 
die Bornehmen als Privatleute ausübten, jehr beveutend. Die 
Häupter des Adels waren Jacobus und Gulielmus aus ver 
Tamilie Cavalcabos. Lodi und Crema hatte Antonius de Firxiratico 
inne; in Modena und Reggio behauptete fich, freilich in fteter 
Furcht bald vor Guibertus bald vor Bologna, die Adelspartei, 
während von allen Städten der Aemilia eine einzige, Bologna fic 
eines freien demokratischen Gemeinweſens erfreute. Doc, auch Benedig 
und Padua am illyrifchen Geſtade, wo, wie die Sage berichtet, 
nad) der Zerftörung von Troja Antenor zuerft Niederlaſſungen ge= 
gründet bat?), blühten in ungeftörtem Frieden auf. Ferrara und 
die Romandiola hielt die Macht des Herzogs von Apulien in ber 
Abhängigkeit vom apoftoliihen Stuhle feft. Florenz dagegen, der 
Wollfabrikation eifrig befliffen, hatte, nicht Willend den Uebermuth 
der Bornehmen zu dulden, viele derjelben vertrieben und das Volt 
zum Regenten eingejeßt ?). Die Lucchefen und Pifaner Tiefen dem 
Adel die herrſchende Gewalt. Wo das Bolf herrichte, da pflegten 
Die Mächtigen verbannt und vertrieben zu werden; mo aber 
tyrannifcher Wahnfinn den Staat Ienfte, da wurden die guten 
Patrioten verjagt und jedermann lebte in beftändiger Angft und 
Sorge, am meiften die Gewaltherricher jelbft, deren Stellung überaus 
gefahrvoll war, indem fie beftändig gewärtig fein mußten plötzlich 
zu fallen und fi in der eigenen Schlinge der bei ihnen fo jehr 
beliebten Liſten zu fangen. 

Ganz beſonders aber fürdhtete der bereits erwähnte Guido, 
als welcher das mächtigfte diefer Häupter war, die Ankunft des 
Könige. Er wendet fid) daher angfterfült an Philippo Albertus 


1) Diefer ftarb 1308, ihm folgte Friederich, ein Angehöriger deſſelben Geſchlechtes. — 
2) Bal. Livius I, 1. — 3) Durch den Aufftand vom Jahre 1307, dem Corfo Donati zum 
Opfer fiel. 

Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 25 


1310 


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386 Biertes Bud). 


Simon und Antonius, mit denen er, weil fie gleich ihm eine 
gottlofe Tyrannis ausübten, befreundet war, und wünfcht 
ihren Rath zu hören, was bei diefer gefahrdrohenden Conftella- 
tion zu thun ſei. Jene, die in erfter Linie für fich ſelbſt, ſodann 
auch für den Genoſſen bejorgt find, jchlagen ihm nach reiflicher 
Meberlegung eine Zujammenfunft vor. Doc waren fie nicht frei 
von geheimer Misgunft gegen Guido; fie empfanden ed ınit Un— 
willen, daß er eine einflußreichere Stellung einnahm, und hätten 
jeinen Sturz nicht ungern gejehen. Diefe Miegunft ift der Fluch, 
welcher die Gottlofen zu Grunde richtet, der verhängniswolle Fluch, 
der die Böſen beunruhigt und peinigt. So kommen denn die fünf 
Fürften bet Lodi zufammen und verabreden jchlieklich, nachdem fie 
reiflich) überlegt wie man im Angefiht der drohenden Gefahr feine 
Mafregeln am beten nähme, fich bei den anderen Häuptern der 
unteren Lombardei umzuhören; würden dieſe bereit jein ſich der 
Ankunft des römischen Königs zu widerjegen, jo wollte man fie 
auffordern Hülfstruppen zu rüften; weigerten fie ſich deſſen, ſo 
jollten fie gewarnt werden fich wohl zu überlegen daß aud ihr 
Intereffe in Trage fommen könne. Jene nun überlegen fich die 
Sache eine furze Zeit, äußern fid dann aber nichts weniger als 
energiih. ALS die erwähnten fünf Führer fid) jomit der Ausficht 
auf Bundesgenofien in dem Kampfe um die Aufrechterhaltung ihrer 
verbrecheriichen Gemaltherrichaft beraubt ſehen, wächſt ihre Be— 
ſorgnis; doch entſchließen fie fich, für fich allein zweckdienliche Maß— 
regeln zu ihrer Behauptung zu treffen. Antonius nun ſchlug vor, 
man jolle jogleih den Einmarſch des Kaiſers hindern, und fich 
ihm mit gefammter Macht widerfegen. Ihm ftimmten Guido und 
Simon bei. Philippo dagegen meinte, man folle dur Beftehung 
ih die Gunft des deutſchen Herrichers erfaufen. Albertus jedoch 
erklärte fi) mit feinem dieſer Vorſchläge einverftanden: mit Lift 
müffe man es verjuchen, meinte er, nicht aber mit Gewalt oder 
Geld, denn voll Unterwürfigfeit und Freude fehe man überall dem 
Herrn entgegen und das Volk Liebe feinen Tyrannen und wünſche 
deſſen Beſtes. Er wußte nämlich jehr wohl, daß die zügellofe 


A a A De U a LTE 


Wahl König Heinrichs ꝛc. 387 


Leidenschaft der erregten Volksmaſſen den Cäſar jehnlichit herbei 


wünſche, und fürdhtete daher von der wanfelmüthigen Bevölferung 


im Stich gelafjen zu werden. Auch jah er ein, daß weder Ge— 
ichenfe noch Verträge den Anmarjc des Königs verzögern würden. 
Deshalb ging fein Rath dahın, man jolle letzteren einftweilen heran 
kommen lafjen und freundlid) aufnehmen, um ihn Dann entweder 
durch Lift aus dem Wege zu räumen oder mit Gewalt zurüdzus 
werfen. Nachdem man diefen Borichlag gehörig erwogen, ftimmten 
Ale zu, gelobten Berfchwiegenheit und verftridten ſich unter einander 
dur ein feſtes Bündnis; dann fehrten fie eilend8 heim. — In— 
zwiſchen brach die Königliche Geſandtſchaft aus Germanien und 
Gallien auf und betrat den Boden ver Lombardei, um überall 
den Völkern das Gebot ihres Herrn zu verfünden und denjenigen, 
welche ſich ihm ergeben zeigen würden, große Beriprehungen zu 
machen, feinen Gegnern aber mit Furcht und Schreden zu drohen, 
ſodaß in ganz Italien das niedere Bolt, welches im Wechjel der 
Dinge immer gern bereit ift ſich neuen Führern hinzugeben, bereits 
feine Freude und Sehnſucht nad) dem anrüdenden König offen 
fundthat, während die tyranniichen Bedrücker des Volks von ihren 
Thronen zu ftürzen aufs äufßerfte beforgten. Auch meine Vater- 
ftadt, welche damals fett langer Zeit her ven Paduanern unter- 
worfen war, betraten die hochgeborenen Gefandten; id) jelbft, der 
id) damald noch im Snabenalter jtand, war zugegen, als fie erft 
im Senat und dann auch vor dem Volke auseinanderjegten was 
fie hergeführt habe. Ihre Botichaft rief beim Volfe, welches ſtets 
Veränderungen gerne fieht, laute Freude hervor; alle Bejorgnis 
Ihwand und in froher Erwartung ſah man der Ankunft de ge- 
rechten Herrichers entgegen. In diefem Sinne jchicdte man auch 
ven Paduanern eine Botſchaft. Als nun in Folge der unzwei— 
deutigen Erklärungen der Gefandten des römiſchen Königs der Auf 
von demfelben durch ganz Italien erſcholl, erjchreden zwar alle 
Gewaltherrn und überlegen jorgenvoll was fie thun ſollen, ganz 
bejonder8 aber gerathen die lombardiſchen Führer, die von dem 


Einmarsch des Königs zunächſt betroffen wurden, in Verwirrung. 
25* 


1310 


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388 Viertes Buch. 


Als jedoch Guido der Turriane aufs neue den Verſuch machte 
ſich zur Abwehr der drohenden Gefahr mit den übrigen in eine 
engere Verbindung einzulaſſen, wollte Philipponus nichts davon 
wiſſen, ſondern erklärte, er werde den gütigen König freudig will 
kommen heißen. Eine ähnliche Erklärung geben Simon und 
Albertus ab. Antonius hoffte ſogar für ſich das Beſte von Guido's 
Beſorgnis; denn wenn ſchon dieſe beiden Männer einander eine 
wohlwollende Geſinnung heuchelten, ſo waren ſie doch im Herzen 
wenig freundſchaftlich geſinnt, vielmehr wünſchte jeder aus geheimer 
Misgunſt, wie es bei den Mächtigen der Fall zu ſein pflegt, das 
Verderben des anderen. Guido aber beklagt ſich voll Bitterkeit 
über den Wankelmuth der Genoſſen, und je machtvoller ſein be— 
drohter Thron ſich erhoben hatte, deſto größer war die Beſorgnis 
die ihn quälte. Er fordert dann Cremona zur Hülfe auf; weil 
er jedoch den Wankelmuth der Bevölkerung fürchtet, ſo fragt er 
wegen einer näheren Verbindung bei Maphäus dem Beherrſcher 
von Brescia an. Auch wendet er ſich in gleicher Weiſe an 
Albuinus Paſſarinus und Guibertus, ſeine Gegner, die denn 
auch ſeinen Plänen durchaus nicht hold waren und jede Gemein— 
ſchaft mit ihm ablehnten. Durch dieſe vergeblichen Schritte in 
ſeinem Geiſte nicht wenig beunruhigt, gab Guido ſich ſelbſt auf 
und ſah ſeinen Troſt nur in der Hoffnung daß nach dem ſeinen 
auch die Throne jener zuſammenſtürzen würden. Er entſchließt ſich 
daher den König freundlich aufzunehmen, in der Erwartung daß 
ſeine Macht ihm den erſten Platz unter den Lombarden an deſſen 
Hofe anweiſen werde. Auch alle übrigen ſchmeicheln ſich mit der 
Hoffnung die Gunſt des Herrſchers zu erlangen, und jeder richtet 
ſein Augenmerk darauf ſeine eigene Stellung zu befeſtigen, ſeinen 
Nächſten aber zu Fall zu bringen. Ach wie groß iſt die Treu— 
loſigkeit bei den Tyrannen, wie unermeßlich der wahnwitzige Ehr— 
geiz der Großen! Da giebt es keine Treue, keine Stetigkeit, kein 
uneigennütziges Wohlwollen; da ſucht ein jeder die übrigen zu 
überragen und zu beherrſchen und wendet niemandem ſeine Liebe 
und Zuneigung zu, wie es ſich geziemt, ſondern ſinnt nur auf Mord 








Wahl König Heinrichs ꝛc. 389 


und Raub. Aber ihr Mühen hat kein Ende, nie feftigt fich ihre 
‚Stellung und ſchließlich wirft das göttliche Strafgericht fie zu Boden. 

Während dergeftalt ganz Lombardien in Erregung und Be- 
ſorgnis verfetst war, beichleunigt der Cäfar feinen Weg und be- 
fiehlt allen Fürften Germaniens ficy mit Roſſen und Waffen bei 
ihm einzufinden um ihren erlauchten König zu geleiten..... .)). 
Als endlich die Schaaren der Begleiter verfammelt und gerüftet 
waren, verließ der Herricher, vol Eifer feinen Plan zu verwirf- 
lichen und bereit den Wünjchen der Fürften und derjenigen Italier, 
welche aus Furcht vor den Gewaltheren die Heimath mieden und 
zu ihm geflüchtet waren, nachzukommen, an den Iden des November 
im Jahre nad) der Geburt des Herrn dreizehnhundertundzehn die 
Stadt Zaufanne ?), überfchritt zuerft die galliichen Bergzüge, palfiert 
Sanfia ?) und nimmt ungefäumt feinen Weg nach dem fogenannten 
Imbriſchen See *) an ven Ausläufern der liguriſchen Berge. Hier 
verweilte er ſechs Tage um die Schaaren jeiner Begleiter abzu- 
warten und übergab die Herrichaft dem Saneſen Nicolaus, welcher 
Ihon vor langer Zeit von feinen Feinden aus der Vaterſtadt ver— 
jagt war umd fi) zum Cäſar begeben hatte, als königlichem Statt- 
halter. Auch waren hier Geſandte der Pifaner erſchienen, melche 
ihrem Herrn unter großer Prachtentfaltung ihre Aufwartung machten. 
Bon hier brach der König zum äußerften Winkel der Lombardei, 
dicht am der galliſchen Grenze, von wo aus einft die Senonen und 
die Cimbern muthentbrannt Nom heimgefucht hatten, auf und 
gelangte, nachdem er Afte Hinter fich gelaffen, bald nad Zurin. 
Weil diefer Ort, dem Gebiete des Schwähers nahe und auch von 
Ligurien nur wenig entfernt, ihm jehr bequem lag, jo vermeilte 
er daſelbſt lange Zeit). Hier war es, mo zahlreihe Schaaren 


1) Unfer Autor ſchiebt hier einen weitläufigen Bericht über die Erwerbung Böhmens 
durch Johann, Heinrichs Sohn, ein, doch ift diefer Bericht fo entftellt daß eine Wieder 
gabe deſſelben an diefer Stelle figlich unterbleiben fan. — 2) vielmehr am 11. oder 
12. October. — 3) wol Santia gemeint, etwa 30 Miglien nordöftlih von Turin, 10 
Miglien öftlih von der Dora Baltea. — 4) Damit ift wohl ein Heiner, 2 Migl. breiter 
1 Migl. langer See etwa in der Mitte zwifchen Ivrea und Santia gemeint. — 5) Unfer 
Autor ift über diefen Marjch des Königs jchleht unterrichtet. Er nimmt offenbar an, 


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390 Biertes Bud). 


italiſcher Edlen an jeinem Hoflager zufammenftrömten und ven 
König, der voll Zuverficht, aber noch unentichteven war was er 
zunächft unternehmen jolle, mit ſüßen Worten ermuthigten und 
hilfeſuchend verlangten, er ſolle ungejcheut nach Italien vorrüden 
und die Städte, die unter tyranniſchem Joche ſchmachteten, mit 
einander der Freiheit zurückgeben. Ganz beſonders großen Eindrud 
machte Maphäus Vicecomed von Mailand, ein Mann von großer 
Kührigfeit, welcher, vor acht Jahren durch die Webermadt der 
Turrianen bewältigt, either grollend im Exil gelebt hatte, auf den 
König. Berner erjchten Philipponus von Pavia mit glänzender 
Keiterichaar und erwied ſich dem Herrjcher ergeben, in der Er— 
wartung zum Xohne dafür die Unabhängigkeit zu erlangen. Auch 
ein genuefilcher Verbannter Obizzonus de Spinuli8 erſchien, von der 
Hoffnung auf Rückkehr in die Heimath getrieben, mit jo vielen 
Begleitern wie er aufbringen fonnte. Nicht minder ftrömten aus 
Tuscien und der Aemilia in gleicher Erwartung.gar manche herbei, 
deren Namengewirr mir unbekannt geblieben ift, jodaß ich fie hier 
nicht nennen fann. 

Hier möchte es am Plate fein, die Großen im Gefolge des 
Königs aufzuzählen, ſoweit hervorragender Ruhm ihre Namen 
ziert. Sehr nahe ftand dem Herrfcher Graf Amadeus von 
Savoyen, weil er ein maderer und adliger Herr war und die 
Schweſter der Gattin des Königs heimgeführt hatte; in noch höherer 
Gunſt ftanden die beiden Brüder des letzteren Erzbiſchof Balduin 
von Trier und der tapfere Ritter Gualeran. Berner war da 
Theobald de Barei Biſchof von Lüttich, ebenfalls ein naher Ver— 
wandter des Königs. Dieje alle hingen ihrem Herrn mit warmer 
Hingebung an; aus freien Stücken hatten fie ſich ihm angejchloffen 
Heinrich fei ber den Paß des großen Bernhard (ftatt des Mont Cenis) gefommen und 
demgemäß im Thale der Dora Baltea (ftatt der Dora Ripera) abwärts gezogen. Was 
dem angeblichen Aufenthalt des Königg am See Imbria (apud lacum quem vulgo 
Imbriam vocant) zu Grunde liegt, ift nicht zu ſagen; Nicold de’ Buonfignori ward 
zuerft in Afti als Statthalter eingefet (Val. Mb. Muff. Buch 1 Kap. 9. Wenn 
ferner Ferreto die Deutichen erſt nad) Afti, dann nad) Turin fommen Yäßt, jo beruht das 


möglicherweife auf einer falfchen Lesart, indem ftatt Aste relicto Taurinum invadit zu 
Yefen wäre relicto Taurino. 


——— | s 





Wahl König Heinrichs 391 


und harrten in allen Wechjelfällen des Gejchie8 bei ihn aus. Die 1310 
übrigen dagegen hatten theils um ihrer Unterthanenpflicht zu ge— 
nügen theil8 um Solo gedungen dem ſchwierigen Unternehmen ſich 
zugeſellt. Zu dieſen gehörten die fogenannten Delfine von Bienne 
Guido und Hugo, melde vierhundert Berittene geworben hatten; 
Philipp von Savoyen der Fürft von Lacedämon erichten mit 
Hundert Neifigen, Herzog Rodulf von Brabant!) mit dreihundert, 
Graf Guido don Namur mit hundert, ver Eriegerifche verwegene 
Herzog Lipold von Defterreih führte fünfhundert Ritter herbei, 
zum Danke dafür, daß der König ihm und feinen Brüdern durd) 
die Achtung ihres Betterd Johann feine Huld bewieſen hatte; 
Sohannes Fredus Graf von Ligna ?) hatte hundert Keifige unter 
fih, während der Flandrer Heinrih um hohen Sold jenfeit des 
Rheines eine jo große Anzahl al8 er vermochte zufammengebracht 
hatte; zum Lohn ernannte ihn der König zum Heeresmarſchall ?). 
Auch mande Hohe Geiftliche, als die Biſchöfe von Genf, Conftanz 
und Bafel, der Abt von Guiſenborch 9) u. ſ. w. hatten fid) von 
beträchtlichen Heerichaaren geleitet eingeftelt. Deren Zahl fann 
ich nicht angeben; im Ganzen aber ſchätzte man die Mannen, über 
die der Kaiſer, als alles verfammelt war, verfügte, auf fünf 
tauſend. | 


[Folgt ein Bericht über des Königs Mari durch Vercelli und Novara 
auf Mailand und Guido’S della Torre Unterwerfung]. 


Inzwilden hatten fich bereits die übrigen Großen der Lom— 
bardei unterwürfig beim König eingeftellt oder fich gerüftet vor ihm 
zu erjcheinen, in Folge eines Gebotes, welches der Herrſcher von 
Novara aus erließ, daß nämlich Abgeordnete feiner Getreuen am 
5. Januar in Mailand zufammentreffen follten, um der Annahme — 
der eiſernen Krone durch den König beizuwohnen. Selbſt Antonius, 
der Herr von Lodi, dem Guido ähnlich an Starrſinn, hatte nicht 
geſäumt, ſich wie dieſer zu unterwerfen. Albertus Scotus legte 


1) Ob hier eine Verwechslung mit dem Pfalzgrafen Herzog Rudolf von Bahern 
vorliegt? Freilich erſchien diefer erft fpäter in Stalien. — 2) Johann Friedrich Graf 
von Ligny. — 3) princeps militiae. — 4) d. i. Weißenburg. 


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392 Biertes Bud). 


dem Herrſcher mitteld einer Gejandtichaft Piacenza zu Füßen; er 
jelbft hatte der Kürze der Zeit wegen feine Vorbereitungen zu 
einem glänzenden Empfang des römischen Königs noch nicht vollenden 
fönnen. Auch Guibertus de Corrigia ſchickt feine Boten um die 
Unterwerfung von Parma zu überbringen. Das gleiche thun 
Pafjarinus und Mbumus. Das Haupt von Brescia dagegen 
Maphäus ericheint in Perſon, da er vernommen, daß fein Tod- 
feind Thebaldus de Bruratis das Bertrauen des Herrſchers in fo 
hohem Grade gewonnen, daß diefer jenen ſich durch das Band ver 
Gevatterihaft noch näher zu verbinden geruht habe. Nicht minder 
jtellen die Häupter der Bergomasken Fridericus Cojonus und 
Albertus Spardus ihre VBaterftadt dem Cäſar zur Verfügung; das 
gleiche geſchah mit Como durd den Bilchof !), den Bruder des 
Beherrſchers diefer Stadt, der ſchon nach Deutichland feine Boten 
gefandt hatte. Modena unterwirft Franciscus de la Mirandola, 
welcher fi”) mit glühendem Eifer dem Reiche anſchloß; Guido 
Savina Reggiv. Erſt neuerdingd hatte die Mannhaftigfeit der 
Bürger diefer beiden Städte das Joch des grimmen Azz0 2) mit 
Gewalt abgefhüttelt ?). An letzter Stelle erfcheinen beim Cäſar die 
Abgeoroneten der Stadt Cremona, deren zahlreihe Bevölferung 
durch Parteiungen gejpalten und in Erregung verjeßt war, wie 
denn in der Folge die Cremoneſen als erfte von allen das Banner 
der Empörung erhoben. Damals jedoch fandten auch fie, mehr 
aus Furcht als aus günftiger Gefinnung gegen den König, ihre 
Gefandten unter denen der beim Volke beliebte Supramond Amatus, 
ein verftändiger durch treffliche Eigenjchaften ausgezeichneter Mann, 
hervorragte, nach Mailand, um für ihre Vaterftadt Treue zu ge— 
(oben. Die übrigen Städte jedoch, melde Venetien benachbart 
waren, harrten unter der ftarken Herrihaft Paduas während fo 
großartiger Bewegungen unentwegt des ihnen beftimmten Geſchicks, 
während die Faejulaner *) und Aemilier, deren mächtigjte Städte 


1) Leo Lambertengo, feit 1293 Biſchof von Como, hatte 1302 al3 Haupt der Vitani 
die Gegenpartei der Rusconi aus der Stadt getrieben. — 2) Markgraf Azzo von Efte. — 
3) Im Jahre 1306. — 4) Faefulä (j. Fiefole) alte etrusfiihe Stadt; hier Faefulaner im 





Wahl König Heinrichs ꝛc. 393 


Bologna und Florenz find, fi) auf feine Weile herbeiliegen dem 
Cäſar ihre Ehrfurcht zu bezeigen, jondern ſich bereits insgeheim 
wider ihn verſchworen und zum Aufftande rüfteten. — Andererfeit3 
ftrömen die VBerbannten, welche ob der parteilichen Umtriebe ihrer 
Nebenbuhler das holde Vaterland hatten verlaffen müfjen, hoffnungs- 
froh bei dem König zufammen, dem neben vielen Anderen Brancaleo 
ve Andalejo, Paganus de Panico, Thadäus de Ubertis, Lappus 
Yarinata und Simon Philippi, lauter Männer von altem Adel, 
unabläjfig im Ohre lagen. Aber der Herriher, welcher Den ver- 
dammungswürdigen Parteiungen fein Wohlmollen entgegenbrachte, 
benahm fich gegen fie und die übrigen, welche durd ein Löbliches 
zurücdhaltendere® Benehmen und achtunggebietendes Weſen ihren 
Adel offen befundeten, unparteiiih und gerecht. Meberhaupt fand 
fih, wie man allgemein behauptet, unter den damaligen Großen 
der Deutjchen feiner, der an Gerechtigfeitsliebe, Güte und Bejonnen- 
beit tem König gleichfam. Hätte diefer nicht die italiſche Treu— 
lofigfeit und Hinterlift erproben und kennen lernen müfjen, jo wäre 
er wol der Mann dazu gewejen das finkende Anjehen des Reichs 
zu heben und den Bürgern, welche unter dem Joche der Tyrannen 
Ichmachteten, die jegensreiche Freiheit zurüdzugeben. Aber feine 
Leichtgläubigkeit, feine Güte und Freigiebigfeit ftürzten ihn faft mit 
jehenden Augen in die Schlingen, die jene ihm gelegt. — Als nun 
die oben erwähnten Städte und deren Oberhäupter fi ihm unter= 
worfen hatten, feste er nach Jorgjamer Erwägung hervorragende 
Männer ein, die an der Stelle der königlichen Majeftät die ein- 
zelnen Drte regieren ſollten. Gleichzeitig wandte er fein Augenmerk 
darauf, daß am allen Drten die frühere freiheitliche Verfaſſung 
wiederhergeftellt würde und daß die Männer, welche der Gegenfat 
der Parteien gemaltfam vom heimischen Heerde verftoßen, ihres 
Exils erledigt die Heimath wieder beträten. — Nach Mantua ging 
demgemäß Lappus Farinata, einer der ausgezeichneteften unter den 


weiteren Sinne, wohl fir die Bewohner von Toskana iiberhaupt gebraudt; in der Folge 
bezeichnet Ferreto auch wohl geradezu die Florentiner als Taefulaner (vgl. die Ein- 
leitung). 


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394 Biertes Bud). 


verbannten Faeſulanern als königlicher Statthalter, nach Verona 
Johannes Zeno von Piſa, nach Brescia Albertus de Rovigliono, 
nach Cremona Johannes de Caſtilione aus Lucca; mit dieſen 
Männern zugleich betraten viele Verbannte heimberufen den Boden 
ver Vaterſtadt, z. B. von den Mantuanern Saracinus und Ber— 
tonus die Söhne des Banglinus aus der Familie Bonacolſi, Graf 
Corteſia de Caſalealto, Veneticus de Gafaris, alles wackere Leute, 
dazu viele andere, Popolanen und Plebejer. Andere freilich blieben 
aus Furcht vor ihren Todfeinden einſtweilen noch beim König 
um abzuwarten bis dieſer einen Vergleich treffen und den noch 
mächtig emporlodernden Parteihaß löſchen würde; ſo wagte Graf 
Vinciguerra von Verona ein Mann von bedeutenden Eigenſchaften, 
der ſchon ſeit langer Zeit das Vaterland aus Furcht vor der vor— 
nehmen Sippe der Della Scala mied, melche ſich ſchon viele Jahre 
hindurch im Befiß der Stadt behaupteten, nicht dorthin zurück— 
zufehren. Auch Manfredus de Beccaria aus Pavia und Gultelmus 
de Rubeis aus Parma hielten e8 für ficherer mit der Rückkehr zu 
warten. Ebenſo harrte Thebaldus de Bruxadis, der erft kürzlich 
aus Brescia vertrieben war, jedoch im Vertrauen auf.jeine zahl 
reihen ‚Anhänger die befte Zuverſicht hegte, hoffnungsfroh auf 
weitere Verfügungen des Königs, der denn auch, in dem Beftreben 
einem jeden fein Recht widerfahren zu Laffen, darauf befand daß 
Thebald zurüdgeführt würde, wiewol Maphäus, der die Tücke dieſes 
Mannes aus Erfahrung kannte, dringend vor feiner Wiederherftellung 
warnte. Nicht minder fehrten auch der Markgraf Palavicinus 
und Die übrigen, welde die Vergehen ihres Geſchlechtsgenoſſen 
Bojonus de Dovaria!) mit der Berbannung hatten büßen müſſen, 
wenngleich wider Willen der Adelöpartei, nach Cremona zurüd, 
ebenfo die verbannten Mantuaner, deren Rückkehr fih Paſſarinus 
vergeblich widerſetzte. 


1) Buofo da Dovera, cremonefifher Parteihäuptling, welcher bis 1267 mit dem 
Markgrafen Palavicini zufammen die Stadt gelenkt und dann deſſen Sturz herbeigeführt 
hatte. Der bier genannte P. ift übrigens ein Nachkomme des inzwiſchen verjtorbenen 
alten Markgrafen. 


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Abfall Bicenza’s von Padıra. 395 


2. Abfall Vicenza's von Padua. 


Inzwifchen begannen die Vicentiner, deren fi, nachdem fie 
ſechs und vierzig Jahre hindurch die Herrichaft der Paduaner ge— 
duldig ertragen, jett unter dem Eindrud der Hoffnungen, welche 
man an die Ankunft des Königs fnüpfte, der Wunſch die Freiheit 
wiederzugewinnen bemächtigte, über mancherlei VBerabredungen und 
Pläne insgeheim und zaghaft zu verhandeln, ohne doch aus Be— 
ſorgnis vor der Macht der Paduaner zahlreicher Zufammenfünfte 
und Beiprehungen ungeachtet zu einem feften Beſchluß zu kommen. 
Da geihah es daß Sigonfredus Ganzera, der fid) von Cypern aus 
im Auftrage feines Königs zum heiligen Stuhl begab, die Häfen 
Illyriens erreichte, wo er unſchlüſſig Halt machte, weil er einer= 
jeit8 Bedenken trug als Gegner der Paduaner, melde ihn einft 
ungerechter Weife aus jeiner Vaterſtadt Vicenza verbannt hatten, 
feinen Weg durch deren Gebiet zu nehmen, auf der anderen Seite 


aber nur ungern die direfte Straße verlaffen wollte und überdies. 


den jehnfüchtigen Wunſch hegte, die holde Vaterſtadt, melde er 
jeit faft vier Luftren gemieden, wieder zu betreten. In diefer Ver— 
legenheit theilt er feinem Schwiegerſohn Bugamas de Prothis 
ichriftlich feine Wünfche und Befürchtungen mit. Diefer antwortet 
auf der Stelle, er brauche nichts zu beforgen, und bittet ihn fich 
aller Furt zu entihlagen und über PVicenza zu reifen. Er jah 
namlid) voraus, daß jener, den ein langer Bart und graues Haar 
unfenntlih machte, von den Bürgern, die ihn die lange Zeit feines 
Exils hindurch niemals geſehen hatten, nicht erfannt werden würde. 
Im Vertrauen auf das Zureden des Schwiegerfohns macht fich 
Sigonfredus ohne Säumen nad Padua auf, wo er die heimijche 
Zunge verleugnet, fi des Gallifchen bedient und feinen Namen 
verjhweigt, während er den Zweck feiner Reiſe mittheilt. Yon 
hier aus ſchickt er feinem Schwiegerſohn Botichaft zu und macht 
fi jelbft auf den Weg; bei dem Landitädtchen Duartefjoli, drei 
Miglien von Vicenza, fommt ihm Bugamas mit zahlreichen Be— 
gleiten entgegen, die ihn alle freudig willfommen heißen; mit ihnen 


1311 


1311 


396 Viertes Bud. 


nimmt er jeinen Weg durch das Gebiet der Vaterftadt, ohne indeß 
dort zu verweilen, und wird von den Bürgern bis an Die Grenze 
geleitet. Den langen Weg aber mwürzte man mit bebeutfamen 
Geſprächen, indem man ſich über die Befreiung der Stadt und 
die Mittel, durch welche man died Ziel erreichen fünne, beipradh, 
wozu Sigonfred feine Hilfe bereitwillig in Ausficht ftellte und fich 
laut und beftimmt ihnen zujagte, wofern fie jelbft nur es wagen 
würden. Ja er verfprah fogar ohne Rückſicht auf den Auftrag, 
den ihm fein Herr gegeben, drei Tage und länger in Verona zu 
bleiben, bis er ihnen fein Verſprechen erfüllt und durch die That 
feinen bingebenden Eifer bewieſen hätte. Eine jo große Sehnſucht 
nad der Rückkehr ind Baterland hatte ſich feiner bemächtigt, daß 
er bereit war fih allen Gefahren auszufegen. Endlich verab- 
fchiedete man fich; jener z0g weiter, die Bürger aber kehrten nad) 
Vicenza zurüd, wo fie jofort mit größerem Eifer ihre heimlichen 
Umtriebe wieder aufnahmen. Freilich erfüllte fie immer noch ges 
waltige Furcht, denn ſeit lange entwöhnt ihre Angelegenheiten tapfer 
auszufechten hatten fie ihr Augenmerk nur auf Erwerb und feigen 
Raub gerichtet. Als fie nun zagten und nicht wußten wie fie ihr 
Vorhaben ind Werk fegen follten, auch fchon viele der Sache aus 
dem Wege zu gehen und den Anſchlag aufzugeben wünfchten, erhob 
fi) endlich Jacobus Berlatus, ein unerfchrodener Mann, der von 
dem Wunjche erlittenes Unrecht zu rächen befeelt die Ausführung 
des Planes erfehnte, und ſprach: „Es ift nicht mohlgethan, Freunde 
und Mitbürger, eine Sache von jo großer Tragweite, nachdem wir 
fie einmal in Angriff genommen, liegen zu laſſen und aus feiger 
Furcht die Gelegenheit zur Wiedererlangung der Freiheit, welche 
nur der verftändige Dann zu jchäten weiß, zu verfäumen. Und 
ſüß und Tieblich ift e8 für das Vaterland zu fterben!)! Glaubt 
aber ja nicht, daß ihr in dieſer Angelegenheit noch ſchuldlos dafteht ; 
daß ihr einmal euch verſchworen, reicht hin euch des Todes ſchuldig 
erſcheinen zu lafjen, ſodaß es euch jett nichts mehr nützt euch zu- 


1) Dulce namque et jucundum est pro patria mori, Reminiscenz an Horaz, Oden 
III, 2, 13 Dulce et decorum est pro patria mori. 


a Eu Fr A a a —— 


Abfall Bicenza’s von Padua. 397 


rüdzuziehen. Alſo, mohlan! laßt und wie Männer handeln 
und fühn ausführen, was wir bei Gott und feinem heiligen Walten 
gelobt. Und jeid überzeugt: wofern nur ein einmüthige® Wollen 
und Ienft und unverbrüdlihe Treue fonder Trug und Arglift 
uns bejeelt, jo werden wir ans Ziel kommen!“ Diefe Worte be: 
lebten den Muth und die Entjchloffenheit aller Braven und man 
beſchloß unbedenklich die Sache durdzuführen. Eidlich verſprach 
man einander unentwegte Treue und jchicte dann ohne Säumen 
durch einen zuverläffigen Boten dem in Berona harrenden Gejandten 
einen mit geheimen Siegel verjehenen Brief, der die gefaßten Ent- 
ſchlüſſe ihm mittheilte. AS Sigonfred vdergeftalt erfahren mas 
jeine Mitbürger fännen, eilte er, ohne die Botichaft, die ihm auf- 
getragen war, zu berüdjichtigen, zum vömijchen König, welcher da— 
mals, nachdem er durch Lift Lodi wieder für ſich gewonnen im 
Begriffe ftand zonentbrannt gegen Cremona zu marfchieren. [Hier 
wird zuerft der Aufftand und die Einnahme und Beftrafung Cremona’s 
berichtet, worauf Ferreto mit den Worten: „Jetzt ift e8 an der Zeit 
die unjelige Befreiung unferer Heimath im Zufammenhang dar— 
zuftellen” zur Erzählung der vicentinifchen Angelegenheiten zurüctehrt]. ALS 
Sigonfred das Fünigliche Hoflager erreicht hat, macht er fich zuerft 
mit ſchmeichelnden Worten an den Biſchof Theobald von Lüttich, 
den er perjönlic kannte, und berichtet ausführlich was er im Sinne 
führe und mit welchem Begehren er fich eingeftellt habe. Der 
Biſchof, welcher beim König in hoher Gunft ftand und um alle 
geheimen Pläne deſſelben wußte, theilt feinem Herrn die Angelegen- 
heit mit und erhält den Beicheid, man folle ſich auf den Vorſchlag 
des Geſandten einlafjen. Denn der König wußte daß die Paduaner 
wider Die Treue, die fie ihm verfprochen, ihre Unterwerfung in die 
Länge zu ziehen beftrebt waren. Er beauftragt alfo den gewandten 
Prälaten mit der Ausführung der Angelegenheit; weil diejelbe aber 
feinen Aufſchub litt, jo übergiebt der Lütticher, welcher jelbft feinen 
Heren nicht verlaffen durfte, dem Biſchof Aymo von Genf 
und dem waderen Grato Herrn von Clariatium eine beträchtliche 
Abtheilung Bewaffneter mit dem Auftrage, dem Gefandten und 


1311 


398 Viertes Bud). 


1311 Führer der Bicentiner ohne Widerftreben überallhin zu folgen, 
wohin er fie führen werde. Unterwegs trifft diefe Schaar auf den 
Piſaner Vanni Zeno, welcher eine kurze Zeit Statthalter von Verona 
geweſen war und jest an das Hoflager zurüdfehren wollte; man 
befiehlt ihm jedocy wieder umzumenden und gelangt dann in wenigen 
Tagen nad) Berona, wo man, um den richtigen Zeitpunkt abzu= 
warten, drei Tage verweilt und Roſſe und Mannſchaft fi erholen 
läßt. Auch werden Albuinus und Canis ind Geheimnid gezogen 
und um Hilfe angegangen. Hocherfreut ftellen diefe, die Todfeinde 
der Paduaner, ihre Hilfe im ausgevehnteften Maße in Ausficht. 
Schon jchiden aud die Vicentiner, welche entjchloffen find die Frei— 
heit wiederzugewinnen, ihre Eilboten nad) Verona, welche nur mit 
Mühe dorthin gelangen fünnen, weil damals, gerade zur Zeit als 

Apr. 11 das ofterliche Freuvenfeft der Auferftehung des Herrn begangen 
ward, der Himmel feine Schleußen aufthat und jo gewaltige Regen— 
güffe auf Die Erde niederfandte, daß der Sterbliche die Wiederkehr 
der Sündfluth fürchtete, da ſämmtliche Flüſſe fich über Die Ufer 
ergofien und dermaßen anjchwollen daß das. Flußbett Weg und 
Steg, Felder und Wiejen weit und breit verfchlang. Und fein 
leere8 Vorzeichen war dies für die Ummohner; denn die göttliche 
Majeſtät, die die Zukunft vorausfieht, zeigte damit das Nahen von 
Ereigniffen an, welche für Padua und PVicenza, ja für die ganze 
treviſaniſche Mark verhängnisvoll wurden. Indeß möchte ich, wenn 
es nicht allzu werwegen Flingt, behaupten, daß, falls nicht etwa ein 
ungünftiges Geſchick die Sache hintertrieben hätte, die Vicentiner 
jest ihren Vorfag nicht würden haben fahren Yafjen, auch wenn 
Gott jelbft es ihmen verboten und fie gewarnt hätte. Jene un— 
jeligen Bürger laſſen ſich durch nichts abwendig machen, ſondern 
holen aus der Marmorſtadt ) die königlichen Schaaren, welche der 
eypriſche Geſandte anführt, herbei und verfammeln ſich am Donner= 

Ap.ı5 tag Morgen dem 15. April?) bewaffnet mit hoch erhobenen 


| 
| 
} 





1) d. i. Verona; der Name „Marmorftadt“ bezieht fich vielleicht auf das zur Zeit 
des Diocletian ganz aus weißem Marmor errichtete Amphitheater daſelbſt. — 2) Im 
Zerte fteht mane Jovis XVI Kal. Aprilis, d. i. der 17. März. Da jedoch nad) den 





Abfall Vicenza's von Padua. 399 


Adleın auf dem Markte, laſſen den fiegreichen Cäſar hochleben und 
bringen die Stadt in Aufruhr. Der Tumult ruft eilends den 
Johannes de VBigonta, welcher von Padua entfandt die Stadt regierte, 
herbei; als er aber hört was vorgeht erichridt er aufs heftigite. 
Denn die königliche Heerſchaar, welche nächtliher Weile ſich im 
Eilmarſch PVicenza genähert hatte, bricht nun durch den unver- 
Ichlofjenen Zugang des neuen Thores, durch welches die unfelige 
Stadt gen Norden blickt, in gejchlofjenen Maffen zum Marfte vor; 
mit ihnen rückt auch, ohne Wiffen feines Bruders, Canis ein, als 
wolle er jofort die ihm im Ausſicht geftellte Herrſchaft antreten. 
Bald haben die Ihändlichen Bürger, deren Häupter, ſoviel ich in 
Erfahrung gebracht, Macabranus de Bivario, Jacobus BVerlatus, 
Guido Birarius, Salomon de Marano und Petrus de Protis 
waren, voll froher Zuverfiht auf das Gelingen ihres Anjchlages 
den Befehlshaber durch Drohungen und Gewalt vom Marfte vers 
jagt, und auch die Burg wird ohne Widerftand eingenommen und 
auf ihr das Faiferlihe Banner aufgepflanzt. Die Paduaner da— 
gegen, welche in größerer Zahl als es fonft üblich war von ihrer 
Boterftadt als Beſatzung nad Bicenza gelegt waren, ziehen ſich 
im äußerſten Schreden auf die fogenannte Injel, einen zwijchen 
den öftlichen Stadtwällen gelegenen, von fteilen Mauern umgebenen 
Drt zurüd; doch glauben fie ſich aud im Schuß dieſer Befeftigungen 
nicht ficher. Obwohl der Platz uneinnehmbar war, jobald man 
die Thore ſchloß, fo ergreifen fie doch ohne von irgend Jemand 
bevrängt zu werden die Flucht. Viele verjuchen ſich über den 
Bachiglio mittel3 einer nahen Furt zu retten, ertrinfen jedoch in 
den hochgehenden Fluthen; ein jo großer Schreden hatte fie be= 
fallen und jo feige Herzen bejaßen fie, daß fie beim erften An- 
fturm ausriſſen und ihre Zuflushtöftätte den Feinden frei und offen 


obenftehenden Angaben des Autor3 das hier erzählte Ereignis nah Oſtern (d. i. nad) 
dem 11. April) ftattfand, jo wird man entweder XVI. Aprilis oder XVI. Kal. Maji emen=- 
dieren wollen, womit man in beiden Fällen auf Freitag den 16. April füme. Weil aber 
als Wochentag ausdrücklich Donnerstag angegeben wird und überdies Muffato Buch 3 
Kap. 1(f. 0.) den 15. April, welcher in der That auf einen Donnerftag fiel, nennt, fo 
dürfen wir wohl auch hier den 15. April jegen. 


1311 


1311 


400 Biertes Bud). 


überliegen. Hiervon bin ich felbft Augenzeuge gewejen und mas 
ich hier bejchreibe kann ich genau wiſſen ), denn unſer Haus ift 
in geringer Entfernung von jenen gewaltigen Mauern gelegen. 
Sp wurde ehe noch die dritte Tagesftunde verrann Vicenza 
von den Feinden erobert und von der faiferlihen Macht in Befig 
genommen, die paduaniſchen Streitkräfte aber befiegt. Letzteres 
nun war nicht eben wunderbar, daß nämlich die Paduaner Des 
Kampfes entwöhnt kleinmüthig wichen, da ein lang andauernder 
Friede fie unkriegeriſch und unfähig gemacht hatte die Waffen zu 
führen und ihr Ohr des Klanges der Trompeten und des Kampf 
getümmels hatte vergefien laſſen. Denn eine jo ungeftörte Ruhe, 
ein jo holder Friede hatte geherricht, daß Jedermann urtheilte, die 
Paduaner und Bicentiner lebten wie im Himmel. — Die gefangenen 
Baduaner wurden ihrer Habe beraubt und dann alsbald entlafien, 
nur einige wenige ind Gefängnis geworfen; eine fleine Anzahl von 
ihnen war aud verwundet oder hatte im Kampfe daS Leben laſſen 
müffen. — Als die Unglüdsbotihaft nad Padua fam, padte Ent- 
jegen und Schmerz die Bürger. Wie rajend ergreifen fie die 
Waffen und ftürmen ungeoronet im unaufhaltfamen Yauf bis zur 
Brüde von Barbanım an der Grenze der beiden Gebiete, wo die 
hochgeichwollenen Wogen des reißenden Wafjers ihren Schritt 
hemmen. AS fie nun, in der glühenden Begierde die Stadt, Die 
wie fie meinten, nody nicht von ihren Mitbürgern aufgegeben warı 
zu ſchützen, letzteren Hilfe zu bringen und das vermegene Unter: 
fangen der Berräther zu vereiteln, emfig nad) einer Stelle juchen, 
wo fie ficher Hinübergelangen könnten, kommt ihnen einer ihrer 
Landsleute, ein Mann von vornehmen Stande, im Hemde ent- 
gegen und ruft mit großem Wortſchwall: „Wohin, ihr Bürger? 
Es nüßt nichts mehr weiter vorzudringen; alles ift verloren, von 
allem was wir befefien find nur noch einige Gefangene übrig!” 
Als in kurzem noch andere hinzufommen, welche das gleiche be= 
zeugen, machen die paduaniſchen Führer betroffen fehrt, ziehen zur 


1) Vidimus enim hoc et certum conscribimus. 


5 5, ne 





Abfall Vicenza's von Padua. 401 


jammernden Baterftadt zurück und betreten das Rathhaus, wo der 
Senat der taufend Männer zufammentritt um zu erwägen was 
zu bejchließen und zu thun fei. Vergeben aber müht fich der Fleiß 
der Sterblichen, wenn das Geſchick ihm widerftrebt, und Feine 
wadere ruhmeswerthe That kommt zu Stande, wenn die Götter 
nicht zuftimmen. — Ganz anders ging e8 mittlerweile bei meinen 
Landsleuten zu; hier erfüllte, da des Kommenden niemand fundig 
war, Jubel und Freude das Herz eined Jeden ohne Unterſchied 
vom hochgebornen Edelmann bis zum niebrigften Manne aus dem 
Bolfe herab. Nur einige bejahrte Männer, welde den Umſchwung 
der Dinge aus Erfahrung kannten, bejammerten die unfelige That 
als verhängnisool für die Vaterftadt und verdammten das Ver— 
fahren des Volkes. Henricus de Ravaſino, ein verftändiger, er= 
fahrener Mann, und Morandus Panenfahus, welcher einer hoch— 
angejehenen Familie entftammte, zwei trefflihe Männer, begeben fich 
fogar auf die Flucht, weil fie für die Herrichaft der Paduaner 
eingenommen waren und die Aufläufe des niederen Volkes verab- 
ſcheuten. Dem Morandus freilidy erging e8 übel: er wurde nebft 
feinem älteften Sohne aufgegriffen, um ſchweres Geld gebüßt und 
weit weg von der Vaterſtadt in die Verbannung geſchickt; Henricus 
de Ravafino dagegen ging freiwillig in die Verbannung und ließ 
fi) in Padua nieder. Peiner von beiden aber ward je in bie 
Heimath zurüdgerufen, und in fremder Erde fanden fie ihr Grab. 
Auch der milde und mweife Biſchof Altigradus, welcher von Padua 
entfandt faft ſechs Jahre den bifchöflichen Palaft zu Vicenza inne 
gehabt ), verließ vol Furcht in einer Verkleidung die Stadt. Auch 
Andere entfernen ſich insgeheim auf irgend eine Weiſe verfleidet 
oder unfenntlich gemacht, denn das Volk entbrennt plötzlich in jo 
Yeivenfchaftlicher Wuth gegen die Zwingheren, daß der Name eines 
Paduaners hinreichte um als Feind betrachtet zu werden. “Diele 
Erſcheinung erklärt fi) aus der langen Gewaltherrichaft, welche 
fie hatten erdulden müffen, denn die Sklaven lieben ihre Herren 


1) Richtiger feit 8 Jahren, da Altegrado Cattamo feit 1303 regierte. (T 1314). 
Geihichtfhreiber. La. 67. Leben Heinrichs VII. 26 


1311 


1311 


402 Viertes Bud). 


nie. — Die war der frohe Anfang der Freiheit der Bicentiner, 
aber bald zogen trübe Wolfen an ihrem Horizonte auf und im 
weiteren Verlaufe der Dinge zeigte ihnen das Schickſal ein bei 
weitem anderes Gefiht. Zunächſt nämlich fallen die Paduaner in 
rächender Wuth über da8 Gebiet von Vicenza her, morden, rauben 
und verwüften unbarmberzig und legen die Brandfadel an die 
Häufer, was ihnen die VBicentiner dann mit gleicher Münze heim- 
zahlen. So gingen beide Völker rachſüchtig darauf aus einander 
zu ſchaden, bi8 endlich die erfte Wuth verraudht war und Das 
Brennen und Plündern aufhört. — Als königlicher Statthalter 
fam der Piſaner Vanni Zeno nad) Vicenza, der, als er nad dem 
Abzug des Biſchofs von Genf und des Canis Magnus ein jo ver- 
antwortliche8 Amt übernahm, feine Pflegebefohlenen ermahnte, den 
römischen König zum Dank für die Wohlthaten, die derjelbe ihnen 
erwiefen, mit koſtbarem Golde zu beichenfen, auf daß er aud in 
der Folge e8 ſich gütig angelegen fein laſſe die Stadt gegen die 
Angriffe der Paduaner zu ſchützen. So wird in fürzefter Frift 
eine erhebliche Summe für den königlichen Schatz aufgebracht und 
vom Adel und Bolf, die im Entzüden über das Trugbild ihrer 
Freiheit ſich der Auflage ohne Klage und Murren unterziehen, durch 
eine Gefandtichaft dem König zugeftellt, dem das Geld, obwohl es 
doch immerhin nur eine unbedeutende Summe war, fehr zu 
ftatten Fam. 


Ai Sr PR RE Eh EEE 





FSünftes Bud). 


3. König Heinrid VII und Johannes Parricida. 


Inzwiſchen machte fi) der oben erwähnte Neffe und Mörder 1311 
Albrechts von Defterreih, Johannes, welcher vom König zum Tode 
verurtheilt war, auf und fam — und zwar, wie man fagt, auf 
den Rath des Herzogs NRodulf von Baiern — in der Hoffnung 
den römiſchen König, der von Geldmangel ſchwer gedrückt wurde, 
Durch eine, große Summe Geldes zu verfühnen, nad Genua, wo 
er fi) mehrere Tage fern vom Königshofe verborgen hielt, endlich, 
aber, als der Herricher einft beim Mahle faß, vortrat, fih ihm 
zu Füßen warf und jeine Berzeihung erflehte, indem er darftellte, 
wie die gewaltthätige ungerechte Herrichaft des Oheims feine Teicht- 
fertige Yugend zum Morde deffelben verleitet habe; deshalb flehe 
er um Vergebung und fer bereit zur Sühne feiner ſchweren Schuld 
den König mit feinen Mitteln gen Rom und heimwärts zu geleiten. 
Unſchlüſſig zuerft, dann trübe finnend fehaute ver Cäfar auf ihn 
und hieß ihn endlich ſich entfernen, forderte ihn aber mit freund: 
lichen Worten auf nad) dem Mahle fid) wieder bei ihm einzufinden. 
Tief ſchmerzte ihn die Ankunft des Jünglings, da er nicht zweifel- 
haft fein konnte, daß er denjelben der gerechten Strafe werde preis— 
geben müfjen. Freilich erkannte er, daß der ſchöne Hochgeborene 
Süngling ihm bei der Aufrichtung feines Fatjerlichen Thrones von 
großem Nutzen fein fonnte, aber der zähe unverſöhnliche Haß der 
Bettern Johanns ließ ihn mit Recht befürchten, daß er kleinmüthig 
erfcheinen würde, wenn er das Richtſchwer zu ergreifen zögere, und 

26* 


1312 


404 Fünfte Bud. 


zwang ihn zu energiſchem Vorgehen. Denn abgejehen von dem 
Urtheil der allgemeinen Meinung bejorgte der König, den Stolz 
des mächtigen Defterreichers Friedrich und feiner vier Brüder zu 
verlegen, die, wenn fie gleich Damals Leopolds wegen, der, im Lager 
vor Brescia ſchwer erkrankt, noch nicht in die Heimath gebracht 
worden war, fich fern hielten, doc bereit rüfteten, den zweiten der 
Brüder Heinrih mit einer ftattlichen Schaar Keifiger dem König 
zu jenden. In ſolcher Berlegenheit zog es dieſer vor gerecht ftatt 
milde zu handeln !). Nach dem Abzuge des Königs fol Johann 
auf Beranlafjung der Anhänger Friedrichs, die das Gold nicht 
iparten, vergiftet worden jein; wenigſtens hat man nie wieder etma$ 
Sicheres über ihn noch auch irgend ein ſonſtiges Gerücht von feinem 
Tode vernommen. 


4. König Heinrid in Pia. 


Nachdem der König in Genua alles jo gut er vermochte ge— 
ordnet hatte, ging er, ſobald die Vorbereitungen zur Abreife vollendet 
waren, mit geringer Begleitung an Bord. Nicht mehr als adıt- 
hundert Menfchen fetten fich damald mit ihm den Gefahren der 
Seefahrt aus. Bon den Fürften befanden fich noch Graf Amadeus 
von Savoyen, Biſchof Balduin des Königs Bruder, Biſchof Theo— 
bald von Lüttich, der Heeredmarjchall Heinrich von Flandern, Herzog 
Rudolf von Baiern und Jofredus de Lignazo ?) nebft einigen 
anderen Angejeheneren beim Heere. Dieje bildeten die Umgebung 
und gleihjam die Leibmwache des Königs; . ferner. begleiteten dieſen 
die beiden Cardinäle von Oſtia und von Genua ?), während der 
von Alba in der Gegend von Lucca einer Krankheit erlag. Nach 
dreitägiger ſtürmiſcher Seefahrt erreichte die Flotte die Piſaniſche 
Küfte, wo die Edlen von Pija dem König entgegeneilten. Auch 
hatte die Hoffnung in die Heimath zurüdgeführt zu werden Schaaren 
Berbannter, melde das durch ſchändlichen Parteikampf gejpaltene 
Tuscien ſchnöde verſtoßen hatte, hierhin geführt, wo ſie den König 


1) Folgt daS unverſtändliche: Johannem itaque versutus invenit (wohl corrum—⸗ 
piert). — 2) Gottfried von Leiningen. — 3) d. i. Lucas de Flisco. 


König Heinrich in Pifa, 405 


zu ſehen verlangten. Bier Miglien von den Stadtmauern entfernt 1312 
bei der Kirche St. Peter in Grabu!) wurde der König von ben 
Bürgern unter unbeſchreiblichem Jubel mit allen Ehren empfangen ; 
auch das gemeine Bolf im ſchmucken Fefttagsfleive gab feine Freude 
über die Ankunft des erlauchten Herrſchers durch die Klänge der 
Mufit und laute Jubelrufe fund und jedes Geſchlecht und Alter 
ſchien in unzählbarer Menge verfammelt. So ritt der Cäſar unter 
einem purpurnen von Eoftbaren Steinen und Gold ſchimmernden 
Baldahın am 6. März?) 1312 in Pila ein, ſchlug jeine 
Reſidenz im biſchöflichen Palafte auf und ließ die Mannſchaften 
an einem üppigen Mahle fich letzen. Aus freien Stüden über- 
trugen ihm Volt und Bürgerfchaft die blühende Herrichaft ihrer 
Stadt zu Yande und zur See, boten ſich ihm mit ihrem ganzen 
Befig in unterwürfigem Gehorſam dar und veriprachen alle ihre 
Kräfte und Hilfsmittel an die Erhöhung der Faiferlihen Macht zu 
jegen. Erfreut nahm der König dies entgegen, bemächtigte fich 
ber Herrſchaft der Stadt, erjegte die alten Obrigfeiten durch einen 
föniglihen Statthalter, beftätigte ihnen der Sitte gemäß ihre Volks— 
beſchlüſſe und Gejege in großer Zahl, traf vielerlei Entſcheidungen 
und führte auch eine neue Berfaffung ein; als ihm jchließlich die 
Mittel ausgingen, legte er gierig die räuberifhe Hand an den un— 
ermeßlich reihen Staatsihag, welcher feit vielen Jahren von ven 
Bürgern mühſam zuſammengebracht worden war. Dies aber er- 
regte bei den bürgerlichen Obrigfeiten große Erbitterung und da 
fie zu thätlicher Rache zu ſchwach waren, jo machten fie ihrem 
Grimm dur laute Schmähungen gegen den König Luft, der, 
ohne fi) die Sache jehr zu Herzen zu nehmen, nur mit geringer 
Strafe einjchritt, indem er die Betreffenden ihres Amtes entjette 
und andere, die ihm diefer Ehrenftellen würdiger zu jein ſchienen, 
an ihre Stelle berief. Dann aber gab er, um der Bevölkerung 
nicht ein Gegenftand des Haſſes und Ingrimms zu werden, bie 


1) Pietro in Grado, fiidfildweftlih von Piſa, an der Stelle wo die Straße nad 
Livorno eine entichiedene Biegung nah Süden macht. — 2) Tert: VIII id. Febr. 
(= Fr. 6); in Wahrheit fand der Einzug am 6. März ftatt. 


1312 


406 "  Flnftes Bud). 


Erflärung ab, das. Gemeinmwefen folle in Zukunft in gewohnter 
Weife nach feinen althergebrachten Gejegen regiert werden. Denn 
wenn das Volk einmal fich feiner Leidenichaft überläßt, fo ift es 
ſchwierig derfelben Halt zu gebieten; ganz beſonders gefährlich aber 
ift es, wenn die Wuth fich gegen feinen Herrn wendet, denn dann 
pflegt e8 fich nicht eher zu beruhigen, als bis es in feinem Grimme 
genügende Rache genommen zu haben glaubt. Es iſt jomit ge= 
rathener die Liebe als die Furcht der Untergebenen ſich zu erwerben, 
denn, 0b zwar ber mwadere Mann unbeirrt jeinen geraden Weg 
geht und niemanden vergewaltigt, ſchädigt oder des Seinen beraubt, 
vielmehr bei Gott und den Menfchen gern gejehen ſich ruhig ver— 
hält, während fein Samen gedeiht und ſich mehrt, jo fieht es der 
Ruchlofe, wenn einmal feine Leidenſchaft erwacht ift, darauf ab 
zu rauben und zu plündern, zu Confiscationen zu jchreiten, zu 
morden, in die Verbannung zu ſchicken, bei den Bornehmeren Beute 
zu machen ober von ihnen Geld zu erpreſſen; er giebt fich feiner 
toben Begierde hin und will von tugendhafter Mäßigung nichts 
wiffen. Aber wie der Samen der Gräſer werden herabfallen und 
wie das Gefäß des Töpfers werden zerbrechen diejenigen Herricher, 
welche die Anhänglichkeit ihrer Unterthanen durch Furcht erzwingen 
wollen, welche Throne ftürzen, den Frieden ftören, Zwiſtigkeiten 
und Parteiungen hervorrufen, um gemaltthätig herrſchen und Alles 
für fich nehmen zu tönnen. So handeln die gottlofen, wortbrüchigen, 
Yafterhaften, angftgequälten Tyrannen, denen Jedermann verdächtig 
erſcheint, deren Herrichaft und Leben deshalb auch nie ficher und 
befeftigt, ſondern beſtändig gefährdet if. 

Als der Grol der Bevölkerung einigermaßen geſchwunden und 
alles ausgeglichen und geordnet war, da wog der umfichtige Herricher, 
da das Gerücht täglich ficherer und beftimmter meldete, Daß 
Guibertus de Corregia und Philippo de Langusco fid) mit den 
Bolognefen und Tusciern in ein Bündnis eingelafjen hätten, mit 
den Häuptern der Guelfen vereint die reichätreuen Städte der 
Lombardei mit Krieg und Raubzügen heimfuchten und ohne Scheu 
vor der Züniglichen Gewalt als freche Empörer gegen die erlauchte 





König Heinrich in: Pifa. 407 


Majeſtät aufgeftanden feien, ftrafend die Wage des Gerichts in ge= 1312 
rechter Hand, auf daß die Hörner ihres boshaften Trotzes nicht 
weiter wüchſen und das kaiſerliche Racheſchwert ihnen gebührende 
Scheu einflöße. Indem er daher ihre Vergehen in einer Urkunde 
darlegte, befahl er ihnen innerhalb achtzehn Tagen vor feinem 
Richterſtuhle zu erfcheinen, um fich nach dem Geſetz gegen die An- 
Hoge auf Majeftätöbeleivigung zu verantworten. Died Edikt Tieß 
er an die Thürpfoften feiner Hofburg anjchlagen. In demfelben 
wer nidt nur Guibert nambaft gemacht ſondern auch deſſen 
Schwiegerſohn Johannes Duiricus!) und Opizinus de Unziola 2), 
beides hervorragende Männer. Gleichlautende Briefe ergingen an 
die Städte Parma, Reggio, Florenz?) und Lucca und die übrigen, 
welche ſich mit ihnen zur Vernichtung des Königd verbündet, indem 
die geringfügige Macht vefielben auf fie gar feinen oder geringen 
Eindrud zu machen ſchien. Als die Geladenen ausblieben, fälle 
der König am 8. April *) zu Pifa im Garten des Coſſus und Apr. 8 
Gaddus 5) de Gambacurtis, wo er oft mit feinen Fürften über 
Ichwierige Angelegenheiten Rathes pflog, ein Urtheil, melches jene 
der beleidigten Majeftät Ihuldig erklärte. — Faſt alle Berurtheilten 
und Berbannten Tusciens ohne Unterjchied de8 Stande waren 
nad Piſa gefommen, um den König aufzufuhen, 3. B. Biſchof 
- [Htlvebrandinus] von Arezz0 aus dem Geſchlechte der [Guidi von 
Komena] ©), Simon Philippus aus Piftoja, Caſtruccius de Inter- 
minelli8 aus Lucca, der Faejulaner Thadaeus de Ubertis, Ugutio 
de Fagiola, Friedrich de Montefeltro, ausgezeichnete Männer, da— 
neben viele von geringem Stande, welche nicht jowohl ein widriges 
Geſchick als neidiſche Gehäffigkeit ihrer Mitbürger vom väterlichen 
Heerde fortgewieſen hatte. Site alle erjcheinen in dichtgedrängten 
Haufen vor dem Angeficht ihres Schügerd des Königs, ftellen ihm 
freigiebig ihre Perfon und ihre Habe zur Verfügung und bitten 
daß er ftarf und milde gejinnt fie dem Baterhaufe zurücgebe. 


1) Urkundlich: Chirici. — 2) urkundlich: de Anzola. — 3) vielmehr Siena. — 4) viel- 
mehr am 11. April. — 5) in Heinrichs Urkunden heißen fie Bonacurfius und Girardus, 
6) Vor- und Gefchlehtsname des Biſchofs find im Text ausgefallen. 


1312 


408 Fünftes Bud, 


Er redet ihnen leutjelig zu und ftärkt ihre Hoffnung. Inzwiſchen 
befiehlt ex, im Hinblid auf den Marſch gegen Rom, den Pijanern 
ihm ihre Streitkräfte in voller Rüftung vorzuftellen, damit er ihre 
Zahl erfehen und nad) feinem Gutbünfen diejenigen ausleſen könne, 
welche er für am meiften geeignet und tauglich erachten würde. 
Zuerft läßt er die gepanzerten Reiter, welche ſich durch herrlichen 
Schmuck der Roſſe und glänzende Schilde auszeichneten, in langem 
Zuge vor feinem Palafte antreten und im Kreife Stellung nehmen; 
dieſe Echaar fol, wie meift angegeben wird, ſich auf taufend Köpfe 
belaufen haben. Dann muftert er die Schaaren der Fußgänger, 
die in gleicher Aufftellung folgen, und fein Herz hob ſich al8 er 
die große Schaar erblidte, melde die ihm ergebene Stadt auf: 
gebracht hatte, denn es follen viertaufend gemwejen fein welche 
Schleudern führten, jehstaufend aber die mit Lanze und Schild 
bemehrt waren; dazu kamen endlich noch die zahllofen Haufen des 
leichtbewaffneten niederen Volles. — Um die nämlihe Zeit kam 
es in Pia zu einem biutigen Auflaufe. ALS einft alles bei üppigen 
Mahlen und reihem Weingenuß gierig geſchwelgt hatte und einige 
Mannen Balduins von Trier des füniglihen Bruders nächtlicher 
Weile unter lautem Gejang einen Reigen dur die Straßen auf: 
führten, famen ihnen zufällig Mannen des Grafen von Savoyen 


entgegen, die diejelbe Kurzweil trieben. ALS num die beiven Haufen 


zufammentrafen, verfegte einer, welchen ein anderer leicht ange— 
ftoßen hatte, dieſem erzürnt einen Fauftichlag in's Gefiht. Der 
Berlegte z0g fein Schwert und brachte dem Gegner eine Wunde 
bei, worauf alle in Leidenfchaft geriethen, vom Leder zogen und 
gegen einander losſchlugen, ſodaß mehrere zu Boden geworfen, 
einige getöbtet, der größte Theil aber verwundet wurde. Die 
Nachricht von dieſem Ereignis wurde in überaus vergrößerter 
Geftalt fogleich zum König gebraht, der das Lager verlaffen und 
auf die Straße treten mußte, und, als er erfuhr was es mit dem 
Getümmel und Schreien auf ſich habe, ſogleich alle, verwundete 
und nichtverwundete, aufzugreifen und ind Gefängnid zu bringen 
befahl. Erſt nad) einigen Tagen läßt der König fie auf die Ber: 


Me TE Van DE 7 


König Heinrich in Pifa, 409 


wendung ber beiden genannten Fürften bin wieder frei, nachdem 1312 
fie Berträglichkeit gelobt, die gegenfeitige Unbill vergefien und ein- 
ander vergeben haben. — Um diefelbe Zeit befiel den König noch 
ein anderes Ungemach, welches ihn und die Fürften feiner Um- 
gebung in große Betrübnis verſenkte. Der oben erwähnte Ober: 
hirt von Arezzo nämlich, ein verftändiger waderer Mann, welcher 
mit großem Gefolge zum König geftogen war, und, dem Reiche 
eifrig ergeben, jenen, wie man hoffte, im nicht geringem Grade 
unterftügen und förbern jollte, erkrankte an den Folgen der be: 
ſchwerlichen Reiſe und des unftätten Lebens, welches er in ver 
legten Zeit geführt, und ftarb am 20. April, während man glaubte, Apr. 20 
daß er viel dazu beitragen werde in Tuscien die Faiferlihe Gewalt 
zur Geltung zu bringen. Aber noch ehe er die Schwelle des 
Greiſenalters erreichte, vaffte ihn eine Krankheit Hin; als Erben 
ſeines Beſitzes hinterließ er zwei wadere Jünglinge, Söhne feines 
Bruders, die er dem König and Herz legte. 

Bald darnach ließ der König, welcher inzwifchen die An— 
gelegenheiten Piſa's, jomweit er nur vermochte, geordnet hatte und 
jene Schaaren marjchfertig daftehen jah, feinen Abmarſch nach 
Rom, defien Beſchleunigung die Zeitumftände zu erfordern ſchienen, 
öffentlich anſagen. Auch die Legaten des apoftoliichen Stuhles 
riethen ihm jchleunigen Aufbruh an. Nachdem er daher die dichten 
Schaaren der Genueſen, der verbannten Tuscier und feiner Deutfchen 
zufammengezogen, verläßt er die Stadt Pia, deren Verwaltung er 
dem Grafen Franciscus de Übaldinis, einem recht waderen Manne, 
überträgt. In Begleitung von einigen Edlen und zweihundert an= 

geſehenen Männern aus dem Mittelftande zieht er am 26. April Apr. 2 
aus den Thoren Piſa's aus, welches er nie wieder erbliden follte). 
Den erſten Abſchnitt feines Marſches beendigt der Ort Bigale 2) 
an den Grenzen des pilanifchen Gebietes, den er fi) zum Ruhe— 
hafen erfieht. Die genannte Stadt, auf einem breiten Hügelrüden 


1) Eine auffallende Fliihtigfeit unferes Autors, der wenige Blätter weiter unten der 
zweiten Anfunft des Kaifer3 zu Pila im Jahre 1813 gedenft. — 2) Vignale nordöftlich 
von Piombino. 


1312 


410 Fünftes Bud). 


erbaut, Tiegt nahe am Geſtade; man erblidt von hier in geringer 
Ferne die unermeliche Meeresfläche und, meiter entfernt, viele 
berühmte Infeln, denen Piſa gebietet, jo namentlich Eorfica, deſſen 
fruchtbarer, produftenreicher Boden füge Honigwaben mit unglaub= 
lich reihem Erträgnis gewährt, wogegen Sardinien ſich durch feinen 
Weizen und viele andere Schätze auszeichnet; Elba endlich erzeugt 
ungeheure Mengen von Erzen und Eifen befler Qualität. Andere 
Inſeln freilih find unfruchtbar und faum bewohnt, weil fie für 
den Getreivebau nicht geeignet find; die Geſchichte weiß daher aud) 
von ihnen nicht zu berichten. An der Küfte Liegt die Hafenftadt 
Plombinum, welche eine ftarfe wohlhabende Bevölkerung hat, ſodaß 
die Pifaner fie für einen ihrer größten Schäte halten”). 

Nachdem er diefen Ort palfiert, zog der Herricher, meil ver 
Weg durch Tuscien wegen der Auffäffigen unfiher war und er 
bejorgen mußte durch Liſt oder Gewalt in den Engpäſſen von den 
feigen Gegnern Schaden zu erleiden, an der Küfte entlang und 
übernachtete bei einem Orte, welchen die Einwohner Caftilio 2) 
nennen, an den äufßerften Grenzen des pifanifchen Gebietes. Hier 
vaftete er zwei Tage, um ſein Kriegsvol zu erwarten, meil ex jetzt 
feindliche Lande betreten mußte. Am Morgen des dritten Tages, 
als Alles beifammen war, hielt er leutſelig eine Aniprade an 
jeine Truppen, entzündete mit feurigen Worten ihre Kampfesluft 
und hieß fie fi) ungefäumt zur Schlacht rüften. Er jelbft zeigte 
fih in Harniſch und Schild zum Zeichen daß etwas Wichtiges im 
Werke ſei. Dann feste er fih an die Spige einer Abtheilung 


von etwa vierhundert Neifigen und rückte mit derjelben vor, während 


er den Reit dem Grafen von Savoyen übergab, mit dem Befehl 
ihm ungeſäumt nadzufolgen. Er glaubte nämlich, die Gegner 
jeten wider ihn ausgerüdt, um ihm ven Mebergang über ben 
Umbro 9) zu wehren, welcher im Gebirge entjpringend bei Grofietum 
in die Ebene tritt und oft durch ftarfe Negengüffe oder in Folge 
der Schneejchmelze zu einem gewaltigen Strome anſchwillt, ſodaß 


1) Lückenhafte Stelle. — 2) Eaftiglione della Pescaja, an der Küſte auf gleicher Höhe 
mit Groffeto. — 3) Ombrone. 


s 
1 








König Heinrich in Pifa. 411 


dann der Uebergang über venjelben mit den größten Gefahren ver= 
bunden ift. Als aber der Cäfar ſich dem Fluſſe näherte, meldete 
ihm ein vorausgefandter Späher, die Sanejen ſeien entwichen und 
dem Mebergang ftehe fein Hindernis im Wege. Theils erfreut, 
theil8 auch bedauernd daß der Fluß ohne Weitered paſſierbar fei, 
bewerfftelligt der König den Untergang; am anderen Ufer mitten 
im Felde wird um die fechfte Stunde Halt gemacht und abgekocht. 
Als Menjhen und Thiere neugeftärft find, geht es meiter durch 
ebene8 Land, bis man fünf Miglien von Siena entfernt auf Rath 
des Nicolaus de Bonfignoribus Halt macht ). Im geringem Ab— 
ftand folgten dem König der wadere Graf von Savoyen und ber 
Erzbiſchof von Trier, der Bruder des erfteren, mit den gemijchten 
deutſch⸗italieniſchen Schaaren, indem jeder dem anderen möglichft 
den Rang abzulaufen fuchte; ganz beſonderen Eifer aber legen bie 
galliſchen Fürften in der Umgebung des Herrichers, ihres Herren 
und Gönners, als deſſen treusgehorfame Begleiter fie fich erweilen, 
an den Tag, jo Theobaldus de Barre der Biſchof von Lüttich, 
Herzog Rudolf von Baiern, Graf Goffred de Lignazo, der Graf 
von Octingen?), der Graf von Calcinembroch und viele andere wadere 
Männer. Auf fie geftügt wagte e8 der Kaiſer ſich den Hütten 
der Landbevölkerung anzuvertrauen und dafelbft zu übernachten; in 
der Frühe des nächſten Morgens gab er auf Anrathen des Nicolaus 
de Bonfignoribus die Erlaubnis zur Berheerung der Felder und 
Dörfer der Sanefen. So jchweiften feine Schaaren bis an Die 
Mauern von Siena heran und fchleppten viele Landleute und Vieh, 
welche fie auf den Feldern gefunden, als Beute ind Lager. Die 
Städter wagten beffenungeachtet Keinen Ausfall, weil fie innere 
Parteiungen und treulofe Umtriebe fürchteten, ſodaß fie leicht durch 
Hinterlift großen Schaden nehmen konnten. Nachdem der Cäſar 
genügende Beute gemacht, nahm er feinen Weg nad der Grenze 

1) Diefe Abſchwenkung des Königs gegen Siena, melde uns nirgends fonft erzählt 
wird, ift wohl fiher zu verwerfen, um fo mehr da unfer Autor fid) hier iiber die Ent— 
fernungen durchaus ununterrichtet zeigt. Seinem Berichte zufolge nämlid mußte das 


Heer an Einem Nachmittage mindeitens 25 Miglien (vom Ombrone, der bei Groffeto 
überfohritten wurde, bis fünf Miglien vor Siena) zuriidgelegt haben. — 2) Dettingen. 


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1312 
Mail 


412 Fünftes Bud. 


Tusctend und erreichte am 1. Mat ohne Unfall Viterbo, wo er 
vier Tage verweilte um feine jehnlich erwarteten Schaaren heran- 
fommen zu lafien. Hier kam ihm zahlreiche Mannichaft entgegen, 
melhe Manfred der Präfeft von Rom, dem der Anhang des 
Königs fie zur Verfügung geftellt hatte, diefem zuführte. Ihre 
Ankunft fteigerte den Muth der Königlichen nicht menig. 


5. Ereignijje in Rom. 


Bon Viterbo aus wurde Rom Ichnell erreiht. Dem König 
war inzivifchen berichtet worden, Johann, der Bruder König Roberts, 
gehe darauf aus, von den Urfint unterftüst, mit zahlreicher Mann 
haft alle zur Kriegführung brauchbaren Punkte zu fichern und Die 
Zugänge zur Stadt, namentlid) auf der Seite, wo der römijche 
König heranziehen mußte, zu ſperren; insbejondere ſuche er fich 
auch des Zugangs über den Pond Mollis, drei Miglien vor Rom, 
den Stephanus und Sarra, die Häupter der Partei der Columma 
liſtig vorweggenommen, hätten und für den Auguftus behaupteten, 
mit Gewalt zu bemächtigen. Auch innerhalb der Mauern Noms 
fanden hartnädige Kämpfe und Aufläufe ftatt; die Bevölkerung 
jet geipalten; Ludwig von Savoyen aber befinde fi in einer 
außerft gefährlichen Lage. Deshalb beichleunigte der Cäſar ſeinen 
Marſch und langte endlich vor Kom an, wo Johannes aus Furcht 
vor den anrüdenden Gegnern feine Truppen mit Ausnahme von 
vierzig Mann, welche die Beſatzung des fogenannten Tripizon 
eines gewaltigen Thurmes, der eine Eleine Strede jenfeit8 der er— 
wähnten Brüde Yag, bildeten, bereits zurüdgenommen und ſich 
unter die Befeftigungen des Stadttheiled von St. Angelus ) be— 
geben Hatte. Unmillig daß wider feine Erwartung die gegnerifchen 
Schaaren abgezogen waren, paffierte der König raſch ohne Wiber- 
ftand zu finden die genannte Brüde, als ſchon Dunfelheit den 
Himmel bebedte, ſodaß er gezwungen war mitten auf dem Felde 
zu übernachten. In dieſer Lage Juchte der Ankömmling den 


1) Stadttheil der Engelsburg (die Leoftadt). 





Ereigniffe in Rom. 413 


tröftenden Schlaf jo gut er vermochte. Zunächſt galt es fich mit 
der ſtarken Feftung des Tripizon abzufinden, unter welcher man 
genöthigt war hindurchzumarſchieren. Der Marſch gelang denn 
auch nicht ohne Verluſte; nicht wenige der Königlichen wurden 
bon den weithin gejchleuderten Speeren der Feinde getroffen und 
gezwungen vie Hilfe des Wundarztes in Anſpruch zu nehmen. 
Dann aber 309 der Cäſar am frühen Morgen von den Schaaren 
feiner Getreuen, unter denen fid) aud die bereit erwähnten 
Columna, Stephanus und Sarra, befanden, geleitet und von einer 
großen Bolfsmenge eingeholt, ohne Unfall in Rom, das Ziel feiner 
langgehegten Wünjche, ein. Die Sonne, welche an dieſem Tage 
nur für den Herricher aufzugeben jchien, führte die Nonen des Mai 
herauf. Der König wandte ſich zuerft zum Lateran und ſchlug 
hier an ficherer Stelle feine Nefivenz auf. Hier empfing ihn 
ehrerbietig der Clerus und er betrat nad althergebradter Sitte 
in der Tracht eines Stiftäherren, im pelzverbrämten Mantel und 
mit dem Barett bedeckt, die Kirche des heil. Johannis 1). Nachdem 
dort Jubelhymnen gefungen worden, machte ſich Alles frohgeſtimmt 
an das bereitftehende Mahl. Sobald er ſich aber gefättigt, erwacht 
in ihm die ganze Thatkraft des Herrſchers und ſchnell verfammelt 
er die Fürften zum Rath. Auf deren Vorſchlag entjendet er den 
Biſchof von Trier und Graf Robert von Flandern zur Erftürmung 
oder Einnahme des Thurmed des Tripizon, der den Zugang be 
Ihwerlih machte. Die beiden Fürften ſammeln ihre Mannſchaft 
um ſich, eilen nach jenem Orte hin und fchlagen ihr Lager im 
Felde auf, da wo der König zwei Tage zuvor übernachtet hatte. 
Dann greifen fie die Söloner des Iohannes, welche den Thurm 
mit Wurfipießen und verfchtedenen Arten von Schleudermaschinen 
vertheidigten, an, doch führte der erfte Angriff eben jo wenig zum 
Ziele wie eine wiederholte Beftürmung. Nachdem dann Johannes 
zahlreiche Schaaren dorthin entjendet um die Beſatzung zu ver 
ftärfen, fam e8 endlich zu einer größeren Schlacht, in der beide 


1) ©. Giovanni di Laterano. 


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Mai 7 


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414 Fünftes Buch. 


Theile große Verlufte erlitten. Dod gingen die Königlichen als 
Sieger aus dem Treffen hervor; die Hilfötruppen Sohannd wurden 
aufs Haupt geichlagen und in die Flucht getrieben, auf der jedoch, 
fünf Männer, die durch prächtigen Waffenſchmuck als Vornehme zu 
erfennen waren, niedergemacht, zwei andere jo jchmer verwundet 
wurden, daß fie bald hernad) ihren Geift aufgaben. Hierauf er- 
gab ſich auch die Beſatzung des Tripizon, da fie nicht mehr auf 
Hilfe Hoffen Konnte, und überlieferte ven Thurm. Diefer Sieg 
erfüllte den König, mit großer Freude und erhöhte die Kampfluft 
der Seinen, fodaß er darauf denken konnte den Trotz der Feinde 
gänzlich zu bändigen und die feften Punkte der Stadt, welche durch 
Johannes und die Partei der Urfint gegen ihn beſetzt gehalten wurden, 
zu erobern. Zunächſt befanden ſich ſolche Verſchanzungen an den 
Straßen, die den König von der Burg des Jupiter !) trennten; dieſe 
alle indeß nimmt er mit ftürmender Hand ohne weſentliche Verluſte. 
Nur ein großer hochragender Thurm bei der Marcuskirche leiſtete 
einigen Widerſtand, doch ſchon vor dem Abend des folgenden Tages 


lag er befiegt darnieder. Als legte Feftung blieben nur no die 
Milizien beftehen, von wo aus man direkt zum Capitol auffteigt. 


Diefe Fefte hatte Ludwig von Savoyen, zur Zeit da er Senator 
war, der Obhut zweier tapferer Männer, des Rizardus aus dem 
Gefchleht der Urfini und des Johannes de Annibaldis unter der 
Bedingung anvertraut, daß fie der Ankunft des römiſchen Könige 
feinen Widerftand in den Weg legen, ihn vielmehr ohne mweitered 
in die Veſte einlaffen follten. Dod hatten ſich beide auf Die Seite ” 


des Johannes gejchlagen und waren entichlofien, den ihnen vers 


haften König feinesfalls einzulafien. Nachdem nun legterer fi 
vergebens bemüht hatte ihren Starrfinn auf gütlihem Wege zu 





drehen, entichloß er fich, da die Milizien uneinnehmbar zu fein 
Ichtenen, zu Lift und Betrug feine Zuflucht zu nehmen; und fichere 
lich ift e8 erlaubt, wie Gemalt durch Gewalt zu vertreiben, jo aud 


ſchlaue wortbrüchige Verräther durd Trug und Berrath zu Tall 


1) D. i. das Capitol. 


* 





Ereignifje in Rom. 415 


zu bringen. Nachdem der König aljo eine furze Weile verzogen 
hatte um fich Tchlüffig zu machen, Iud er durch einen freundlichen 
Brief den Annibal, den Bruder des Johannes der die Milizien 
beſetzt hielt, zu fi) und bat ihn, ganz ohne Furcht fich ber ihm 
einzuftellen. Annibal, welcher fich vom König feines Argen verfah, 
begiebt fich eilend8 zu demjelben. Der König fragte ihn zuerft in 
der Leutjeligften Weile, weshalb er fein Gegner fei und ihn, den 
anfommenden Herm und Fürften der Römer, nit aufnehme, und 
ermahnte ihn feinen Trotz bei Seite zur laſſen, indem er ihm zu= 
gleich Reichthum und Macht in unbeichränfter Fülle in Ausſicht 
ftellte; zunächſt aber forderte er die gutwillige Heberlieferung der 
Milizien. Jener antwortet: er fer fein Feind des Königs, im 
Gegentheil, ihm erſcheine e8 jehr erſprießlich, wenn dieſer den Sit 
feiner Herrſchaft gewinne; deswegen werde er ihm nicht nur nichts 
in den Weg legen, jondern ihn vielmehr unterftügen; was aber das 
betreffe, daß der König die Milizien zu gewinnen wünfche, jo fönne 
ex, Annibal, über viefelben nicht frei verfügen; er werde fich in 
dieſer Angelegenheit an feinen Bruder wenden und jei Willens bei 
demſelben darauf zu dringen, daß derjelbe nebſt ſeinem Genoſſen, 
mit dem er zufammen die Feſte beſetzt halte, fi dem König füge. 
ALS Annibal Hierauf Anftalt machte ſich zu entfernen, gebot ihm 
der König zu bleiben, nahm ihn in Gewahrfam, und legte ihm 
fogar Feſſeln an. Ebenſo verfuhr er mit einigen anderen römiſchen 
Edlen, deren trogiger Sinn ihm gefährlich erſchien, und jetste allen 
nur eine kurze Frift, indem er ihnen graufam einen qualvollen Tod 
in Ausficht ftellte, falls innerhalb diefer Frift ihm jene Veſte nicht 
übergeben werde. Annibal benachrichtigte insgeheim feinen Bruder 
und flehte, ihn vor einem jo jchimpflichen Tode zu bewahren. Als 
Johannes die That des erbitterten Herrſchers erfuhr, war er, voll 
Erbitterung über die Hinterlift defjelben, zuerft in rauhen Helven- 
muth gejonnen das Leben des gefangenen Bruder nicht zu er— 
faufen. ALS aber der feftgefeste Tag kam, ermeichte der Gedanke 
an die jcheltenden Worte und den beworftehenven jchimpflichen Tod 
desjenigen, den er über Alles Yiebte, feinen harten Sinn und er 


1312 


1312 


416 Fünftes Bud). 


309 es vor, menjchlic ftatt helvdenmüthig zu handeln. So über- 
Yieferte er ohme Wiffen Johanns, des Bruders König Roberts, um 
den Preis der Rettung jeined Bruders feine Veſte dem römischen 
König, welcher dieſelbe jchnell in Befig nahm und mit einer Be- 
fagung belegte. Trotzdem jollte er auch jettt das Capitol nicht 
ohne Kampf gewinnen. Denn dorthin zogen ſich aus den Milizien 
Kizardus und Johannes zurüd, nachdem fie jchon früher die Burg 
mit einer überaus ftarken Beſatzung belegt hatten. Außerdem blieb 
nod) nahe dem Capitol ein anderer Punkt zu erobern, nämlich 
eine Kirche, welche die Frömmigkeit der Minderbrüver der jung: 
fräulichen Mutter des Wortes T) geweiht hatten. Dieſen Punkt, 
der ebenfalls durch bewaffnete Mannſchaft vertheidigt wurde, greifen 
die Königlihen zuerft muthig an, erftürmen ihn ohne Schwierig. 
feit, hauen die Beſatzung nieder und fegen fid) darin feit. Auf 
Seite der Königlichen waren viele Streiter durch Wurfſpieße ver: 
wundet worden, doc wurden alle im Berlauf weniger Tage voll- 
ftändig hergeftellt. — Um dieſe Zeit fand fich bei Johannes, dem 
Bruder Roberts, eine zahlreiche Heeresabtheilung aus Tuscien ein, 
welche taufend Mann zu Fuß umd zu Roß gezählt haben fol. 
Ihr Führer war der Graf von Bijernum, ein Todfeind der Pifaner, 
welcher auf dem Bicus Latus, wo es Canuganum heißt 2), den 
Königlichen ein Treffen Tieferte, aus welchem nad) einem hart= 
nädigen Handgemenge der Cäſar um die jechfte Tagesftunde als 
Sieger hervorging. Viele Tuscier bededten die Wahlftatt, andere 
wurden noch nad) Abbruch des Kampfes ergriffen, dev Reſt rettete 
fi) durch die Flut. Die Gefangenen, unter denen ſich neben vielen 
Edlen und Gemeinen der Graf von Bifernum felbft befand, wurden 
in Feſſeln gelegt. Die Königlichen aber verfolgten die fliehenden 
Feinde weithin und ſteckten viele Häufer und Schanzwerfe in Brand, 
wobei viele Menjchen, auch Bemwaffnete, die das Vorbringen Des 
Königs aufzuhalten verfuchten, in den Flammen ihren Tod fanden. 
Die jubelnden Sieger aber drangen, während das Feuer nad) allen 


1) D. i. Jeſus, wol zufolge dem Anfang des Johannis- Evangelium. — 2) d. i. der. 9. 
Camigliano (na dem angeblichen Bogen des Camillus) zwiſchen Via Lata und Minerva. 


* a 


Ereigniffe in Rom. 417 


Seiten um fi griff, bis zur Minerva vor, mo der gefegnete 
Orden der Predigermönde vor den Altären ergeben frohe Hymnen 
zu Gott emporfendet. Diefes Ereignis feste Iohannes umd 
Kizardus dermaßen in Schreden daß ihnen der Muth zur Ver— 
theidigung entjanf, zumal da fie die Schugdächer und die fonftigen 
Maſchinen zur Erftürmung des Capitols ſchon bereit ftehen fahen. 
Sie machten ſich daher heimlich aus dem Staube. Die geringe 
Mannihaft, welche fie oben zurüdgelafien, bedang ſich nur das 
Leben aus und capitulierte ungefäumt. So gelangte jener Platz, 
den die Alten einft der Verehrung des Jupiter gewidmet hatten, 
von den Bertheidigern im Stich gelafjen, ohne Schwierigkeit in 
die Hände des römiſchen Königs. 

Nach althergebrachter Sitte beftätigte dann dieſer feinen Ge— 
noffen ihre Aemter und Würden und theilte nad allen Geiten 
Lehen aus; auch gab er dem Ludwig von Savoyen das Amt des 
Senators, welches verjelbe längft ‚geführt hatte, zurüd. Auf ver 
anderen Seite aber ließ Johannes, König Nobertd Bruder, ver 
auf die Urfini geftütt jenjeit des Tibers einen erheblichen Theil 
der Stadt inne hatte und mit großer Truppenmacht die Stadt 
St. Angeli, weldhe mit hohen Mauern umgeben war, behauptete, 
nicht nach durch plögliche Angriffe die Königlichen zu beläftigen ; 
öfters freilich wurde er auch von letteren nad) blutigem Gemetzel 
geihlagen und in die Flucht geworfen. Er hütete fich indeß eine 
Seldihladht anzufagen, weil er den Kampf Mann gegen Mann 
Icheute; wielmehr beftand jeine Kampfesweile darın daß er häufig 
wie ein Räuber von jeinen Verſchanzungen aus einen Vorftoß gegen 
die Königlichen unternahm und dann, nachdem er einige Hiebe aus- 
getheilt und zurüdempfangen, eben jo ſchnell wieder verſchwand. 
Hierdurch wurden die Königlichen, die fortwährend zu den Waffen 
greifen mußten ohne Exhebliches ausrichten zu können, fo erbittert, 
daß fie ſich vornahmen jenen durch Liſt zum Kampf zu zwingen, 
indem fie ihm namlich durch einen Hinterhalt ven Rückweg zu ver— 
legen gedachten. Ohne Säumen ſchritten fie ans Werk. Nach— 
dem Alle ſich fampfbereit gemacht hatten, hieß der Graf von 

Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrich VII. 27 


1312 


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418 Fünftes Bud. 


Savoyen eine auserlefene Schaar in ſchnellem Lauf bi8 am die 
Berfhanzungen der Gegner herangehen, wo fie fid) von dieſen ihrem 
Auftrage gemäß umzingeln und in einem Kampf verwideln ließ. 
Sobald nun das Kriegsvolk des Johannes, um die Streitenden 
feiner Partei zu verftärfen, in größerer Menge hervorbrach, ſchickte 
der Anführer der Königlichen die Seinen jchleunigft ebenborthin. 
Sp fam es zu einem heißen Treffen, in meldem anfangs die 
Schaaren des Johannes in die Flucht geichlagen werben; als die 
Königlichen indeß den Sliehenden bis zu den Schanzen inmitten 
der Stadt folgen, werden fie hinterrüds von den Gegnern über- 
fallen, denn im Eifer des Sieges hatten fie nicht darauf Acht 
wohin fie geriethen. Gegen fie bricht nun ein zweiter Schlacht— 
haufe des Iohannes, den er immer als Reſerve zurücbehielt, mit 
gewaltigem Stoße hervor und ſchlägt die Ermatteten, der Wege 
Untundigen, nady kurzem Kampfe vollftändig. Sp weit fie nicht 
fallen oder in die Gefangenſchaft gevathen, eilen die Königlichen 
nad der Stelle zurüd mo ihre übrige Streitmacht aufgeftellt iſt 
und erreichen diefelbe der werfolgenden Feinde ungeachtet. Inzwiſchen 
hatte der oben erwähnte Anführer eine ftarfe Abtheilung in Stand 
gefett, um, wie man plante, den Feinden einen Hinterhalt zu legen. 
Als er num wahrnimmt daß die Seinen übel zugerichtet ſich auf 
die Flucht begeben haben, ftürzt er mit voller Wucht auf die 
Gegner vor, wirft diefelben, die ihm an Zahl durchaus nicht ge— 
wachjen find, ohne Mühe zurüd und folgt ihnen, indem er die 
Flüchtigen niedermegelt, bis an den Tiber; als er hier abermals 
Truppen vom Heere des Johannes aufgeftellt fieht, ftürzt er ſich 
wie ein Löwe in gewaltigem Sprunge auf fie, da er e8 nicht über 
fich) gewinnen kann vor ihren Augen den Rüdzug anzutreten. An 
diefer Stelle, wo ſich bald alle königlichen Heerführer einfinden, 
fommt e8 num zu einem höchft erbitterten Kanıpfe. Keine Schlacht— 
ordnung, feine planmäßige Aufftellung läßt fid) wahrnehmen, jon= 
dern, zu einer ungeordneten Maſſe zufammengeballt, kämpfen Die 
Einzelnen auf dem Flede den der Zufall ihnen angewieſen hat. 
Da fam e8 denn zu einem entfeglichen Gemetzel, wobei die jtreitbarften 


ii BT a a rt rn a 








Ereigniffe in Rom. 419 


wacerften Männer in unglaublid großer Zahl dem Schwerte zum 
Opfer fielen. Auf Seite der Königlichen fielen Theobaldus de 
Barre der Biſchof von Lüttich, ein Mann ebenfo umfichtig im 
Rath als tapfer im Streit, ein Vetter des Königs, Johannes de 
Cont der Haushofmeifter des Biſchofs von... ... 1) der Abt 
von Guiſenborch?) und Peter von Savoyen ein Bruder des 
Senators, dazu eine große Zahl weniger hohen Ranges, die in- 
geſammt nicht ſowohl auf feiger Flucht gefällt wurden als vielmehr 
im dichteften Gewühl den Todesſtreich empfingen. Viele, die fich 
aus UnfenntniS der Gegend in den Straßen verirrten, wurden von 
den Söldnern der Feinde aufgegriffen und niedergehauen. Endlich 
gab der Cäſar, welcher troß feiner ſchweren Verluſte ſich nicht für 
befiegt anfah, das Zeichen zum Rückzuge. Doch auch Johannes, der 
das Feld behauptete, mußte feinen Erfolg theuer bezahlen, denn eine 
große Anzahl der Seinen lag erſchlagen oder war unbeilbar verwundet, 
zum Beiſpiel der weitberühmte Laurentius des Johannes Statius 
Sohn aus der Familie der Urfint, der den Beinamen de Campo 
Florido führte, ein kühner und waderer Jüngling. Gentilis Urfinus 
empfing im Unterfchenfel eine tödtliche Wunde. Die Zahl der Nicht- 
adligen, melde auf beiden Seiten fielen, [hätt man auf zweihundert. 

Der Abend war bereit8 angebrocden als das Treffen abge- 
brochen wurde. Freitag der 26. Mai war der Tag, der die hoch— 
trabenden Hoffnungen der föniglichen Heerführer niederſchlug und 
ihre Seele mit bitterem Schmerz erfüllte. Aber Stephanus de 
Columna, defjen Bruder und die übrigen Römer, welde fich zahl- 
reich beim König eingeftellt hatten, richteten fie wieder auf und er— 
fülten fie aufs neue mit Hoffnung und Muth. ALS die Legaten 
des apoftoliichen Stuhles, welche den Cäſar treu begleiteten, wahr- 
nahmen, wie übel Johannes und deffen Helferähelfer, die Urſini, 
ihm mitjpielten, beſchließen fie, vol Bedauern über fein Misgeſchick, 
einen Verſuch zu machen die Feinde auf dem Wege der Güte zu 
gewinnen, da .fie es für erfprießlicher erachteten daß der Herrfcher 


1) Lücke im Text. — 2) Weißenburg. 


1312 


Mai 26 


420 Fünftes Bud). 


> e8 mit Derträgen ftatt mit dem Schmert verfuhe. Denn das 


Schlachtenglück ift wandelbar, und ftetd bleibt e8 unficher wen Das 
Geſchick den endlichen Sieg verleihen wird. Die Gardinäle richten 
daher, nachdem der König ihrem Beginnen wenigftend nicht in den 
Meg getreten war, an den ermähnten Johannes und deſſen Bundes- 
genofjen, den an feiner Wunde darniederliegenden Gentilis, Ponzellus 
und Bonzellinus, ebenfall$ erlauchte Glieder der Familie der Urfint, ein 
Schreiben, in welchen fie jene Dringend auffordern, fie möchten ſich dem 
Cäſar nicht widerfegen, ſondern vielmehr zulafjen, daß derjelbe in der 
Bafilifa der Apoftel das kaiſerliche Diadem auf feine Stirne ſetze. Sie 
ſchlagen vor durd ein fürmliches Abkommen Frieden zu Schließen, zu— 
nächft aber ſich über einen Etillftand zu einigen und Die Waffen ruhen 
zu laffen, bis man, was auch der Papſt dringend wünſche, einen 
feften Frieden vereinbaren werde; die Unbilden, die man fid) gegen= 
jeitig zugefügt, jollten vergeben und vergefjen fein. Gehe Johannes 
mit den Seinen hierauf nicht ein, jo werde er den heiligen Bater, 
der fie zur Krönung des Fürften entjandt habe, erzürnen. Außer— 
dem lichen fie einfließen: das römiſche Volk trage bereits Verlangen 
darnach für feinen König die Waffen zu ergreifen und gegen deſſen 
Feinde einen blutigen Kampf zu eröffnen, nur die milde Sinnesart 
des Herrihers hindere die Römer ihren Vorſatz auszuführen. Auch 
führten fie noch manche erhebliche Gefichtspunfte an, Die das 
Abkommen im beften Fichte erfcheinen laſſen follten. Aber das alles 
ſowie der Auftrag, der den Cardinälen vom Papfte ertheilt worden, 
machte auf die fühnen trogigen Männer jo wenig Eindrud, daß 
fie da8 Schreiben nicht einmal einer ihre Wünſche und Ziele dar- 
legenden Antwort würdigten. Dies erbitterte die Cardinäle, melde 
nun dem Papſte ſchildern wie die Dinge zu Rom ftänden. Mehr 
aber noch zürnte der König. Er rief die Fürften zur Berathung 
zu fi und ließ zugleidh Die Bürger Roms ohne Unterjchted Des 
Standes auf einem freien Plage unterhalb des Capitols zufammen- 
fonmen. Mehr als zehntaufend Männer jollen dort beifammen 
geweien jein. Diefen Iegte nun Nicolaus von Siena!) in ge 


1) D. i. Niccold de’ Buonfignori. 


— 





Ereigniffe in Ron. 421 


wandter Rede dar, wie die Urfint und deren Anhang jenjeit des 
Tibers auf Johannes geftügt eine fo fefte Stellung behaupteten 
und eine fo bedeutende Macht entwidelten, daß man faum Hoffnung 
babe ihrer Herr zu werben. Da diefelben nun fich mweigerten zus 
zulafjen, daß der König nad) hergebrachter Sitte in der Apoſtelkirche 
die Krone empfange und fogar eine Mahnung der Xegaten des 
heiligen Stuhles ohne Antwort gelafjen hätten, wie jie denn zweifel- 
[08 an nichts weniger dächten als ſich zu unterwerfen, jo jet e8 
erforderlich alle Rückſichten bei Seite zu laſſen und mit ungewöhn- 
lichen Mitteln vorzugehen. Es habe demgemäß der königliche Rath 
beichlofen, alle Diejenigen, melde bisher, von den Empörern ver- 
führt, dem Cäfar die ihm zufommende Anerkennung verweigert, 
zu einem beftunmten Termin unter dem Beriprechen völliger 
Sicherheit zu den Adlern zu berufen; wer dann aber hartnädig bei 
feinem Unterfangen vwerbleibe, der müſſe fich gefaßt maden alle 
Leiden des Krieges zu erdulden. Durch diefe und ähnliche Worte 
ruft der Saneſe lärmenden und jubelnden Beifall hervor, worauf 
er ſchließlich die Anweſenden auffordert alsbald die Waffen zu er: 
greifen und die Feinde aufzujuchen. ALS jedoch der König vor- 
fichtig Die Sache zu verfchieben mahnt und zunächft einen unzwei— 
deutigen Erlaß an die Transtiberinen richten heißt, um fie zu den 
königlichen Feldzeichen zu berufen, brechen nur einige wenige un- 
geheigen gegen die Feinde auf. Um diefe Zeit ftellten ſich bereits 
mandye angejehene Männer, welche ſich getrieben füylten zu den 
zweideutigen trügeriſchen Verhältniſſen in Nom eine feite Stellung 
zu nehmen, beim König ein. Die befannteften von diefen Männern 
waren der viel gerühmte junge Urſius aus dem Geſchlecht Der 
Urfini, Petrus de Monte-Negro, ein unternehmender Kopf, der in 
den römischen Parteikämpfen eine Rolle jpielte, ſowie Rizardus De 
Annibaldis, welcher e8 nicht wagte dem Johannes nad) der Ueber— 
gabe der Milizien wieder vor die Augen zu treten. Dieje ſchloſſen 
ſich dem König aus freien Stüden an und trugen nicht wenig dazu bei 
jeinen Muth zu beleben. Ihnen übergiebt er einzelne Abtheilungen 
des Volkes, um mit denſelben den Kampf gegen das Stadtviertel 


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422 Fünftes Bud). 


St. Angelt zu eröffnen, zu deſſen Erftürmung alle viethen. Aber 
der deutjche König maß feine Kräfte vwergeblid an der uneinnehm- 
baren Feſte und führte ohne Erfolg feine Streiter gegen dieſelbe 
heran. Er erreichte nicht nur nichts, ſondern erhöhte dadurch nur 
die Zuverficht feiner Feinde fo jehr, daß diefelben voll friichen 
Muthes am nächſten Tage einen Ausfall auf die Königlichen 
machten und viele derjelben theils niederhieben, theils als Gefangene 
in ihre Veſte jchleppten. Nicht Langer fonnte fich jest der König 
der Einſicht verjchliegen daß die Gegner ihm überlegen ſeien und 
auch über die für die Krönung in Ausficht genommene Zeit hinaus 
ihm den Gehorfam verweigern würden. Am Sieg verzweifelnd beſchließt 
er daher die Yegaten des heiligen Stuhles um die Vollziehung ihres 
Auftrags angehen zu laſſen, und zwar follten die angejehenen Römer 
jene Dazu bewegen, damit e8 nicht das Anfehen gewinne als ob er 
jelbft fie zwinge. Er ftellt daher das Verlangen ihm zu bemilligen, 
daß, da die Yage der Dinge die Krönung in der Apoftelfirche nicht 
zulafje, er auch außerhalb verfelben an jedem beliebigen Orte inner= 
halb der Mauern Noms feines Wunſches theilhaftig werden dürfe. 

Demgemäß werden auf Anordnung des Königs zehn einfluß- 
reiche und angefehene Männer zu den Cardinälen entfandt, um von 
denjelben zu vernehmen, was fie mit dem König zu thun gedächten. 
Weil jedod) die überaus heifle Angelegenheit, für und wider Die 
viel Stichhaltiges vorgebracht werden fonnte, ſich nicht übers Knie 
brechen ließ, jo wurde die Entſcheidung einftmeilen vertagt. Als 
aber inzwiſchen, im Lauf der nächften vierzehn Tage, der König fic) 
Durch einen neuen unvermutheten Angriff der Feinde abermald von 
ihmerzlihen Berluften betroffen ſah (Damals empfing 3. 2. 
Stephanus Columna, der ihm eine große Stüge war, durd) einen 
Pfeilſchuß eine ſchwere, nahezu tödtlihe Wunde) beichloß er, won 
Beforgnis und Trauer erfüllt, auf jede Weile fich der Kaiſerkrone 
zu bemädtigen. Es fam hinzu daß eben damals, da er Schlag 
auf Schlag erlitt, Simeon Philippus aus Piftoja, der Piſaner 
Vanni Zeno und Ubaldinus de Kaftello unverrichteter Sache von 
ihrer ſiciliſchen Geſandtſchaft zurückehrten, was nicht eben dazu 





Ereigniffe in Rom. 423 


diente die trübe Stimmung des Herrfchers zu verbeffern. Die Ge- 
nannten waren nämlid mit Manfredus de laramonte nad 
Sicilien gegangen, um über ein Ehebündnis zwiſchen den Häuſern 
der beiden Könige zu verhandeln, hatten aber menig oder nichts 
ausgerichtet. In diefen Tagen erlitt der Mond eine Verfinfterung 
und verlor, als Vollmond blutroth am wolfenlojen Himmel ftehend, 
jein Liht auf der Hälfte der Scheibe, eine Erjcheinung, die wie 
die Zeichendeuter ) fie auslegten, auf großes Unheil voraus wies. 
ALS nun die zu den Cardinälen entfandten Deputierten länger ver- 
zogen und das römiſche Volk bereit8 unmillig wurde, daß jene jo 
wenig bedacht ſeien die Wünſche feines Königs zu erfüllen, ſchickt 
diefer abermals einundzwanzig auserlefene Männer zu den Cardinälen, 
um diejelben über ihre Anficht zu befragen, fie aber zugleich zu 
bedeuten, dem Berlangen des Könige müſſe nachgegeben werden, 
da auch der Senat ?) e8 wolle; überdies ſei dafjelbe nichtS meniger 
als ungeſetzlich; der römiſche K